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Drittes Buch
Die Krone


Der Saal der Speere

Wie finstere Luftgeister stiegen die Abendschatten in die schluchtartig wirkenden Straßen. Nie zuvor hatte sich Ramon Phtha so sehr von der überwältigenden Bauweise der Poseidonier bedrückt gefühlt, nie war von den Silberbogen so zwingende Macht ausgegangen wie jetzt, als er sich auf dem Wege zu Erikikatl, dem Hüter der Kronschätze, befand. Die Worte des Weisen als warnenden Nachklang im Ohr, das Grauen vor Arototec im Herzen und – alles überwiegend – die wachsende Angst, Isolanthis nie erringen zu können, alles wurde zur Kette, die er überall mit sich schleppte. Fortgehen? Wie konnte er? Bleiben? Wie durfte er? Und diese unselige und dennoch gepriesene Liebe, die sein Denken erfüllte, seine Sinne aufpeitschte, all sein Tun bestimmte, raubte ihm das innere Gleichgewicht und trieb ihn wie ein zweiggelöstes Blatt dem Abgrund zu, vor dem zu retten nicht einmal dem Weisen gelungen war. Im Wirbelwind seines ungezähmten Begehrens, das durch die ihm zugesandten Gedankenströme seines Feindes noch erheblich verstärkt wurde, ging das schwache Eigenwollen seines unbekämpften Ichs haltlos unter.

»Schwarze Wolken, dunkle Schatten, auch ich merke ihre Nähe«, dachte er, sich immer wieder umschauend, ob ihm jemand folgte.

Das letzte Fünkchen seines wahren Selbst kämpfte noch in ihm, als er wie in Schrecken oder Bedauern vor sich hinflüsterte:

»Es muß sein … nie noch habe ich getötet, doch wenn ich sie erreichen will …«

Finstere Entschlüsse waren es, vom letzten Zaudern zurückgedämmt, neuerdings heranrollend, schwächer abflauend, den sicheren Boden des Altgewohnten aufwühlend, die klaren Wasser kühler Überlegung trübend.

Sie würde ihm helfen – – Asenath. Sie liebte ihn seit langem, obschon er unsehend an ihr vorbeigeschritten war. Nun hatte er sie zu seiner Verbündeten gemacht, ohne an die Folgen zu denken, die auch ihr drohten. Alle Menschen waren zu Werkzeugen geworden, deren er sich bediente, und auf sein lichtes Innere fielen verdüsternd schon die ersten Vorschatten der Schuld.

Unweit des Hauses der Speere kniete oder kauerte jemand mitten auf dem Weg. Gereizt wollte der Pharao das lästige Hindernis mit dem Fuß beiseiteschieben, als ihm der Hockende zuraunte:

»Wenn im Haus der Fledermäuse die Fackeln erlöschen …«

»Meinst du«, fragte der junge König erregt, da er den Skorpion erkannte, »wenn der Himmel erbleicht, weil Ra im Nahen ist?«

»Nenne es, wie du willst – kurz vor Sonnenaufgang erwartet dich Daminophis unter dem Felsen zur Linken. Nicht früher, um der Ebbe willen, und nicht später … und nun beschimpfe mich laut, um in deinem Späher jeden Verdacht zu ersticken.«

»Du sollst es im Glanz meines Thrones gut haben, Colotli«, erwiderte der Pharao gedämpft, und schrie hierauf mit lauter, ärgerlicher Stimme:

»Elendes Stinktier, hebe dich hinweg von den Füßen eines Gekrönten! Mußt du wie ein Tapir im Abfall der Straße wühlen? Weiche …«

»Darf man nicht mehr auf dem Pflaster der eigenen Stadt in Frieden ruhen?« brummelte der Skorpion, sich langsam entfernend und sich immer wieder scheinbar ärgerlich nach dem jungen Herrscher umblickend, in Wahrheit jedoch, um zu sehen, ob ein Späher in der Nähe war. Erst nach geraumer Weile stieg er in den zweiten Wall hinauf, um die letzten Einzelheiten mit dem Künstler zu besprechen. Er merkte nicht, daß sich hinter ihm eine Gestalt aus dem Dunkel eines Torbogens löste und ihm langsam folgte und daß – je dichter der Verfolger an ihn herankam – sein Denken träge und verwirrt wurde.

Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wurde es ihm schwarz vor den Augen, er stolperte vorwärts und wußte nichts mehr …

Ramon Phtha hatte vor dem Hause Erikikatls seine letzten Zweifel, das letzte Zögern besiegt. Es gab nur einen Weg, und er war entschlossen, ihn zu betreten. Nur mit Gewalt konnte er sich der Erbprinzessin bemächtigen. Später, in seinem lichten Lande, wollte er alle Schuld sühnen. Er überdachte weder den Schritt noch die Folgen in allen Einzelheiten: er sah nur das Ziel – Isolanthis!

Von diesem Bilde berauscht, kreuzte er die Schwelle des Hauses der zehntausend Kleinodien.

