Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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48 Enzio kam in die schwärmerischen Knabenjahre. Die Zeit, wo er Gesichter küßte, die er in Bilderbüchern fand, war vorüber, er begann seine Liebe und Verehrung auf Menschen von Fleisch und Blut zu übertragen.

Das höchste, herrlichste Wesen, das er kannte, war Fräulein Battoni, die seit kurzem am Theater die Stellung einer Primadonna einnahm. Als Agathe im Freischütz hatte sie ihm einen unauslöschlichen Eindruck gemacht, und abends, wenn er im Bette lag, dachte er oft: O, wenn ich sie doch kennen lernen könnte! Endlich vertraute er sich seinem Vater an: Wenn ich sie nur einmal, einmal aus der Nähe sehen dürfte! – Findest du sie denn so schön? – O wunderschön! – Der Kapellmeister sah ihn mit schmelzendem Blicke an und sagte: Göttlich ist sie, du hast recht! Dann schwiegen beide, bis Enzio wieder fragte: Wo kann ich sie denn einmal sehen? – Er erfuhr, daß sein Vater mittags nach den Proben meist ein Stück desselben Weges mit ihr nach Hause ging. – So kam es, daß Enzio eines Tages nach der Schule im schnellen Laufe zum Theater eilte, sich vor dem kleinen Seiteneingang aufstellte und wartete, bis die beiden endlich herauskamen. – Herr Gott! sagte Fräulein Battoni, vor Überraschung über Enzios vollendetes Gesicht beinah erschreckt, was ist dieses für ein bildschöner Junge! Das ist Ihr Sohn? Du bist ja ein 49 bildschöner Junge! – Enzio sah sie strahlend an, sie sah ihn ebenso strahlend an, und dann streichelte sie ihm die Wange. – Ja, ja, sprach der Kapellmeister stolz, das ist der Enzio, Ihre neueste und jugendlichste Eroberung! Fräulein Battoni zeigte ihre schönen Zähne und ließ ein herzliches, klingendes Gelächter hören.

Im allerersten Moment, als Enzio sie sah, war eine große Enttäuschung in ihm; der mächtige Federhut, das pompöse, seidene Jackett, der rote Atlasschirm und auch die sehr dunklen Haare, – das alles stimmte nicht zu seiner Erinnerung an die Agathe. Aber wie sie nur ihre ersten Worte sprach, war er sogleich unwiderstehlich gefangen. –

Er machte nun sehr oft Umwege am Theater vorbei, manchmal verspätete er sich, zuweilen winkte Fräulein Battoni von ferne mit dem Schirm. »Mein Engel« nannte sie ihn stets. Einmal, als sie sagte, er müsse heut mit seinem Vater alleine gehn, sie habe einen andern Weg, sah er sie so enttäuscht an, daß sie ausrief: Nein, so ein entzückendes Geschöpf! sich schnell zu ihm niederbeugte und ihm einen vollen Kuß auf seine Lippen gab.

Ein andermal traf er sie allein, ohne seinen Vater. Sie fragte ihn nach seiner Schule, und wie er ihr langwierig den ganzen Stundenplan erzählte, unterbrach sie ihn mit der Frage: Sag, und hast du auch schon eine kleine Freundin, die du so ganz 50 besonders gerne magst, was? und sah ihn mit einem erwartungsvollen Blick an. Enzio antwortete hierauf nicht. – So rede doch! fuhr sie ermunternd fort, mir darfst du schon alles sagen! Ich erzähle es keinem Menschen weiter, auch deinem Vater nicht! Es wäre doch nett, wenn wir beide so ein kleines Geheimnis miteinander hätten. – Enzio schwieg. Sie drohte ihm schalkhaft mit dem Finger und sagte: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Also: Ist deine Freundin blond oder schwarz? Enzio schwieg weiter und wünschte, daß er eine hätte.

