Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Fünftes Kapitel

Der Eintretende war ein hochgewachsener, ungewöhnlich breitschultriger junger Mann, der Plaid und Reisetasche über der Schulter trug und, indem er ein verschossenes braunes Filzhütchen ohne Umstände auf Balder's Bette warf, mit einem halb verdrossenen Lächeln und kurzen Kopfnicken den Brüdern einen »guten Morgen« zurief. Der erste Eindruck, den das aschfarbige, von mehreren Schmarren durchpflügte Gesicht und der etwas schief gezogene Mund machte, war nicht gerade vortheilhaft. Ein stehender Zug von Verbissenheit oder Schadenfreude rümpfte die kräftigen Lippen, und die Zähne, die beim Sprechen breit sichtbar wurden, erhöhten noch den Ausdruck des Wilden und Feindseligen. Nur wenn das Gesicht in Ruhe war, überwog in den Augen eine geistreiche Melancholie alle unedleren Züge, und die Stirn unter den kurzgeschorenen, aufgesträubten Haaren schien von ernsthafter Gedankenarbeit energisch ausgewölbt. Seine Bewegungen waren ungestüm und unstät, der ganze Aufzug verrieth einen Menschen, der nicht viel auf sich hielt, 59 obwohl die stattliche Figur mit einiger Sorgfalt sich recht wohl hätte sehen lassen können.

Der Tausend! Mohr! Heinrich Mohr! welcher Wind hat dich wieder zu uns her geweht? rief Edwin, ihm entgegengehend und herzlich seine Hand schüttelnd.

Vermuthlich derselbe sinnlose Wirbelwind, der allen Menschenkehricht durcheinander fegt, erwiederte der Andere. Nur die Individuen, die eine gewisse specifische Schwere haben, verändern ihren Ort nicht ohne besonderen Anstoß. Euch zum Beispiel finde ich richtig noch in den alten vier Pfählen, wo ich euch vor drei Jahren verlassen habe. Und wenn ich ehrlich sein soll: der einzige vernünftige Grund, weßhalb ich aus meinem blöden kleinen Geburtsnest mich wieder in dies große witzige Narrenhaus Berlin zurückgewagt habe, war der Wunsch, euch wiederzusehen. Ihr habt am Ende noch immer die menschlichsten Gesichter, und daß ihr förmlich eine Art Freude zu empfinden scheint, wieder mit mir behaftet zu sein, beweis't, daß ihr noch die Alten seid.

Nun wahrhaftig, auch du scheinst mehr als billig der Alte geblieben zu sein! sagte Edwin lachend.

Mohr antwortete nur mit einem Achselzucken. Er warf seine Ledertasche ab und trat an die Drehbank, neben der Balder lehnte.

Immer noch so gewissenhaft, wie früher, bemüht, sich zu ruiniren! brummte er, indem er einige der Sächelchen in die Hand nahm, die noch der letzten Feile warteten. Aber ich kann's Ihnen nicht verdenken, Balder. Sie bringen doch wenigstens jeden Tag was zu 60 Stande und verderben sich bloß die Brust bei dem Hocken und Bücken. Andere, wenn sie auch so den ganzen Tag gesessen, gebosselt und an ihrem Kram gedrechselt haben, möchten mit ihrer ganzen Person aus der Haut fahren. Uebrigens, mir scheint, Sie haben noch Fortschritte gemacht. Sie sind ein beneidenswerther Mensch, Balder.

Der Jüngling sah lächelnd vor sich hin.

Wenn Sie nur auch Edwin davon überzeugen könnten, sagte er, der mir immer zuredet, mein Handwerk an den Nagel zu hängen. Er will nicht glauben, daß es mich noch viel früher umbrächte, so ganz müßig dazusitzen und alle Andern arbeiten zu sehen.

Müßig! Als ob du je müßig sein könntest! eiferte Edwin. Wenn es nicht der verrückte Eigensinn wäre, von seinem einzigen leiblichen Bruder, der doch das Zeug dazu hat. nicht den armseligen Bissen Brod anzunehmen – aber lassen wir das! Es ist der einzige wahrhafte Aerger meines Lebens, und dieses Kieselherz, das ihn mir so leicht ersparen könnte – Basta! Heute will ich mich nicht ärgern. Darum lege los, Freund, mit deiner Beichte. Du bist heute wenigstens sicher davor, daß ich dich nicht moralisire.

