Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Edwin, als er spät Abends nach Hause kam, fand Balder in seinen Kleidern auf dem Bette ruhend, das Lämpchen neben ihm, bei dem er gelesen zu haben schien. Sein Gesicht war noch bleicher als sonst, seine Züge fieberhaft gespannt, eine große Erschöpfung lähmte ihm die Glieder, daß er das Haupt nur halb aufrichten konnte, um den Eintretenden zu begrüßen.

Was bringst du? rief er ihm entgegen. Nichts Gutes? Wie ist es nur möglich!

Edwin trat an sein Bett und neigte sich über ihn. Kind, sagte er, du solltest längst zu Bett sein. Weißt du, daß du ganz kalt und bleich bist? Ich habe jetzt Nichts, als dich. Wenn du mir böse Streiche spielst –

O Edwin, ich! – Aber du, wie steht es mit dir und –ihr? Sage um Gotteswillen – was ist geschehen? was hat sie gesagt?

Nichts Neues, Kind; Nichts, was uns irgend wundern könnte. Aber es ist besser, wir reden heute nicht mehr davon. Ich habe einen tüchtigen Marsch gemacht und mir ist nun sehr wohl. Siehst du nicht, daß ich 210 ganz ruhig bin? Warum willst du nun erst anfangen, dich aufzuregen, statt zu schlafen, wie ich es zu thun hoffe?

Nein, nein, rief der Jüngling und raffte sich vom Bette auf, während Edwin das Feuer im Ofen neu anzuschüren suchte; ich will Alles wissen! Glaubst du, daß es mich schlafen ließe? Sage mir –

Nun denn, wir haben uns einmal gründlich ausgesprochen und sind dann auseinander gegangen, als gute Freunde, als sehr gute Freunde, – die es nur eben vorziehen, in Zukunft sich zu vermeiden. Das ist Alles, mein Junge! – So, da brennt das Feuer wieder. Ich finde es hier schändlich kalt – und die Nacht wird lang werden – und Schnee bringen. Ist denn Mohr nicht dagewesen, dessen Specialität das Heizen ist? – Höre, und eine Art Souper sollte man sich doch auch gönnen, wenn man Capitalist geworden ist. Ich will die Lore rufen.

Ich habe schon dafür gesorgt, sagte Balder. Ich dachte – wir würden heute einen frohen Abend haben. Sie hat einstweilen Alles dort auf die Drehbank gestellt. – O Edwin, ist es denn möglich!

Was, mein Geliebter? Daß es Menschen giebt, junge Damen vollends, die deinen Bruder nicht so liebenswürdig finden, wie du, theurer Schwärmer? die eine Tonne und sein Herz nicht jedem Feenschlosse vorziehen würden? O Kind, wenn ich auch wirklich das Menschenjuwel wäre, wofür deine brüderliche Verblendung mich halten möchte, vergiß doch nicht, wie pauvre 211 und geschmacklos die Fassung ist, und daß elegante junge Damen mehr auf Façon sehen als auf Echtheit. Lustig, mein Alter! Wir sind zu gut, um uns unterm Werthe wegzugeben. Und ich Thor, der ich war! Mir noch was Anderes zu wünschen, da ich schon so gut versorgt bin! Hab' ich nicht schon Weib und Kind und Bruder und Liebste, Alles in Einem? Lustig Kind! Ich spüre einen Hunger, als hätte ich statt des Magens den Korb im Leibe, den ich heut bekommen habe, und da in der Ecke sieht es ungemein appetitlich aus!

Die Unglückselige! sagte Balder dumpf vor sich hin.

