Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Pimpernell hatte die Idee gefaßt, Enzio zu heiraten. Sehr leicht würde es nicht sein, ihn dazu zu bringen, aber sie hatte Zeit; auf Umwegen mußte es gelingen. Vorläufig schlug sie die Wege ein, die ihr die vorerst zu begehenden schienen. Enzio merkte, daß etwas im Werk war, aber über das letzte Ziel ihrer Absichten war er doch im unklaren.

Schon am übernächsten Abend war sie wieder bei ihm. Dieses Mal war er allein. Er schien nicht sehr erfreut, zunächst, aber sie trug ein äußerst 400 kleidsames Kostümchen mit halblangen Ärmeln, und an den Ohren die Haarschnecken wie in ihrer Kindheit, was sehr hübsch zu ihrer stumpfen Nase stand. – Pimpernell, sagte Enzio erstaunt, du bist ja um zehn Jahre jünger geworden? Er konnte sich nicht enthalten, ihr einen Kuß zu geben. Dann setzte er sich animiert neben sie aufs Sofa und fragte: Möchtest du wieder einen Tee haben? Ich habe hübsche kleine Kuchen. – Wenn ich ganz offen sein soll, sehr gern. – Immer offen! rief er gut gelaunt, erhob sich und bereitete den Tee selber. – Welches Gehalt hat eigentlich dein Vater? fragte sie beiläufig, nachdem sie die Rede auf den Kapellmeister gebracht hatte. – Er nannte es. – Aber damit könnt ihr doch nicht so großartig leben, wie ihr tut. – Doch, sagte Enzio, den diese Indiskretion verdroß. Sie ließ das Thema sogleich fallen, und dachte: Also wird wohl ziemliches Vermögen da sein.

Nun, sagte er, als er sich wieder zu ihr setzte, erzähl mal! – Was soll ich denn erzählen? – Ich weiß nicht, irgend etwas Lustiges. – Mir ist wahrhaftig nicht lustig zu Sinn. – Ich denke, du bist so ausgefüllt von deinem Beruf? Und dann: der nette neue Direktor . . .! – Das war ja doch bloß so von mir hingesagt, oder vielmehr: du hast mich falsch verstanden. Er ist wirklich ein reizender Mensch, aber vorläufig interessiert er mich durchaus nicht. Enzio, würdest du mir wohl ein Glas frisches 401 Wasser holen? So sprach sie, und sah dabei zum Schreibtisch. Enzio erhob sich sogleich und ging zur Küche. Sowie er hinaus war, huschte sie zum Fenster, wo sie, als sie eintrat, einen Brief mit einer Mädchenhandschrift hatte liegen sehn. Zuerst die Unterschrift: Deine Irene. Nun rasch den kurzen Inhalt. – Den hatte sie sich anders gedacht. – Erst als er draußen war, fühlte Enzio mit Bewußtsein jenen Blick des Pimpernell zum Schreibtisch. Jetzt beeilte er sich, schlich auf Zehenspitzen zurück und öffnete dann schnell, aber ganz leise, die Tür. Pimpernell blickte vom Sofa auf. Danke, sagte sie und streckte die Hand aus.

