Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Hat das Bienle nicht geschrieben? Dies war Enzios gewöhnliche Frage an Caecilie, in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr, morgens wenn er zum Kaffee erschien; und er hatte oft gesagt: Wie sehne ich mich zu ihr zurück, ich bin ja gerne hier, aber ich werde doch froh sein, wenn ich sie erst wieder 336 habe! Dann waren seine Fragen seltener geworden, und jetzt, wenn er morgens einen Brief auf seinem Teller fand, schien er ihn achtlos zu lesen. Einmal ließ er sogar einen auf dem Tischtuch liegen, so daß Caecilie ihm sagen mußte, er möge weniger zerstreut sein. War seine Leidenschaft schon verrauscht und verraucht durch diese kleine Zeit der Trennung? – Hast du sie nicht mehr lieb? fragte sie einmal. – Er sah sie groß an: Wieso? – Es scheint mir beinah, als ob es so wäre. – Er widersprach lebhaft: Ich kann mich doch nicht einschließen und immer nur an sie denken, das wäre lächerlich von mir! – Mir kommt es vor, als dächtest du überhaupt nicht mehr an sie. – Enzio wurde eifrig: O doch, aber was habe ich davon? Ich würde mich nur vor Sehnsucht krank machen, und dann: ich schreibe ihr doch jedesmal, wenn ich einen Brief von ihr bekomme! In ihren Briefen steht allerdings fast nichts; wenn sie solche Sachen erzählt, ist es entzückend, aber in den Briefen sehe ich sie doch nicht! Und außerdem: Wir haben uns das feste Versprechen gegeben, uns nicht aneinander zu binden, das weißt du doch. – So ist es wohl nicht unmöglich, daß sie inzwischen einen andern Freund gefunden hat? – Ganz unmöglich! sagte Enzio mit Überzeugung, und fuhr fort: das wollte ich ihr nicht geraten haben! – Caecilie schüttelte den Kopf, dann sagte sie: Du bist ein Tyrann, Enzio. –

337 Er schwieg halb schuldbewußt, und wenn er in sein Inneres sah, so kam es ihm selbst so vor, als sei da nicht alles in Ordnung. Zu Irene hatte er nie das leiseste Wort gesagt, daß er eine Freundin habe, die ihm so eng verbunden war. Ja, ihr gegenüber tat er, als habe er stets nur an sie gedacht. Es riß ihn so mit fort, er konnte nicht anders. Er fühlte, daß er in ihrem Herzen den ersten Platz einnahm, und er hätte sein eigenes Selbst entzweireißen müssen, wenn er ihr nicht ebenso geantwortet hätte. Die Wirklichkeit war stark, so stark, daß es ihm allmählich umgekehrt zu gehn schien wie zu Anfang, als er Irene wiedersah: Damals erschien ihm sein ganzes früheres Zusammenleben mit ihr wie ein Traum, und nun war ihm, als sei dieses von Anfang an die Wirklichkeit gewesen, und als liege der Traum da, wo er die Wirklichkeit zu fühlen glaubte. Er tröstete sich mit dem Gedanken: Sowie ich wieder fort bin, sowie ich das Bienle wiedersehe, wird alles so sein, wie es gewesen ist. Und ihr selber wird es sein, als läge gar keine Zeit dazwischen, denn sie denkt doch nur an mich und glaubt, daß auch ich nur an sie denke, und darin ist sie glücklich. Es wäre eine Dummheit, wollte ich sie mit Dingen beunruhigen, die im Grunde nichts an den Beziehungen zwischen uns ändern.

Wenn er mit Irene zusammen war, so malte 338 er sich öfter heimlich aus, wie es wohl wäre, wenn er zu ihr ebenso stände wie zu dem Bienle. Dann stieg eine ganz unwillkürliche Bewegung in seinen Arm, wie wenn er sie umschlingen, die Hand auf ihr Haar legen, sie an seine Brust ziehn wolle. Mehrmals kam es vor, daß er sie aus Versehen nicht mit Irene, sondern mit Bienle anredete, so daß sie fragte: wer ist denn das? und ihm mit kühler Neugier auf die Lippen sah, wie er antwortete: Ein kleines Mädchen, die Tochter meiner Wirtin, bei der ich gewohnt habe.

Zuweilen plagten ihn auch Gewissensbisse gegen Bienle, in solcher Stimmung schrieb er ihr die zärtlichsten, leidenschaftlichsten Briefe. Traf dann ihre Antwort ein, so war sie schon vergangen, und er mußte sich erst besinnen, was er ihr alles geschrieben habe.

Das Ende seiner Ferien war längst vorüber. – Ich will jetzt nicht zurückgehn! hatte er gesagt, ich bin so im Schaffen, daß ich es für Sünde halten würde, mich zu unterbrechen. Was ich in meinem Zimmer angefangen habe, muß auch dort vollendet werden; ich will noch ein paar Wochen hierbleiben.

Jetzt hatte er ein »Magnificat« begonnen. Es schien ihm ebenso gut, ebenso frisch zu werden wie seine Messe. Er spielte Teile daraus Richard vor, dem er versichert hatte, mit dieser Komposition werde er noch zufriedener sein als mit der andern. 339 – Die steckt dir noch zuviel in den Gliedern, sagte Richard später, ich finde hierin nicht viel neues. Beinah alles sind Reminiszenzen. – Enzio glaubte das erst nicht, sah es aber dann selber ein und begann die neu komponierten Teile umzuschreiben.

Caecilie ahnte wohl, daß ihn außer diesem Werk noch andere Gründe zurückhielten, aber sie dachte: Nun ist es gleich, ob er noch ein wenig länger hierbleibt oder nicht, wenigstens brauche ich mich dann nicht jetzt schon von ihm zu trennen.

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