Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Der Kapellmeister saß zu Haus auf seinem Sofa. – Ich muß mich von ihr trennen! murmelte er endlich; o Gott, wenn doch dieses nicht geschehen wäre! Es war ja gar nicht nötig, es hätte doch alles ruhig weiter fortgehen können wie bisher! Seine Gedanken gingen zu Enzio. Der erschien ihm auf einmal wie ein anderer Mensch, in einem ganz andern Licht, als er ihn bisher gesehen hatte. Enzio – mein Nebenbuhler, mein glücklicher Nebenbuhler, wenn sie nicht aus Dummheit geschwatzt hätte! Plötzlich erfaßte ihn eine große Wut und zugleich eine moralische Entrüstung: Fast die Geliebte meines Sohnes geworden – pfui Teufel! Sie hat mich oft betrogen, 188 aber dieses geht zu weit! Jetzt mach ich Schluß. Er erhob sich und schritt hinüber in das Zimmer seiner Frau.

Caecilie, sagte er mit Feierlichkeit, die Vergangenheit ist beendet, ich gehöre nur noch dir und Enzio! – Sie blickte ihn groß an und verstand ihn nicht. – Denk dir die Schlechtigkeit von dieser Frau! begann er, und dann erzählte er von Anfang bis zu Ende, was er wußte.

Caecilie erblaßte, wie sie Enzios Namen hörte und alles, was mit ihm verknüpft war, dann sagte sie: Ich werde mit ihm sprechen, es ist alles anders, als du sagst, oder als man dir gesagt hat, ich höre zweierlei aus deinen Worten, es muß anders sein, Enzio ist mein Kind und ich habe ihn – sie vollendete nicht, ihre Worte tranken an sich selbst, sie drückte ihre Hand ans Herz und schluchzte: Ach Enzio, Enzio!

Er ließ sie sich ausweinen, dann sagte er: Das ist nun alles nicht zu ändern und auch vorläufig nicht das nächste. Das nächste betrifft mich selbst und dich. Ich wiederhole dir: Nun ist die Vergangenheit tot! Alles lasse ich mir nicht gefallen! – Sie schien die Worte nicht zu hören. – Macht dir das denn keinen Eindruck, Caecilie? – Sie sah ihn halb abwesend, halb fragend an: Was meinst du? sagte sie. – Das, was dein Glück und mein Glück enthält! Die Vergangenheit, so sagte ich, ist tot! Hörst du 189 mich nicht, Caecilie? – Sie hob den Kopf, sah ihm in die Augen und fragte langsam: Was geht mich das an? – Er blickte ratlos und bestürzt auf sie. – Ich glaube doch, sagte er mit einem schüchternen Anlauf, daß dich das sehr viel angeht! – Sie schüttelte langsam den Kopf. – Nicht? Wieso nicht? – Da traf ihn ein langer Blicke – Laß alles wie es ist, sagte sie nach einem Schweigen. – Caecilie, ich verstehe dich nicht! – Und ich verstehe dich um so besser, besser, als du dich selbst. – Er begann zu ahnen, was sie meine, aber ganz begriff er es noch nicht. – Soll ich dir danken . . .? fragte sie. – Er erhob sich, trat auf ihren Sessel zu, setzte sich auf den breiten Rand und schlang den Arm um sie; sie ließ es geschehn. – Caecilie, was für eine kalte, schreckliche Sprache führst du! Ich komme dir entgegen, ich reiche dir die Hand – – – Begreifst du immer noch nicht, was ich meine? unterbrach sie ihn staunend. – Er sagte weder ja noch nein und wartete, daß sie weiterreden solle. – Laß uns ganz ruhig miteinander sprechen, sagte sie und faßte seine Hand, ließ sie aber gleich wieder frei: Sieh, was du jetzt tun willst, hat keinen Sinn! Ich habe jahrelang gelitten, und du ließest mich leiden. Bildest du dir jetzt ein, du brächtest mir ein Opfer? Was du tun willst, geschieht aus gekränktem Selbstgefühl, ich spiele dabei auch nicht einmal eine Nebenrolle; ich komme – wenn du 190 überhaupt in dieser Sache beiläufig an mich denkst – gut weg dabei, das ist alles. – Was für Worte, was für Worte! preßte er hervor. – Einfache Worte, die die Dinge bei ihrem rechten Namen nennen. In dir wallt ein ganz natürliches Gefühl empor. Es wird zurückgehe. Morgen bereust du, was du heute versprichst, denn alles steht auf schwachen Füßen. – Statt einer Antwort suchte er sie zu umschlingen, aber es fehlte seiner Bewegung die Aufrichtigkeit und das unmittelbare Gefühl. – Ich habe mich an unsern Zustand gewöhnt, fuhr sie fort, indem sie ihn leise abzuwehren suchte, und ich vermisse kaum mehr etwas dabei. Alles, was ich noch an Liebe habe, gehört meinem Sohn. Das ist langsam durch die Verhältnisse gekommen, und ich weiß zu genau: Wenn du jetzt eine Änderung herbeiführen willst in bezug auf dich und mich, so ist sie nicht von Dauer. Darum versprich nichts, beschließe nichts, mir wäre nur zumute wie einem Kranken, der einmal auf die andre Seite gelegt wird, bis sich sein Körper von neuem durchliegt. Es hat keinen Zweck, ich kenne dich zu genau, weshalb willst du dir die Mühe machen, jetzt noch deine Neigung zu wechseln, auf eine Dritte zu übertragen! – Du redest fast brutal, Caecilie, ich verstehe dich nicht: Du als Frau – – – Sie lächelte bitter: Einmal wird uns vorgeworfen, daß wir zu wenig männlich 191 denken, und das andere Mal, wenn wir klar sehn, und sprechen wie ein Mann, dann heißt es: Wir sind zu wenig weiblich.