Edwin blieb mitten im Zimmer stehen. Ich danke dir für dieses Wort, sagte er mit plötzlich verwandeltem Ton. Denn wahrhaftig, sie ist es werth, daß man Blut und Thränen um sie weint. Nicht weil sie das Unglück hat, an meiner werthen Person keinen Geschmack zu finden. Daran thut sie vielleicht sehr klug. Aber ein Kind der Welt zu sein, wie sie ist, und weder mit dem Nichtigen sich über die Schauer der Vernichtung hinweghelfen, noch sich ins Ewige flüchten zu können, das Liebe heißt – o Kind, es ist furchtbar! Ein so schweres Herz, daß es sie in den Abgrund des Todes hinabzieht, ehe sie weiß, warum sie gelebt hat! Ein so klarer Verstand, daß er ihr darin Recht giebt, man solle ein Räthsel, an dem man sich müde gerathen, und wär' es das eigne Dasein, wegwerfen, um endlich zur Ruhe zu kommen! Blut und Thränen, sag' ich dir, gerade weil sie sie nicht weinen kann; denn ihre arme Undinenseele hat auch in der Verzweiflung nicht die kleinen Trostmittel 212 gequälter Menschenkinder. Gieb Acht, es fließt kein Tropfen Blut, wenn sie stirbt. Man findet sie eines Tages mit erfrorenem Herzen vor ihrem Spiegel sitzen. Ihr eigner Anblick hat sie versteinert.

Edwin! Du meinst – sie könnte –

Ein Ende machen und aus der Welt gehen – oder den Grafen heirathen. Es kommt ziemlich auf Eins heraus. Aber still! ich höre Heinrich auf der Treppe. Wir wollen ihm heitere Gesichter zeigen; er hat auch nicht gerade die besten Tage. –

Mohr trat ein. Es war rührend, zu sehen, wie seine düstere Miene sich aufhellte, als Edwin ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Schreiben der Facultät zu lesen gab. Ich werde diesen Herren meine Komödie dediciren, sagte er. Es scheinen Leute zu sein, die ungewöhnliche Verdienste zu schätzen wissen.

Er blieb bis spät in die Nacht. Sie hatten den Tisch an Balder's Bett gerückt und nahmen ihr frugales Mahl darauf ein, unter Gesprächen über die letzten Dinge, die nach und nach von allen Dreien den Druck ihres eigenen Schicksals ablös'ten und im Anschauen der Nothwendigkeit alles irdischen Geschehens sie so ruhig machten, wie Schiffer im Kahn, die der Strömung folgend, Ruder und Segel einziehen und auf dem Rücken liegend den Zug der Wolken betrachten.

Erst als die Brüder wieder allein waren, schien Edwin plötzlich die Erinnerung an das frisch Erlebte mit Gewalt zu überfallen. Mein Leben gäb' ich, wenn ich ihr helfen könnte! sagte er vor sich hin. – Balder 213 hörte es wohl, er blieb aber stumm. Als sie schon das Licht ausgelöscht hatten, hörte er Edwin wieder aufstehen und an sein Bett kommen. Kind, sagte er, es ist so kalt da drüben. Rück ein wenig an die Wand; ich möchte deine Hand halten, bis ich einschlafe. Ich habe ja Nichts, als dich, und habe genug daran, wenn ich dich nur recht nahe weiß.

Er legte sich neben Balder, seine Hand ruhig in die des Bruders gefügt. Nicht lange, so war er eingeschlafen und athmete ruhig, wie ein Mensch, der friedliche Träume hat. Balder aber lag stundenlang wach und wälzte unruhige Entschlüsse in seiner Seele. – –

Als sie am andern Morgen aufwachten, waren sie, wie gewöhnlich in der Frühe, stumm und in sich gekehrt, und vor Allem des gestrigen Abends wurde nicht erwähnt. Edwin sah sein Heft durch für die Vorlesung, Balder zeichnete einige Modelle ab, die ihm der Meister, für den er bisher gearbeitet, geliehen hatte, und fragte nur einmal beiläufig, ob Edwin den Brief des Decans nicht gleich beantworten wolle. – Es hat jetzt keine so große Eile, Kind, sagte der Andere. Aber es geschieht schon, verlaß dich darauf. Eine Luftveränderung möchte das Beste sein – vielleicht auch für dich.

Gewiß, sagte der Kranke, ich selbst sehne mich aus dieser Luft fort. – Er wußte, was er damit meinte, aber Edwin sah das stille Lächeln nicht, das seine dunklen Nebengedanken verrathen hätte.

