Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Die ersten Tage nach seiner Heimkehr war Enzio wie ein Traumwandelnder. Rücksichtslos gegen sich selbst, mit größter Härte hatte er seiner Mutter alle Dinge der Vergangenheit erzählt.

Nun hilft dir nichts als Arbeit, feste, angestrengte Arbeit, um dich über alles hinauszubringen, Enzio. Du mußt Mut haben und Selbstvertrauen. Bleibe ein paar Wochen hier, dann geh in eine andre Stadt. Dieses alles ist furchtbar schlimm, aber wenn du das selbst erkennst, so wird es auch wieder besser werden!

Enzio wunderte sich, wie ruhig und gefaßt seine Mutter war. Sie mußte es sein, um ihn nicht noch mehr zu entmutigen. Langsam hatten sich ihre Schultern daran gewöhnt, neue Gewichte zu tragen, ohne daß eine Ermüdung äußerlich sichtbar ward.

Der Kapellmeister merkte nichts von allem, wunderte sich bloß, warum Enzio so plötzlich zurückgekommen war, und gab sich zufrieden mit Caecilies Erklärung: Er leidet an einer starken künstlerischen Depression, und das hielt er alleine nicht mehr aus. – So etwas vergeht wieder, meinte er, Ähnliches habe ich früher hundertmal an mir selbst erlebt, 461 ich freue mich sogar, daß er jetzt endlich solche Stimmungen kennen lernt, daraus erwächst ihm nur Gutes. Er wird ein wenig bescheidener, das kann nichts schaden.

Enzio lebte die erste Zeit wie eingeschlossen zu Hause. In ihm war eine fieberhafte Angst.

Laß alle Arbeit! sagte Caecilie, was ich dir vorher riet, war falsch; ich wußte nicht, wie tief verzweifelt es in deinem Innern aussieht. In solcher Stimmung ist es ganz unmöglich, irgend etwas zu schaffen. Geh viel spazieren, suche Richard auf, denk nicht an Arbeit. Oder wenn du willst, laß mich mit dir verreisen, wie gehn an die See oder in die Berge, dort wirst du dich erholen. – Nein, ich muß hier bleiben, dort draußen würde mein Zustand noch viel ärger werden, ich muß mir selber Ruhe schaffen, und nur dadurch, daß ich arbeite und wieder fühlen lerne, daß nicht alles in mir in Grund und Boden versunken ist. Da draußen würde mich nur immer wieder die Erinnerung packen. Nur Arbeit kann mich retten, und wenn ich sehe, daß es nichts wird, daß alles in mir verdunstet und verflogen ist, dann bleibt mir nichts übrig, als aus der Welt zu gehn.

Caecilie litt die allergrößten Qualen bei solchen Reden, aber sie bezwang sich und suchte ihn jedesmal durch Vorstellungen der Vernunft zu beruhigen: Solche Stimmungen macht jeder Künstler durch. 462 Du hast sie doch auch früher schon gekannt, und es wird nicht das letztemal sein, daß du sie durchkostest. Sieh deinen Vater an! Du weißt nicht, was ich in früheren Jahren mit ihm durchgemacht habe! – Glaubst du, ich würde je ein Leben führen, wie er es führt? Er ist glücklich dabei, aber seine Seele hat sich langsam gewandelt, sie weiß selber nicht mehr, wie sie früher ausgesehn hat; nein, wenn ich fühle, daß es nichts mehr mit mir ist, dann ist es besser, wenn man ein Ende macht! – Du wirst das auch nie fühlen, Enzio! Aber selbst wenn du es jetzt denkst: Wäre es nicht feige, schändlich, den Glauben an sich fortzuwerfen? Du bist doch noch so jung! Wärest du um viele Jahre älter und ständest da wie jetzt, dann könnte ich nichts sagen; aber die Zeit deiner Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen! Du hast erst eben angefangen! Sieh Richard an: Bis jetzt hat noch kein einziger Mensch irgend etwas von ihm gehört, und er ist fünf Jahre älter als du! In euren Jahren macht das viel aus! Kein Mensch wußte, was er bis jetzt geschrieben hat und ob es gut oder schlecht war. Jetzt endlich tritt er mit einem Werk hervor. Wer weiß, was du alles geschaffen haben wirst, wenn du so alt sein wirst wie er!

Richard? fragte Enzio erstaunt, – mit welchem Werke tritt denn Richard vor? – Hat er dir's nicht geschrieben? Von dem Musikfest, dieses Jahr? – 463 Nichts! Keine Silbe! – Ein nagendes, zerrendes Gefühl war in ihm. – Du hast recht, sagte er nach einer Weile, man muß abwarten, wie es mit mir wird.

Gott sei Dank, dachte Caecilie, er fängt an, ruhiger, überlegter zu denken.

Am selben Nachmittag suchte er Richard auf. Der wußte schon um Enzios Hiersein. Caecilie hatte ihm einen Brief geschrieben, ihn beschworen, in ähnlichem Sinn auf ihn einzuwirken wie sie, und, falls Enzio wieder an die Arbeit gehen sollte, nur Aufmunterndes zu sagen, selbst wenn alles minderwertig sei, was er zustande bringe.

Spiel mir dein Werk vor, sagte Enzio, jetzt endlich wirst du nicht mehr nein sagen.

Richard spielte es.

Als er geendet und sich umblickte, saß Enzio stumm und wie aus Stein im Sofa. Richard ahnte, was in ihm vorging, befangen erhob er sich und trat zu ihm heran.

Ja, sagte er, ich glaube, dieses hier ist mir gelungen. Aber es ist auch die Arbeit von Jahren. Mir wird das Schaffen viel schwerer als dir, Enzio; ich beneide dich um deine Leichtigkeit zu komponieren. Ich weiß, daß du dich augenblicklich in einer kleinen Mißstimmung befindest, die wird vorbeigehn, in ein paar Jahren werden wir die schönsten Werke von dir haben. – Enzio schwieg. – Laß 464 dich nicht unterkriegen! Solche Zeiten kommen und vergehn. Ich habe sie selber durchgemacht, da hilft nur Arbeit, und immer wieder Arbeit. Auf dich setze ich nach wie vor die größten Hoffnungen. – Enzio schüttelte den Kopf. Mit mir ist es aus, sagte er, das weiß ich; jetzt noch viel besser als vorher. – Richard faßte seine Hand: Rede nicht so, das ist feige und verzweifelt. – Enzio umklammerte Richards Finger. – Morgen hole ich dich ab, Enzio, da machen wir einen großen Spaziergang miteinander.

Als er ging, traf er im Vorplatz Richards Mutter. Sie sah ihn erst sinnend an, dann sagte sie freundlich: Nun, sind Sie zurückgekommen?

Wie sieht der eingefallen und verändert aus! sprach sie später zu Richard, der arme Mensch, er tut mir wirklich leid. Jetzt endlich kommt der Jammer über ihn. Ich wußte es immer, daß niemals etwas aus ihm wird. Sein Leben war von Anfang an verpfuscht. Ein Mensch wie er, verwöhnt vom ersten Augenblicke seines Daseins, und von solcher Schönheit, müßte einen Charakter von Stahl haben, um seinem Leben dagegen das Gleichgewicht zu halten. Ich danke Gott, daß er uns so schlimme Jahre der Entbehrung geschickt hat, und daß es uns niemals sehr gut gehn wird im Leben.

*


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