Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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116 Hätte sie wenigstens auf Enzio mit aller Hoffnung und Ruhe blicken können! Aber seine Zukunft machte ihr oft Sorge. Wenn er nur nicht seinem Vater nachgerät! dachte sie zuweilen: er hat etwas von der Weichheit und Zerlöslichkeit seines Wesens! Wo soll es hinaus, wenn er jetzt schon leidet unter Melancholie und »Stimmungen«, die ihn für Tage und Tage von der Arbeit forttreiben, bis er dann einmal wieder wie wahnsinnig schafft! In der Schule ist er faul geworden, er ist beinah der Älteste in seiner Klasse!

Und wie sollte es zwischen ihm und seinem Vater werden? Voll heimlichen Stolzes ahnte Caecilie in ihm die überlegene Begabung. Früher hatte der Kapellmeister jedem Menschen, der es hören oder nicht hören wollte, gesagt: Mein Sohn wird einmal etwas Großes, er wird uns alle und auch mich weit überflügeln. Diese Zeiten waren vorbei. Jetzt, wo er fühlte, daß es in der Tat vielleicht einmal so kommen werde, sprach er zwar gelegentlich noch dasselbe ans, aber mit einem Unterton von Ironie. Zwischen ihnen war ein leise gespanntes Verhältnis, Enzio ließ sich nicht mehr so wie früher als Schüler, als musikalischer Zögling behandeln, es kam zu gelegentlichen Verstimmungen, er begann sogar schon etwas von oben herab über das Schaffen seines Vaters zu reden, und Caecilie dachte, daß dieses Zusammenleben 117 der beiden auf die Dauer immer weniger gut tun würde; daß es besser sei, ihn an ein auswärtiges Konservatorium zu schicken, wenn er mit der Schule fertig war, als ihn hier am Ort an der musikalischen Hochschule studieren zu lassen. Die Trennung von ihm würde ihr entsetzlich sein, aber sie sah keinen andern Ausweg.

Durch die Ereignisse der letzten Wochen war sie nervös und überreizt geworden, sah sie Gefahren schlimmer, als sie sein mochten, und so wurde sie eines Tages in die heftigste Aufregung versetzt, als sie zwei Briefe bekam, von Müttern, die Enzio den Verkehr in ihrem Hause künftighin verboten. Es handelte sich im Grunde um eine törichte Kinderei, aber wenn Caecilie in die Zukunft blickte, sah sie mehr darin.

Es schloß sich hieran eine lange Unterhaltung zwischen ihr und Enzio.

Du hast mich rufen lassen? fragte er, als er bei ihr eintrat. Sie ging auf ihn zu und faßte ihn an beiden Schultern. Er war jetzt einen halben Kopf größer als sie. – Ja, Enzio, und ich muß ernst mit dir reden! Er machte ein verwundertes Gesicht. Sie sah in seine Augen, und das Gefühl ihrer Liebe für ihn wurde so stark in ihr, daß sie ganz anders anfing zu reden, als sie eigentlich wollte.

Enzio! sagte sie, du bist mein einziges Kind, 118 und du weißt, wie lieb ich dich habe! Es gibt niemand auf der ganzen Welt, den ich so liebe wie dich! Aber ich sehe auch alle deine Fehler! Ich bin deine Mutter und habe das Recht, dir das zu sagen. Es wäre schrecklich, wenn jemals im Leben irgend etwas zwischen dich und mich treten würden je älter du wirst, Enzio, um so mehr werde ich auch deine Freundin. Du sollst nie das Gefühl verlieren, daß ich die Allernächste zu dir bin, daß du mir stets alles, alles sagen darfst. Du bist ein leidenschaftlicher Junge, aber ich bitte dich: Halte dich ein wenig mehr im Zaum! Du machst Streiche, die dir falsch ausgelegt werden, die auf dich in den Augen der Leute ein häßliches, abscheuliches Licht werfen, und die mir selber unsympathisch genug sind. Du verdirbst dir beinah deinen Ruf damit, und ich muß es nachher auskosten! Daß man mir Briefe schreibt, in denen Anspielungen auf schlechte Erziehung stehen! – Wieso? fragte Enzio. – Hier, lies! Sie gab ihm die zwei Schriftstücke; sie bezogen sich auf einen Vorgang der letzten Tage. Da war Enzio in einer Mädchengesellschaft gewesen, hatte zum Schluß ein Pfänderspiel eingeleitet, sich selbst durch einen Gewaltstreich zum Inhaber sämtlicher Gegenstände gemacht und dann jedes einzelne Mädchen in ein »Richterzimmer« kommen lassen, wo sie ihr Pfand für ein Gegenpfand wieder in 119 Empfang nehmen durfte. Manche kamen beschämt, manche glücklich wieder heraus, und nur eine einzige wies unbefangen ein wirkliches Geschenk vor, und diese hatte Enzio nicht gefallen, so daß er sie nicht küssen mochte. Er war jetzt sehr beschämt, aber mehr, weil einzelne Mädchen zu Hause geschwatzt hatten und dadurch diese ganze Angelegenheit ans Licht gekommen war, als um der Sache selber willen. – Das hat etwas Unsympathisches an sich! sagte Caecilie. Ich begreife, wenn du ein schönes Mädchen gern küssen willst, aber dieses hier übersteigt mein Geschmacksvermögen, und ich kann dir sagen: Es wirft ein ganz übles Licht auf dich. Wenn mir die Sache von jemand anders erzählt würde und ich hätte eine Tochter, so würde ich ihr gleichfalls sagen: Von diesem Menschen halt dich fern, verkehre nicht mit ihm!

Sie blickte auf Enzio, und Enzio auf sie; seine Augen waren groß und verschleiert geworden bei ihren letzten Sätzen, er brach in ein leidenschaftliches Weinen aus. Sie fühlte voller Glück, daß dieses Kind ihr noch ganz gehörte, daß sie noch ganz in seinem Herzen war.

Such dir einen Freund! sagte sie nach einer Weile, jemanden, der mit dir strebt, zu dem du aufsehen kannst, der vielleicht auch älter ist als du, das ist das beste Mittel, um dich abzulenken von 120 Dingen, zu denen du noch viel zu jung bist. Laß diesen ewigen und ausschließlichen Verkehr mit Mädchen! Wenn du wenigstens noch mit Irene viel zusammen wärst, aber grade die siehst du jetzt fast gar nicht mehr! Sieh dir all die andern an! Was sind das für Mädchen! Wie behandeln sie dich und wie behandelst du sie! Sie vergöttern dich, sie machen dich eitel! Ich verstehe dich nicht, es ist mir manchmal, als ob du keine wirkliche Tiefe hättest, du kannst dich doch dabei innerlich nicht auf die Dauer wohl fühlen! Gott sei Dank, daß du wenigstens nicht mehr abends auf die Bühne gehst, der Verkehr wäre der allerschlimmste, und besonders für einen so leicht zu beeinflussenden Menschen wie dich. – Ja, sagte Enzio und kehrte den Blick etwas fort.

Schon vor Wochen hatte Caecilie ihm den Verkehr dort auf das strengste verboten. Enzio fügte sich, aber zuweilen, wenn ihn Caecilie als Zuschauer in ihrer Loge wähnte, war er doch dort oben, indem er dachte: Papa hat es mir erlaubt, also tue ich nur seinen Willen, wenn ich manchmal hingehe. Aber er stellte sich in die hinteren Reihen und vermied es, daß sein Vater ihn sah und erkannte. Er liebte dort ein junges Mädchen, mit Vornamen Eveline, das meistens in Kinderrollen auftrat.

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