Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Enzio fühlte sich auf die Dauer nicht wohl in seiner Vaterstadt. Er ging mit dem Gedanken um, sie möglichst bald wieder zu verlassen. Alles ist hier gräßlich! dachte er, überall trifft man dieselben Menschen, ganz genau wie früher, überall 314 diese kleinen, engen Verhältnisse, und dann: Ich bin es nicht mehr gewöhnt, allein zu leben! – Es begann sich in ihm wieder zu regen, was Fräulein Battoni einmal die Stimme seines Bluts genannt hatte. Ich will meiner Freundin treu bleiben, sagte er zu Richard, aber ich weiß doch nicht, wie ich diese Trennung überstehn soll. Sag, Richard, wie lebst du denn? Du kommst mir fast so vor, als wenn du nur geistig wärest. – Richard lächelte.

Im Grund beneidete er Enzio um die größere Einfachheit seiner Naturanlage. Die Neigung zum andern Geschlecht war ihm durchaus nicht fremd, aber sie richtete sich durchweg auf Mädchen einer primitiveren Stufe, mit vollen Wangen, festen Gliedern und kernigen Augen, die von dem Geistigen der Welt nichts zu wissen schienen. Und wiederum solchen Mädchen sich zu nähern, davon hielten ihn zuviel Hemmungen zurück. Man mußte doch mit ihnen reden! Eine Kette von Schwierigkeiten ergab sich da, wenn er sich ausmalte, wie es wäre, wenn er zu einem solchen Mädchen in Beziehung trat, das nichts von seinen geistigen Interessen wußte, und auf deren eignen Ton einzugehen ihm von vornherein unmöglich dünkte. So kam er allmählich dahin, das menschliche Triebleben für etwas Lästiges zu halten, soweit es ihn selbst betraf, und es möglichst zu ersticken.

315 Es war unausbleiblich, daß diese Dinge doch einmal zur Sprache kamen, denn Enzio hatte eine Art, immer wieder zu bohren und im naiven Pochen auf seine Freundschaft stets neue Fragen zu stellen, daß ihm schließlich nicht mehr auszuweichen war.

Da müssen wir etwas finden! sagte er sogleich eifrig und von dem Wunsch beseelt, daß es seinem Freund möglichst gut gehn möge. Wie muß sie denn aussehn? – Ach, laß doch! antwortete Richard unwirsch und bereute, soviel gesagt zu haben. – Nein! rief Enzio, dies ist eine Sache von allerhöchster Wichtigkeit. Du bist nur faul, das kann ich nicht dulden. – So etwas muß sich ganz von selbst ergeben! – Von selbst ergibt sich nichts. Du hast nur keinen Mut. Ich werde dir helfen.

Richard ließ sich bereden, mit ihm Tanzbelustigungen, Volksfeste vor der Stadt zu besuchen. Er war erstaunt, wie gut Enzio den Ton dieser Menschen zu treffen wußte, während er selbst immer mit halb verlegenem Gesicht dabei saß und kaum den Mund auftat. Die Folge war, daß Enzio sehr bald eine nähere Freundschaft knüpfte. Eines Tages war sie da; er wußte nicht, wie das so schnell gekommen war. Nun erlosch der Eifer für seinen Freund, und Richard wäre in den alten Zustand zurückgesunken, hätten seine Wünsche nicht selbst inzwischen eine festere Richtung genommen, auf ein Mädchen, das er nicht draußen auf jenen Festen 316 sah, sondern drinnen in der Stadt. Enzios Beispiel, so sehr er es bewußt ablehnte, wirkte in ihm nach, und er schämte sich etwas wegen seiner Schwerfälligkeit.

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