Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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277 Er erzählte ihr jetzt auch von zu Hause, von seiner Kindheit, von seinen früheren Freundschaften, von Pimpernell, von Richard, von Irene; vor allem aber von seiner Mutter. – Hast du kein Bild von ihr? fragte sie eines Tages. Er dachte nach, dann holte er eine Photographie, sie legte ihre Wange an die seine und betrachtete sie mit ihm. Nun, was sagst du? Magst du sie? Warum sagst du nichts? – Aber was soll ich denn sagen? – Ob du sie gerne magst. – Aber es ist doch deine Mutter! Sie vertiefte sich wieder in das Anschaun, und plötzlich lachte sie ganz leise. – Er wollte sofort wissen warum. Sie machte eine lebendige Bewegung: Ich dachte eben, gleich tut sie den Mund auf und sagt: Bienle, halt dich grade! – Enzio war über dies überraschende Wort entzückt, über die Wärme und Zutraulichkeit, die darin lag, daß sie seine Mutter sie selbst mit du und mit Bienle anreden ließ, und dann über den Ausspruch an sich, den er so oft persönlich von seiner Mutter hatte hören müssen. – Was sagt sie noch? fragte er animiert. – Nichts! das ist doch genug auf einmal.

In diesem Augenblick läutete es draußen, es klopfte an seine Tür, er fragte, wer da wäre, eine bekannte Stimme sagte: Ich – und dann stand Caecilie leibhaftig auf der Schwelle.

Enzio blieb einen Moment bewegungslos, dann 278 stürzte er ihr mit ausgebreiteten Armen um den Hals. Sie hob sein Gesicht zu sich empor, sah ihm in die Augen, dann blickte sie halb befangen zu Bienle hinüber und suchte in diesem einen Blick Antwort auf alles, was ihr Herz aus der Ferne gefragt hatte. Bienle hatte sich erhoben, eine zarte Röte lag auf ihrem Gesicht; jetzt, als Caecilie auf sie zutrat und ihr den Arm entgegenstreckte, sah sie ihr mit halb geöffneten Lippen schüchtern und doch wieder zuversichtlich-grade in die Augen. Enzio trat dazu, ihm klopften alle Pulse, am liebsten hätte er gewollt, daß seine Mutter sie sogleich in die Arme geschlossen hätte. Das Bienle sah in diesem Moment so hinreißend lieblich, so blumenhaft vollendet aus, wie er sie noch nie gesehen zu haben glaubte. Caecilie schien etwas Ähnliches zu empfinden; sie sagte stockend: Ich bin so froh, daß ich Sie sehe – – und hielt noch immer ihre Hand, und dann strich sie mit der andern leise über sie hin. Bienle senkte etwas die Augen, dann blickte sie nach Enzio, ganz unwillkürlich und wie nach Hilfe suchend. – Ich muß jetzt fort, Enzio, sagte sie mit unsicherer Stimme. – Aber nein! rief er und ergriff nun seinerseits ihre Hand, du hast doch nichts besondres vor, nicht wahr? – Sie schüttelte den Kopf und legte dabei ihre Linke auf seinen Ellenbogen, in unbefangener Selbstverständlichkeit. – Dann bleib doch noch! – Sie sah ihm halb 279 ratlos in die Augen, und dann auf Caecilie, blickte aber gleich wieder fort von ihr. Caecilie hatte den beiden zugesehn, und es war in ihr ein sonderbares, stilles Gefühl, das in der Wirklichkeit bestätigt zu sehn, was sie bis jetzt nur aus der Ferne wußte. – Sag du doch, daß sie bleiben soll! sagte Enzio. Caecilie sah wie aus einem Traum erwachend auf ihn hin, dann tat sie, was er wollte.

