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In der Höhle der blinden Augen

»Der Mond war halb, als ich hierherkam«, murmelte Ramon Phtha wie in jähem Erwachen, »und seither hat er sich oft gewandelt, ohne daß es mir gelungen wäre, mich loszureißen. Nie mehr werde ich mein lichtes Land wiedersehen, obschon häufig Boten kommen, die mich heimzurufen beauftragt find. Der unheimliche Zauber dieser Stätte treibt mich einem schrecklichen Geschick entgegen. Ich fühlte es, als mein Schiff dieser Wunderinsel zutrieb, ich wußte es, als ich vor Isolanthis stand, deren früheren Namen ich nicht zu finden vermag. Noch bedarf es dieses Erinnerns; es genügt mir zu wissen, daß ich sie immer geliebt habe, in vielen, andern Verkörperungen genau wie in der gegenwärtigen. Die Sonne sinkt und kommt wieder – ich merke es kaum. Was bedeutet Zeit? Ich weiß nur eins: daß es für mich erst Licht wird, wenn ich Isolanthis sehe …«

Seine Betrachtungen wurden durch ein merkwürdiges Empfinden unterbrochen. Im planlosen Wandern innerhalb des ersten Walls hatte er im Gestein eine schmale Öffnung entdeckt, und nun zog es ihn mächtig in diese von mattem Dämmerlicht durchwobene Tiefe. Dem Drang gehorchend, folgte er den Windungen und wurde mit Staunen gewahr, daß es sich um einen wohl den wenigsten Menschen bekannten Geheimgang bis zum Palast handeln mußte, denn er gelangte bald in den zweiten Wall und schien sich dem dritten zu nähern, als eine noch engere Spalte eine Abzweigung vermuten ließ. Sich hindurchzwingend, erspähte er in der Ferne durch Ritzen und Löcher im Felsen den Widerschein eines dunkelvioletten Lichts. Ein starker Verwesungs- und Modergeruch schlug ihm entgegen und, sich an den rauhen Steinwänden entlangtastend, erreichte er einen der Sprünge im Fels und spähte in die Tiefen.

Was er sah, erfüllte ihn mit Entsetzen. In der Höhle, in deren Deckenhöhe er sich befand, und die keine bestimmte Form hatte, doch deren Felswände sehr zerbröckelt waren und die Nähe anderer Höhlen zur Wahrscheinlichkeit machten, stand Arototec, doch nicht in der kleidsamen weißen Tracht der Thronratgeber, sondern in tiefstes Violett gehüllt. Er trug einen kurzen Rock, dunkle Sandalen und kein Stirntuch; das schwarze Haar wurde von einem schmalen Reifen in der gewohnten Lage erhalten. Im eigenartig rotblauen Schein, der in der Höhle herrschte, wirkte das Gelb des Gesichts mit den harten glanzlosen Augen und dem in diesem Augenblick wild verzerrten Mund unleugbar abschreckend.

Pharao Ramon Phtha spähte, sowohl von Abscheu durchpulst wie auch vom Begehren durchglüht, das Tun seines Gegners zu ergründen, hinab in den seltsamen Raum. Auf einem Steinblock in der Mitte lag auf grober Hülle die Leiche einer Frau. Auf dem Boden häuften sich Tiergerippe, aus einer Ecke grinste ein Totenschädel, und in der anderen kauerte, schwer zu erkennen, irgendein kleines dunkelhaariges Tier, das klägliche Jammerlaute ausstieß. Unweit der Decke schwirrte in weiten Kreisen unaufhörlich ein fliegender Hund. Es blieb dem Pharao unverständlich, wie ein Mensch es in dieser von Moder und Fäulnis verpesteten Luft auszuhalten vermochte, Arototec schien jedoch unberührt von all diesen Äußerlichkeiten ganz in sein Tun versunken zu sein.

Ramon Phtha hielt sich am Gestein fest und schob den Kopf so tief als möglich in die Spalte hinein, um besser beobachten zu können.

Da stieg bläulicher Rauch auf, der Herrscher der dunklen Erde glaubte sich erkannt und zog den Kopf so schnell wie möglich zurück. Gleichzeitig ahnte er, daß die Blicke Arototecs die Wände absuchten. Der fliegende Hund stand, wie an die Decke geklebt, still, und viele bläuliche Lichtfunken tanzten über den Boden der Höhle hin, wie Erdgeister mit glühenden Augen. Nun griff der Thronratgeber nach einem Fläschchen und schüttete einige Tropfen des Inhalts auf den Boden. Sofort entwickelte sich ein noch dichterer Nebel, der keinen Durchblick mehr gestattete, und der lähmend und betäubend zugleich war. Der junge König merkte das Nahen dieser weißlichen Wolken, die sich erstaunlich schnell durch alle Spalten und Ritzen schoben, und schwankte so rasch er es vermochte zur engen Öffnung zurück und weiter durch den neu entdeckten Gang, bis er endlich im Freien stand und über das Erlebte nachzudenken imstande war.

Was hatte Arototec bezweckt? Sollte etwas Wahres an den Gerüchten sein, die besagten, es vertausche der erste Thronratgeber die Seelen von Menschen und Tieren? Um sich Geschöpfe zu schaffen, die seiner Willkür gehorchten? Seine Herrschsucht war ja unbegrenzt! War es nicht auch sein Bestreben, Isolanthis zu seinem Werkzeug zu machen …?

Woraus bestand der Nebel, der durch die wenigen Tropfen aus dem schwarzbemalten Gefäß entstanden war, dieser ätzende, würgende, fäulnisdurchtränkte Nebel, der ihm wie etwas Belebtes gefolgt war und ihn wie mit feuchten Geisterarmen umschlungen hatte, als er schon draußen durch den breiteren Gang gegangen?

Ob Isolanthis von diesem Tun wußte? Kaum glaublich. Sollte er ihr davon erzählen? Hatte er das Recht, ihre Sorgen noch zu vermehren, den Ernst ihrer Züge noch mehr zu vertiefen? Und was konnte sie dagegen tun? Stand nicht alles in dieses Mannes unseligem Bann? Nein, er mußte Isolanthis retten, mit Gewalt, wenn es unerläßlich war, mußte sie mit sich führen in sein ruhiges, lichtes Land …

Mit laut pochendem Herzen und sich immer noch verwirrenden Gedanken schleppte sich Ramon Phtha heim in das hellerleuchtete Haus der Fremden und warf sich erschöpft auf sein Lager, über das weich und einschläfernd das rote Licht floß, an das er sich seit langem wie an einen guten Bekannten gewöhnt hatte.

Während er im Einschlafen war, überlegte er mit geschlossenen Augen:

»Wie gelangt Arototec nur in diese Höhle, da von seinem Hause keine Verbindung dahin geht? Oder kennt er einen unterirdischen Gang, der vom Königsgang abzweigend sogar in den Palast führt?«

Ein quälender Gedanke, der das Einschlafen nicht erleichterte. Wo endete die Macht dieses Menschen mit den kalten, glanzlosen Augen?

Ein tiefer Seufzer, und er lag in unruhigem Schlaf. Zu mächtig waren die Eindrücke dieses Frühabends gewesen …


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