Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Caecilie erwartete ihren Mann. Nach ihren ersten Worten erblaßte er, dann schlug ihm alles Blut zu Kopfe. Was für ein Verhängnis! rief er, und ich hatte alles so eingerichtet, daß du nichts merken solltest! Es ist doch auch so lange gut gegangen! – Dann raffte er sich zu einer längern Rede auf: Caecilie, sagte er, dich verehre ich wie alles Schöne und Gute, ich habe dir noch neulich an deinem Geburtstag, den ich erst vergaß, gezeigt, wie sehr ich mit der ganzen Vergangenheit 109 zusammenhänge, wie heilig mir alles ist, was dich und mich verbindet! Alles, was ich dir geben kann, habe ich dir gegeben und gebe es dir auch noch weiter! Bist du jemals auf den Gedanken gekommen, mein Herz sei zwischen dir und einer andern geteilt? Nein, niemals! Das zeigt am besten die Reinheit meines Gefühls dir gegenüber! – Aber es ist doch trotzdem so! rief sie. – Das fing ganz anders an! Zuerst waren es Berufsinteressen, ideale Dinge, deren Gemeinsamkeit mich mit ihr verband. Unsere Seelen fanden sich auf diesem Gebiet, sie verklärte mit ihrer Kunst der Darstellung meine Intentionen, ohne sie, ohne meinen Glauben an ihre Kunst hätte ich kaum mein letztes Werk geschaffen; sie hat mich durch die Tat unterstützt in meinen Bestrebungen, für die du nur Wunsch und guten Willen haben konntest. Wo ist die Grenze zwischen idealer Freundschaft und Liebe? Es gibt keine Grenze! Neben dem Künstler ist man noch Mensch mit menschlichem Gefühl! Ich könnte dir dafür eine Reihe berühmter Beispiele anführen! Sieh dir andre Künstlerehen an! Überall findest du das gleiche! Und du kannst dich wahrhaftig nicht beklagen! Ihr könnt euch beide nicht beklagen! Ihr habe ich dich immer als eine hehre, hohe Frau hingestellt, die es einsieht, daß einem Künstler wie mir mehr Freiheiten gestattet sind als andern Menschen, du würdest mich jetzt 110 vor ihr beschämen, wenn ich ihr sagen müßte, daß du anders dächtest! Und wie ich über sie selbst zu dir geredet habe, das weißt du doch! Es wäre mir unwürdig vorgekommen, je anders als verehrungsvoll von einer zur andern zu sprechen, ja, mein letzter Wunsch wäre es gewesen, wenn ihr euch näher kennen gelernt und lieb gewonnen hättet. Jetzt flehe ich dich an: Laß alles wie es ist! Für sie habe ich mein Werk geschrieben, für sie war alles gedacht, erst die tragische Oper, mit der es dann nichts wurde, und darauf die komische Oper, die nun vollendet ist! Ich fühle mich schaffenskräftig zu neuem. Willst du das alles mit einem Schlag zerstören? Sei so groß und edelmütig, wie ich dich ihr immer dargestellt habe, und verleugne dich zugunsten meiner Kunst! Sage dir: Du hättest ja von allem gar nichts zu erfahren brauchen und hättest weiter so glücklich gelebt wie bisher! – Glücklich? fragte sie; spreche ich denn alles immer in den Wind? Bildest du dir jetzt wieder ein, daß ich an deiner Seite glücklich gelebt habe? Du hast recht, daß nichts geändert ist gegen früher, – nur weiß ich jetzt, weshalb ich bisher so unglücklich war! Das also, das ist die Erlösung für dich gewesen, nach der du so gejammert hast! Du magst alles drehen und wenden wie du willst – – das halte ich nicht aus! Bleibe hier und tue was du magst: ich gehe! – Du willst gehn? Aber 111 Caecilie, ich bitte dich um alles in der Welt: Bedenk doch allein nur den Skandal! – Das ist natürlich das erste, woran du denkst! – Und denk an Enzio!

Caecilie brach in Tränen aus; dann aber faßte sie sich: ihre tödliche Verletzung als Frau war stärker als alles andre: Enzio, sagte sie, wird mir nachkommen, nicht jetzt, aber später. Was sagt die kurze Zeit der Schule noch! – Er versuchte, ihr diesen Entschluß auszureden, aber es war vergeblich. Gut, sagte er endlich, so muß ich mich also opfern: Ich verspreche dir auf das Heiligste – – Ich will nicht, unterbrach sie ihn heftig, daß du dich für mich opferst! Wenn ich wirklich denken muß, daß ich dir ein Hindernis bin, daß du, mit mir allein zusammen, verkümmertest, so ist es meine Pflicht, zu gehn. Ich trenne mich von dir, und jene Frau kann meine Stelle hier einnehmen, dann hast du, was du willst! – Aber ich bitte dich, Caecilie! Ich würde sie doch niemals heiraten! Was ich für mein Schaffen brauche, ist die ungebundne, freie Liebe, die mich inspiriert! Caecilie sah ihm ins Gesicht, dann sagte sie: Wenn du nicht eine so unglückliche Miene machtest, möchte ich am liebsten lachen! – Lachen? fragte er gekränkt – ich dächte, diese Dinge wären tiefernst, ja tragisch! Es handelt sich doch um einen tragischen Konflikt in meiner Seele! Ich will mich für dich opfern, aber du gibst mir damit den Todesstoß! – Dieses Wort entschied.

