Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Es war unausbleiblich, daß Bienle sehr bald die Veränderung in Enzios Leben merkte, obgleich er sich einbildete, sie könne von nichts eine Ahnung haben. Denn sie schwieg. Aber sie sah, wie sein Gesicht allmählich seine gesunde Farbe verlor, sie fühlte das Zerstreute, mühsam Verstellte seines 437 Wesens durch, es war in ihm eine verhaltene Unsicherheit, eine künstliche Frische, die sie von der natürlichen sehr wohl unterschied, und auch im Wesen war er anders zu ihr als sonst, so daß es sie verwirrte und mit unklarer Angst erfüllte. In dem Bedürfnis, sich nicht zu verraten, war er überzärtlich, die wenigen Stunden, wo er sie noch sah, die Art seiner Liebkosungen war eine andere geworden, es fehlte die Reinheit der früheren Tage.

Enzio! sagte sie einmal, du denkst, daß ich nicht merke, wie du anders geworden bist, aber ich merke es sehr wohl! – Spionierst du etwa? fragte er sogleich sehr hitzig. – Sie schwieg. Dann sagte sie traurig: ich spioniere nicht. Aber ich fühle es so deutlich, man braucht dich ja nur anzusehn! Wie hast du dich verändert in der letzten Zeit! – Bist du etwa eifersüchtig? – Wie soll ich eifersüchtig sein, wenn ich nicht weiß, mit wem du umgehst! Ich will es auch nicht wissen, denn ich wäre dann noch viel trauriger. – Bienle! sagte er zärtlich und nahm ihren Kopf zwischen seine Hände, mit einer Weichheit, die an das Glück vergangener Zeiten erinnerte: du weißt, dich habe ich immer am liebsten von allen Menschen! Aber ich bin nun einmal nicht so, daß ich nur einen Menschen lieben kann! Das Leben zerrt mich hin und her. Früher habe ich widerstanden; du weißt nicht, welche Kämpfe ich durchgemacht habe zwischen dir und 438 Irene. Aber ein Mensch wie ich ist nicht dazu geschaffen, zu entsagen. – Ihr liefen die Tränen über die Backen. – Ach, wenn es noch Irene wäre, sagte sie, aber ich fühle es deutlich, daß es schlechte Mädchen sind, mit denen du jetzt umgehst, ich schäme mich ja fast, wenn du mich küßt! – Enzio errötete. – Und dann: Du tust nichts mehr, du arbeitest nichts mehr. Du tatest wohl auch früher manchmal nichts, aber jetzt ist mir so, als wenn dir alles gleichgültig geworden wäre! Das darf doch nicht sein! Was soll denn einmal aus dir werden! – Sprich nicht davon! daran darf ich selbst nicht denken. Ich weiß, das alles sind nur Übergänge zu etwas Neuem. Ähnlich war es oft auch früher, und wie furchtbar habe ich dann gelitten! Jetzt fasse ich es leichter auf, Gott sei Dank, es quält mich manchmal noch genug; aber ich habe einen Ausweg gefunden: Nachts, beim Wein, kommen mir oft die herrlichsten Gedanken; ich fange jetzt an, nachts zu arbeiten. – Ihre Angst wurde immer größer. – Das ist doch schrecklich! rief sie, die Nacht ist zum Schlafen da, und der Tag ist für die Arbeit! – Das paßt für dich und für alle, die nicht Künstler sind. Für uns gibt es andere Gesetze. Übrigens arbeite ich auch des Nachts nur selten; ich sagte das bloß, um dich zu beruhigen. Ich kann jetzt sowieso fast nichts tun, aber ich sammele Kräfte zu neuer Arbeit. 439 Alles, was er sagte, kam ihr zerfahren und zusammenhanglos vor. – Laß dieses Leben! beschwor sie ihn, du wirst dich langsam dabei zugrunde richten!

Merkwürdig, dachte Enzio, wie sie gegangen war, sie scheint nicht einmal wirklich eifersüchtig zu sein! Ich habe doch manches durchblicken lassen, ganz gegen meinen Willen! Sie ist ein besonderes Mädchen. Eine andere hätte mir sicherlich die schlimmsten Szenen gemacht, und sie, was tut sie? Sie ist sanft und läßt mir meine Freiheit! Es wäre aber auch entsetzlich, wenn ich sie verloren hätte! Sie ist auch reifer geworden, mit der Zeit! Sie beherrscht sich, um mich nicht noch mehr auseinander zu bringen, als ich bin, oder vielmehr: als sie mich glaubt. – Er nahm sich vor, wenn er sie wiedersähe, so liebevoll zu ihr zu sein, als wenn er nur sie allein liebe.

Früher hatte er sich die Frage gestellt: Ist es möglich, daß man zwei Mädchen zu gleicher Zeit liebt? Jetzt hatte er das Experiment versucht, es schien geglückt. Freilich bedurfte es immer erst einiger Minuten, um sich von der einen an die andere zu gewöhnen.

Aber wenn ihn Bienle auch nicht mit Eifersucht plagte, so wurde ihm ihre Sorge doch in anderer Weise unbequem. Immer wieder redete sie ihm ins Gewissen, zu arbeiten, und dazwischen rief sie: 440 Deine arme Mutter! denk doch an deine Mutter! Mir tut mein Herz weh, wenn ich an deine Mutter denke! Dann überkamen ihn die trübsten Stimmungen, und er nahm sich vor, sein Leben zu ändern. Er arbeitete ein paar Tage, aber er brachte nichts vorwärts.

