Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Am Nachmittag redete Irene mit ihrer Mutter. Sie sprach fest und ruhig und sagte dasselbe, was sie zu Enzio gesprochen hatte. – Ich verstehe dich, Irene, so, wie du einmal bist, kannst du nicht anders empfinden. Und doch ist mir, als fehlte noch irgend etwas bei dem, was du gesagt hast. – Ich habe alles ausgesprochen. – Irene sprach die Wahrheit. Jenes persönlich gekränkte, tief verletzte Gefühl war langsam zur Ruhe gegangen, 485 nachdem sie mit Enzio geredet hatte, aber das, was blieb, konnte sie nicht überwinden.

Auch mit ihrem Vater hatte sie ein Gespräch, allein, im Atelier.

Du bist jung, sagte er, und unerfahren. Du weißt nicht, wie es in der Welt zugeht. Was du mir erzählt hast, ist nichts Besonderes. Du findest kaum eine Ehe, so wie du dir denkst, namentlich nicht unter Künstlern. Eine Resignation braucht jede Frau, die heiratet. – Ich glaube, sagte Irene, meine Mutter hat sie nicht gebraucht.

Der Professor nahm seine kurze Pfeife aus dem Mund und heftete einen halb objektiven, halb erstaunten Blick auf sie aus seinen klaren Augen: Da hast du recht, aber wenn es so war, so lag das nicht an meiner extra großen moralischen Stärke, sondern an meiner primitiven Anlage. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht rechts, nicht links geschaut, sondern immer nur gradeaus. Deine Mutter habe ich schon als Schüler geliebt, als sie noch ein ganz kleines Geschöpf war, und mein harter Schädel ließ den Gedanken, den er einmal gefaßt hatte, nicht wieder los. Das magst du nun nennen, wie du willst, aber der Enzio ist darum nicht viel schlechter, weil er links und rechts von seinem Wege abgegangen ist.

Irene suchte ihn zu verstehn, aber sie konnte es nicht. Doch sagte sie: ich will darüber nachdenken.

486 Am Abend kam sie abermals zu ihm. Nun? fragte er, und stieg von seinem Gerüst herab, – hast du dich besonnen? – Ja, und ich weiß jetzt ganz klar, was ich tun muß. Ich muß auf Enzio verzichten, etwas anderes ist mir nicht möglich. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht denken, aber ein Leben mit ihm zusammen noch weniger. Ich muß mich von ihm trennen, ein für allemal. – Er sah sie an, halb traurig-mitleidig und halb voll Sympathie. Dann – sagte er – bleibt dir nichts anderes übrig, als rasch Schluß zu machen. – Sie ließ den Kopf sinken. – Irene! überleg es dir ein letztes Mal! Du liebst ihn ja noch mit aller Kraft, das sehe ich! Und wenn du erst einmal ein Kind hast – – Nein, sagte sie heftig, ich kann es nicht! Mir ist, als gäbest du mir einen Hammer in die Hand, führtest mich an ein Bildwerk, das du geschaffen hast, und sagtest: Zerschlag es! Ich kann es nicht. Und wenn das Leben wirklich so ist, wie du gesagt hast, dann bleibe ich lieber allein. Aber es ist nicht möglich, es muß noch andere Menschen auf der Welt geben, die nicht so sind. – Und wenn nun Enzio kommt, willst du ihm das sagen? – Ich will ihn nicht wiedersehn, er kann meinen Entschluß nicht mehr ändern, es würde nur eine neue Quälerei.

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