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Im Haus des Vergessens

Der Saal, in den der Pharao trat, war eine Augenweide an rauschenden Farben. Phantastische Figuren in Gold zierten die roten Wände, und alles ringsumher, Vorhänge, Wasserspiele und Sonnen waren rot, nur im Hintergrund verrannen andere, sinnenreizende Farben in dieses Scharlachmeer, aus dem die nackten Leiber der Mädchen wie Elfenbein schimmerten. Um das Haupt trugen sie einen Kranz hellroter kakteenartiger Blüten, deren Duft den Atem benahm und allerlei Gelüste erweckte. Breite Goldbänder, von denen Blattwerk niederhing, umspannten die Arme, und das schwarze offene Haar wurde um die Mitte von einem handbreiten roten Gürtel fest an den Leib gehalten. Von diesem Gürtel, dem einzigen Bekleidungsstück, fielen spärliche Fransen bis zu den Knien nieder und zerflatterten im wirbelnden Tanz der »Kummerverscheuchenden«. Diese »roten Blumen« aus dem Haus des Vergessens umdrängten nun auch den Pharao, lachten ihm zu, umtanzten ihn, ließen die roten Blütengewinde, die sie in Händen trugen, über sein erhitztes Gesicht streichen, ohne jedoch ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen.

»Wie Gestalten aus einer fernen Spukwelt«, dachte Ramon Phtha. »Ich will nicht!«

Die Weihe seiner Jugend fühlte sich verletzt in dieser Umgebung. Was würde Isolanthis denken, wenn sie ahnte, daß er in diesen unreinen Hallen wandelte? Nackte Männer, Poseidonier und Ausländer, umschlangen diese geilen Weiber und drehten sich zu der Musik, die – obwohl im Grunde eintönig – etwas Beunruhigendes, Aufreizendes an sich hatte. Das strahlende Rot der plätschernden Wasser und der funkelnden Sonnen, der betäubende Duft der Blumen und die Ausdünstung der menschlichen Leiber sickerten als heimtückisches Gift durch den Abwehrwall seiner Entschlüsse, das verhehlte sich der junge König nicht. Auch war es ihm, als drücke ihm von außen her fremder Wille ein fremdes Wollen auf.

Der Diener Arototecs, starr und kalt wie sein Meister, unbeirrt von all dieser gleißenden Wonne, führte den fremden Gast von Raum zu Raum. Nach der Haupthalle gelangte man in verwirrende Gänge, die immer wieder abzweigten und zu Räumen mit verschiedenfarbigen Vorhängen Zugang gaben. Es wäre dem jungen Pharao bald unmöglich geworden, sich aus diesem Irrgarten allein herauszufinden. So verwirrend wie Bau und Farben war auch das Gebotene, obschon er oft teilnahmslos an Raum hinter Raum vorbeischritt. Es frei ihm dennoch auf, daß die Männer, die diesen Teil des Hauses besuchten, und die aus dem Reich des Westens zu stammen schienen, schon eine etwas veränderte Kopfform aufwiesen. Das Hinterhaupt war flacher, von der Nase stieg die Stirn schräg auf, und die größte Entwicklung des Kopfes war um den Scheitel. Dadurch wirkte das Haupt ungeheuer langstirnig und spitz. Er ahnte nicht, daß nach Jahrtausenden diese Verfallserscheinungen das Verschwinden der Rasse zum Ergebnis haben würden. Es überraschte ihn nur das sonderbare Aussehen.

»Welcher Rasse gehören diese lichthäutigen Menschen an?« fragte er seinen Begleiter.

»Sie wohnen im äußersten Norden von Akozetatl«, entgegnete er, »und bei ihnen herrscht die Sitte vor, dem Kinde durch das Anschnallen eines Holzes diese Kopfform zu geben.«

»Warum in aller Welt?«

»Weil das Geschlechtsvermögen dadurch überwiegt und die Freude am Stofflichen eine verdreifachte ist«, erwiderte Arototecs Diener, und ein lauernder Ausdruck begleitete die Worte.

Diese Spitzköpfigen verschwanden in halbdunkle Räume. Ramon Phtha vermied es, genau hinzusehen. Ihm ekelte vor all dem. Hier war nicht mehr aufreizende Schönheit wie in der großen Halle, in der die schlanken Kummerverscheuchenden lockten und tanzten.

