Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Wochen vergingen, und eines Tages kam Caecilie in ihre gewohnte Häuslichkeit zurück. Als der Kapellmeister grade am Flügel arbeitete, legte sich von hinten etwas Festes, Warmes um seine Augen, und eine warme, weiche Wange an die seine. Er bog sich leise zurück. Nun, sagte er mit träumerischer, sanfter Stimme, haben wir dich wieder bei uns? Ich hab dich lang genug entbehren müssen! Sie antwortete nicht; in ihrem Gesicht, das er nicht sehen konnte, stand noch das erste glückliche Lächeln, ein Lächeln, das wartete, und in das allmählich der Keim einer Enttäuschung trat. Endlich sagte sie: Ja, willst du dich wirklich nicht erheben?! – Aber Kind, antwortete er, stehn wir so mit einander, daß ich vor dir wie vor einem Gaste aufstehn muß? Was machst du denn für ein Gesicht, Caecilie? – Sie sagte gar nichts. – Caecilie, ich bitte dich: Mach nicht so ein Gesicht! Du hast keine Ahnung, wie du dann aussiehst! Du siehst aus, als hätte ich eine Todsünde begangen! – 21 Sie versuchte zu lächeln; er sah auf ihren geschlossen, festen Mund, küßte ihn und murmelte: Ich bin ein schlechter Mensch, Caecilie, aber ich bitte dich, bedenk doch: Grade als du hereintratst, hinter mich, war ich mitten in der Arbeit! Und noch jetzt, wo ich mit dir rede, klingt es halb unbewußt in mir weiter, dagegen kann ich nichts machen! Weshalb hast du einen Musiker geheiratet, die sind eben anders als andre Menschen. Sei mir nicht böse und glaube mir: Ich habe dich so lieb wie immer, ja noch viel lieber! – Sie sah ihm mit einem Blicke in die Augen, in dem so viel Verschiedenes lag, daß er nicht alles davon in sich aufnahm: Hingebende Liebe, Forderung von Liebe, Glaube an seine Künstlerschaft, ein kleiner Selbstvorwurf wegen ihrer egoistischen Gekränktheit, und zugleich doch wieder ein Wille, nichts von sich aufzugeben, unter allen Umständen fest zu verharren wie sie war. – Wie siehst du denn aus? fragte er, weshalb hast du denn grade heute dies wundervolle Kleid angezogen? – Weil ich zum ersten Male wieder vorn in meinen schönen Räumen bin und mich selbst ein wenig bewundern möchte in den großen Spiegeln! – So sagte sie, und ihre Augen sprachen dagegen: Das alles war doch nur für dich, nachdem du mich so lange in den häßlichen und viel zu bequemen Morgentoiletten hast sehen müssen!

22 Nun, sagte sie, als sie sich zum Frühstück niedersetzten, und du hast mich noch immer nicht gefragt, wie ich nun unsern Sohn nennen will? – Ja? hast du dich inzwischen besonnen? – Sie errötete etwas und sah ihn mit heimlichem Glücke an: Du möchtest ja immer, sagte sie, daß er Heinrich heiße, so wie du. Aber ich will das nicht, es soll nur einen Heinrich geben. Nun ist mir ein wundervoller Ausweg eingefallen: Enzio wollen wir ihn nennen! – Enzio? wiederholte er; hm; gefällt mir eigentlich wenig. In ihre Augen trat sofort jener Ausdruck, wie ihn Kinder haben, wenn sie streiten: Unumstößlicher Glaube an das eigene Rechthaben, und Vergessen aller übrigen Beziehungen. So ein schöner Name! rief sie; ich dachte, du würdest begeistert sein über meinen Vorschlag, und statt dessen . . . Aber liebes Kind – suchte er sie zu unterbrechen – ich habe doch noch gar nichts gesagt! – Herrlich ist der Name! rief sie dazwischen, es gibt so eine Fülle von Namen, kein einziger paßt; du heißt Heinrich und der Name Enzio . . . Aber du erlaubst doch wohl, unterbrach er sie, jetzt auch erregter, daß ich mich erst ein wenig gewöhne! Ich will dir ja durchaus nicht dreinreden in deine Pläne! – Beide schwiegen. Sie hatte sich so sehr gefreut auf ihre Überraschung, und nun verdarb er ihr die ganze Freude. – Endlich sah sie ihn wieder an, mit einem warmen Blick. Sei mir nicht böse, sagte 23 sie und streckte ihm die Hand hin über den Tisch. Und, um diese kleine Gewitterwolke ganz zu verscheuchen, fügte sie hinzu: Heut wollen wir zum erstenmal zu dritt sein! Ich gehe und hole unsern kleinen Sohn.