Mohr hatte sich auf den Stuhl neben dem offenen Fenster gesetzt und aus einem Blechdöschen angefangen sich eine Cigarrette zu drehen.

Es ist gar nichts Neues zu melden, sagte er scheinbar ganz gleichmüthig. Die alte Erfahrung, daß Niemand seiner Länge eine Elle zusetzen kann, hat sich wieder einmal bestätigt, das ist Alles. Ich bin, wie ihr euch 61 entsinnen werdet, damals von Berlin weggegangen, weil ich meinte, nur der Lärm hier und das Getümmel hinderten mich daran, ein großer Mann zu werden. »Es bildet ein Talent sich in der Stille« – Nun, still genug hab' ich's bei meiner alten Mutter gehabt, aber es hat sich doch Nichts gebildet. Da hab' ich mir gedacht, wenn's mit dem Talent Nichts ist, wollen wir's mit dem Charakter versuchen, – »sich ein Charakter in dem Strom der Welt,« – und so bin ich wieder hier und habe mir auch schon einen Charakter ausgesucht, auf den ich mich verlegen will. Ein Zündholz, Edwin!

Er blies große Wolken eines starkriechenden türkischen Tabaks zum Fenster hinaus.

Also war's Nichts mit der Redaction des Blattes, von der du dir so große Dinge versprachst?

Eine Miserabilität, Kinder, ein ganz gemeines kleinstädtisches Klatschblättchen, zweimal in der Woche schlechte Novellen, überall zusammengestohlen, oder »Originalbeiträge« von der Tochter des Bürgermeisters und dem Sohne des Hauptzollamts-Controleurs, und am Schluß der Bettel von Charaden und Rebussen. Indessen die ganze Bürgerschaft schwor darauf, und keine halbe Silbe ging verloren. Ein rechter Kerl hätte was draus machen können, wenigstens mit der Zeit was Besseres einschmuggeln und sich selbst dabei auswachsen. Aber da steckt's eben. Nachdem ich anfangs die Nase über diese Philisterei gerümpft hatte, kam ich zuletzt dahinter, daß ich eigentlich selbst nicht viel Besseres zu Stande bringen könne. Ihr wißt, ich hatte immer geglaubt, wenn ich 62 nur erst einmal zu mir selbst käme, was bei dem geistreichen Ameisengewimmel in Berlin nicht zu erreichen sei, so würde die Welt staunen. Na, ich bin denn nun wirklich zu mir selbst gekommen, aber lange hab' ich es bei mir selbst nicht aushalten können, dazu habe ich denn doch Gottseidank einen zu guten Geschmack.

Immer noch der alte Mohr, dessen Liebhaberei es ist, statt sich weißzuwaschen, sich selbst anzuschwärzen!