Gänge auf Gänge, und je dunkler die Räume, desto schauriger die Form der Entartung. Vor ihm schritt eine Gestalt, die er zu erkennen glaubte. Er folgte ihr. Sie bog in einen ungewöhnlich langen und düsteren Gang ein, und Ramon Phtha war es, als ertöne ein leises verächtliches Lachen neben ihm, doch als er den Diener aufmerksam musterte, fand er die gleiche, unveränderte Starre der Züge.

Da schlug ein Vorhang beiseite, und er sah einen matterhellten graublauen Raum. Einige Männer bildeten einen Halbkreis um einen erstaunlich großen Affen. In ihren Augen glühte ein tierisches Feuer, ihre nackten Leiber zitterten; zu dieser entmenschten Gruppe trat die Gestalt, die dem Pharao irgendwie vertraut geschienen, und warf das lange verhüllende Gewand ab; sank auf den Erdboden nieder, berührte das Tier und stieß tierartige Laute aus.

Es war Tiritec, der Dichter …

Und dieses unflätige Wesen wagte es, vor die Augen seiner reinen Tempelblüte zu treten? Hatte die Unverschämtheit, ihr von Liebe zu sprechen und sie zu besingen? Verbrauchte das Gold, das sie ihm schenkte, hier …

»Ist das die Höhle tiefsten Erlebens gewesen?« befragte er den Gefährten.

»Ja«, erklärte dieser, »hier verwandelt sich das Tier in einen Menschen und die Menschen in Tiere …«

»O meine Tempelblüte«, seufzte der junge König, »nun erst verstehe ich deinen Kampf um diese Stätte. Natürlich setzest du alles daran, diesen verderblichen Sumpf verschwinden zu machen, denn wie verträgt sich solches Tun mit der hohen Entwicklung deines Volkes?«

Immer wieder gelangten sie in größere, hellere Hallen. Überall gab es bunte Wasserspiele, überall vernahm man Geflüster und Geraune und leise Musik; er roch ein quälendes Gemisch der verschiedensten Düfte, fühlte weiche brünstige Leiber an sich vorbeistreichen, sah eine Wirrnis von Biegungen, die keine Richtung wahren oder erraten ließ.

Da merkte Ramon Phtha, wie sich die schweren Schatten einer fremden Macht wie Tücher um ihn wanden, wie sein Kopf leer und sein Leib schwer zu werden begann und eine Art Schwindel sich seiner bemächtigte. Aus einem bescheidenen Raum fiel ein geheimnisvoll bläulichweißes Licht, und als der Vorhang zur Seite wich, stand mitten in diesem matten Schimmern eine weiße Gestalt.

Der junge König fuhr zurück, blieb geblendet auf der Schwelle, mißtraute seinen Augen, seinen Sinnen, und schaute nur, schaute …

Er fühlte die Blicke seines Führers lauernd auf sich ruhen.

Das weiße, mit Wellenlinien und Dreizack bestickte Stirntuch, das Scheue der Bewegungen, der goldene Stirnreifen, die feine Linie der Nase …

»Isolanthis?«

Da wendet sich das Mädchen um, nähert sich ihm und schlägt die Augen auf.

»Ra … hab Dank!« entfährt es ihm erleichtert.

Vor ihm stand ein Weib, irgendein Weib, was kümmerte ihn der Ursprung. Fremde Augen blickten in die seinen, ein fremder Mund lächelte ihm zu. Eine maßlose Wut über diese Entheiligung der geliebten Prinzessin bemächtigte sich seiner, über diese schlaue Falle, über solch dämonische Hinterlist, und diese Empörung gab ihm die Macht über sich selbst zurück.

»Zeig mir den Ausgang«, herrschte er den betroffenen Diener an, der plötzlich begriff, warum man den jungen König den Tapferen hieß, »und sage deinem Herrn, daß man einen Pharao zu nichts zwingt!«

Gleichzeitig war es ihm, als zöge sich etwas Fremdes, Feindseliges von ihm zurück, wie sich ein Tier, das man verscheucht hat, in ein Versteck zurückzieht. Die fremden Blicke, die er auf sich ruhen gefühlt, ließen von ihm los. Schweigend geleitete ihn der Diener durch endlose Gänge und Hallen bis an ein Tor, das auf einen Riesenhof mündete. Er war rings von hoher Mauer umgeben, und im Dunkel, das dem König entgegengähnte, bewegten sich schattenhafte Gestalten, die alle Durchgänge verstellten, und von denen etwas Feindliches herüberströmte. Da entdeckte er einen engen Spalt unweit der Seitenmauer des Riesenbaues, steuerte darauf zu und zwängte sich hindurch.

