Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Am nächsten Morgen – es war ein Sonntag – erschien er erst spät zum Frühstück. Nur der Kapellmeister saß noch am Tisch, und Enzio bemerkte, daß er eine Zigarre rauchte. Wie er hereinkam, hob sein Vater den Kopf, warf einen kurzen, scheuen Blick auf ihn und erwiderte so einsilbig den Morgengruß, wie er gegeben war. Dann saßen sie sich gegenüber; keiner redete. Enzio bereitete still sein Frühstück, der Kapellmeister sah stumm zu und reichte ihm den Honig über den Tisch herüber, wie er zu bemerken glaubte, daß er ihn haben wolle. Mehrmals versuchte er zu einer Anrede einzusetzen, 197 aber jedesmal hielt er wieder inne, ehe noch das erste Wort heraus war. Er heftete wie magnetisch angezogen den Blick auf Enzio, wenn der sich zu seinem Frühstück niederbeugte, und sah fort, wenn er den Kopf hob. Einmal begegneten sich ihre Blicke für einen kurzen Moment, wie wenn ihre Kräfte oder ihre Schwächen im Gleichgewichte zueinander ruhten.

Der Kapellmeister gab sich einen gewaltsamen, innern Antrieb. Es mußte sein.

Er räusperte sich ein paarmal. Wie sollte er anfangen, ohne seiner väterlichen Würde allzuviel zu vergeben?

Hast du mir nichts zu sagen, Enzio? begann er.

Enzio hielt mit Kauen und Schlucken an, das ihm sowieso schon schwer genug ward. Wieder waren sich ihre Augen begegnet, und dieses Mal vermochte ihn der Kapellmeister so anzublicken, daß Enzio zur Seite sah. – Es ist sehr traurig, fuhr er fort, daß wir uns gegenübersitzen wie zwei fremde Menschen, und noch viel trauriger, wenn ich bedenke, weshalb. Zwischen dir und mir stehen Dinge, wie sie nicht zwischen einem Sohn und einem Vater stehen dürfen. – Enzio schwieg. Der Kapellmeister hatte schon gehofft, es werde vielleicht mit diesen Worten genug sein, und es würde ihm erspart bleiben, eine Erklärung bezüglich seiner selber abzugeben. Aber Enzio blickte ihn an, als erwarte 198 er, er solle weiterreden. So gab er sich denn abermals einen Antrieb und fuhr fort: Es ist wohl nicht nötig, daß ich es ausspreche: Seit dem Vorfall von gestern ist die Vergangenheit vergangen; ja, ganz wahrhaftig! Gefühl und Verstand lassen mir keinen andern Ausweg. Aber du selbst, Enzio, hast du mir nichts zu sagen? – Enzio hatte noch immer seinen Bissen im Mund; er würgte, bis er ihn verschluckt hatte, dann schwieg er weiter, und endlich fragte er: Was soll ich sagen? – Das wußte sein Vater im Grunde auch nicht, denn es war nichts geschehn, weswegen er ihn etwa hätte um Verzeihung bitten müssen, wie er es unklar von ihm wünschte.

Dieser ganze Auftritt war peinlich für den einen wie für den andern. Daß Enzio sich schämte, las er in seinem Blick, und ihm selber waren seine paar Sätze schon schwer genug geworden. Plötzlich schlug er einen leichteren Ton an; das war das beste Mittel, um ihnen beiden zu helfen. – Laß uns dies dumme Zeug vergessen! sagte er, und sah ihn an wie jemand seinen Kameraden etwa, mit dem er ein Spiel gemacht hat, bei dem betrogen wurde, ohne daß er recht sagen kann, wer eigentlich betrogen hat, so daß er sich entschließt, die Karten durcheinander zu werfen mit dem Vorschlag: Fangen wir ein besseres Spiel an. – Ich will nicht mehr mit dir davon reden, fuhr er fort, 199 wir haben beide Fehler gemacht, alles ist vergessen, nicht wahr, Enzio? Er streckte ihm die Hand über den Tisch hinüber, Enzio ergriff sie, und ihm war mit einemmal viel leichter ums Herz. – Ich mache dir, wenn ich es recht überlege, keinen Vorwurf! sagte sein Vater von neuem, du konntest das ja alles nicht wissen und schlägst nun einmal schon ein bißchen über die Stränge. Schlag nur nicht zu viel über die Stränge – nun, das wirst du wohl schon von selber nicht. –

Etwas anders hatte sich Enzio diese Unterhaltung in ihrem ganzen Verlaufe vorgestellt. Aber jetzt dachte er: Papa hat im Grund ganz recht! So ist es viel bequemer, für ihn und für mich. Und er heftete einen freieren Blick auf seinen Vaters

Am selben Vormittag suchte der Kapellmeister Fräulein Battoni auf. Nun muß ich also wirklich Schluß machen! dachte er. Ich habe es Caecilie zweimal versprochen, und Enzio einmal. Hätte ich doch zu Enzio nichts davon gesagt! Hätte ich ihn nur von vornherein gleich anders und leichter angepackt, so wie ich später tat! Das war ihm doch augenscheinlich viel lieber! Merkwürdig, ich bin schon gar nicht mehr so wütend auf sie. Sie hat ja selbst gesagt: Er sei mir so ähnlich. Wie einfach ist doch ein Frauenherz!

