Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Richard machte eine sonderbare Erfahrung.

Das ist meine Freundin Irene! sprach Enzio eines Tages, als sie auf der andern Seite der Straße, ohne sie zu sehn, vorbeischritt. – Ein wundervolles Mädchen! sagte Richard. Enzio, der fast schon mit ihm hatte hinüberschreiten wollen, dachte auf einmal: Nein, lieber nicht; wenn er sie schon von ferne auf den ersten Blick so wundervoll findet, soll er sie gar nicht kennen lernen.

164 Ich habe sie wiedergesehen! sagte Richard an einem der nächsten Tage; und ich bin ihr gefolgt fast bis vor ihr Haus. Beinah hätte ich sie angesprochen; wenn ich nur mehr Mut gehabt hätte. – Er hatte keine Ahnung von Enzios naher Freundschaft zu Irene. – So? Du bist ihr schon gefolgt? fragte Enzio leichthin, aber im Herzen gab es ihm einen Stich. Es vergingen zwei weitere Tage, dann sagte Richard: Heute habe ich sie zum drittenmal gesehn.

Am selben Nachmittag suchte Enzio Irene auf. Er traf sie, wie sie mit ihrer Mutter ein Andante spielte, das er ihr komponiert hatte und zu ihrem Geburtstag in purpurrote Seide binden ließ. Hingenommen von der Musik, die er für sie gedichtet, nickte sie nur leise, als er eintrat, auch ihre Mutter unterbrach sich nicht und sandte ihm nur einen ganz kurzen Blick zu. – Noch ist nichts verloren! dachte Enzio pathetisch, ließ sich auf einen Sessel nieder und sah auf diese beiden Menschen, die wie zwei schöne Schwestern erschienen, beide mädchenhaft und still. Sie mag doch niemanden als mich! dachte er wieder und lauschte der Musik. – Sie endeten. – Enzio, sagte Irenes Mutter, mit ihrer langsamen und weichen Stimme – wir hätten es schöner gespielt, wenn du nicht gekommen wärst. Ich bekam fast etwas Herzklopfen, wie ich dich eintreten sah. – Ich nicht! 165 sagte Irene, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte, es ist doch ganz gleich, ob jemand zuhört, oder ob man allein spielt. Und während sie ihm ins Gesicht sah, bewegte sich noch leise ihre Oberlippe, wie immer, wenn sie grade etwas gesprochen hatte. – Bei dir erwartet das auch niemand anders! meinte ihre Mutter, in demselben langsamen, freundlich konstatierenden Ton; wie ist es, Enzio, kommst du mit in den Garten zu einem Kugelspiel? Oder vielleicht erst später? setzte sie hinzu, da sie in seinem Gesicht ein Nichtmögen las, das nach Begründung suchte. Dann ließ sie die beiden allein im Zimmer. – Irene hantierte noch eine Weile mit den Noten, summte dazu die verklungene Melodie, und als sie fertig war, setzte sie sich ihm gegenüber, sah ihn erwartungsvoll an und sagte: Du sprichst ja nichts!

Es war eine ziemlich komplizierte Arbeit für Enzio, das Gespräch scheinbar mühelos dahin zu bringen, wo er wollte. Er sagte erst mehrere gleichgültige Sätze, in denen er schon auf Richard zusteuerte, landete endlich bei ihm und fragte: Kennst du ihn? – Irene schüttelte den Kopf. Nicht? Ich will ihn dir beschreiben! Er tat das, so gut er es vermochte, Irene schien es nicht zu interessieren, sie fragte, ob sie nicht doch in den Garten zum Kugelspielen gehen wollten. – Irene! Du verstellst dich! Du kennst ihn ganz genau! – Aber 166 nein, ich habe keine Ahnung, wen du meinst. – Er läuft dir nach! – Wie kann ich wissen, wer mir nachläuft? – Du hast ihn auch von vorn gesehn! Zweimal ist er dir begegnet, in der Parkstraße. – Das ist ja möglich, aber ich erinnere mich nicht. – Du sollst ihn nicht kennen lernen! – Das will ich ja auch nicht. – Aber er will dich anreden. – Wenn er mich frägt, wieviel Uhr es ist, dann muß ich ihm doch antworten. – Ja, aber weiter, weiter! Dann kommst du mit ihm in ein Gespräch, das nicht wieder aufhört! – Irene sah ihm aufmerksam auf die Lippen, dann lehnte sie sich zurück und sagte: Ich finde das komisch! Es gibt doch keine Menschen, mit denen man soviel spricht. – Ja, du nicht, aber er! Er kann reden, in einem fort, und so, daß man ihn nicht wieder unterbrechen kann, wenn er nicht will. – Er sah sie mit so verstimmten und grüblerischen Augen an, daß sie nach einer Pause antwortete: Mir liegt an deinem Freunde nichts, und deshalb mach du selber mit ihm aus, was du willst.