Ich lasse dich heut ohne Aufsicht, mein Geliebter, sagte Edwin, als er das Heft in die Tasche steckte, um 214 in die Vorlesung zu gehen. Ich hoffe, du wirst artig sein und weder arbeiten wollen, noch sonst etwas Polizeiwidriges begehen. Adieu, Kind! Lege noch ein wenig nach. Du hast wieder so kaltfeuchte Hände.

Damit verließ er das Zimmer.

Nach zehn Minuten legte Balder den Bleistift weg und fing an, sein Krankencostüm mit einem vollständigen Anzuge zu vertauschen. Die Hände zitterten ihm, als er zum ersten Mal seit Wochen wieder jenen alten Mantel aus dem Schrank nahm und das kleine graue Hütchen, die er bei seinem letzten Ausgang in den Hof hinab getragen hatte. So altmodisch und fast dürftig der Anzug war, und so mühsam er am Stock sich forthalf, war doch eine solche Anmuth in seinen Geberden und der leichten Neigung des schönen Gesichts, daß Keiner über das zu kurze Mäntelchen und das verschabte Filzhütchen gelächelt hätte.

Ganz sacht schlich er die Treppe hinab. Auf dem Flur vor Christianens Thür fiel ihm ein, wie lang er sie nicht hatte spielen hören. Er glaubte, es sei aus Rücksicht auf seine Krankheit unterblieben, und nahm sich vor, wenn er zurückkehrte, bei ihr anzuklopfen und sie zu bitten, von jetzt an sich keinen Zwang mehr anzuthun. Unten war die Thür der Werkstatt nur angelehnt. Der Obergeselle sah ihn vorbeigehen und rief ihm eine wohlgemeinte Frage nach seinem Befinden zu und die Warnung, sich nicht zu erkälten. Er erwiederte mit einem Scherz und machte, daß er über den Hof kam, ohne sich nach dem Bänkchen in der Bohnenlaube 215 umzusehen. Im Flur des Vorderhauses aber mußte er einen Augenblick still stehen, um Athem zu schöpfen. Das Herz klopfte ihm überlaut; er hörte durch die Thür, die in den Laden ging, Franzelius' tiefe Stimme, gedämpft, aber wie es schien, in heiterem Gespräch, und dazwischen dann und wann ein helles Mädchenlachen, das er nun seit Wochen entbehrt hatte. Nur ein ganz flüchtiger Schmerz durchzuckte ihn. Gleich darauf wurde es wieder still und heiter in seiner Brust. Er hätte in sich die Kraft gefühlt, einzutreten und neidlos die beiden glücklichen Menschen zu begrüßen. Vielleicht, wenn ich zurückkomme, dachte er. Dann hinkte er sacht weiter und war froh, Niemand zu begegnen, der ihn über sein Wagestück zur Rede gestellt hätte.

Draußen wehte ein schneidend kalter Ost und trieb einen trocknen, krümligen Schnee die Straße entlang. Zum Glück fuhr eben eine leere Droschke vorbei. Balder rief sie heran und wickelte sich, wie er drinnen saß, fest in sein Mäntelchen. Es war aber nicht die Kälte, vor der er schauerte, sondern eine fieberhafte Aufregung in seinem Blut, gegenüber der Entscheidung, der er entgegenging.

Als er vor dem Hause in der Rosenstraße ankam, konnte er nicht dicht an der Thür aussteigen, da ein eleganter Wagen diesen Platz bereits inne hatte. Er hieß seine Droschke warten und stieg nun in mehrfachen Pausen, um nicht athemlos oben anzukommen, die Treppe hinauf.

Der kleine Jean öffnete ihm und starrte den 216 unerwarteten Besuch mit noch größeren Augen an, als gewöhnlich. Es sei schon Jemand bei dem gnädigen Fräulein, aber vielleicht werde sie ihn doch annehmen. Gleich darauf kam er zurück und öffnete mit seiner unerschütterlichen Gravität, ohne ein Wort zu sagen, die Thür zu Toinettens Zimmer. 217



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