Nun, Heinrich, ist alles erledigt? Was sagt der 200 kleine Enzio? War er recht geknickt? – Armida, ich muß mich von dir trennen! Bitte, setz dich nicht auf meinen Schoß! – Du kannst dich ja gar nicht von mir trennen! sagte sie lachend und streichelte seine Backe. – Bitte, geh herunter, ich kann sonst nicht mit dir reden. – Er versuchte sie herabzudrängen, aber sie war viel zu schwer. – Stell dich doch nicht so an, das glaubt dir ja doch keiner. – Armida, ich flehe dich an: Geh von meinem Schoß herunter! – Sie tat es. – Ich muß mich von dir trennen! wiederholte er dumpf und starrte vor sich hin. – Schön, sagte sie. – Schön? Du sagst schön? – Ich glaube es dir ja doch nicht. – Er sah sie mit einem unsichern Blick an. Halte mich nicht auf! sagte er, ich kann nicht bei dir bleiben! – Nun? fragte sie, da er sich durchaus nicht rührte. – Ich sagte dir bereits: Ich muß mich von dir trennen! – Das sagst du nun schon zum dritten Male. – – Ja, und es muß dabei bleiben. Ich muß dich diese Minute noch verlassen! Armida! Hast du kein Wort des Bedauerns? Ich meine damit nicht, daß dann alles wieder gut ist – ich habe es ja zu Haus versprochen, daß ich mich von dir trenne! Ich muß doch dies Versprechen halten! – Armer Mann! sagte sie: Warte, ich will dir die Ausführung etwas leichter machen. Steh bitte mal auf! – Er tat es, sie reichte ihm den Arm und führte ihn durchs Zimmer. – Was willst 201 du denn? – Nichts, lieber, guter Heinrich, als dir den Abschied erleichtern. Du mußt wenigstens so tun, als ob du tätest, das sehe ich vollkommen ein! Wo bleibt sonst der Respekt vor sich selber? Schließlich können wir uns auch einmal ein bißchen trennen, hinterher hat man sich dann um so lieber. – Nein, niemals! Das muß vorbei sein. – Also gut, dann ist es eben vorbei. Leb wohl, vergiß mich nicht! Morgen früh sehen wir uns doch in der Probe wieder? Grüß deine Frau und sag ihr, wie unerbittlich hart du zu mir warst, wie ich erst untröstlich gewesen sei, dann aber langsam meine Fassung zurückgewonnen hätte! Vielleicht erzählst du mir einmal, wie sie es aufgenommen hat. – Unten auf der Treppe drehte der Kapellmeister plötzlich um, stieg die Stufen zurück und läutete wieder. Fräulein Battoni öffnete persönlich. Armida, sagte er mit verändertem, gewaltsam energischem Ton, solltest du denken, daß es mir diesmal nicht ernst wäre mit meinem Entschluß, so bist du in einem großen Irrtum. Ich weiß, was ich für Pflichten habe, und mein Wille ist eisern, wenn er einmal etwas beschlossen hat; weiter wollte ich nichts sagen: Verhalte dich danach. Wenn ich vorhin nicht ganz so energisch gesprochen habe, so macht das die Erinnerung an die Vergangenheit. Aber die Vergangenheit ist aus, und jetzt beginnt ein neues Leben.

202 Gott sei Dank! dachte er draußen auf der Straße, daß ich endlich die richtige Sprache gefunden habe, das hat ihr imponiert!

Es war schwer, sagte er zu Caecilie, aber es ist geschehn.

Caecilie glaubte von Anfang an nicht, daß seine Veränderung von Dauer sein könne. Sie dachte: Wozu soll ich mich an einen bessern Zustand gewöhnen, der wieder aufhören wird, sobald ich mich an ihn gewöhnt habe? So blieb sie in jener kühlen Herzlichkeit, die sie durch Jahre hindurch gezeigt hatte. Enzio, der nun mit viel wacheren Augen als früher auf seine nächste Umgebung sah, merkte dies, und manchmal, wenn er mit Caecilie allein war, schlang er seine Arme um sie und küßte sie, halb in Mitleid um das Verflossene und halb im Glauben, nun sei alles wieder gut.

Damals, an jenem Abend, hatte er gesagt: Ich kann meinem Vater nicht mehr unter die Augen treten, – und nun schien es, als sei die große Erschütterung seines Wesens fast so schnell wieder vergangen, wie sie gekommen war. Sehr bald nach jenem Vorfall sagte er einmal: Morgen ist Fidelio. Gehst du nicht mit? – Caecilie schüttelte den Kopf. – Weshalb nicht? – Sie sah ihn an, mit einem sprechenden Blick. – Ach so! Das finde ich aber übertrieben von dir! Man muß doch die Künstlerin von der Persönlichkeit trennen können! 203 – Das werde ich auch wieder lernen, aber jetzt, diese Woche schon, das ist mir noch zu früh. Wenn dein Gefühl dir anders rät, so begreife ich das nicht.

Sie sprach später noch mit ihm darüber. – Papa muß doch sogar täglich mit ihr zusammen sein! sagte er. – Da seufzte sie. – Alles Schlimme ist doch nun vorbei! meinte er tröstlich. – Aber ist dir denn nicht deine eigene Erinnerung entsetzlich? – Ach Gott, fang doch nicht immer wieder davon an! Man soll nicht so an schlimme Erinnerungen denken! Es hat keinen Zweck und macht einen nur unnütz melancholisch! Mir ist das Herz schon schwer genug, wenn ich daran denke, daß ich nun bald fortgehe! – Und erst konntest du die Zeit kaum erwarten. – Ja, aber du, und Richard, und Irene – ich glaube, ich halte es nicht aus ohne euch drei. Dir muß doch ähnlich zumute sein, wenn du daran denkst! – Ich? Ich freue mich für dich, denn ich weiß, daß zwischen dir und mir alles stets bleiben wird, wie es ist! Das gibt mir Kraft und Fröhlichkeit, dir Lebewohl zu sagen.

Bald darauf reiste Enzio ab.

* * *


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