Sie saßen nun am Tisch zusammen und Enzio bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber Bienle sagte nur ganz kurze Sätze und schwieg immer gleich wieder. Wenn er zu ihr sprach, sah sie ihn an, als wolle sie sagen: Ich kann doch jetzt gar nicht wirklich antworten. – Vorher warst du so lustig, Bienle; – denke dir – wandte er sich an Caecilie – fast in dem Moment, wo du draußen läutetest, sahn wir dein Bild an; und da sagte sie . . . Nein, Enzio, rief Bienle lebhaft, das sagst du nicht! Ihr Ton war auf einmal so frisch, als wenn sie ganz allein wären. Dann sah sie Caecilie halb erschrocken an und sank wieder auf den Stuhl zurück. – Weshalb denn nicht? – Weil es so dumm war. – Gar nicht dumm! Sehr nett war es! Sie sagte nämlich – – – Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihm den Mund verschließen, hörte aber mitten in ihr auf und hielt sich selber beide Ohren zu. Sie blickte Enzio auf die Lippen, der seine kleine Geschichte nun wirklich 280 erzählte, und dann sah sie, wie Caecilie sie freundlich anblickte und irgend etwas zu ihr sagte. Aber unbefangen hielt sie sich die Ohren weiter zu, noch eine lange Zeit, bis Enzio endlich dicht an ihrem Kopfe schrie: Wir reden ja schon längst von etwas anderm! – Da tat sie die Hände wieder herab, hörte zu, wie Caecilie von zu Hause sprach, und als sich eine Gelegenheit bot, sagte sie zu Enzio, sie müsse nun wirklich und wahrhaftig nach Hause. Er hielt sie nicht mehr. Nachdem seine Mutter sie nun eine Weile gesehn hatte, war die große Spannung in ihm vorüber, er wünschte jetzt mit ihr allein zu sein, um sich ihr gegenüber auszusprechen.

Ich bleibe nur kurz, sagte Caecilie, aber ich hoffe, wir sehn uns noch einmal wieder, ehe ich abreise! und drückte ihre Hand, die bewegungslos in der ihren lag.

Enzio begleitete sie hinaus. Nun, fragte er sogleich, hast du meine Mutter gern? Sie konnte ihre Befangenheit auch jetzt, wo sie ihm allein gegenüberstand, nicht sofort verwinden. – Du mußt sie gern haben! Ich habe bemerkt, daß sie dich auch gern hat! Er küßte sie, als sei er viele Stunden von ihr getrennt gewesen, und blieb so lange auf der Treppe stehn, bis er sie unten durch den Hausflur hinausgehen sah.

