Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nie sprach Enzio von Irene, dagegen fing er jetzt langsam an, mit seiner Mutter von Bienle zu sprechen. Seine Gedanken waren von der letzten Vergangenheit ermüdet, sie gingen in eine frühere zurück. Wehmütig war ihr das, und sie konnte es nicht hindern, daß allmählich eine Bitterkeit gegen Irene in ihr aufstieg.

Das hat sie mir einmal geschenkt! sagte er und holte ein kleines Madonnenbild aus seiner Brusttasche; – das gab sie mir, als sie schon wußte, daß ich mit der andern soviel zusammen war. Ich glaube, sie dachte, es solle mich beschützen. 496 Um meinetwillen ist sie in die Fremde gegangen, und ich weiß nicht einmal, was aus ihr geworden ist.

Er schwieg. Vor seinem innern Blick und vor Caeciliens schwebte das stumme, wehrlos-süße Bild dieses Mädchens, still blutend und mit traurig-ruhigen Augen.

Wie treu hat sie zu ihm gehalten, dachte Caecilie, – auch als er sich immer mehr von ihrem Herzen entfernte, als sie sein Leben und Treiben aus allernächster Nähe sah, bis sie's nicht mehr aushalten konnte! Wie furchtbar hat er sie gequält! Und Irene trennte sich von ihm, als sie nur von seinem Leben durch eine andere hörte! Kann sie ihn je wirklich geliebt haben? Muß die Liebe nicht alles überwinden? Ist dies nicht ganz blutlos-moralisch? Und wie sagte sie zu ihm?: Auch wenn ich auf ein glückliches Leben mit dir zurückblicken könnte – auch dann würde ich bereuen, mit dir zusammen gelebt zu haben! Nun, wenn ein Mädchen so spricht über meinen Sohn und über ein reines Glück an seiner Seite, dann ist es gut, daß sie dieses Glück nicht kennen gelernt hat, dann ist es nicht beklagenswert, daß diese Verbindung wieder auseinandergegangen ist. – Aber sie vermied es, auch nur ein Wort von ihren Gefühlen laut werden zu lassen gegen Enzio.

Ob sie wohl noch deine Spange trägt? fragte er ein anderes Mal. – Enzio, zergrübele dir den 497 Kopf nicht mit Erinnerungen! Sieh gradeaus, in die Zukunft!

Aber seine Gedanken waren unablässig in der Vergangenheit. All die kleinen Andenken an Bienle, ihre Geschenke, Blumen, Briefe, hatte er in eine besondere Lade getan, nahm sie oft daraus hervor, las, streichelte und küßte sie.

Zuweilen dachte er an jenen Blick, mit dem sie ihn in der allerletzten Zeit einmal angesehn, dann war es ihm, als schwebe er in einer fremden, geisterhaften Welt, die außer seiner selbst war. Ehe er diese Empfindung fassen konnte, war sie schon vorüber.

Wie ist mir denn? sprach er einmal zu sich, – dreht sich alles langsam um? Tritt mir Irenes Bild schon jetzt wieder ferner, wo alles erst so kurz vergangen ist? Wird mir auch Bienles Bild ganz schnell verblassen? Hat der Professor recht gehabt, wie er mir sagte: er glaube nicht, daß ich den Gedanken an Irene so lange nachhängen würde? Bin ich denn wirklich nicht einer einzigen, tiefen, nachhaltenden Leidenschaft fähig? Werde ich wirklich übers Jahr wieder ganz lustig sein?

Übers Jahr! Ihm graute vor all den Monaten und Jahren, die noch vor ihm lagen.

Wieder versuchte er zu arbeiten. Aber allmählich war ein Gefühl über ihn gekommen, das ihm 498 bis dahin in der Stärke fremd war: Schon der Gedanke an eigene Musik, an Noten, an Schaffen war ihm so entsetzlich geworden, daß er ihn sogleich mit Angst erfüllte. Er bemühte sich dagegen anzugehn, aber er verstärkte sich mehr und mehr. Er suchte sich in Theatern und Konzerten zu zerstreuen, aus jedem Takt Musik hörte er nur immer die Worte: Das kannst du nicht, das wirst du niemals können. Einmal übermannte es ihn so, daß er den Saal verlassen mußte.

Richard besuchte ihn viel; er vermochte es auch durchzusetzen, daß Enzio endlich einwilligte, mit ihm zum Schlittschuhlaufen zu gehn. Scheinbar erfrischt kam er zurück. – Habt ihr nette Bekannte getroffen auf dem Fluß? – Ja. – Wen denn? – Ich weiß nicht, ich bin allein gelaufen. – Weit? – Bis vor – nein soweit nicht.

*


 << zurück weiter >>