Laßt mich ausreden und glaubt nicht, daß ich mich schlecht mache, damit ihr mich desto mehr herausstreichen sollt. »Schlecht« will ich mich auch gar nicht machen. Ich bin so weit ein ganz passabler Bursche, nicht dumm, nicht langweilig, mit einigen hübschen Kenntnissen und einem gar nicht alltäglichen Judicium, notabene für das, was Andre thun, ausgerüstet. Wenn ich ein Lump wäre, könnt' ich's damit zu was bringen, etwa eine Recensionenbude aufschlagen und mich so theuer als möglich verkaufen. Aber das Unglück ist eben, daß ich den Ehrgeiz habe, wenigstens hatte, selbst was zu Stande zu bringen, und, was das Aergste ist, auch allerlei Talente besitze. Ich habe die entschiedenste Anlage dazu, ein mittelmäßiger Dichter oder Musiker zu werden, und in politischen Leitartikeln, die nach was aussehen und eigentlich nichts sagen, suche ich meinen Meister. Ihr werdet sagen, solcher Wichte giebt's viele. Gewiß. Aber nicht viele, die nebenbei einen so redlichen und andächtigen Neid haben auf die rechten Kerle, die wirklich was Rechts können, einen solchen Ekel vor aller Stümperei, einen solchen Katzenjammer, wenn sie sich selbst einmal auf dem Pfuschen ertappt 63 haben. Das hat mich abermals von euch weggetrieben. Ich konnt' es nicht ertragen, euch alle, Jeden auf seinem Felde, rüstig ackern und pflügen und endlich – viel oder wenig, aber doch immer nahrhaftes Korn – ernten zu sehen und selbst mit meinem Schwindelhafer dabei zu stehen. Ich hätte mir ins Gesicht spucken mögen über meine Mittelmäßigkeit in Allem, was Leisten, Thun, Vorsichbringen heißt, während ich im Raisonniren ein Held war. Jetzt freilich bin ich dahinter gekommen, daß das eben mein Schicksal ist. Ich bin nun einmal ein halbschlächtiges Geschöpf, in einer boshaften Mißlaune von der Natur gezeugt und dazu verdammt, ewig im Halben stecken zu bleiben. Aber ich will ihr den Spaß verderben und wenigstens etwas Ganzes leisten, in Einem wenigstens es bis zur Virtuosität bringen.

Ich begreife nicht, warum du diesen Gedanken nicht längst gehabt hast, warf Edwin ein. Du bist eben zum Kritiker geboren und kannst als solcher so gut auf Welt und Nachwelt wirken, wie als Poet.

Daß ich ein Narr wäre! rief der Andere und warf die Cigarrette in den Hof, während er aufsprang und sich mit den breiten Händen über den Hinterkopf fuhr. Die Welt verbessern wollen, ihr grobe Wahrheiten schwarz auf weiß sagen, die natürlich Jeder nur auf seinen werthen Nachbarn bezieht, bildende Künstler zu bilden versuchen, die sich einbilden, das Denken lähme die Phantasie, oder gar Schriftstellern Wahrheiten sagen, die sich auf Lesen noch schlechter verstehen, als aufs Schreiben – 64 nein, Bester, vestigia terrent. Das Alles hat schon ein gewisser Lessing vor hundert Jahren probirt und sich die Zähne an diesem harten Holz ausgebissen. Alle diese philanthropischen Opferthaten machen die Welt nicht glücklicher und den Thäter selbst nur unselig. Das Einzige, was als ein edler Lebensberuf einem so überflüssigen Menschen, wie mir, übrig bleibt, ist: der reine Neid. Ich habe schon hübsche Fortschritte darin gemacht und denke es, wie gesagt, noch ziemlich weit zu bringen.

Nun, das gesteh' ich! lachte Edwin. Diese Façon, selig zu werden, ist neu.

Lache nicht, Weiser, brummte Mohr mit Nachdruck. Siehst du, mein Sohn, Jeder strebt in dieser erbärmlichen Welt, die links und rechts so unvollkommen und unfertig ist, so gut er kann danach, wenigstens seine eigene nichtige Person fertig zu machen. Die wirklich Begabten haben einen Ueberschuß, von dem sie Anderen mittheilen und ihnen dadurch helfen, ihre Armuth zu flicken und sich eben auch nothdürftig zu completiren. Ich für mein Theil kann nur zur Ruhe kommen, wenn ich alles Große, Ganze und Ueberschüssige so recht inbrünstig beneide. Dadurch werde ich ihm gewissermaßen verwandt; denn wenn ich gar nichts davon empfände, schmeckte, fühlte und zu besitzen verdiente, wie könnte ich's beneiden? Nur das irgendwie Gleichartige zieht sich an. Und wenn ich mich einen ganzen Morgen hingesetzt habe in meines Nichts durchbohrendem Gefühl und einen Shakspeare, einen Goethe, einen Mozart so recht innig beneidet habe, habe ich da nicht meinen Lebenszweck besser 65 erfüllt, als wenn ich in derselben Zeit an einem schlechten Trauerspiel, ein paar elenden Liebesliedern oder einer mittelmäßigen Sonate herumcomponirt hätte?