Merkwürdig, dachte er, wie er allein zurückblieb, wie grundlos gereizt sie manchmal ist. Ich glaubte, das wäre ganz vorbei. – Diese sonderbare Seite, scheinbar grundlos verletzt zu sein, gehörte einmal zu ihr und war unzertrennbar von ihrem Verhältnis zu ihm. Und er wußte auch, wo die Wurzel hiervon lag: In ihrer ganz instinktiven Auffassung von der Ehe, oder vielmehr ihrer Ehe: Eines sollte in dem andern aufgehn, eines genau die Wünsche des andern haben. Es fiel ihm, wie er so nachsann, ein kleines Erlebnis vergangener Jahre ein: Da war sie eines Tages, als er nach Haus kam, abgereist, und ein kleiner Zettel, den sie zurückgelassen, sagte ihm, sie sei ins benachbarte Gebirg gefahren, für drei Tage, um einmal ganz still für sich zu sein. Von blinder Eifersucht geplagt, reiste er ihr nach und fand sie, ganz allein, im Walde, in einem dicken, mehrbändigen Buche lesend. Ein Roman war es, in dessen Haupthelden sie sich beinah verliebt hatte. Es knüpften sich an dies Erlebnis endlose Gespräche über Ehe, die nie zu einem Ziele führten; und aus allem fühlte er heraus, daß sie von ihrem Zusammenleben 24 enttäuscht war, und daß es nach ihrer Meinung nur in seiner Hand lag, das frühere Glück, so wie es gewesen war, wieder herzustellen. Sie liebte keinen andern, sie liebte ausschließlich ihn, das wußte und fühlte er, und es gab ihm die Beruhigung, daß er um ihre Treue nicht zu bangen habe. Dann kam die Zeit, wo sie ihr Kind erwartete, und wo sie still und ausgeglichen war und in seiner Liebe keinen Mangel zu empfinden schien. – Und jetzt – sollte jene frühere Zeit etwa zurückkehren? Gut, dachte er, daß dieses Kind geboren ist! Es wird sie mehr ausfüllen als ihr früheres Leben, und sie wird fühlen, daß ich ein besserer Vater bin, als sie vielleicht gedacht hat.

Caecilie kehrte zurück, strahlend, das Kindchen auf dem Arm. Enzio – wie er nun wirklich genannt wurde, hatte sich in diesen Wochen zusehends entwickele und an Form gewonnen. Seine Augen blickten groß auf dem Tisch umher und seine kleine Hand streckte sich nach einem Glas mit Wein aus.

Du goldenes, du entzückendes Kind! sagte der Kapellmeister mit sentimentaler Stimme: Nächste Woche werden wir dich taufen, und du wirst einen schönen südländischen Namen bekommen. Man wird dich mit Wasser taufen, ich aber taufe dich mit einem Weine aus dem Lande der Musik und Liebe!

Mit diesen Worten tauchte er die Spitze seines 25 Fingers in das Glas und ließ den Tropfen, der sich an sie heftete, auf die Stirn des Kindes fallen, worauf er es wieder schmachtend ansah.

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