112 Caecilie ging. Der Kapellmeister hatte nicht geglaubt, daß sie Ernst machen würde. Ihn erfaßte ein Todesschreck, wie er abends, als er nach Hause kam, erfuhr, daß sie in der Tat abgereist war; dann las er den Brief, den sie ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte und in dem sie ihm schrieb, solange er nicht empfände, daß das größere Opfer sie sei, käme sie nicht zurück. Zu Enzio hatte sie gesagt, ihre einzige Schwester, die er nur dem Namen nach kannte, sei auf den Tod erkrankt und habe verlangt, sie noch einmal zu sehen. Zuerst hatte es sie gedrängt, ihm alles zu sagen, wie es war. Aber irgendein letzter Rest von Hoffnung ließ sie wieder zögern. Und als sie dann wirklich fort war, empfand sie sogleich mit aller Wucht die Trennung von Enzio. War es nicht ein Wahnsinn, von zu Hause fortzugehn? Mußte nicht ihr Gefühl als Mutter alles andere besiegen?

Ach Gott, nun ist sie wirklich fort! dachte der Kapellmeister, und das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er vermißte sie auf Schritt und Tritt. Das Hauswesen ging stockend seinen gewöhnlichen Gang weiter, es war, als fehlte bei allem die Hauptsache. Er geriet in eine immer nervösere Stimmung: Es ist fast, als wenn mir das Allergewöhnliche des Lebens, als wenn mir der Atem fehlte! An den Atem denkt man auch nie, und man braucht ihn notwendig zum Leben! Das 113 ist ein vorzügliches Bild und drückt so recht aus, wie ich zu Caecilie empfinde! Hätte ich ihr das doch gesagt, die besten Gedanken kommen einem immer erst hinterher! Ich fühle mich geradezu unwohl, wie wenn eine körperliche Krankheit im Anzug wäre! Ich kann nicht ohne sie leben, sie muß zurückkommen! – In den nächsten Tagen ging er zu seinem Arzt, fragte, ob ihm irgend etwas fehle und ließ sich aufs genaueste untersuchen; erfuhr, daß er kerngesund sei und atmete ein wenig auf. Nun wußte er, daß sein Leiden nur seelisch sei. Caecilie muß zurück, so dachte er – es wäre ja auch ein Wunder, wenn sich etwas so leicht vom Herzen reißen ließe, was bis dahin so fest mit ihm verbunden war!

Aber er konnte sie erst dann bitten, zurückzukommen, wenn er seine andern Beziehungen abgebrochen hatte. Mit schwerem Herzen entschloß er sich zu einem Brief an Fräulein Battoni. Schriftlich ließ sich die Sache besser machen als mündlich; er flehte sie an, ihn tunlichst zu vermeiden, die Ruhe seiner Seele hinge davon ab. Dann schrieb er an Caecilie: Das Opfer, das du nicht annehmen wolltest, habe ich gebracht, und ich versichere dir, jetzt, wo ich gesehen habe, was ein Leben ohne dich für mich bedeutet: Sie ist das kleinere Opfer. Du bedeutest für mich, was das Atmen dem Leben ist! Das habe ich klar erkannt, denn ich bin in 114 diesen Tagen des Alleinseins in mich gegangen und habe Rat mit mir selber gepflogen! Komm zurück! Ich weiß, daß meine Worte zu dir nicht vergeblich sein werden!

Wie eine Erlösung traf sie dieser Brief. Als sie seine Zeilen über das Atmen und das Leben las, schüttelte sie zwar traurig mit dem Kopf, aber sie dachte: Wenigstens zeigt er doch den guten Vorsatz, wenigstens ist es doch das erste warme, herzliche Wort nach Jahren! Gott weiß, wie alles nun wird, ob er wirklich die Kraft zu dauernder Entsagung hat, aber wenn er mir selbst die Hand bietet und zeigt, daß es ihm ernst ist, so muß ich zurück. Außerdem halte ich es ohne Enzio nicht aus. Und wie soll es werden, wenn er schließlich doch erfährt, weswegen ich fortgegangen bin? Das wäre auf die Dauer unausbleiblich! Welch schlimmen Einfluß könnte es auf ihn gewinnen, in seinen Jahren, wenn er erführe, warum sich seine Eltern trennten!

So kam sie zurück. – Caecilie, rief der Kapellmeister nach der ersten, emphatischen Begrüßung, Caecilie, ich habe inzwischen gelebt wie der verlorne Sohn, der sich von den Trebern nährte! Aber jetzt beginnt ein neues Leben!

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