Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Einmal kam Enzio, sie zu einem Gang in das Museum abzuholen. Sie hatten in der Schule als Aufsatzthema die Beschreibung eines gewissen holländischen Bildes bekommen, einer großen Landschaft mit vielfältigen Sondervorgängen im Vordergrunde. Pimpernell war sofort bereit, indem sie ganz selbstverständlich dachte, daß vier Augen mehr sehen als zwei, und daß sie ihm helfen könne, entdeckte dann auch hie und da wirklich Dinge, die ihm entgangen waren: kleine Kirchturmspitzen auf dem Grün der Hügel, eine winzige Schafherde unter einem dunstigen, silbriggelben Himmel, und war sehr erstaunt, daß Enzio nicht Papier und Bleistift mitgenommen habe, um sich alles aufzuschreiben. Dann sahen sie sich andere Bilder an und kamen allmählich zu der Halle der Skulpturen. Hier machten sie sich alsbald grundlos lustig über alles was sie sahen, nachdem Pimpernell, die so etwas noch nie zu Gesicht bekommen hatte, die Einleitung dazu mit einem kratzenden Lachton durch die Nase eröffnete. Bei Gruppen, die ihr besonders komisch erschienen, verweilte sie länger und machte ihre 70 Bewegungen nach. Enzio, der anfangs über sie lachte, ward schließlich ungeduldig und schritt allein weiter. Sie war noch nicht ganz fertig mit ihrem Imitieren sämtlicher Figuren einer gewissen großen Gruppe, erledigte die letzten Personen für sich allein, lief dann hinter ihm her und fand ihn in der nächsten Abteilung.

Er stand, den Rücken ihr zugekehrt, vor einer Plastik, hörte nicht auf ihr Rufen, und wie sie ihn an der Hand faßte und weiterziehen wollte, sagte er kurz und heftig: Laß mich los! so daß sie sich erschrocken und pflichtschuldig ebenfalls in den Anblick des Bildwerkes zu versenken suchte.

Es war ein Kinderakt in Marmor, ein Mädchen, das schlank und grade dastand und in der einen Hand einen Apfel trug. Enzio hatte flüchtig daran vorbeigehen wollen, sein Blick war auf den Namen des Künstlers gefallen, jenen Namen, der ihm heilig war, und wie gebannt blieb er stehn.

Dies war Irene, so wie sie vor vier oder fünf Jahren ausgesehn haben mußte! Deutlich erkannte er ihre feine Nase und ihr Kinn, die steile hohe Form des Kopfes wieder. Mit beinah verhaltenem Atem, wie in einer Anbetung hatte er dagestanden, und wie er endlich scheu und zaghaft ihren Arm berührte, durchrieselte ihn ein leiser Schauer. Dann war Pimpernell gekommen. –

Wortlos und zerstreut folgte er ihr jetzt, und als 71 sie, in Besorgnis um seinen Aufsatz, wieder die Einzelheiten jenes ersten Bildes aufzuzählen begann, sagte er nervös: Ach, laß doch das dumme Bild! so daß sie sogleich verstummte.

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