Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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358 Die Sehnsucht, Irene wiederzusehn, ward immer heftiger in ihm; eines Tages kam sie wirklich, allein, und schloß die Tür hinter sich. Langsam trat sie näher, endlich ließ sie sich auf dem Bettrand nieder.

Was hast du denn? Was siehst du mich so an? fragte er. – Was soll ich haben? sagte sie und versuchte ihrer Stimme Festigkeit zu geben; sie machte sogar den Versuch, ihm ins Gesicht zu blicken. Da war es aber um ihre Selbstbeherrschung geschehn. Aufschluchzend sank sie zu ihm nieder und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Sie grub ihre Hände unter seine Schultern und hielt ihn fest, als wenn sie ihn nie mehr lassen wollte. – Irene! murmelte er und schlang die Arme um sie – hast du mich denn so lieb? – Sie antwortete nicht, aber sie umfaßte ihn noch fester. So lagen sie eine Weile schweigend. In ihm zerlöste sich alles in ein Gefühl von ruhevoller Wonne. – Das habe ich ja niemals gewußt! sagte er leise; seit wann hast du mich denn so lieb? – Immer! antwortete sie ebenso leise, aber jetzt noch viel mehr als früher. – Weil ich beinah gestorben wäre? – Sie machte ein Zeichen der Bejahung, dann sagte sie: Nein, nein, auch sonst, schon immer, immer. – Enzio legte beide Hände um ihr Haar, dann murmelte er: Liebe, geliebte Irene! – Ein neues Schluchzen durchbebte ihren Körper, endlich hob sie den Kopf, 359 sah ihn mit tränenfeuchten Augen an, ließ ihn aber gleich wieder sinken und flüsterte: Und wenn du nun gestorben wärst – ich hätte es nicht überlebt. – Beide schwiegen wieder eine lange Zeit, dann sagte Enzio: Ach, Irene, du hattest doch nicht die Schuld. – Doch, doch, ich ganz allein! – So entsetzlich schlimm war es doch nicht. Ja, wenn ich unters Eis gekommen wäre . . . Du warst doch unterm Eise! – Wie?! – Weißt du es nicht? – Er sah sie mit grauenerfüllten Augen an. Sie wollte ihre Worte widerrufen, aber Enzios Blick war von einer Kraft, daß sie's nicht konnte. Ja, sagte sie willenlos, du warst unter dem Eise, lange Zeit; und wenn du auch gerettet bist: Man zog dich für tot endlich an das Land. – Entsetzlich, murmelte er; dann war ich also schon gestorben, wenn man mich nicht – wenn man mich nicht – o, dies ist grauenhaft! Schauer der Vergangenheit schüttelten ihn, jetzt, wo er wußte, daß er die Grenze zwischen Leben und Tod tatsächlich überschritten hatte, daß er schon in einem Reich der Nacht gewesen war und daß nur der Zufall ihn daraus errettete. Wieder lagen sie eine Weile stumm, dann sagte er: Und doch – – das Sterben ist nicht schwer, das habe ich nun gesehn. Und es war derselbe Fluß, auf dem ich früher zum ersten Male zu dir herübergekommen bin. Damals hattest du mich noch nicht so lieb. – 360 Doch, immer, immer. – Weißt du, Irene, daß ich schon einmal, so wie ich war, in allen meinen Kleidern für dich im Wasser gewesen bin? – Sie hob den Kopf. – Das war als Kind, wie ich dich selber noch nicht kannte. Da war ich abends in deinem Garten und wollte dir ein Geschenk unter den alten Kastanienbaum legen. Es kamen Schritte, es waren deine Eltern, ich rannte zum Fluß hinab und warf mich wie ich war hinein und schwamm hinüber. – Das hast du getan? – Und ich bildete mir ein, mein Leben für dich gewagt zu haben. – Enzio, Enzio, flüsterte sie, – o, und ich war so undankbar. – Du wußtest es doch nicht. – Nein, aber trotzdem, trotzdem – mir ist, als wenn ich all die Zeit so häßlich gegen dich gewesen wäre, aber ich habe es nie so gemeint, ich habe nie jemand so lieb gehabt wie dich. – Alle Vergangenheit war ausgelöscht in Enzio. Er sah nur noch die Jahre seiner Freundschaft mit Irene, er fühlte das Nagende, Schmerzliche dieser Jahre, mit Wollust, jetzt, wo jeder Stachel genommen war, wo er Irene in den Armen hielt und wußte, daß sie nur immer ihn geliebt hatte. Ganz fern schwebte ihm die Gestalt des Bienle.

Was soll nun, dachte er, wie er allein war, mit der Zukunft werden?

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