Nun, sprach er, als sie wieder beieinandersaßen, wie hat dir denn meine Freundin gefallen? – Pimpernell hatte sich auf diese Frage schon sorgfältig vorbereitet: In ihrer Art vorzüglich! sagte sie und nickte wohlwollend und anerkennend. – Was heißt das: in ihrer Art? – Ich meine als das, was sie ist; als ein hübsches, harmloses, nettes Mädchen, an das man keine weiteren Ansprüche stellt, denn das tust du doch natürlich nicht. Ich verstehe es ganz gut, daß du dich einmal für eine Zeit mit ihr abgibst, sie hat eine ausnehmend hübsche Larve und scheint in ihrem Wesen wirklich reizend zu sein; ich möchte sie gern einmal wiedersehn, wenn es sich zufällig so macht. – Enzio sah sie halb von der Seite an: das nennt man Taktik; 402 dachte er. – Weißt du, fragte er, was sie über dich gesagt hat? Du hättest ein so harmonisches, wohltuendes Wesen. – Pimpernell lächelte: Einen solchen Blick hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Nun, dann haben wir ja gegenseitig von uns die beste Meinung. Aber glaubst du nicht, Enzio, daß sie eifersüchtig werden könnte, wenn wir uns öfter sehn? Die Mädchen aus solchen Ständen denken doch immer nur an das Eine und Einzige, und sind für alles andre blind. Die Tochter von einem Wagnermeister . . . – Woher weißt du denn, daß ihr Vater Wagnermeister ist? fragte er erstaunt. – Pimpernell machte eine leichte Kopfbewegung, dann schien sie nachzudenken: Das hast du mir doch selbst gesagt! – Ist mir nicht eingefallen! – Woher sollte ich es denn sonst wissen? – Du könntest vielleicht im Adreßbuch nachgeschlagen haben! schlug er vor, und traf damit das Richtige. – Ich? im Adreßbuch? sagte sie eifrig, – wenn ich noch nicht einmal ihren Familiennamen weiß?! – Den habe ich doch genannt, als ich euch vorstellte! – Pimpernell sah in die Luft. So? den habe ich dann wieder vergessen. Kurz und gut: Wenn ihr Vater Wagnermeister ist . . . oder nun irre ich mich wohl? Er ist wahrscheinlich etwas ganz anderes? – Enzio wurde irre. Hatte er ihr wirklich hierüber Auskunft gegeben? Oder tat jetzt Pimpernell absichtlich so unwissend und unsicher? Dann war sie 403 viel raffinierter, als er bisher angenommen hatte. – Nein, nein, du hast ganz recht, sagte er; aber nun sprich endlich aus, was du sagen willst. – Ich meine: Mädchen aus solchen Familien haben viel primitivere Vorstellungen als unsereiner, und ich möchte sie um Gottes willen nicht beunruhigen. Ich möchte nicht den Schein auf mich laden, als wolle ich störend zwischen euch treten. Du dachtest wahrscheinlich: ich sei in dich verliebt. Das ist durchaus nicht der Fall. Ich mag dich als einen Jugendkameraden gern, das ist alles. – So, sagte Enzio kühl. Aber im nächsten Moment verstand er diese Taktik wieder und dachte: Sie hat ganz recht, wie sie es macht, aber nun will ich sie beim Wort nehmen, denn es ist wirklich besser, wenn wir uns nicht so oft sehn; es quält sie nur, und Bienle scheint zu fürchten, daß ich mich in sie verlieben könnte; ausgesprochen hat sie es nicht, aber ich glaube doch, daß sie Ähnliches denkt. – Schön! sagte er, ich empfinde ganz so wie du. Du hast viel zu arbeiten, ich habe viel zu arbeiten, da ist es wohl das beste, wenn wir uns nur gelegentlich einmal sehn. – So sollst du es nicht auffassen, für einen Jugendfreund habe ich immer ein Stückchen meiner freien Zeit übrig. Ich werde dich niemals stören; du darfst mich immer fortschicken, wann du willst. Ich freue mich, daß du ein Mädchen gefunden hast, das dir so nahesteht, und wünschte, daß dieses 404 Verhältnis eine längere Dauer habe, als ich leider fürchten muß.

Als sie ihm Adieu sagte, hielt er sie am kleinen Finger fest: Trag doch dein Haar immer so! Wir haben heut so nett zusammen gesprochen, das kommt nur daher, daß du dein Haar so trägst wie früher. Er wollte sie noch hinabbegleiten, aber sie meinte: Bleib lieber oben, die Leute denken sonst vielleicht, daß du deiner Freundin untreu seist. – Und auf der Treppe sagte sie noch einmal: Ich muß mich eilen, denn ich habe eine Verabredung! – So, mit wem denn? – Du brauchst nicht alles zu wissen. – Eine enge Freundschaft? – Sollte sie sagen: ja? Das war nicht klug von ihr. Wenn sie nein sagte, so war das auch nicht klug. So sprach sie denn: Man weiß nie, wie solche Freundschaften sich entwickeln und muß alles der Zeit überlassen.

Ob sie wohl wirklich eine andere Freundschaft sucht oder schon eine gefunden hat? dachte Enzio, wie er allein war. Sie sieht doch reizend aus! Ein Gefühl, ähnlich der Eifersucht, regte sich in ihm, bei dem Gedanken, daß nun ein andrer das nehmen würde, was ihm selbst hätte gehören können. Ach was! dachte er darauf, das ist es ja: sie will mich eifersüchtig machen! Erweckt Hintergründe, die nicht da sind!