Geh heute abend nicht fort, Enzio, bleib zu Hause, leg dich frühzeitig zu Bett, damit du morgen früh frisch bist zur Arbeit. Versprichst du mir das? – Ja, ja, ja, ich verspreche es dir! –Nein, du tust es dann doch nicht! Laß mich bei dir bleiben, bis du schläfst. Ich störe dich nicht, ich setze mich still ins Nebenzimmer und lasse nur die Tür ein ganz klein wenig offen! – Schön, tue das.

Solche Gespräche wiederholten sich oft, mit verschiedenem Erfolg. Zuweilen legte sich Enzio wirklich nieder, und war nach einer halben Stunde schon entschlafen, andere Male stellte er sich schlafend und verließ das Haus, nachdem sie selber längst gegangen war, noch ein anderes Mal, als sie ihn schon im Schlummer glaubte, öffnete sich plötzlich die Tür, und wieder halb angezogen stand er auf der Schwelle. – Ich muß fort, murmelte er. Dann sah er sie mit gequälten Augen an: Du weißt ja doch warum, es hat keinen Sinn, es dir zu verbergen, besser ich sage alles brutal heraus so wie es ist, denn du bist stark, das weiß ich: Ich bin eifersüchtig! Wahnsinnig eifersüchtig! Es sind da 441 Menschen . . . ich weiß genau, wo ich sie jetzt noch finden werde, wenn ich gehe . . . mit diesen Spaniern zusammen . . . wenn ich sie auf der Straße mit ihm finde . . . ich weiß, es geschieht ein Unglück! Halt mich nicht, ich muß fort, ich muß!

Was Bienle früher gelitten hatte, war nichts gegen das, was sie jetzt durchmachte. Sie sah ihn an und sagte nichts, und vor diesem stummen Blicke rief er gequält: Es hat alles keinen Zweck! je mehr du mich von ihr fernhalten willst, um so mehr zieht es mich zu ihr hin. Laß mich gehn, ich flehe dich an: Laß mich gehn! – Nein, Enzio, du gehst nicht! – Haltlos ließ er sich von ihr bestimmen. – Ich bleibe bei dir! Laß mich diese Nacht bei dir bleiben, Enzio. – Das darfst du doch nicht! Wenn deine Eltern sehn, daß du nicht zu Hause warst . . . Das ist nur meine Sorge! Du weißt, ich tue nichts, was ich nicht verantworten kann! Diese Worte, die keinen wirklichen Sinn hatten, wirkten sofort beruhigend auf ihn. – Wenn sie es tun will – gut! dachte er, und kümmerte sich nicht um irgend etwas, das möglicherweise daraus entstehen könnte. Er war ihr dankbar, daß sie blieb; im Dunkel der Nacht schwand ihm die quälende, helle Wirklichkeit. Sie aber dachte: Bald, bald muß ich ihn verlassen. Oder trat noch ein Wunder ein, das ihn und sie rettete?

Es kam nicht; Enzio war rettungslos verstrickt 442 in eine Leidenschaft, die erst dann enden mußte, wenn sie von selbst endete.

Sah er Teresita nach solchen Nächten wieder, war er anfangs hart und kalt. Aber sie ging innerlich lachend auf diesen Ton ein und wußte: Es braucht nur fünf Minuten, und ich habe ihn so fest wie vorher, ja noch viel fester. – Oder, wenn er etwa sagte: ich kann nicht heute abend mit dir zusammen sein, ich muß einmal wieder arbeiten, – so antwortete sie: Arbeite nur, ich lasse mich schon durch jemand anders nach Hause bringen, hab keine Sorge, daß ich angefallen werde! Mit solchen kleinen Worten hielt sie ihn wie an einem unsichtbaren Faden. Dann ging er den ganzen Tag nicht nach Hause, nur, um ein Zusammentreffen mit Bienle zu vermeiden.

Kam sie jetzt zu ihm, so sah er sie fast mit erschreckten Augen an, beinah wie einen Feind, der ihn von seinem Glück fernhalten wolle. Sie fühlte das und empfand ein Weh dabei, daß sie kaum atmen konnte. – Ich sage ja alles nicht für mich, ich sage es doch nur für dich! Enzio – – reise ab von hier, geh heim, komm nie zurück – – dort wirst du vielleicht gesund, und vielleicht noch einmal glücklich! – Mit Irene, meinst du? Ich habe Irene vergessen! Was ist Irene? Ein schönes Mädchen ohne Leidenschaft! Ich glaubte einmal, sie zu lieben, und sie vielleicht auch mich, aber was 443 war das? Ein Kinderspiel, von zwei Menschen, die nicht zusammen gehören! Die aneinander genug hatten, wie sie ein paar Küsse wechselten! Sie hatte kein Feuer in den Adern!

Alles ist verloren, dachte Bienle, und bald muß ich gehn.

Ich schäme mich so vor dir, Bienle, sagte er ein andermal, mir ist als dürfte ich dich nicht mehr berühren, und doch sind wir zusammen so wie in früherer Zeit. Das ist es, was ich nicht begreife!

Da sah sie ihm mit einem langen Blicke in die Augen, so tief, als senke er sich bis in sein Herz. – Was siehst du mich so an? fragte er verwirrt, mit einem solchen Blick hast du mich noch niemals angesehn!

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