Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Letztes Kapitel.

Das Gespräch klang wie ein einziger starker und feierlicher Accord in Edwin's Seele nach, als er jetzt die Linden hinunterschritt.

Es sollte ihm aber nicht vergönnt sein, mit dieser gehobenen Empfindung zu den Seinigen zurückzukehren. Als er sich dem Brandenburger Thore näherte, sah er einen leichten, sehr eleganten Wagen mit zwei schönen Pferden bespannt aus einem der mittleren Portale herausrollen und in die Lindenallee einlenken. Ein Herr mit wohlgepflegtem Bart und regelmäßigen, aber schlaffen und leeren Zügen regierte die feurigen Thiere und schien dann und wann ein Wort an die junge Dame zu richten, die unter ihrem rosa Sonnenschirmchen nachlässig zurückgelehnt neben ihm saß und lachende Blicke auf die Vorübergehenden warf. Das Gesicht war Edwin erst vorhin an einem Photographen-Schaufenster aufgefallen, und er hatte den Namen einer bekannten Balletheldin darunter gelesen. Hinter diesem Paar, auf dem Bedientensitz, die Arme mit vollendeter Jokey-Insolenz über der Brust gekreuzt, saß ein langer blonder Bursch in 333 grün mit Silber gestickter Livree, die Vatermörder bis an die Ohren aufgerichtet, die runden, glashellen Augen in dem bartlos knabenhaften Gesicht hochmüthig und gelangweilt gen Himmel gekehrt.

Keiner der drei Vorübersausenden hatte den unscheinbaren Fußgänger beachtet, der wie angewurzelt stehen blieb, als ob er seinen Augen nicht traute. Eine widrige Empfindung, wie ein unsanftes Aufgerütteltwerden aus hochgestimmten Träumen in den nüchternen Tag hinein, wo das hoffnungslos Gewöhnliche, das flach Alltägliche herrscht oder doch das große Wort führt, überkam den Sinnenden und begleitete ihn durch die schattigen Thiergartenwege nach dem Hause der Schwiegereltern. Auch dort ließ dieser peinliche Druck nicht sogleich von ihm. Er verbrachte die Stunden einsilbig und ernst, und da die Andern wußten, oder doch zu wissen glaubten, wo er am Morgen gewesen, schonte man seine Stimmung, ohne ihn durch Fragen zu belästigen.

Am Nachmittag aber schlug er Lea vor, eine Spazierfahrt mit ihm zu machen. Sie trennte sich ungern von dem Kinde, das doch bei der Großmama und der Wärterin wohl aufgehoben war, denn sie war trotz aller Philosophie die ängstlichste und unvernünftig zärtlichste Mutter, die es nur geben konnte.

Aber sie fühlte Edwin an, daß es ihm Bedürfniß war, mit ihr allein zu sein, und zeigte sich sofort bereit, ihn zu begleiten.

Sie waren schon eine lange Strecke in der Richtung 334 gegen Charlottenburg hingefahren, als er es erst über sich gewann, sein Schweigen zu brechen. Nun erzählte er ihr die Erlebnisse und Eindrücke seines Morgens, ihre Hand in der seinigen haltend und dann und wann leise drückend. Als er das Begegnen mit dem Grafen berichtet hatte, sagte er: Ich begreife noch immer nicht, warum es mich so erschüttert hat. Freilich, von der Wallfahrt nach dem gelobten Lande wiederzukehren und es dann zu ertragen, daß der leere Platz im Wagen durch ein solches Geschöpf ausgefüllt wird – es gehört Viel dazu, und Mancher, selbst von den geringeren Naturen, brächte es nicht übers Herz. Aber kannte ich ihn nicht und wußte längst, was für ein perfecter Cavalier er ist, der sich über alle edleren Leidenschaften mit noblen Passionen tröstet? Und doch war mir gleich so zu Muth, als sei ich ihrem Andenken eine stille Feier schuldig, um den beleidigten Schatten zu versöhnen. Die Katholiken haben die kluge Einrichtung ihrer stillen Seelenmessen. Wir müssen uns auf unsere Weise helfen.

Sie waren inzwischen vor dem Portal des Charlottenburger Schloßgartens angelangt und stiegen aus dem Wagen. Es war eine schöne, reindurchsonnte Stille in der Luft, die Bäume standen unbeweglich, auf dem glatten Spiegel des Karpfenteichs stieg kaum einmal ein Bläschen in die Höhe, oder ein Frosch sprang glucksend aus dem heißen Grase in die Flut. Auch die Natur hat Stunden, wo sie gleichsam sich selbst zu beschauen, zu besinnen, ihrer Schönheit wie im Traum bewußt zu werden scheint. 335

Die beiden Menschen, die innig Arm in Arm geschmiegt durch die schattigen Alleen wandelten, empfanden diesen Zauber des Mittsommernachmittags an ihren eignen Seelen, in denen es immer lebendiger wie von heimlichen Quellen wogte und sprudelte, ohne daß doch die Lippen überflossen. So kamen sie endlich an das Mausoleum, das in der hellen Sonne heute besonders ernst und weihevoll unter den dunklen Bäumen stand.

Hieher habe ich gewollt, sagte jetzt Edwin. Hier an dieser Stelle war es, wo sie damals zu mir sagte: Es giebt nur eine Vornehmheit – sich selber treu zu bleiben. Das arme, tapfre, freigeborene Herz, – es hat seinen Adel bewährt – sich selbst getreu bis in den Tod. Laß uns in den kleinen Tempel treten, wo die Schönheit das Hohenpriesteramt verwaltet und den Tod überwindet, indem sie das Bild adliger Menschen verewigt. Es braucht dazu freilich nicht den Marmor. Haben wir nicht auch in unserm Schmerz dies Abbild verklärt aufgehoben, so lange in uns verewigt, bis wir selbst im Ewigen untergehn?

Sie betraten den stillen Raum. Als sie nach einer langen Zeit wieder herauskamen, glänzte es Beiden feucht in den Augen. In der nächsten völlig einsamen Allee standen sie still, hielten sich stumm in den Armen, und Lea ließ ihren Thränen freien Lauf.

Weine dich nur aus, Herz, sagte Edwin endlich. Sollen wir uns des besten Geschenkes schämen, das uns die alte Mutter Natur mit auf den Weg gegeben? Wie wunderlich tiefsinnig sie das eingerichtet hat, daß diese 336 Quelle fließt, wenn die höchsten Freuden und die bittersten Schmerzen an unser Herz schlagen! Und ist es nicht dasselbe mit allem Tragischen in unsern Menschenschicksalen? Ist da nicht Wonne und Weh untrennbar verbunden und in den höchsten Augenblicken zu einer reinen Stimmung verklärt, in der wir uns über unser kleines Selbst erheben, der Schmerzen spotten, und zu groß und feierlich empfinden, um uns zu freuen? O Liebste, eine Welt, in der wir uns bis zu diesem Triumph über das Schicksal, das eigene und das unsrer Geliebten, aufschwingen dürfen, in der das Tragische vom Hauch der Schönheit verklärt wird und mitten im Schauder über den Tod die höchste Lebenswonne uns durchbebt, bis Thränen unsere Brust erleichtern, – eine solche Welt ist nicht trostlos. Komm! Wir wollen ins Leben zurück, zu unserm Kinde, zu den Freunden. Wie sagt mein alter Freund Catull?

»Laß uns leben, Geliebte, laß uns lieben!«

 


 


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