Draußen klang die Tür und schloß sich wieder. Schnelle, gedämpfte Schritte gingen durch den Korridor. Das ist Enzio! dachten beide und warteten mit Anspannung aller Nerven, ob sich die Schritte nähern würden, ob die Tür im nächsten Augenblick sich öffnete.

Ich habe keine Ahnung, was Enzio tun wird! sagte der Kapellmeister; jedenfalls: Wenn er dich oder mich nach etwas fragt, so haben wir die heilige Pflicht, unserm Kind gegenüber alles abzuleugnen.

Nein, sagte sie, wenn Enzio mich frägt, so sage ich die volle Wahrheit! Nun ist es zu spät. Ich habe zuviel Respekt vor seiner erwachsenen Seele, um ihn jetzt noch zu belügen. Er ist in das Geheimnis gedrungen, das wohl nur ihm noch ein Geheimnis war, von heute ab muß alles klar sein zwischen ihm und seinen Eltern! – Aber Caecilie, ich bitte dich: Welchen Begriff wird er von seinem Vater bekommen? – Sie fühlte beinah Mitleid mit ihrem Mann, legte ihm die Hände auf den Arm und sagte: Lieber Heinrich, du hattest Jahre Zeit, darüber nachzudenken! Enzio soll und muß klar sehn, das bin ich ihm und mir schuldig – und fürchte nicht, daß ich dir das Herz deines Sohnes entfremden 192 will! Soweit es dir gehört, sollst du es auch behalten.

Er zog ihre beiden Hände an seine Lippen, nachdem er ihr noch ratlos ins Gesicht gesehn, dann ging er hinaus.

Erwartet sie nun eigentlich, daß ich dies Verhältnis abbreche, oder erwartet sie es nicht? dachte er. Und nach einer kurzen weitern Überlegung: Ich kann nicht anders, ich muß es tun!

Caecilie klopfte an Enzios Tür. – Wer ist da? fragte er. – Ich bin es, Enzio. – Ich arbeite. – Laß mich ein. – Ich kann nicht. – Sie zögerte einen Moment, dann wiederholte sie ihre Worte, mit einem Ton, daß er langsam, widerwillig auf die Tür zuging und öffnete.

Beide standen sich in der Dämmerung gegenüber. In ihm wühlte und arbeitete es, er suchte sich zu bezwingen, dann sank er ihr weinend in die Arme.

Ein langes Schweigen herrschte. Immer wieder streichelte und küßte er ihr Haar. Nun, fragte sie endlich, ruhig und gefaßt, was ist geschehn, Enzio? Und ihre Worte waren gar keine Frage, er begriff in seinem Schmerz, daß sie alles wisse und wunderte sich nicht darüber. Es war, als sei es selbstverständlich. Sie schwieg. Dann sagte sie: Ein jeder Mensch hat irgend etwas Schweres zu tragen in seinem Leben. Kein Mensch ist glücklich, dein Vater auch nicht. – Er sagte ein selbstvergessnes Wort, 193 sie drückte heftig seine Schulter und sprach: Vergiß nicht, Enzio, daß es dein Vater ist, von dem du redest, und daß ich dabei bin, seine Frau und deine Mutter. Wenn wir hierüber miteinander sprechen, so muß es ruhig geschehn, oder nicht. Komm, laß uns niedersitzen und gib mir deine Hand. – Dann sprach sie lange und langsam, und als sie endete, war die Dunkelheit hereingebrochen. Alle ihre Worte hatten nicht vermocht, ihm seinen Vater wieder nah zu rücken, ihn verstehen zu lassen, daß dieses eine traurige und unabwendbare Notwendigkeit gewesen sei. Er konnte das nicht fühlen und empfand nur immer deutlicher die Selbstentsagung seiner Mutter und ihren Wunsch zu schonen. Und es ging doch alles weiter, es war doch nicht beendet, es zog sich doch durch Gegenwart und Zukunft! Es schwebte ihr auf den Lippen, ihm zu sagen, daß sein Vater entschlossen sei, mit dieser Leidenschaft zu brechen, sie sprach den Satz bereits halb aus, aber sie stockte wieder, denn sie glaubte nicht daran. Enzio verstand sie und zog sie fester an sich, und in der engen, liebevollen Berührung schmolz ihr Gram und sie dachte: Muß ich nicht glücklich sein, daß ich ganz meinem Kind gehöre und daß es mir gehört? Jetzt sind wir noch enger verbunden als zuvor.