Jetzt, nachdem er Fräulein Battoni kannte, traf er sie auch zuweilen in der Stadt, auf der Promenade, in den Straßen, und jedesmal neckte sie ihn mit seiner Freundin, deren Namen er nicht sagen wolle. In Gegenwart seines Vaters tat sie es nie, höchstens drückte sie ihm einmal heimlich den Arm, wenn ein hübsches Mädchen in seinem Alter vorbeikam, und dann lachte er für sich, halb verlegen und halb überlegen; so hatten sie doch eine Art Geheimnis zusammen. Manchmal aber war sie ganz zerstreut und sagte ihm kaum guten Tag. Mitunter meinte sie: Jetzt möchte ich doch wissen, was wir für Wetter bekommen! Dann lief er über den Platz bis zu der großen Scheibe, hinter der man lesen konnte, wie es wurde, lernte den Bericht rasch auswendig, aber wenn er dann zu Fräulein Battoni und seinem Vater zurückkam und herzusagen 51 begann: »Bei mäßigem bis frischem Winde und wenig veränderter Temperatur wolkiges Wetter mit keinen oder unerheblichen Niederschlägen« mußte er seine Worte zwei-, dreimal wiederholen, ehe sie ihn zu verstehen schien.

Höre, sagte sein Vater eines Tages zu ihm, ich will nicht, daß du uns so oft vom Theater abholst. Jungens haben mit Jungens von der Schule heimzukommen, und außerdem hat Fräulein Battoni einen Ton gegen dich, der mir nicht angenehm ist. Ich verstehe deine Schwärmerei sehr gut, aber nun schwärme auch einmal für jemand anders!

Das tat Enzio auch bald. Er suchte sich Schwestern von Kameraden aus, und wenn er diese Kameraden besuchte, so war es im Grunde nur ein Vorwand für seine andern Neigungen. Jede hielt sich in ihrem ahnungslosen Herzen für die Bevorzugte, denn Enzio ließ sich stets und vollkommen vom Augenblick beherrschen. Hinterher freilich war er oft traurig, und wußte selber nicht warum. Sein großes musikalisches Talent, seine geschmackvolle Kleidung, sein gut gepflegter Körper gab ihm in ihren Augen etwas Übergeordnetes und Schimmerndes, und in ihren Herzen lebte er als der schönste Junge, den es gäbe. – Zu Hause erzählte er viel von ihnen, lud wohl auch die eine oder die andere ein, und Caecilie sagte: Was hast du nur an diesen Mädchen! zwang ihn wohl auch 52 manchmal, sich statt ihrer Kameraden einzuladen, aber dann war er verstockt, unliebenswürdig und im Herzen tieftraurig, weinte später und jammerte: Wenn ich nun einmal die Mädchen lieber mag, das ist doch keine Sünde! Sie sind viel netter, viel niedlicher, viel süßer als die Jungens! so daß sie ihm schließlich seinen Willen ließ. – Wie das werden soll, dachte sie manchmal, weiß ich nicht. Sein Vater ist selbst so sehr weich, ich bin nur eine Frau, die Lehrer in der Schule verwöhnen ihn, und hier zu Hause geht es ihm viel zu gut. Alles bekommt er, nichts entbehrt er, er müßte in eine ganz feste, strenge Zucht genommen werden.

Aber wie sollte sie das machen? Ihn in eine Pension schicken? Sie fühlte sich außerstande, sich von ihm zu trennen. Den ganzen Zuschnitt ihres Lebens ändern? Das durfte sie nicht, aus Rücksicht auf ihren Mann. Einen Lehrer ins Haus nehmen, der ihn hart erzog? Das mußte das Verhältnis zwischen ihr selbst und Enzio ändern. Sie wußte nichts, und so gab sie sich Mühe, rücksichtsloser und härter zu ihm zu sein. Aber das konnte sie auf die Dauer auch nicht, da sie ihn zu sehr liebte. Enzio war noch gänzlich sorglos-spielerisch. Nur Eine ernste Seite seines Wesens gab es: das war die Musik. Da schwand mit einem Male alles Kindisch-Zerfahrene in ihm, da ward er ernst wie ein Erwachsener. Seine Fortschritte waren 53 bedeutend, der Kapellmeister setzte die allergrößten Hoffnungen auf ihn. So ging die Zeit hin, bis eines Tages die erste tiefe Neigung in sein Herz trat.

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