Erikikatl, der Hüter der Kronschätze, war ein in langjährigem Dienste erprobter, von seinem Eigenwert überzeugter Mann von mäßiger Begabung und einer ruhigen Gemütsart, die seinem Leben Behagen und seiner Gestalt Rundung verlieh. Er war über den späten Besuch des königlichen Gastes erstaunt und auch ein wenig verärgert, denn er war eben im Begriff gewesen, einen lecker zubereiteten Waldvogel in Angriff zu nehmen, aber man entzog sich nicht seinen Pflichten, wenn der Gast eine Krone trug. Er empfing daher den Pharao voll Ehrfurcht mit einer kaum fühlbaren Zurückhaltung und geleitete ihn, nachdem er den Wunsch vernommen hatte, den berühmten Saal der Speere besichtigen zu dürfen, die breite Treppe empor.

Die Halle, in die sie traten, war von einer Riesensonne erhellt, und der grüngoldige Schein ließ die Griffe aus Elfenbein, die Einlegearbeiten in Türkisen, Diamanten und einem matthellgrünen, dem Besucher unbekannten Edelstein in zauberhaftem Licht erstrahlen. Ganz am Ende der Halle hingen Speere, und über ihnen hing eine kleinere Lampe. Dieser Sonne rötlicher Schein tauchte die Waffen wie in flüssiges Blut.

»Der Fleiß vieler Zeitwenden liegt hier aufgestapelt«, erklärte Erikikatl, sich ins Unvermeidliche fügend, während er den königlichen Besucher von Gruppe zu Gruppe führte, hier einen Dolch hervorzog, um besondere Schönheiten hervorzuheben, da an eine Waffe eine bekannte Geschichte knüpfte.

»Mit diesem Speer verteidigte sich ein Mann aus der höchsten Kaste, als er im Mondreich, an fremder Küste, angegriffen worden war. Nach dem Blute, das bei diesem Anlaß floß, nannte er die Ansiedlung, die er da gründete: Stätte der blutigen Ströme, und das ist die Waffe …«

Von Gruppe zu Gruppe, von den einfachsten Pfeilen wilder Völker zu den Prachtwaffen aus dem Land der dunklen Erde, und von den ungeschickten Steinbeilen bis zu den neuesten Erfindungen unter Arototec.

»Diese Tierköpfe werden im Südreich aufgesetzt, damit die Feinde bei solchem Anblick entsetzt zurückweichen mögen, und dieses seltsame Messer soll aus dem Anfang des Zweischlangenzeitalters stammen, also viele Jahrtausende alt sein. Es ist nicht aus Metall, sondern aus einem ungeheuer harten Stein, mit unsagbarer Geduld geschliffen, und dann mit diesen, nun schon beinahe verwischten Zeichen verziert. Man nennt es das Messer der zehntausend Monde …«

Ramon Phtha nickte zerstreut. Was ihn hierhergeführt hatte, entsprang einem ungesunderen Wissensdurst. Er hörte die ein wenig ölige Stimme Erikikatls an seinem Ohr vorbeirinnen, ohne daß die Worte haften blieben.

»Das ist ein merkwürdiges Ding«, begann der Hüter der Kronschätze, und hob einen viereckigen Stein hoch, der ebenfalls zugeschliffen schien, doch nur an den äußersten Rändern. »Man sagt, daß es aus Lemurien stamme und da eine Art Opferstein gewesen sei. Es gehört zu den größten Schätzen der Sammlung, weil es nichts gibt, was älter ist.«

Sie hatten die Runde gemacht, und Erikikatl blieb erwartungsvoll stehen. Der Vogel mochte kalt und zäh geworden sein, aber man erzählte sich, daß der König der dunklen Erde jeden geleisteten Dienst fürstlich belohne.

Auch Ramon Phtha fühlte, daß er vor der Wende stand. Die Weisheit reifer Jahre würde ihm andere Wege zu gleichem Ziel gewiesen haben, doch die Ungeduld der Jugend und die Gewohnheit, überall kurz zu befehlen, ließen ihn geradeheraus fragen:

»Von wo geht der geheime Gang hinauf in den Palast, von dem man mir erzählt hat?«

»Vom dritten Wall, vom Haus der Fremden seitlich …«

Der Pharao machte eine ungeduldige Handbewegung.

»Nicht den Königsgang, den alle Gäste zu betreten die Erlaubnis haben, meine ich, sondern den schmalen Gang, der von deinem Haus bis in den Gang führen soll, der …« er zögerte, »in die Gemächer der Erbprinzessin mündet?«

»Er wird selten begangen«, entgegnete der Hüter der Kronschätze und machte Miene, den hohen Gast wieder die Treppe hinabzuführen, »auch ich betrete ihn nicht. Er wurde vor vielen Jahrhunderten angelegt, damit – im Augenblick größter Gefahr – eine Flucht aus dem Palast hierher oder aus dem zweiten Wall in den Palast möglich werde.«

»Zeige ihn mir«, befahl Ramon Phtha, »es gelüstet mich, ihn zu sehen.«

Erikikatl war gutmütig, von mäßiger Begabung, wie schon eingangs erwähnt. Ein kluger Mann würde das Begehren abgelehnt, aber diese Ablehnung in eine unabweisbare und vor allem eine glaubwürdige Form gehüllt haben. Dadurch würde er selbst einem König das Bestehen auf einer unpassenden Forderung wenigstens erschwert haben, so aber erwiderte er ohne Umschweife:

»Arototec hat es mir verboten, dir den Gang zu zeigen. Er hat mich vor dir gewarnt.«

»Vor mir? Warum?«

Diesmal hatten die Worte die Schärfe geschliffener Messer, und die Augen des Königs funkelten.