Wie er zurückkam, stand seine Mutter am Fenster; 281 als sie sich herumwandte, fragte er bestürzt: Was hast du denn? – Sie hatte grade gedacht: Das wird für sie einmal ein schwerer Abschied werden! Und fast hätte sie es gesagt. Aber sie bezwang sich. Sie führte ihn zum Sofa zurück, dann legte er den Kopf in ihren Schoß, wie in seiner Kinderzeit. – Hast du sie dir so gedacht? fragte er nach einer Weile. – Nein, ich habe sie mir nicht so gedacht, trotz aller deiner Briefe. Er umschlang sie zärtlich: Warum bist du dann so traurig? – Ich bin nicht traurig, sagte sie nach einer Pause; daß mich dies Wiedersehn nach allem, was dazwischen liegt und was ich jetzt mit eignen Augen sah, erschüttert hat. ist doch begreiflich. – O, rief er, ich bin so glücklich, so glücklich! – Du hast auch Grund dazu, sagte sie mit einer leisen Schwermut in der Stimme. – Aber was siehst du dann so bekümmert aus? – Sie kämpfte mit sich, aber es war stärker als sie: Weil mir dieses Mädchen so unendlich leid tut! Denn einmal kommt ja doch ein Ende, muß ein Ende kommen! – Enzio richtete sich schnell empor und sah ihr erschreckt in die Augen: Bist du etwa hergereist, um mich von ihr zu trennen? – Sie schüttelte den Kopf, und er sank wieder in ihren Schoß zurück: Dann verstehe ich nicht, was du meinst. – Nach dem, was du mir schriebst, Enzio, und nach dem Eindruck, den ich selbst von ihr bekommen habe, weiß ich, daß ihre Neigung zu dir 282 eine ganz tiefe Leidenschaft ist. – Ja, glaubst du, bei mir wäre es anders? – Nein, Enzio, das glaube ich nicht. Aber deine Leidenschaften, fürchte ich, sind nicht von Dauer. Er widersprach auf das heftigste und rief: Fang doch nicht schon wieder an, zu sagen, ich sei oberflächlich oder nicht tief in meinem Gefühl! Du hast mich früher genug damit gequält! Grade das macht mich ja jetzt so unendlich glücklich, daß ich fühle: Dieses ist nicht so wie meine früheren Verliebtheiten, einmal in die, einmal in jene, sondern ganz, ganz anders! Ich sehe hier auch viele andre Mädchen, aber zu keiner kann ich so fühlen wie zu Bienle! Niemals habe ich mehr die gräßliche Empfindung wie früher: Welche liebe ich nun eigentlich? – Du schriebst mir, sagte Caecilie, du wollest sie einmal heiraten. – Das will ich auch und werde ich auch! – Ob es geschehen wird oder nicht, wird auf jeden Fall nur von dir allein abhängen, für dich bildet diese Frage jetzt kein Gewicht in deiner Seele. Aber für sie ist es der Inhalt ihrer Zukunft. – O, da kennst du sie schlecht! Sie selber hat gesagt, daß sie mich niemals heiraten würde! Und er erzählte alles, was Bienle über diesen Punkt zu ihm gesprochen hatte. Caecilie war erstaunt: Für so reif hätte ich ihr Denken nicht gehalten! Aber – fuhr sie fort – wenn du trotzdem nach Jahren sie heiraten wolltest – glaubst du, sie würde 283 dich dann ausschlagen? – Gott bewahre! – Nun siehst du wohl, alles, was sie dir gesagt hat, geschah nur für dich. Und wenn sie jetzt so spricht, als verzichte sie auf dich, so mußt du dir doch sagen, daß sie das gegen ihre Sehnsucht spricht. – Aber ich will sie doch auch heiraten! Ich weiß gar nicht, wo du hinauswillst! – Ich fürchte eben für dich sowohl wie für deine Freundin. Und ich meine – – daß du diese Leidenschaft nicht zu stark werden lassen solltest! So sprach sie mit Überwindung, gegen ihren eignen Instinkt. – Aber du widersprichst dir ja fortwährend! Erst sagst du, du fürchtest, meine Leidenschaft sei nicht von Dauer, und nun sagst du, ich soll sie nicht zu stark werden lassen. Wie soll ich denn das machen? Das kann man doch nicht! – O ja, das kann man! sagte sie langsam, und wie zu sich selbst. Aber dazu bist du zu jung, und wenn man erst einmal so weit ist wie ihr, so ist es nicht mehr möglich, das sehe ich selbst ein. – Natürlich! Denn dann müßte ich entsagen, und das kannst du doch nicht wollen, daß ich das tue! Und es hätte außerdem keinen Sinn, denn dann würde es mir mit einer andern wieder ganz genau so gehn! – Echt Enzio! dachte sie. – Und ich kann doch, fuhr er fort, mit der Liebe nicht so lange warten, bis ich zugleich auch heiraten kann! Das wäre Wahnsinn und hieße Adern unterbinden, durch die das Blut 284 hindurchwill. – Sie widersprach nicht mehr; sie fühlte, daß sich dies Gespräch in Widersprüchen und wie in einem Kreislauf bewegte, und plötzlich, in einem ganz freien Impuls, sagte sie: Was hat es für einen Zweck, über dies alles zu reden! Das Leben ist so kurz, und wenn es hinterher Schmerz bringt, so wäre es töricht, nicht das Herrliche zu umarmen, das es einem vorher in die Arme wirft. Sei glücklich, Enzio, dies ist vielleicht einmal die schönste Erinnerung deines Lebens, auch wenn du später einmal jemand anders geheiratet hast. Ihr seid beide jung, und das Leben hat euch zueinander geführt! – Sie sprach fast leidenschaftlich, und über ihn hinweg sah sie über ihr eignes Leben hin.

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