Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Heut habe ich einen Menschen gesehn, sagte er eines Tages zu Caecilie, den ich gern kennen lernen möchte! Er ist mir schon ein paarmal draußen begegnet, und ich mochte ihn gleich beim ersten Male gern. Immer geht er allein und hat die Hände auf dem Rücken. – Wie sieht er denn aus? – Mager, blond und häßlich; das heißt, ich finde ihn wunderschön! Er sieht so fanatisch aus! Und trägt seinen Kopf so herrlich! Ich denke mir, das muß ein ganz bedeutender Mensch sein! Aber er ist älter als ich; um vier Jahre mindestens. Heute hat er mich zum ersten Male angesehn. Ich pfiff extra für ihn, das Thema aus meinem letzten Adagiosatz. Da sah er mich so sonderbar an, ganz still, und so als ob er dächte: Kenne ich das oder kenne ich es nicht? Ich glaube beinah, er ist auch Musiker. – Sprich ihn doch einmal an. – Ich denke mir, das nimmt er übel. – Ach was, wenn man immer Bedenken haben will, kann man niemals 141 schöne Bekanntschaften machen. Wenn es ein Mädchen wäre, würdest du wahrscheinlich weniger Skrupeln haben.

Am nächsten Tage begegnete Enzio ihm wieder. Soll ich? dachte er, dann pfiff er seine Melodie vom letztenmal. Der andere heftete wieder einen stillen Blick auf ihn, es hatte den Anschein, als unterdrücke er ein Lächeln. – Ich bleibe jetzt stehen! dachte Enzio, tat es und sah ihn an. – Nun? fragte der andere und blieb ein wenig überrascht ebenfalls stehn. Und da Enzio gar nichts sagte, fragte er nach einer Pause: War das eine Melodie von Ihnen? – Enzio nickte. Dann setzte er hinzu: Weshalb denken Sie das? – Weil ich sie nicht kannte, und es außerdem an Ihrem Gesicht bemerkte. – Enzio fühlte sich irgendwie beschämt. – Sind Sie auch Musiker? fragte er. – Sein neuer Bekannter sah ihn an, als fühle er sich durch die Direktheit dieser Frage etwas überrascht, dann sagte er aber: Wenigstens habe ich bis vor kurzem lange an einem Konservatorium studiert. – Wirklich? das freut mich aber! – So? weshalb denn? – Weil ich Sie schon lange gerne kennen möchte. Oder mögen Sie das nicht? Enzio war errötet, als befinde er sich einem Mädchen gegenüber. – Er bekam einen halb prüfenden, halb lächelnden Blick, und dann die Antwort: O ja, ich freue mich sogar. – Weshalb denn? fragte er 142 verwundert und gespannt. – Weil Sie der Sohn Ihres Vaters sind und es mich interessieren würde zu erfahren, welche Bahnen Sie nun einschlagen. – Sie kennen mich? Ich kenne Sie aber gar nicht! – Ach so, Sie wollen wissen wie ich heiße. Er sagte es; sein Vorname war Richard. – Enzio ging zögernd neben ihm her. Wollen Sie mich einmal besuchen? fragte er endlich, und fand, daß seine Frage etwas kühn sei. – O ja, ganz gern, das heißt: lieber wäre es mir schon, Sie kämen zu mir, wenn es Ihnen einmal paßt. – Aber ja! Morgen? – Nein, lieber übermorgen. – Sie verabredeten noch die Stunde, dann wußte Enzio nicht recht, ob er nun adieu sagen solle, tat es aber schließlich doch, indem er ihm warm die Hand entgegenstreckte.

Ich habe ihn wiedergesehn, ich habe ihn gar nicht angesprochen, er hat mich angesprochen, und übermorgen darf ich ihn besuchen! rief er Caecilie entgegen, als er nach Hause kam.

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