Das nächstemal brachte Pimpernell ein 405 Bändchen Novellen mit: Gib sie deiner Freundin, ihre gänzliche Unberührtheit ist zwar sehr hübsch, aber sicher werdet ihr beide Anregung davon haben! Vielleicht lest ihr sie zusammen. Ich könnte mir denken, daß ihr Momente habt, wo ihr nicht wißt, was ihr miteinander reden sollt. Enzio lächelte innerlich über diese neue Wendung und meinte: Wie klug du bist, Pimpernell! – Sie sah ihn mit halb unsicherm Blick, halb teilnahmvoll an, sprach aber nichts weiter über diese Sache.

Sie ist doch ein grundgutes Geschöpf! sagte Enzio zu Bienle: denk dir, sie sorgt sich, daß wir beide uns langweilen! Bienle hatte ein unbehagliches Gefühl, aber sie schwieg, da Enzio so gänzlich unbefangen schien.

Die Aufmerksamkeiten mehrten sich, sie gingen in direkte Geschenke über, und Pimpernell nannte Bienle, wenn sie von ihr sprach: »das kleine Pusselchen«. Sie hatte sie inzwischen mehrere Male wieder bei Enzio getroffen, und war von der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit gewesen. Sehr erstaunt war er, als sie ihm eines Tages mitteilte, sie habe Bienle in ihrer Wohnung besucht: Ein Stübchen hat sie, recht, recht bescheiden eingerichtet, aber doch ganz niedlich, alles in allem.

Wie oft hatte Enzio früher Bienle gefragt: Wie sieht deine Stube aus? und dann ihre Beschreibungen angehört, wie ein Außenstehender, der 406 niemals ein Heiligtum betreten durfte, das ihm ein für allemal verschlossen war. Jetzt kam dies Mädchen und tat mit selbstverständlicher Leichtigkeit, was er nicht konnte. Zudringlich erschien ihm Pimpernell. Sie dagegen glaubte alles recht gut gemacht und eine neue Ecke in seinem Herzen erobert zu haben. Sie wiederholte diesen Besuch sehr bald, und Bienle sagte zu Enzio: Ich wollte, sie käme lieber nicht zu mir! – Magst du sie denn nicht? – Bienle schwieg erst, dann schüttelte sie aber doch den Kopf: Ich hab halt immer das Gefühl, als wenn sie nicht aufrichtig sei, und doch ist sie so lieb und nett zu mir, daß ich mich dann vor mir selber schäme. – Schick sie doch fort, wenn sie wiederkommt! schlug er vor. – Das möcht ich auch am liebsten, aber ich trau mich nicht. – Oder laß ihr sagen, du wärest nicht daheim, sie kann doch nicht kontrollieren, ob das wahr ist.

Das tat Bienle wirklich. Aber sie hatte nicht mit Pimpernells Spürsinn gerechnet: Sie witterte die Wahrheit, und einmal, als sie wieder abgewiesen war, stellte sie sich lange draußen auf die Straße, so, daß sie selbst vor Blicken geschützt war, und spähte zu ihrem Fenster hinauf, bis sie konstatieren konnte, daß ihr Verdacht berechtigt war. Ach Gott, wie gräßlich! dachte sie, eilte nach Hause, hielt es aber da auch nicht aus, war kurz darauf bei Enzio, erfuhr, daß er ebenfalls nicht daheim 407 sei, überzeugte sich durch den Augenschein und dachte: Soll ich nun zurücklaufen und sehn, wie er sie abholt? Das wollte sie zuerst auch, bis ihr einfiel, daß sie wahrscheinlich doch zu spät anlangen würde.

Deutlich begann sie zu bemerken, wie beide sich von ihr zurückzogen, daß sie mit einem Worte »unerwünscht« sei, wie sie es vor sich selber ausdrückte. Sie begriff Enzio nicht; manchmal glaubte sie schon dicht vor dem vorläufigen Ziel ihrer Wünsche zu sein – und dann war es wieder, als mache Enzio sich nur über sie lustig. – Ich fühle es doch ganz deutlich, daß er mich eigentlich liebt!

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