Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Es machte Enzio große Freude, abends bei den Aufführungen des Theaters unter den Statisten aufzutreten; man stellte ihn in die erste Reihe wegen seiner vollendet gewachsenen Gestalt und seines schönen Gesichtes willen. Caecilie war dies nicht recht, aber der Kapellmeister sagte: Er muß das Bühnenmetier frühzeitig kennen lernen. Die Choristinnen scherzten und kokettierten mit ihm, und er sah sich in einem Leben um, das ihn bald sehr stark anzog. Unverhüllte Reden wurden geführt, deren Inhalt er staunend verstand. – Suchst du dir keinen Schatz unter uns? fragten ihn die Mädchen, maßen ihn vom Kopf bis zu den Füßen, kicherten, tuschelten untereinander, flüsterten sich in die Ohren, und Enzio wandte sich 102 verstimmt von ihnen ab, suchte sie aber doch immer wieder auf und horchte auf alles, was geredet wurde. Wenn er dann allein zu Hause war, erhitzte er sich an Bildern, die vor seiner Seele aufstiegen. War er wirklich zu jung, um ein Leben zu führen, wie es die andern führten? Eine Menge von Mädchen gab es da, die einen starken Eindruck auf ihn hinterließen, sie alle wurden in Gedanken seine Geliebten. Auch Fräulein Battoni selbst beschäftigte ihn. Sie hatte eine Art ihn anzusehen, daß es ihm niederrieselte bis in die Fußspitzen, traten dann andre dazu, so änderte sie sogleich Worte, Ton und Blick, und ihr Wesen bekam dann etwas beinah Würdevoll-Mütterliches, was ihr nicht zu Gesicht stand. »Mein Kavalier« nannte sie ihn stets, und er benahm sich danach. Auch hierüber wurde wieder gelacht und heimlich halb unterdrückte Bemerkungen kamen an sein Ohr, ohne daß er den Wortlaut verstand.

Zu Hause sprach Enzio viel von diesen Abenden, der Kapellmeister neckte ihn mit diesem und jenem Mädchen, und Caecilie sah dem Treiben mit immer größerer Unruhe zu. – Geh nicht mehr hin! sagte sie zu ihm, das Leben dort paßt nicht für deine jungen Jahre; aber er widersprach, und sein letzter Trumpf war stets: Papa hat es mir erlaubt, und wenn der's erlaubt, kannst du doch auch nichts Böses darin finden! – Sag du ihm, sprach sie zu 103 ihrem Mann, daß du es nicht willst! Er verschanzt sich hinter dich! Und diese Schwärmerei für die Battoni ist mir beinah widerwärtig. Das soll er doch hysterischen alten Jungfern überlassen, denen steht es besser zu Gesicht! – Hysterischen alten Jungfern? fragte er erstaunt, Caecilie! Ich bitte dich, rede etwas anders über diese Frau! Wenn junge Leute für sie schwärmen, so kann das nur veredelnd wirken! Ich bin stolz, daß sie ihn so gern hat, da er mein Sohn ist! Sie behandelt ihn voll Zartheit und fast wie eine mütterliche Freundin! Sie ist eine vornehme, edle Frau, das darfst du nie vergessen!

Du hast einen wundervollen Blick für Toiletten! sagte Fräulein Battoni eines Tages zu Enzio. Ich habe mir mein letztes Kleid am Halsausschnitt wirklich so ändern lassen, wie du es vorschlugst. – Wieviele haben Sie eigentlich? fragte er. – Das waren so viele, daß sie es gar nicht wußte. – Ich möchte einmal alle Ihre Kleider sehn! – Was der Junge für originelle Wünsche hat! Besuche mich, dann werde ich sie dir zeigen!

