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Im Mondtempel

Die Dunkelheit wich, durch einen Vorhang fiel ein matter Lichtschein. Betäubt von all dem Erlebten ging der Pharao dem Lichte nach und befand sich bald in einem kleinen, nur schwach beleuchteten Gemach, an dessen blauen Wänden Drachen einander haschten. Ein blauer Vorhang trennte es von einem weiteren Raum, aus dem gedämpft eine fremde Melodie an sein Ohr schlug. Je länger er lauschte, desto schmerzvoller und unirdischer berührten ihn die seltsamen Töne. Als läge darin ein Abschiednehmen von allem, ein Heimweh, ein Sehnen, eine wehmütige Trauer, die nie mehr schwinden würde …

Da begann sich der schwere Vorhang langsam zu heben, eine Hand winkte ihm und zog ihn behutsam in das Innere des großen Raumes. Da zeigte sich ihm ein märchenhaftes Bild. Tiefrotes und weichgrünes Licht verschmolzen in der Mitte des hohen Raumes zu einem merkwürdigen Farbton – wie das Meer ihn manchmal hatte bei Sonnenniedergang – und in diesem geheimnisvollen Schimmer tanzten junge schlanke Priesterinnen in weißen Gewändern, silberne Stirnreifen tragend, in den Händen hochstengelige Mondblumen aus Silber haltend, die sie sachte auf und nieder schwangen.

»Genieße noch einmal die reine Schönheit dieser Welt …« raunte ihm eine Stimme zu, »ehe es Nacht wird um dich!«

Als ob alles, was er vor kurzem erlebt hatte, nichts als ein Traum gewesen, stand Pharao Ramon Phtha im Schatten der dunkelblauen Tempelwände und nahm das eigenartige Bild in sich auf. Der Duft frischer Mondblumen, immer sieben in jeder hohen Silbervase, erfüllte die Luft, schwermütig weich war das verklingende Aneinanderschlagen zweier Silberscheiben zu ganz unbeschreiblichem Gesang, der den Mondtanz in voller Entfaltung begleitete. Inmitten vom Schein sich kreuzender Farben stellten die Priesterinnen den Halbmond dar – die Mittelgestalt stehend, die sechs anderen halb oder ganz kniend, die äußersten mit gesenktem Haupte kauernd, alle Mondblumen schwingend. Tiefe Ruhe ringsumher wie ewiger Frieden, ein wunderbarer Hauch von Zeitlosigkeit und Weihe, seelenstärkend und ruhegebend zugleich.

Wieder erklangen die Silberscheiben, wieder änderte sich das Bild, Die Priesterinnen tanzten nun den Vollmond und traten stärker in das Licht der beiden Sonnen. Aus Opferschalen stiegen feine Weihrauchwolken auf, flatterten wie losgerissene Elfenschleier durch den Tempel, strichen kühl über die Wangen des jungen Königs.

Nun sangen, weich und merkwürdig fremd, die Priesterinnen:

»Po … sei … don … yo soll … ukuru … kuruuu oi … yo … soli … ruuu …«

Die Worte entflohen ihm, nur der steigende und sinkende Tonfall haftete im Erinnern. Je länger er lauschte, desto stärker lullten die Töne sein Herz zur Ruhe.

Wieder löste sich der Kreis auf, um sich neuerdings, im Dämmern des Tempels, zum Halbmond zu schließen, die beiden Priesterinnen um die Mittelgestalt kniend, die beiden ferneren tief gebeugt, die äußersten Tänzerinnen völlig zusammengesunken. Alle schwangen die langstengeligen Mondblumen hin und her und sangen in endloser Wiederholung eigentümlich klagend die Worte:

»Yo … soli … ukuruu … kuruuuuu …«

Das Klagen der Seele um das Verlorene; das Heimwehlied nach dem Ewigen …

Über die henkellosen bauchigen Silbervasen mit den frischen Tempelblüten rieselte das wechselnde, zuckende Licht. Der schwere Duft erinnerte den Pharao schmerzlich an Isolanthis. So hatten auch in ihrem Gemach die Blumen von Poseidonis geduftet, die weißen Tempelblüten, von denen sie eine zu sein schien. Ach, Isolanthis … Isolanthis …

Die Priesterinnen tanzten das Aufsteigen in den Himmel, den Abstieg in die Dunkelheit des Stoffes, die neue Rückkehr des Lichts, verkörperte doch der Mond den göttlichen Weltbaumeister, ihn, der allem Bestehenden Form gab, der den Abstieg des Geistes in den Stoff bewerkstelligte und wieder auflöste, was Form hatte, um neu aufzubauen – näher und besser dem Weltallsplan.

»Po … sei … don … yo … soli …«

Ein leises Bedauern befiel den Pharao, daß er so viele Erklärungen, die ihm Isolanthis gegeben hatte, unbeachtet gelassen, daß sie an seinem Ohr vorbeigeplätschert waren. Schätze waren ihm hingehalten worden, und er hatte nicht danach gegriffen. Möglichkeiten geistiger Bereicherung hatten wie schäumende Wogen an ihm hochgeschlagen und waren am starren Fels seines einseitigen Begehrens abgeprallt, und nun mußte er, von tausend ungelösten Rätseln gequält, hinabsteigen in Osiris' dunkle Nacht.

Er hatte Isolanthis Glück und Liebe zu geben beabsichtigt und hatte nur Kummer und Leid über sie und über sich selbst gebracht. Hinter ihm die Schuld, vor ihm der Tod, und Isolanthis ihm verloren …

»Yo … soli …«

Eine rauhe Hand riß ihn zurück. Die Zeit war abgelaufen. Sein Gesicht wurde wieder verhüllt, und die lange Wanderung durch Gänge und über endlose Treppen begann von neuem. Er schritt gefesselt und unsehend einer düsteren Zukunft, wohl dem Tode, entgegen. Diese kurze Pause im Tempel war ihm zu Rückblick und zu Einblick gegönnt worden, der Rest seiner knappbemessenen Tage gehörte seinen Feinden.

Gehörte vor allem Arototec.

Selbst diese Überzeugung ließ den Pharao kalt. Seine Seele war bei Isolanthis …


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