»Weil er in deinen Gedanken gelesen hat …«, antwortete der Hüter der Kronschätze arglos.

Ramon Phtha knirschte mit den Zähnen. Die Zeit vertropfte in müßigem Gerede. Wenn Ra die Sterne auszublasen begann, mußte er mit Isolanthis aufs Schiff gehen, weder früher noch später.

»Du hast doch den Schlüssel?« fragte er, sich mühsam beherrschend und scheinbar in Gedanken versunken zu Boden schauend.

»Gewiß, doch trage ich ihn nicht am Bund vereint mit den übrigen Schlüsseln, seit der erste Thronratgeber mich gewarnt hat …«

»So hast du ihn von der Nase hängen?« spottete Ramon Phtha.

»Nein«, sagte Erikikatl und besiegelte sein Schicksal mit dem unüberlegten Geständnis, »ich trage ihn Tag und Nacht in einem Beutelchen um den Hals …«

»Es muß sein«, dachte der Pharao mit einem letzten Zaudern, dann riß er seinen kostbaren, mit Edelsteinen besetzten Dolch aus der Scheide und stieß ihn dem Hüter der Schätze mitten ins Herz.

Die blutige Waffe in aller Hast am weißen Gewände des alten Mannes trocknend, riß Ramon Phtha das Beutelchen hervor und entnahm ihm den Schlüssel, der eher einem Dreieck glich und an den heiligen Dreizack erinnerte. Nun war schnelles Handeln geboten. Den Vorhang hinter sich zufallen lassend, lief er gehetzt die Treppe hinauf zu den Gemächern, in denen er Asenath untergebracht wußte.

Als er das Ende erreichte, stand Asenath vor ihm. Im Raume selbst sah er die Gattin Erikikatls zu Füßen des Lagers zusammengekauert sitzen und vernahm seltsame Schnarchlaute.

»Ich mußte sie betäuben …«

Die Ringe der Schuld zogen weitere Kreise.

»Die Kleider?« rief der Pharao gebieterisch.

Das junge Mädchen warf ihm eins über. Es war die Tracht der Dienerinnen in den Frauengemächern, glich dem Gewand, in das Roxa gehüllt zu sein pflegte – ganz braun mit einem Saum aus Scharlachrot im Dreizackmuster.

»Das zweite?«

Asenath hielt ihm das Bündel entgegen, doch sank sie ihm gleichzeitig zu Füßen und umklammerte sie:

»Pharao Ramon Phtha – mein Herr und mein Herrscher – geh nicht so von mir!«

»Was willst du?«

Es klang hart wie berstendes Gestein.

»Ich … ich … habe mein Leben gewagt, um sie dir zu verschaffen …«

»Ra segne …«

Die Worte versagten. Wie durfte er seinen lichten Gott anrufen nach so dunkler Tat, wie die eben begangene? Und Asenath wollte keinen Segen, sie wollte seine Liebe, wollte ihn … Schluchzend wand sie sich vor ihm, deren Ehre und Sicherheit er gefährdete; und wie viele andere Schatten mochten seiner harren auf dem finsteren Weg, den er eingeschlagen hatte?

»Was willst du, Asenath?« fragte er weicher und versuchte ihre Finger von seinem Gürtel zu lösen.

»Nichts«, schluchzte sie, »nichts! Ich tat es, weil ich dich liebe.«

Sie fühlte, daß er sie nie küssen, nie liebkosen würde, auch wenn sie ihn darum bäte. Er sparte seine Lippen für Isolanthis. So berührte sie demütig seine Füße mit ihrem tränennassen Gesicht.

Er fuhr schuldbewußt über ihr gelöstes Haar, nahm das Bündel und floh den langen finsteren Gang entlang bis an die Pforte aus Orichalcum.

»Ob sie morgen noch so erdfern blicken wird, die reine Tempelblüte, an die niemand heranreicht?« überlegte Asenath, sich aufrichtend.

Erst als sie das leise Knarren im Schloß vernahm, begriff sie, daß es sich gar nicht um die Erbprinzessin handelte, sondern um Ramon Phtha, um seine Freiheit und sein Leben. Der Plan konnte nie gelingen, nie! Er mußte an Arototecs hellseherischer Gabe, an der geistigen sowie an der weltlichen Macht scheitern. Und dann?

»Kehr um, o Pharao!«

Sie lief wie gehetzt durch den finsteren Gang. Vor ihr flog die Türe zu. Sie kam zu spät.

So groß war ihre Liebe für ihn, und alles, was sie erreicht hatte, war, ihm die Pforte zu seinem Verderben zu öffnen …


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