An einem der nächsten Tage las Caecilie eine Postkarte, mit blauer Tinte geschrieben: Mein Engel, komme nicht am Donnerstag, komm Sonnabend um drei zu mir, am Donnerstag bin ich verhindert. –

Was soll das heißen? fragte sie. Enzio erzählte 104 alles der Wahrheit gemäß. Sie hörte zu und sagte: Du gehst nicht.

Am nächsten Morgen machte sie Fräulein Battoni einen Besuch. Sie ward von ihrer Zofe in einen Raum geführt, in dem es außerordentlich stark nach einem süßen Parfum roch, vermischt mit dem herben Duft des Lorbeers, der in großen Kränzen an den Wänden hing. Dort mußte sie ziemlich lange warten. Zwischen den Kränzen und in ihnen selbst hingen Vergrößerungen nach Photographien, die Fräulein Battoni in irgendeiner Rolle darstellten, in sterbenden, lächelnden, beglückenden Posen. Eine Welt, die ihr ganz fremd war, umgab sie hier. Sie wollte sich auf einen Stuhl niedersetzen, erhob sich aber schnell wieder, als der im selben Moment eine Musik von sich zu geben anfing, worauf jemand aus einer Ecke schrie: Hurra, die Diva, hurra, die Diva! Sie erschrak erst, schüttelte dann den Kopf, als sie einen Kakadu entdeckte, und dachte: Hier ist ja der reine Zirkus!

Die Tür öffnete sich lebhaft, Fräulein Battoni trat ein, brachte einen neuen Duft mit, fragte mit freimütig gradem Blick: Was verschafft mir die große Ehre zu so früher Stunde? und führte sie zu einem Sessel. – Zunächst, sagte Caecilie, wollte ich Ihnen danken für das freundliche Interesse, das Sie an meinem Sohn nehmen, und dann Ihnen sagen, daß er Sie nicht besuchen kann. – Ah, ist 105 er krank, der Enzio? – Caecilie schüttelte den Kopf: Bitte, fassen Sie meine Worte nicht unfreundlich auf und lassen Sie mich vertrauensvoll als Frau zu Frau zu Ihnen reden, dann, glaube ich, werden Sie mich ohne weiteres verstehen. – Sie begann davon zu sprechen, daß Enzio durch das Theater abgelenkt werde von seinen Schularbeiten, daß er außer für sie auch noch viel Frische übrigbehalten müsse für die Musikstunden bei seinem Vater, und daß die nahe Berührung mit den Verhältnissen des Bühnenlebens seinen Jahren nicht entsprechend sei. – Jetzt will er Sie auch noch besuchen, um sich Ihre Toiletten anzusehn – ich finde es sehr reizend und wirklich gutmütig von Ihnen, daß Sie ihm diesen Wunsch nicht ohne weiteres abgeschlagen haben, aber, glauben Sie mir, Enzio denkt dann, er darf immer wieder kommen; Sie kennen sein naives Herz nicht so wie ich; er würde Ihnen nur Ungelegenheiten machen, und deshalb möchte ich Sie bitten: Sagen Sie ihm, daß er sich für andre Dinge interessieren soll als für Damentoiletten! Nicht wahr, Sie verstehen mich? – Nicht ganz. sprach Fräulein Battoni langsam, zog die Augenbrauen hoch und heftete einen elegischen Blick auf Caecilie. Bitte, reden Sie nur weiter. – Sie scheinen mich mißzuverstehen, sagte Caecilie ein wenig unsicher, ich weiß zwar nicht, wie – – Liebe, gnädige Frau, Sie wissen es genau so gut 106 wie ich! Seien Sie doch offen! Sie sagten vorhin, Sie wollten als Frau zu Frau zu mir reden, und jetzt tun Sie, als spielten Sie mit mir Verstecken! Ich weiß, was Sie verschweigen, und ich stehe nicht an, es meinerseits ruhig auszusprechen, denn ich begreife Ihre mütterliche Sorge, wenn sie auch nicht am Platze war: Sie denken, die Damen vom Theater sind abenteuerliche Leute, Ihr Enzio ist ein wunderschöner, junger Mensch, Sie fürchten, der Verkehr mit mir würde ihm nicht gut tun, ja, im Hintergrund steht als letztes der Gedanke: Vielleicht verliebt sie sich in den Jungen, und Gott weiß, was daraus entstehen kann. – Caecilie widersprach. Diese Formulierung ihrer eignen Befürchtungen erschien ihr verletzend gegen Fräulein Battoni, und um so mehr verletzend, wenn sie sich der Worte ihres Mannes erinnerte: Sie ist eine vornehme, edle Frau, das darfst du nie vergessen. So sagte sie denn jetzt: Es kränkt mich in Ihre Seele hinein, daß Sie mir derartige Vermutungen in den Sinn legen! Ich denke nie etwas Schlechtes von den Menschen, aber Befürchtungen, wie Sie sie mir unterschieben, würden mir Ihnen gegenüber am allerwenigsten für meinen Sohn kommen, dazu weiß ich zuviel von Ihnen! – Fräulein Battoni sah sie mit einem verständnisvollen langen Blick an, dann streckte sie ihr die Hand entgegen und antwortete: Ich danke Ihnen! Ich konnte es auch nicht im Ernst glauben; 107 Sie sagten, Sie wüßten zuviel von mir, um mir etwas Derartiges grade Enzio gegenüber zuzutrauen. Lassen Sie mich, da die Schranken der Konvention einmal zwischen uns gefallen sind, Ihnen danken für dieses Wort und zugleich auch für Ihren Edelmut mir selbst gegenüber, den ich im stillen immer bewundert habe! Nicht jede Frau ist fähig, ihren Mann mit einer andern zu teilen! Aber Sie, Sie sind eine gradezu großmütige Dame; – – was ist Ihnen denn? Was haben Sie denn?

