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Zwischen Licht und Schatten

Außerhalb des dritten Walls, nicht weit von den beiden Pyramiden entfernt, lag der Tempel der Fremden. Er war für alle Gäste aus fremden Ländern bestimmt, die eine andere Gottheit verehrten, denn in die heiligsten Räume des Mond- und des Poseidontempels war es ihnen nicht gestattet einzutreten.

Ramon Phtha, der planlos durch die Riesenstadt gewandert war, in allen Pflastersteinen nur die Züge der Erbprinzessin erkennend, an den weisheitstiefen Zeichen um ihn her liebeblind vorbeihastend, hatte ihn plötzlich vor sich auftauchen sehen und war durch das offene Tor in die hohe runde Halle geglitten.

Eine große goldene Sonne warf einen strahlenden Schein auf die Mitte des hohen Raumes, ließ jedoch die Winkel in feinem Dämmern, das zu stiller Betrachtung einlud. Die weichen Matten des Bodens erstickten jeden Laut und vertieften dadurch noch den Eindruck des Friedens. Die Wände von mattem Grün trugen keinerlei Inschrift oder Sinnbilder, sondern waren mit Blumen verziert, wie sie die verschiedenen Zeiten des Jahres hervorbrachten, und am Ende der Halle, schon im Dämmern, stand eine Riesenfigur aus Silber, die Arme ausgebreitet, das Gesicht in sich verschlossen und ruhig.

Die allumfassende Güte.

Hinter der hochragenden Figur, an der Wand, nichts als das Abbild der Gestirne auf tiefblauem Grund: Sonne, Mond und Wandelsterne, die Einflüsse im Menschsein andeutend. Rund um das Standbild viele Silbervasen in der Form sich öffnender Blumenkelche, auf drei Silberblättern ruhend und mit Mondblumen gefüllt, doch nicht streng sieben wie im Mondtempel, sondern da drei, dort vier oder fünf Blüten wahllos hineingesteckt.

In diesem Tempel durfte jeder Fremde, der im Lande nicht die eigene Gottheit verehrt fand, wenigstens an sie denken, in Betrachtung versinken, seine Seele erheben. Männer mit dunklen Gesichtern strichen still am Pharao vorüber, Sklaven kauerten im Dämmern der Wände, ein kleines Kind torkelte herein und schaute geblendet in das Leuchten der Sonne; torkelte behutsam wieder ins Freie hinaus.

»Ra – hülle mich in dein Strahlenkleid und gewähre mir die Erfüllung meiner Wünsche!«

Er hatte keine anderen Wünsche, er vermochte an nichts anderes zu denken. Je länger sich die Tage wie die Perlen einer Schnur aneinanderreihten, desto unauflöslicher fühlte er sich mit all dem verbunden, was in diesem Volke lebte und was, für ihn, voll und ganz in Isolanthis verkörpert war.

Er ließ den knisternden Vorhang hinter sich fallen, denn es litt ihn nirgends. Seine Liebe und seine tiefe Bewunderung für Isolanthis wuchsen über ihn hinaus, rissen alles mit sich, wie ein geschwollener Bergbach wahllos alles mit sich reißt – Geröll und entwurzelte Bäume, Blumen und Kräuterwerk.

Als er den Vorhang fallen ließ, stieß er auf einen alten Mann der höchsten Kaste, der mit unsehenden Augen nach dem Gewebe tastete. Obschon sichtlich ein Poseidonier, besuchte er den Tempel der Fremden. Warum? Seine blutleeren Lippen murmelten:

»Wo ist sie? Ach, wo ist sie?«

Ramon Phtha war nicht sicher, die Worte richtig verstanden zu haben. Unwillkürlich schaute er dem Fremden nach, doch der Vorhang war schon hinter ihm niedergerauscht und nichts als Sonne, Mond und Sterne, zwei Vögel mit ausgespannten Flügeln um eine Riesenblume schwirrend, blieben sichtbar – das Muster auf dem Vorhang.

Dennoch blieb der junge König merkwürdig beeindruckt zurück. Hatte er recht gehört? Wer war sie? War es auch eine Seele, die so geliebt wurde, wie er Isolanthis liebte? Wie hatte er sie verloren, und warum ging er, der Poseidonier, in den Tempel der Fremden?

Die Sprache blieb dem Pharao ungeläufig, obschon er sie verstand und sich auch im Laufe der wachsenden und schwindenden Monde mit den wichtigsten Redensarten vertraut gemacht hatte. Er konnte nun, ohne zu große Schwierigkeiten, das äußern, was er wollte, aber frei seine Gedanken mit einem andern zu tauschen, das gelang ihm nur bei Daminophis. Bei Isolanthis ging es von selbst, denn sie sprach ja seine Sprache.

Ach … Isolanthis! Da war er glücklich wieder beim Ausgangspunkt all seiner Gedanken und Wünsche angelangt, ging neuerdings unsehend und unhörend an allem vorüber und nahm kaum wie im Halbschlaf wahr, daß an dem Tempel, den er soeben verlassen hatte, nur die Innenhalle rund, der Außenbau jedoch viereckig mit schräg abfallenden Mauern war, und daß er vorn eine Reihe von Ziersäulen hatte.

