Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Das Bienle ahnte dunkel, in welcher Gefahr Enzio geschwebt hatte. Mehrere Briefe von ihr waren gekommen, und endlich hatte Caecilie geantwortet: Enzio sei krank, aber auf der Besserung; er selber könne noch nicht schreiben. In dem Brief, den Bienle ihr darauf schrieb, stand zwischen den Zeilen, sie glaube nicht, daß die Gefahr schon ganz vorüber sei, sie glaube, daß man ihr dies nur sage, um sie zu beruhigen. Caecilie mußte an alte Volkslieder denken, mit ihrem immer wiederkehrenden Weh, dem niemand helfen kann; so lasen sich alle ihre Worte.

Als Enzio nach Haus zurückkehrte, gab sie ihm den Brief, und sie konnte nicht anders, als ihm sagen, wieviel Zärtlichkeit und Liebe sie für dieses Kind empfinde. Enzio las ihn, dann seufzte er tief 366 auf und steckte ihn in seine Tasche. – Antworte ihr noch heute! sagte sie bittend, versprich es mir, Enzio! Tu es gleich! – Er tat es. Und am Schlusse fügte er mit schwerem Herzen hinzu, daß er große Sehnsucht nach ihr habe, und daß er sie ja nun bald wiedersehen werde. Sie schrieb darauf zurück, einen kurzen, glücklichen Brief: Er möchte auch nicht vergessen, ihr zu schreiben, wann sein Zug ankäme, damit sie ihn von der Bahn abholen könne. Das tat Enzio aber nicht. Wenigstens, so dachte er, muß ich mich erst ein paar Tage dort ganz von neuem eingewöhnen. Wie soll nur alles werden! Sie hat ja keine Ahnung, auch nicht die leiseste Ahnung! Bin ich nun mit Irene eigentlich verlobt? Gesagt hat es keiner von uns, aber sie denkt es jedenfalls ebenso stillschweigend wie ich selber!

Zu seiner Mutter sagte er einmal: Es kommt mir vor, als wäre ich lange von zu Hause fortgewesen, viel länger als vorher. Was habe ich inzwischen alles erlebt! – Sie ahnte wohl, was er außer seinem Unglück und der Krankheit sonst noch meine, doch sie sprach nichts darüber aus; das mußte er alles mit sich selbst ausmachen.

Bleibst du wieder so lange fort, wie das letzte Mal? fragte Irene ihn, als sie sich Lebewohl sagten. – Nein! rief Enzio, diesmal wird es anders. – Ich wollte, ich könnte mit, sagte sie auf einmal 367 heftig. Er schlang seinen Arm um sie: Tu es, wollte er sagen, aber da stand plötzlich wieder die Gestalt des Bienle vor seinen Augen. Statt einer Antwort seufzte er. Sie verstand dies Seufzen falsch und sagte: Ich sehe ja selber ein, daß es unmöglich ist! Aber ich glaube, wenn du jetzt fort bist, muß ich immer an dich denken. – Denkst du, mir geht es anders? Es wird eine schreckliche Zeit werden! – Er seufzte noch tiefer. Sollte er zu Irene von Bienle sprechen? Nein! dachte er, und dann bildete er sich ein, daß seine Beziehungen zu Bienle von nun an andre würden. – Sorgt deine Wirtin gut für dich, Enzio? Fühlst du dich dort wohl aufgehoben? – O ja, ganz wohl. – Stört dich das Kind nicht beim Musizieren? – Welches Kind? – Du sagtest doch, sie habe ein kleines Mädchen, Bienle nanntest du es, glaube ich. – Enzio war froh, daß Irene sein Gesicht nicht sehen konnte; sonst hätte sie bemerken müssen, wie er errötete. – Nein, sagte er, sie stört mich gar nicht. – Wie alt ist sie? Spielt sie noch mit Bällen? – O ja! nickte er und dachte in aller Schnelligkeit: Wenn Bienle wollte, könnte sie auch noch mit Bällen spielen. Irene ging zu einem Schrank, beugte sich zu einem Fach nieder, in dem alte Kinderspielzeuge von ihr lagen, und brachte einen Ball: Schenk ihr den, ich wollte ihn schon immer verschenken, aber da er mir so lieb war, habe ich ihn noch nicht 368 fortgegeben. Jetzt kann sie mit dir zusammen damit spielen, wenn du einmal dazu Lust hast. – Leb wohl, Irene, ich danke dir für alles – vergiß mich nicht!

Am selben Tage reiste er ab, den Ball nahm er nicht mit; er verschloß ihn in einer Lade seines Schreibtischs.


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