Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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465 Willst du nicht einmal Irene wiedersehn? fragte Caecilie, – sie weiß, daß du hier bist und daß du leidest, und sie wundert sich, daß du nicht zu ihr kommst. – Ich kann Irene nicht sehn! Ich könnte ihr nicht in die Augen blicken! Ich will sie auch nicht sehn, ich habe kein Verlangen danach! Zwischen Irene und mir ist es aus, selbst wenn ich sie noch liebte, könnten wir doch niemals zusammenkommen! – Enzio, sagst du das alles wegen des Vergangenen? – Auch wegen des Vergangenen! Irene ist zu rein für mich. – Dies letzte Wort schnitt Caecilie durchs Herz, all ihre Mutterliebe rebellierte dagegen. – Ich verstehe es, daß du so sprichst, aber wenn du jetzt den Mut, den festen Willen hast, ein andres Leben anzufangen, so ist noch nichts verloren. Und ob du nun denkst, daß ihr nie zusammenkommen werdet – – du würdest sie auf das Allerschmerzlichste kränken, wenn du jetzt vermiedest, sie wiederzusehn! Wenn euch das Leben nicht füreinander haben will, so muß sie das langsam und ganz natürlich fühlen lernen, und wie ich Irene kenne, wird sie nie etwas wollen, wovon sie einsieht, daß es haltlos werden wird! Geh hin zu ihr, verkehre mit ihr als Freund, so wie in früheren Jahren, diesen unnatürlichen, abgeschlossenen, elenden Zustand hältst du für die Dauer doch nicht aus! – Ich will nicht! Ich habe eine wahnsinnige Angst vor Irene! In ihr sehe ich ein Leben, wie 466 ich es hätte führen können, in ihr verkörpert sich meine frühe Jugendzeit mit all ihren schönen Träumen und Hoffnungen, das alles würde mich noch viel mehr quälen, als es sowieso schon tut. – Enzio, ich glaube, du bist dir selber nicht klar über das, was in dir ist! Du wirst keine Qual und Unruhe empfinden, wenn du sie wiedersiehst, sie wird dir nur dazu verhelfen, allmählich deine Ruhe und Zuversicht wieder zu finden, du wirst fühlen, daß du nicht der Mensch bist, der du jetzt zu sein glaubst!

Caecilies Worte wirkten nach in ihm. Mit Herzklopfen öffnete er eines Tages ein Kuvert, dessen Schriftzüge er sofort als Irenes erkannte. Sie schrieb, daß sie ihn erwarte.

Sollte er nun zu ihr hingehn? Hatte seine Mutter vielleicht recht? War es nicht feige, wenn er sie jetzt vermied? Kam nicht einmal doch der Moment, wo er sie wiedersah? Er ging.

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