Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Enzio sah sehr gerne Bilderbücher an; die traurigen Bilder liebte er mehr als die lustigen, aber eins gab es, das liebte er über alles: Es stellte das magisch erleuchtete Innere einer Höhle dar, aus deren bodenlosem Grunde weibliche Schemengestalten emporstiegen und einem Jägersmanne winkten, der in diese Höhle eingedrungen war. Er machte eine Gebärde der Abwehr und des Entsetzens. Und diese Mädchen waren doch alle so wunderschön! Das mittlere, die Königin unter ihnen, trug ein Diadem aus blitzendem Kristall im Haar, und diese liebte er am meisten. Es schien, 31 als ob sie ihn selber ansehe, ihm selber winke, und oft beugte er sich nieder, um ihr Gesicht zu küssen. Das ward von diesen Küssen im Lauf der Zeit entstellt und schmutzig. Hierüber war er traurig, liebte sie nun aber nicht mehr so und sah nachdenkend auf all die andern, um herauszufinden, welche nun die Schönste sei.

Auf das Engste verbunden lebte er mit seiner Mutter. Caecilie fand und nährte das in ihm, was sie in ihrem Manne vermißte. Enzio hatte von früher Kindheit an einen instinktiven Blick für ihre Mienen, er wußte wahre Heiterkeit von erkünstelter oder beherrschter wohl zu unterscheiden, und es konnte vorkommen, daß er bei Tische sagte: Papa, wenn du so mit dem Messer und dem Teller klapperst, so tust du Mama weh! so daß der Kapellmeister erstaunt vom Essen aufsah und fragte: Fühlst du dich nicht wohl, Caecilie? Dann lächelte sie und sagte: doch, ganz wohl, aber sie reichte Enzio die Hand dabei. Caecilie merkte zuweilen, daß sie neben ihrem Sohne auch sich selbst ein wenig miterzog. Sie ließ ihre Sachen nicht mehr so unbekümmert herumliegen, wie sie es früher gewohnt war, riß in seiner Gegenwart niemals Kartons auseinander, wenn sie sich nicht gleich öffnen wollten, und gewöhnte sich selbst an eine größere Pünktlichkeit in allen Dingen, die das häusliche Leben betrafen. Doch war ihre Natur zu stark, als daß sie nicht 32 gelegentlich glatt all diese Regeln durchbrochen hätte. Wenn ihr eine hübsche Jacke, die sie für ihn arbeitete, schließlich im Schnitt doch nicht gefiel, riß sie den Stoff mit plötzlichem Entschluß mitten durch, warf ihn in die Ecke und meinte: besser ein für allemal kaput, als immer diesen dummen Anblick an dir haben, nur weil das Ding einmal gemacht ist.

Es ist doch nun ganz egal, sagte der Kapellmeister, ob der Junge eine Jacke trägt, die tadellos im Schnitt ist oder ob sie etwas weniger gut sitzt. Mir selber zum Beispiel wäre es vollkommen gleichgültig, ich sehe so etwas gar nicht. – Und doch, antwortete Caecilie, hast du vor vierzehn Tagen deinem Schneider den Abschied gegeben, weil du erfuhrst, daß der Stoff deines neuen Anzuges nicht mehr ganz modern war. – Das sagte nicht ich, rief er eifrig, das sagte unser Intendant! Der weiß so etwas stets viel besser und sicherer als ich! Da habe ich natürlich sofort meinen Schneider zur Rede gestellt! Ich werde doch nicht in Stoffen von unsern Vorvätern herumlaufen! – Ein andermal entdeckte er, daß Enzio wundervoll polierte Nägel hatte. – Wie kommst du denn dazu? – Das macht Mama mir, jeden Morgen. – Hol mir doch mal den Kasten! Enzio brachte ihn, und der Kapellmeister zog sich auf eine ganze Stunde damit zurück. Später verglich er Enzios Finger mit den seinen und fand, daß, was bei seinem Sohne natürlich und schön 33 aussah, für seine eignen Formen wenig passend erschien. – Was soll denn das mit Enzios Fingernägeln! sprach er nörgelnd zu Caecilie; du machst den Jungen eitel! Nägelpflege! so eine Dummheit! – Eitel, antwortete sie, sind Menschen nur dann, wenn sie ihren besseren Zustand nicht als natürlich, nicht als normal empfinden. Für Enzio gehört so etwas ganz selbstverständlich zur Morgentoilette. Wenn ein Erwachsener seine Finger pflegt, warum soll man einem Kinde nicht die Finger pflegen? – Dann sag mir wenigstens: wie machst du das, daß die Ränder so glatt und rund werden? – Sie verstand ihn zunächst nicht, bis er ihr seine eigenen polierten und etwas verschnittenen Nägel vorhielt.

Solche pädagogischen Unterhaltungen, die von seiner Seite am Schluß oder auch am Anfang schon entgleisten, fanden öfter zwischen ihnen statt. Manchmal auch war es umgekehrt: daß Caecilie ihrem Manne etwas vorwarf, vor allem, daß er Enzio zu sehr verwöhne: Ich drücke viel zu oft ein Auge zu, weil ich mir sage: du siehst das Kind nur in den Erholungsstunden und sollst bloß Freude an ihm haben; all meine schönen Prinzipien schlägst du mit irgendeiner Erlaubnis, die sie durchbricht, entzwei, und wenn ich dann mit dir scheinbar derselben Meinung bin, so geschieht es, weil ich die Ansicht habe: Kinder dürfen nur einen Willen 34 über sich empfinden. Es ist manchmal schwer für mich, denn Enzio kennt mich so genau, daß ich fürchte, er merkt zuweilen doch mein inneres Schwanken.

Was Caecilie da aussprach, entsprang ihrer Überzeugung, nur war eines dabei die stillschweigende, unausgesprochene Voraussetzung: daß die Stimme des Vaters sich nach der der Mutter zu richten habe. Und die geheime Triebfeder dieser Forderung war das Gefühl: Enzio sollte bei allem, was er genoß, die Empfindung haben, daß er es in erster Linie ihr verdanke. Sie wollte ihm die Nächste sein und bleiben. Sie hatte Angst, er könne sich vielleicht mehr seinem Vater anschließen, ganz kindlich-egoistisch, wenn er bei dem mehr Duldung seiner Schwächen, eine größere Verwöhnung spüre. Halb im Scherz sagte einmal ihr Mann zu ihr: wenn du noch ein anderes Kind hättest, außer Enzio, würdest du wohl nicht so eifersüchtig über ihm wachen! – Ich will kein anderes Kind haben außer Enzio! sagte sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die ihn erstaunte, ohne daß er sich jedoch weiter den Kopf darüber zerbrach.

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