»Ra – ich danke dir!«

Er befand sich neuerdings in der breiten Hauptstraße, die zum Hafen hinab und hinauf in das Haus der Fremden führt. In den Torbogen scheinen hell die gelben Sonnen, und aus dem Tiefdunkel des Himmels brechen wunderbar leuchtend die Sterne. Die Schwüle weicht, die fremde Schlaffheit der Glieder schwindet, das Blut kreist froh, doch nicht im ungesunden Fieberjagen ungeheuerlicher Begierden, sondern in reiner Freude am Entronnensein, wenn sich die häßlichen Bilder gleich nicht mehr entfernen lassen, wenn die schaurigen Menschlaute noch immer im Ohr sitzen, wenn der Duft der Kummerverscheuchenden von Zeit zu Zeit noch einmal schwül aus dem Umwurf steigt, den er nun verächtlich von sich schleudert.

»Ra – ich danke dir!«

Doch schlafen konnte und wollte er nicht. Eine laue Nacht umfing ihn wie erfrischendes Wasser, und der Weg bis hinauf zum heiligen Berg war lang und abwechslungsreich. Im weichen Sternschein glitzerten zauberhaft Kuppeln und Silberbogen, und als er den Tempelhof erreichte, umfing ihn der keusche, etwas herbe Duft unzähliger Tempelblüten. Sie im Vorübergehen liebkosend, verlor er das Erinnern an die Gerüche im roten Lasterpfuhl.

Ganz fern, wie ein zartes Segel auf schwarzblauem Wasser, glitt die Mondsichel schon in das Haus des Niedergangs.

Ramon Phtha ließ sich auf den Tempelstufen nieder, bis seine Gedanken wieder klar geworden, bis die Springflut seiner Empfindungen allmählich verebbte. Der schwermütig eintönige Gesang aus dem Tempelinnern schaukelte seine Seele zur Ruhe, und durch einen Spalt im Vorhang fiel ein grünlicher Schein hinaus auf den Riesenhof.

Ein fernes Geräusch schreckte ihn auf und ließ ihn tief in den Schatten des Mauerwerks treten, denn als Fremdgläubiger hatte er kein Recht, so nahe vor dem Tempel zu verweilen. Im feierlichen Zuge nahten die Priester, immer drei und drei in einer Reihe, der mittlere eine Urne oder einen Krug von merkwürdiger Form tragend, die beiden andern Priester mit leeren Händen. Ihre weißen Gewänder erinnerten an Mondlicht und der tiefblaue schimmernde Stirnreifen an eine wolkenlose Sommernacht. Feierlich und ernst schritten sie über den nachtstillen Hof und verschwanden im Tempel. Die weiche Melodie schwoll nun zu einem warmen Ton von Lob und Verheißung an.

Während er den langen Herrscherweg entlangeilte, verfärbte sich allmählich der Himmel, der Schläfer und der Schweigsame erglühten im Morgenrot, die stürzenden Wasser, die Silberbogen, die Schuppenleiber und der Strom im Tal, die zahllosen Zacken und Türme wurden zum Strahlenmeer.

»Ra grüßt die Welt«, rief der junge Pharao und beugte demütig das Haupt vor seinem Gotte. Tief unter ihm lag – ein einziges Gleißen und Schimmern – die wunderbare Stadt der goldenen Tore wie ein zu Stein gewordenes Märchen, und im weichen Morgenschatten glänzten die Kelche der Mondblumen wie Silber.

Ramon Phtha reckte die Glieder, atmete befreit auf, streifte mit sieghaftem Blick die ragenden Bauten des heiligen Berges und flüsterte stolz und andächtig zugleich:

»Ra küßt die Kuppel deines Palastes und nun gleißt auch sie in goldenem Schein. O Isolanthis – meine weiße Tempelblüte – ich kann dir offen in die Augen schauen.«

Beglückt darüber eilte er durch den geheimen Gang hinab in das Haus der Fremden.


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