Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Monate gingen hin, Enzio fühlte sich dem Bienle durch die letzten Ereignisse fester verbunden als früher; Irenes Gestalt war ihm beinah zu einem Schatten geworden. Ihr brieflicher Verkehr hatte fast ganz aufgehört, er wußte nicht mehr, was er ihr schreiben sollte, ließ sie aber in seinen Briefen an Caecilie und Richard ein jedesmal besonders grüßen. Aber auch diese Briefe wurden kürzer, von seinen musikalischen Fortschritten schwieg er gänzlich, so daß Caecilie besorgt anfragte, was mit ihm sei. Darauf antwortete er erst ausweichend, aber mit der Zeit ward es ihm unmöglich, seinen Zustand zu verheimlichen: Mit seinen Kompositionen war es nichts mehr. Alles, was er nach seiner Messe geleistet hatte, erschien ihm schal und nichtssagend. Bestenfalls waren es Wiederholungen von früher Gesagtem. Es war, als habe er mit jenem Werke alle musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten in sich erschöpft. Er wollte sich hierüber 424 zunächst selber täuschen, übertrieb seine Mittel, und es gelang ihm auch zeitweilig; die folgende Ernüchterung war dann um so größer. – Bienle merkte die Veränderung mit ihm und ward gedrückt und traurig.

Ich habe dich genau so lieb wie sonst! sagte er; aber du kannst es nicht begreifen, was oft in mir vorgeht. Mir ist manchmal, als müßte ich die Fensterscheiben mit den Fäusten einrennen. Das hängt nicht mit mir und dir zusammen, sondern nur mit meiner Kunst. Ich will versuchen, es dir klarzumachen. Als Junge galt ich als heimliches Genie zu Hause; ich bildete mir selber ein, ich wäre es. Ich machte Kompositionen, die nach meinem Urteil und nach dem Urteil der Menschen, die mich lieben, das Allerbedeutendste für die Zukunft versprachen. Voll der schönsten Hoffnungen kam ich hierher. Meine Lehrer schienen dasselbe von mir zu denken. Anfangs ging es gut, und wie ich das letztemal zu Hause war, habe ich etwas geschaffen, von dem ich immer noch glaube, daß es nicht schlecht ist. Das ist nun lange her. Seitdem stecke ich in den gräßlichsten Stimmungen und denke oft, es sei das beste, meinem Leben ein Ende zu machen – erschrick nicht, ich habe es ja nicht getan und werde es auch nicht tun, denn ich hänge viel zu sehr am Leben. Aber diese Stimmungen sind doch manchmal da, und grade jetzt, in dieser Zeit, sind 425 sie von neuem über mich gekommen. Sie werden wieder vorbeigehn, es ist unmöglich, daß etwas, das in mir drin war, ein für allemal verschwinden könnte! Das sage ich mir immer wieder, zum Trost nehme ich meine alten Sachen vor und denke: Wer das gemacht hat in so jungen Jahren, wird später auch noch Besseres machen können. Aber ohne daß ich es will, gegen meinen Willen, kommt die alte Angst über mich, und dann denke ich, daß es mir einmal gehn könnte, wie meinem Vater – das wäre das allerschlimmste – ich will dir nichts davon erzählen, denn du würdest es doch nicht verstehn.

Mit solchen Reden machte er sie tief betrübt. Sie verstand nichts von seiner Kunst und mußte ihm glauben.

Aber ich will dich nicht mit solchen Dingen quälen, schloß er, dein Gesicht ist dann, als gäbe es keine Sonne mehr in meinem Leben, und das kann ich nicht ertragen.

Wenn Bienle gegangen war, warf er sich aufs Sofa und wiederholte noch einmal alles für sich selbst.

Er hatte jetzt beinah Furcht, seinen Professoren etwas Neues vorzulegen; denn der Moment war entsetzlich, wenn er es zurückbekam mit einem halb aufmunternden, halb enttäuschten Blick, in dem der Gedanke stillschweigend ausgesprochen war: Was 426 ich Ihnen sagen kann, wissen Sie selbst, ich will Sie nicht noch mehr entmutigen.

Die Antworten, die Caecilie ihm schrieb, und die ihn aufrichten sollten, drückten ihn nur noch stärker nieder. Er fühlte sehr wohl, daß zwischen ihren Zeilen die Angst stand.

Er suchte Zerstreuung bei seinen Kameraden in den Cafés, in den Weinrestaurants, aber seine Sorgen, wenn er morgens aufwachte, waren nur um so schwerer. Noch ein anderes begann ihn zu bedrücken: Sein ganzes Verhältnis zu dem Bienle. Wenn er sie sah, fühlte er wohl die alte Liebe, aber wenn er sie nicht sah, so kannte er die Sehnsucht nicht mehr. Ist denn in meinem Leben nichts, was Bestand hat? dachte er; muß denn einer Liebe immer irgend etwas Zerrendes beigemischt sein, damit sie frisch bleibt? Bienle hat die tiefe, echte Liebe, die in der Ruhe am besten gedeiht, und ich selber muß immer abschwenken, bald hierhin, bald dorthin, mir scheint, als würde ich niemals Ruhe finden.

*


 << zurück weiter >>