Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Das Werk beherrschte die nächste Zeit das Repertoire. Die Kritik hatte sich nicht ungünstig geäußert. Mit respektvollen Worten wurde des Kapellmeisters früherer, ernsterer Muse das Todesurteil gesprochen, man munterte ihn auf, den jetzt eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, ja, man sprach davon, gewisse ganz sichere Zeichen wiesen darauf hin, daß sein eigentliches und bestes Talent auf einem noch leichteren, fröhlicheren Gebiete liege: der Operette.

Enzio hörte das Werk noch einige Male an, und sein Gefühl dagegen wuchs. Er hütete sich, das seinem Vater zu sagen, aber zu seiner Mutter sprach er es endlich mit freiesten Worten aus: Ich weiß, du würdest es ihm gegenüber auch nicht 126 sagen, aber im Grunde mußt du doch genau so empfinden wie ich. – Er sagte das so selbstverständlich, daß sie, vorher zur Abwehr bereit, ihn unsicher ansah. Sie hatte immer noch geglaubt, der Fehler liege vielleicht mehr an ihr als an dem Werk, und hatte Enzios Abneigung für lange nicht so tief gehalten, als sie sich nun zeigte. Er sprach so fest und sicher, trotz seiner jungen Jahre, daß sie fühlte: Hier handelte es sich nicht um ein Urteil, das man durch Gegengründe umformen und ändern konnte, sondern um eine Frage des musikalischen Instinktes. – Um Gottes willen, sagte sie, behalte deine Meinung für dich! Deinen Vater würdest du unnütz und tödlich kränken, und wenn du zu andern so etwas äußertest, wäre die Welt schnell bei der Hand, um dein Urteil abscheulich zu deuten als Neid, als Eifersucht des Sohnes, der selbst noch nichts geleistet hat und doch dem Vater die Lorbeeren schon mißgönnt.

Diesem Gespräch folgten andere, ähnlichen Inhalts; die Wirkung war, daß Caecilie sich mehr und mehr dem Urteil Enzios hinneigte, und daß zugleich ihre Hoffnungen auf ihn selber wuchsen. Sie wußte mehr von seinen Arbeiten als der Kapellmeister. Die Kompositionen, die er für ihn machte, waren ganz im Sinne seines Vaters geschrieben, aber daneben gab es noch eine andere Art, die nur Caecilie kannte, und das war seine eigentliche. Er 127 wußte, daß der Kapellmeister diese geheimen Versuche als wirres, unbrauchbares Zeug verdammen würde, und darum zeigte er sie lieber nicht. Zerstreut, einsilbig, verstimmt ging er tagelang umher, dann wußte nur Caecilie: Er trägt sich mit einem Gedanken und findet nicht den Ausdruck.

Sie fragte sich zuweilen, ob sie recht täte, dies doppelte Spiel wissend und schweigend mit anzusehen, ob es nicht vielleicht für Enzio ein heimliches Gift sei, daß er sich bereits jetzt auf sich selber zu verlassen begann, und sie sagte es ihm wohl auch. Er wurde dann ungeduldig und antwortete: In dem Sinne, wie sein Vater wolle, schreite er ja außerdem noch vorwärts, vielleicht habe er selber unrecht, das würde sich im Lauf der Zeit und seiner eigenen Entwicklung schon ergeben. Aber – so schloß er – wenn es in mir drängt und treibt, so wäre es ein Wahnsinn, das unterdrücken zu wollen! Das kann ich nicht, selbst wenn ich wollte! Lieber sollst du mir verbieten, so zu schreiben, wie ich für die Stunden nun einmal muß, denn das empfinde ich selbst als unwahr, und ich tue es nur, um Krach mit Papa zu vermeiden! – Krach! sagte Caecilie, was ist das für ein Ausdruck, Enzio! – Oder nenne es wie du willst; schließlich kommt es ja doch darauf hinaus! Ich bin kein kleiner Junge mehr, ich weiß genau was ich will – oder vielmehr habe ich keine 128 Ahnung, was ich einmal können werde, aber mich ganz einzig und allein in das hineinschnüren lassen, was ich da komponieren soll – das würde ich nicht aushalten! Du mußt doch selbst zugeben, daß alles, was ich für die Stunden arbeite, ledern und verwaschen ist, und damit ist Papa dann zufrieden! Das findet er schön, und lobt mich! Es ist genau so staubig und konventionell, wie all die Lorbeerkränze, die da in dem Zimmer hängen!

Enzio redete sich oft in solche heftige Sprache hinein. Und nach ihr allein zu schließen, war sein Selbstbewußtsein ein sehr starkes und dauernd gleichbleibendes. So war es jedoch nicht; er litt im Gegenteil häufig an Zweifel über sein Können und über sein Talent. Er stellte die allerhöchsten Anforderungen an sich und seine Zukunft, so daß der Kapellmeister manchmal etwas überlegen lächelte. Wenn man dich so reden hört, sagte er wohl, so sollte man denken, du bildetest dir ein, einmal ein zweiter Beethoven zu werden. – Solche Bemerkungen waren Enzio unangenehm und peinlich, er wußte nichts auf sie zu antworten. Einerseits kam es ihm selber ungeheuerlich vor, wenn er sich überlegte, daß er im Ernste daran glaubte, einmal ein Bahnbrecher, ein Genie zu werden, und auf der andern Seite konnte er doch nicht anders, als an diese Zukunft glauben. Ganz entsetzlich war es ihm, wenn der Kapellmeister 129 dann fortfuhr: So wie du haben wohl alle Musiker in ihrer jugendlichsten Sturm- und Drangzeit gedacht, bis sie dann allmählich eingesehen haben, daß es Mühe und Schweiß genug kostet, um nur ein tüchtiger, guter Arbeiter in seinem Fach zu bleiben und seinen Platz in Ehren auszufüllen. Was meinst du, was ich in deinem Alter dachte? Ganz genau dasselbe! Und wenn ich dich und mich vergleiche, so muß ich sagen: ich hatte mehr Anlaß, mehr Berechtigung so zu sprechen als du! Wie ich in deinem Alter war, hatte ich schon vier Trios, drei Quartette und eine Masse Lieder geschrieben, die das größte Aufsehen bei meinen Lehrern erregten! Und was ist aus mir geworden? Ein Kapellmeister, der jetzt in seiner späten Zeit endlich anfängt sein Licht ein wenig leuchten zu lassen! Ich bilde mir nicht ein, daß meine kleine Oper einen künftigen Platz in der musikalischen Weltliteratur einnehmen wird, so wie der Figaro etwa, wenn ich auch nicht glaube, daß sie zu den Eintagserscheinungen gehört, die morgen schon durch Neues fortgeschwemmt werden. Ich wuchere mit meinem bescheidenen Pfund nach Kräften, – das ist alles!

Enzio glaubte ihm solche Worte heimlich nicht. Er dachte, wahr sei es schon, was er da über sich selber redete, aber jenes anscheinend bescheidene Urteil sei nur gleichsam eine zugeschnittene Formel, 130 die vorbildlich, erzieherisch wirken solle. Er gab ihm laut in allem recht, hörte aber mit innerlichem Trotze weiter zu, und dann, wenn er in seinem Zimmer allein war, wirkte doch alles in ihm nach.

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