Er trat ans Fenster und starrte in den Akazienwipfel hinaus.

Sie haben Recht, sagte Balder mit seiner klaren Stimme. Nur sollten Sie das nicht Neid nennen, was eigentlich Liebe und Ehrfurcht und die allerschönste und selbstloseste Begeisterung ist.

Balder hat den Nagel auf den Kopf getroffen, wie allemal, rief Edwin.

Mohr wandte sich um. Die Brüder bemerkten, daß er die Augen zukniff, als wollte er etwas Feuchtes darin zerdrücken.

Es wäre schön, wenn es so wäre, sagte er. Aber das ist nur die Lichtseite meiner Virtuosität; sie hat auch ihren Schatten, und er macht sich breiter, als mir lieb ist. Ich kann überhaupt Nichts sehen, was complet und mit sich im Einklang ist, ohne es zu beneiden, keine selbstzufriedene Dummheit, keine breitmäulige Verlogenheit, keine Philistergesichter. Und da diese Ehrenwerthen eigentlich gar nicht das Recht hätten, glücklich zu sein, reitet mich dann der Neidteufel, ihnen Sottisen zu sagen, bloß um ihnen ihre eigene Erbärmlichkeit einmal vorzuhalten. So habe ich mir meine werthen Mitbürger in kurzer Zeit sämmtlich auf den Hals gezogen und werde überall, wo ich hinkomme, mit der Zeit wie ein toller Hund verschrieen, gemieden und weggehetzt. Es wildzt mir das Blut im Leibe, wenn ich sehe, wie überall die 66 Lumpe zu etwas kommen und die braven Kerle, die ihre Ellenbogen nicht brauchen, dahintenbleiben. Ihr zum Beispiel – wenn es nach mir ginge, ihr müßtet jetzt in einer schönen Kutsche spazieren fahren und es euch wohl sein lassen, wie es der Aristokratie des Menschengeschlechts gebührt. Statt dessen hat der unbedeutende Mensch, der Marquard, dem ich unten begegnet bin, Equipage und winkt mir im Vorbeifahren gnädig zu, nachdem er mich durch seine goldene Brille so von oben herab recognoscirt hat. Höll' und Teufel, wer so was ansehn kann und nicht wild werden –

Schilt mir unsern Medicinalrath nicht, sagte Edwin. Er ist trotz alledem eine gute Haut, und seine Equipage würde zu meinem und Balder's Métier so wenig passen, wie meine naturwissenschaftliche Methode, die Schritt für Schritt geht, zu seinem empirischen Galopp. Uebrigens –

In diesem Augenblick hörten sie aus den Fenstern unten die ersten Tacte der Gluck'schen Orpheus-Ouvertüre anschlagen.

Mohr trat wieder ans Fenster und horchte aufmerksam hinunter.

Wer spielt da? sagte er nach einer Weile halblaut.

Unsere Hausgenossin, ein einzelnes Fräulein, von der wir nicht viel mehr wissen, als daß sie Musikstunden giebt. Gestern Nacht – ich hab' es dir noch nicht erzählt, Balder – finde ich sie in Schopenhauer's Parerga vertieft. Sie sprach mit Begeisterung von seinem Kapitel »über das Leiden der Welt«. 67

Man hört es ihrem Spiel an, daß sie eigene Studien in diesem Gebiet gemacht hat, sagte Mohr. So spielen Frauenzimmer nur, wenn ihnen einmal das Herz gebrochen und nachher wieder zusammengeleimt worden ist. Es ist damit, wie mit alten Geigen, die auch erst ein paar Mal in Stücke gehen müssen, ehe sie die rechte Resonanz bekommen. Aber stille, es wird immer schöner.

Er setzte sich auf das Fensterbrett und lauschte ganz versunken hinaus. Balder machte sich lautlos an seinen Büchschen und Döschen zu schaffen, Edwin hatte ein Buch genommen und starrte unverwandt immer auf dieselbe Seite. Es war so still im Zimmer, daß man in den Pausen des Spiels die Katze schleichen hörte, die vorhin hereingesprungen war und sich über die Reste des Frühstücks hergemacht hatte. 68



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