Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Die Produktionskraft des Kapellmeisters wuchs jetzt. Er nahm eine neue Oper in Angriff, und, da der kleine Tanz in seinem letzten Werk stets wieder durch ganz besonderen Beifall ausgezeichnet wurde, beschloß er, in dem neuen Werke mehrere solcher Tänze anzubringen. – Ich steige damit absolut nicht herab! sagte er zu Caecilie, die größten Meister haben den Tanz gepflegt, alle miteinander. Nur durch die Verrottung der heutigen Musik ist dies Vorurteil in die Welt gekommen! An sich ist der Tanz etwas Edles, Schönes, auch die alten Griechen haben Tanzmusik geschrieben, von der uns leider Gottes nur kein Atom erhalten ist! – Daneben komponierte er kleinere Sachen, und eines Tages wurde jenes Manuskript, das er einst versiegelt und mit dem Vermerk versehen hatte: nach meinem Tode uneröffnet zu verbrennen – aufgebrochen, durchgesehen, für viel besser erkannt, als es ihm damals geschienen hatte, neu bearbeitet und herausgegeben. Enzio machte sich heimlich darüber lustig. Aber er hatte eine Art, den Mund zu verziehn, die ihn in solchen Fällen 131 fast stets verriet. Dem Kapellmeister schwollen die Adern, wie wenn ein Zornesausbruch folgen würde, dann aber sagte er nur mit seiner gewöhnlichen, phlegmatisch-schmachtenden Stimme: Mein lieber Sohn, wenn du dich verstellen möchtest, so mach es etwas geschickter, im übrigen bist du wirklich noch nicht reif genug, um dir ein künstlerisches Urteil zu erlauben über das, was ich zu tun für gut befinde. Kümmere dich um deine eigenen Arbeiten, die es wahrhaftig nötiger haben! In der Fuge, die du heut abgeliefert hast, waren einige recht bedenkliche Stellen, wie du wohl selber weißt. Ich meine, was du bis jetzt geschaffen hast, ist doch wohl Stümperarbeit gegen das Schlechteste von mir!

Enzio ging ziemlich kleinlaut hinaus, warf sich auf das Sofa und grübelte. Eigentlich hatte sein Vater recht mit dem, was er sagte! Er wußte zwar nicht, daß da eine Menge Sachen waren, die er für sich arbeitete, aber was wollten auch diese im Grunde besagen? Keine war wirklich durchgeführt, zu einem Abschluß gebracht. – In solcher Stimmung nahm er sie wieder vor, las sie halb widerwillig und steckte manches in den Ofen. Zuweilen schwankte er auch und rettete – ähnlich wie sein Vater früher – so ein halbes Werk im letzten Momente noch vor dem Untergang. Was würde wohl einmal aus ihm werden?

132 Manchmal kam ihm am Schluß all seiner Überlegungen der Gedanke: Was werde ich heute, genau heute über zehn Jahre denken? Dann war ihm die Gegenwart mit all ihren Fragen so lebendig, daß er meinte, in zehn Jahren müsse er sich noch genau jedes kleinsten Umstand es erinnern, ja alles gar nicht Dazugehörige, zufällig von außen Hineinklingende werde ihm noch lebhaft vor dem Gedächtnis stehn. Gegenwart und ferne Zukunft erschienen ihm dann mystisch verknüpft zu einem Neuen.

In solcher Stimmung setzte er sich einmal an den Tisch, holte ein Blatt Papier und schrieb folgendes auf:

Gespräch mit meinem Vater, jetzt allein in meinem Zimmer, Ouvertüre in B-Moll verbrannt. Es regnet. Zwei Spatzen zanken sich vor meinem Fenster. Mir fällt Irenes Perlenkette ein, ich weiß nicht warum. Was wird genau heute in zehn Jahren sein, genau um dieselbe Zeit?

Dann schrieb er Stadt und Datum darunter, sah nach der Uhr und notierte Stunde, Minute und Sekunde. Darunter schrieb er: Antwort: Darauf versiegelte er das Papier und tat es zu unterst in seinen Schreibtisch. – Sonderbar und feierlich war ihm dabei zumute. Halb träumerisch ging er auf sein Klavier zu und begann zu phantasieren, was ihm sein Vater verboten hatte, obgleich er 133 es selber tat. Er pflegte zu sagen, das Phantasieren sei der größte Verderb für musikalische Disziplin, Geist und Finger spielten dabei mindestens die gleiche Rolle, die Finger meistens die größere; Musik, die wirklich Wert hätte, müsse erst stumm gehört und stumm gespielt sein; das Klavier sei das letzte Stadium.

Aus seinem Phantasieren ward endlich eine geregelte Musik, langsam ging es über in eine Komposition der letzten Tage, die nur seine Mutter kannte.

Es folgte eine sonderbare Rhapsodie, ein Haufen scheinbar abgerissener Bruchstücke, zuweilen tauchten Trümmer einer Melodie auf, die man kaum Melodie nennen konnte, die sich in ganzen Tönen aufwärtszog und hinauszuwollen schien aus dem Rahmen, der sie notdürftig zusammenhielt. Immer wiederholte sich diese Kette, ihre Glieder schoben sich enger zusammen, bis sie in einem gewaltsamen Oktavengang herausführte in eine kühle, klare Welt groß gefügter Akkorde. Aber dies blieb nicht lange. Es war, als habe sich sein Geist geirrt, als sei dieses noch zu früh gewesen, als müsse bis zur letzten Befreiung ein größerer, beschwerlicherer Weg gegangen werden. Wieder kehrte es zu dem ersten, dissonierenden Thema zurück, und jetzt fügte sich ein Satz ein, grüblerisch zerrend und notwendig, und langsam vorbereitend für den Schluß.

134 Seine Wangen waren stark gerötet, wie er endete, in seinem Blick lag etwas Glühendes. Unsinn! murmelte er, mögen sie sagen was sie wollen, ich weiß auch was ich will! Es interessiert mich nicht einmal mehr zu wissen, was in zehn Jahren sein wird, denn ich weiß ja doch schon, was es ist – nur, daß es hoffentlich viel früher kommt! Er ging aufgeregt im Zimmer auf und ab, die Musik, die er gespielt, klang und wühlte in ihm nach.

Ein Gefühl von Glück stieg in ihm empor, langsam und schwellend; aber es fehlte etwas, das dieses Glück vollkommen machen mußte. Und auf einmal wußte er es: Ein Mensch, den er an seiner Freude teilnehmen ließ, der sein Glück mitgenoß. Ein Moment zuckte der Gedanke an Irene durch seinen Kopf; dann verwarf er ihn: Irenes Freude war eine sanfte, maßvolle, er mußte jemand haben, der den Rausch mit ihm teilte. Aber er hatte niemand.

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