Heute habe ich sie zum viertenmal gesehn! sagte Richard. – Du warst wieder da? Etwas zog sich krampfhaft in Enzio zusammen. – Ja, natürlich. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Enzio? – Bist du naiv! sprudelte er hervor. Natürlich bin ich eifersüchtig, wahnsinnig eifersüchtig sogar! Jetzt verstand Richard endlich Enzios 167 sonderbares, einsilbiges und fast kaltes Wesen der letzten Tage. – Ja, wenn das so steht, sagte er nach einer Weile, dann werde ich mir selbstverständlich Mühe geben, deine Freundin nie wiederzusehen. – Sofort zerlöste sich alle spannende Bitterkeit in Enzio; es war, als habe sein Gefühl plötzlich gleichsam Luft bekommen. – Ich hätte dir niemals in deine Kreise eingegriffen, fuhr Richard fort; du kennst mein Verhältnis zu den Menschen noch zu wenig: Mich interessieren sie, und du kannst nicht anders als lieben, wenn dir jemand nahetritt. Na ja, knurrte Enzio und dachte darüber nach, daß er sich mit seinem ganzen Eifersuchtsaufwand recht übereilt habe. Ich hatte mir gedacht: Kennst du Irene erst einmal, so mag sie dich vielleicht lieber als mich, und dein Verhältnis zu mir würde dann auch anders, wenn du Irene möchtest. – Aber Enzio! fragte Richard erstaunt, was hätte denn eine Neigung zu einem Mädchen mit meinem Verhältnis zu dir zu tun? Enzio schämte sich. Dann trieb ihn die Furcht, Richard könne ihn noch immer für engherzig und kleinlich halten, in ein Gegenteil seiner Empfindungen, und er sagte: Nächste Woche kommt Irene zu mir. Willst du dann auch dabei sein? Richard lehnte dieses zunächst ab, aber Enzio bat heftiger und beteuerte, er müsse dieses tun, so daß er schließlich einwilligte.

168 Enzio hatte dieses auch nicht zu bereuen, denn im Verkehr zwischen allen dreien änderte sich im Lauf der Zeit nicht das geringste. Richard sprach sich mit neidloser Freude über Irene aus, die, wie er sie nun mehrere Male gesehen, ihm ganz jenen Eindruck bestätigte, den er erwartet hatte. – Nichts – sagte er – geschieht bei ihr wie bei andern Menschen, die ich kenne; bei allem, was sie tut, ist sie stets mit sich im Einklang; auch das Gewöhnliche bekommt bei ihr den Schein des Ungewöhnlichen; Gott weiß, woran das liegt! –

Irene war zunächst ein wenig erstaunt gewesen, als Enzio sie mit diesem selben Freund bekannt machte, den sie nicht kennen lernen sollte. Sie dachte aber nicht weiter darüber nach, und wie Enzio später einmal die Rede darauf brachte, sagte sie nur: Ich finde, man soll gegen seine Freunde immer nett sein. Über Richard selbst äußerte sie sich nicht viel. Erst auf Enzios Drängen gab sie sich Mühe, nachzudenken: Er hat eine schöne Stirn! Und als ihm das noch nicht genug war: Man kann ihm so gut zuhören, ähnlich wie meinem Vater. Enzio beruhigte dies alles sehr.

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