Es trieb ihn ruhelos von der Stadt auf die Ebene und von der Ebene zurück in die Stadt. Nicht täglich durfte er die Prinzessin sprechen, denn zu gewissen Zeiten unterrichtete sie die Frauen im Haus der weißen Muschel, lehrte sie Seelenentfaltung, zeigte ihnen aber auch nützliche Handgriffe im Haushalt, bei Unglücksfällen und so weiter, und erteilte allen jenen Rat, die dahin kamen, um sie darum zu bitten. Sie mußte jedoch auch den geheimen Kronberatungen beiwohnen, sie suchten die Priester, wenn sich seltsame Zeichen am Himmel erkennen ließen, wie Schweifsterne, Verfinsterungen und ähnliches. Sie wachte am Lager des Königs, wenn er – wie nun gar oft – leidend war, und sie stieg in den Turm zu Sembasa oder in das Haus der lichtlosen Sterne, um mit Arototec neue Erfindungen zu besprechen. Sogar diesem wertlosen Vierbein Tlactlac widmete sie mehr Zeit, als Ramon Phtha zu begreifen vermochte. Was kümmerte ihn ein keimendes Seelchen in einem Tierleib, wenn seine ganze Menschenseele nach Isolanthis schrie? War sein maßloses Sehnen nicht wichtiger?

Doch da saß sie über fremde Botschaften geneigt und übersetzte, oder prüfte den Wert fremder Pflanzen im Haus der Wissenschaften oder begutachtete die Entwürfe der Zeichner, und selbst Tiritec …

»Ha, selbst dieser Elende wagt es, immer noch in den Palast zu kommen, und es ist mir, als schleiche er wie ein böswilliges Tier hinter mir her. Immer wieder ist es mir, als wehten seine Arme hinter irgendeinem Bau, und nach wie vor schickt er der Prinzessin seine Gedichte zu. Er – das Tier aus der Höhle des tiefsten Erlebens – meiner reinen Tempelblüte.«

Auch heute durfte er nicht zu ihr, denn die Oberhäupter der einzelnen Kronländer wurden feierlich empfangen, und außer dem König waren immer Arototec und Isolanthis bei solchen Anlässen zur Stelle. Er merkte dann am folgenden Tage, wie müde seine Mondblume schien und wie kummerbeschattet ihre Augen. Sie pflegte an seiner Seite ganz stumm und in sich versunken dahinzugehen und seinem Reden wie dem Lispeln einer Quelle zu lauschen.

Den geheimen Gang zum Palast ganz unbewußt hinaufsteigend, dachte Ramon Phtha erbittert:

»Soll der unheimliche, vom wildesten Ehrgeiz durchglühte Thronratgeber zeit seines Lebens seine finstere Macht auf Krone, Land und Herrscher ausübend Soll Isolanthis, lichtberaubt und allmählich der Bürde ihrer Verantwortung erliegend, in dieser Stadt der Geheimnisse dahinsiechen, wie eine Knospe vorzeitig welkt, weil Ras belebender Finger sie niemals streift?«

Plötzlich blieb er stehen, hielt den Atem an und horchte auf. Durch den engen Spalt, durch den er schon einmal in die Höhle der blinden Augen vorgedrungen war, erklangen ganz deutlich Jammerlaute, die nicht von einem Tier herrühren konnten. Besorgt schob er sich durch die schmale Öffnung und tastete sich bis zu den Ritzen und Löchern im Gestein fort, durch die auch heute das merkwürdige tiefdunkelviolette Licht brach. Sein Gesicht wieder in den Spalt hineinschiebend, spähte er, so gut es ging, hinunter in den düsteren Raum. Diesmal schwirrte nichts in der Luft, kauerte nichts in den dunklen Ecken, doch der scharfe Geruch unbekannter Kräuter und welker Blumen stieg wieder zu ihm auf und drohte, ihn zu betäuben.

Seltsame Laute trafen sein Ohr, neuerdings selbst dem furchtlosen Pharao etwas wie Furcht einflößend. Er trachtete – an den hindernden Schein der violetten Sonne an der Decke unweit von seinem Versteck nun schon etwas gewöhnt – zu erkennen, was unten im Raume vorging.

Er glaubte in der Höhle ein junges Mädchen und den älteren Diener Arototecs zu erspähen, doch ehe er mehr zu erkennen vermochte, betrat der gefürchtete Thronratgeber den unheimlichen Ort, zu dem der Pharao den Zugang nicht kannte, und warf einen prüfenden Blick nach oben. Und sogleich erfüllte dichter Nebel den Raum, und es schien dem Pharao, als griffen feuchte Geisterhände nach ihm. Nur mühsam schob er sich durch die schmale Öffnung und durch den Nebengang hinein in den eigentlichen Königsgang, von dem er abgewichen war. Sollte er mit Isolanthis nun doch von seiner Entdeckung sprechen? Hatte es aber überhaupt Zweck, ihr Gemüt damit zu beschweren?

Nein, in dieser Stadt hoher Weisheit und tiefster Laster vermochte er nichts auszurichten, aber eins konnte und wollte er tun: Isolanthis mit sich in sein lichtes Land nehmen, und wenn nicht mit Erlaubnis der Krone und des Volkes, dann ohne solche Erlaubnis.


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