Caecilie war bei den letzten Sätzen heftig zusammengezuckt, jetzt lehnte sie ihren Kopf weit zurück. – Fräulein Battoni erhob sich erschreckt: Was ist Ihnen denn, liebe gnädige Frau? Hätte ich das nicht aussprechen sollen? Verzeihen Sie mir, es geschah in der allerbesten Absicht! – Sie suchte ihr den Kopf zu stützen, Caecilie wehrte heftig ab. – Aber was ist denn nur, was haben Sie denn? Mit einemmal durchschoß sie der Gedanke: Sie hat bis jetzt von nichts gewußt. – Aber meine liebe, allerbeste gnädige Frau, dies ist mir ja unendlich peinlich! Kann ich nicht irgend etwas tun für Sie? – Sie überlegte, wie sie ihr helfen könne. Ein Glas Zuckerwasser! dachte sie. Dies war bei allen Aufregungen ihr erster Gedanke. Sie ging zur Wand und klingelte. Es klopfte. Herein?! rief der Kakadu. Sie murmelte zu ihrer Zofe.

108 Caecilie hatte inzwischen ihre Besinnung zurückgewonnen. Sie erhob sich, schwankte einen Augenblick, dann sagte sie: Adieu. – Aber liebe, verehrte Frau, Sie werden sich doch nicht in diesem Zustand von mir entfernen wollen! Wenigstens ein kleines Gläschen Zuckerwasser. – Caecilie antwortete nicht und ging vorwärts, ratlos folgte ihr Fräulein Battoni. – Oder ein Gläschen Kognak, vielleicht mit Soda? Ich habe einen ganz vorzüglichen Kognak! – Caecilie schritt immer weiter, über den Vorplatz hin, dann öffnete sie die Tür, hielt sich draußen am Geländer und ging langsam die Treppe hinunter. Fräulein Battoni sah ihr nach, endlich kehrte sie in ihr Zimmer zurück, ließ den Blick tragisch ihrem Spiegelbilde begegnen und wandte sich darauf zum Büffet.

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