Enzio hatte sich die Augen getrocknet und starrte in das Dunkel. – Mir ist, als müßte ich nun immer 194 bei dir bleiben! sagte er – aber ich muß fort, ich kann hier nicht mehr leben! Ich will gleich fort, je eher ich gehe, desto besser ist es für uns alle. Ich will Papa nicht wiedersehn, ich kann morgen früh abreisen, heute abend meine Koffer packen, du mußt es verstehn, daß ich hier nicht bleiben kann. – Er redete wie in einem leisen Fieber. – Und dann schäme ich mich auch vor ihm, ich kann ihm nicht mehr unter die Augen treten. – Caecilie gingen seine Worte kalt zu Herzen. Aber sie bezwang sich und dachte: Besser, ich gehe jetzt auf alles scheinbar ein, er darf nicht fort, ich kann ihn jetzt nicht lassen, er sieht alles ungeheuerlich vergrößert, es mag eine Nacht vergehn, morgen wird er anders denken. – So sprach sie: Ob du bei uns bleibst oder ob du gehst, ist deine Sache, und niemand soll dich hindern. Aber jetzt bist du in einer Verfassung, wo es dir unmöglich ist, klar zu beschließen. Ich begreife, daß es dir schrecklich scheint, deinem Vater unter die Augen zu treten, aber es muß sein. Er weiß alles, und es ist notwendig, daß ihr darüber redet. – Er weiß alles? wiederholte Enzio und hob den Kopf im Dunkel. – Jetzt erst versuchte er seine Gedanken in die Wirklichkeit zu sammeln und mit dem Verstand über diese ganze Wirrnis hinzugehn. Aber sein Geist war müde und überreizt. – Wie ist das möglich? fragte er – – und du selbst: Es ist mir 195 jetzt unfaßlich, daß du zu mir hereinkamst und schon alles wußtest, was ich sagen wollte! Bist du hellseherisch? Seid ihr beide hellseherisch? – Seine Augen suchten groß durch das Dunkel ihre Augen zu erkennen, und die Stille des Abends klang in seinen Ohren. Er wartete wie auf ein Wunder. Sie erzählte ihm alles und er sank in ihren Arm zurück. Dann sprach er: Nun will ich dir auch sagen, wie es im Park gewesen ist. Dann redete er, langsam und traumhaft, nur jene Worte, die ihn alles hatten erraten lassen, wiederholte er nicht. Er brachte sie nicht über seine Lippen.

Draußen auf dem Vorplatz klangen Schritte. Er erhob sich leise, verriegelte die Tür und ging zu seiner Mutter zurück. – Enzio, bist du da? fragte die Stimme des Kapellmeisters. – Er antwortete nicht. Sein Vater suchte die Tür zu öffnen. – Caecilie, bist du mit ihm darinnen? – Dann hörten sie, wie sich sein Schritt wieder entfernte.

Lange saßen sie, ohne ein Wort zu sprechen, bis Enzio leise sagte: Erzähle mir noch etwas Schönes, aus meiner Kindheit. Sie dachte nach, dann sprach sie von seinen frühesten Jahren, er schmiegte sich eng an sie und hörte zu, sie ging in eine noch fernere Zeit zurück, in jene Zeit, wo er noch nicht geboren war, wo sie ihn erwartete, er hielt ihre Hand gefaßt und küßte sie zuweilen leise, dann klang ihm ihre Stimme immer ferner. 196 Ich glaube, sagte er endlich, ich bin todmüde, wir müssen schlafen. Aber beide rührten sich nicht. Die Gedanken begannen in ihm durcheinander zu rinnen, dann fühlte er, wie seine Mutter sich leise erhob. Ich bin zu müde, um mich noch zu entkleiden, sagte er, ich lege mich nieder, so wie ich bin. – Nein, Enzio, komm, ich helfe dir. – Wie sie zu tun pflegte, als er ein kleines Kind war, nahm sie ihm seine Kleidung Stück für Stück vom Leib, bis er in der Finsternis groß und nackend vor ihr stand, darauf half sie ihm sein Nachtgewand anlegen, ließ ihn in sein Bett steigen, und dann lag ihr Gesicht auf seiner Brust, bis er entschlummert war.

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