Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Siebentes Kapitel.

Die Brüder waren indeß wieder allein geblieben.

Sobald das Klavierspiel unten aufgehört, hatte Mohr seinen Hut genommen. Diesen Gluck zu beneiden, ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, brummte er, indem er die Unterlippe schief zog. Ich bedaure euch, daß ihr so was ganz ruhig mitanhören könnt, ohne vor Wonne und Wuth des Teufels zu werden. Ich habe diese Stimmung in einer etwas schnurrigen, aber, wie ich glaube, nicht ganz salzlosen Composition auszudrücken versucht, die ich meine Sinfonia ironica nenne. Wenn ich erst eine Wohnung und eine Hackbrett habe, spiele ich sie euch und lese euch dann auch mein neues Lustspiel vor: »Ich bin ich und setze mich selbst.«

Viel Genüsse auf einmal, Heinz, sagte Edwin.

Ihr braucht euch nicht vor der Länge dieses Concert spirituel zu fürchten. Von der Symphonie sind nur zwei Sätze fertig, von der Komödie anderthalb Akte. Halbmenschen bringen eben nichts Ganzes zu Stande.

Zum Glück ist das Halbe bekanntlich mehr als das Ganze. 80

Hierüber sollst du mir nächstens eine Vorlesung halten, Philosoph. Adieu! –

Er ging, sich eine Wohnung in der Nachbarschaft zu suchen. Seine Mutter, eine wohlhabende Wittwe, schien ihn so weit versorgt zu haben, daß er es eine Weile ohne jede Arbeit mitansehn konnte. An der Thür der Klavierspielerin blieb er stehen und las auf dem kleinen Porzellanschilde: »Christiane Falk, Musiklehrerin«. Drinnen war Alles still. Er hätte gern einen Vorwand gewußt, um anzuklingeln und ihre Bekanntschaft zu machen. Da ihm aber Nichts einfiel, verschob er es auf eine bessere Gelegenheit.

Balder hatte sich wieder an seine Arbeit gemacht. Ein zierliches Büchschen aus Olivenholz, das allerlei kleine Nähgeräthschaften enthielt, schien in aller Eile fertig werden zu sollen.

Indessen machte Edwin Toilette.

Dies geschah gewöhnlich in der Weise, daß er einen kleinen, kaum handgroßen Spiegel an einen Nagel in einem der Repositorien hing, gerade unter Kant's Kritik der reinen Vernunft und Fichte's Wissenschaftslehre, und während er mit einem alten, bedenklich zahnlosen Kamm durch Haar und Bart fuhr, weniger in das Spiegelchen als zu Balder hinübersah. Heute that er ein Uebriges, indem er sich mit einer Papierscheere das Haar an Schläfen und Kinn stutzte und dabei ziemlich genau zusah, ob es auch auf beiden Seiten gleichmäßig ausfiel. Ich finde, sagte er, daß mich der Umgang mit dem Ballet demoralisirt. Ich fange schon an, eitel zu werden, und 81 habe an meinem ehrlichen Gesicht, mit dem ich mich bis dahin ganz gut vertragen habe, allerlei auszusetzen. Wir hätten uns in die Schönheit unserer guten Mutter auch wohl brüderlicher theilen können. Am Ende aber ist es doch besser, daß das Erbe beisammen geblieben ist, als daß sich's unter Zwei verzettelt hätte. Jetzt gieb dein künstlerisches Urtheil ab, mein Junge, ob die Plantage nicht durch die Heckenscheere sehr gewonnen hat.

Ich hätte nur den Bart geschont, sagte Balder. Er stand dir gut.

Das verstehst du nicht, Kind. Er war schon längst zu lang, selbst für einen Philosophen, und wenn auch, wie im Julius Cäsar, am Werkeltag Keiner »ohn' ein Zeichen der Hantierung« herumgehen soll: ich habe Ferien und will heut einmal als simpler Mensch ins Freie, ohne Kinder und junge Damen zu erschrecken. Höre, du solltest dich entschließen, mitzukommen. Wir nehmen eine Droschke, lassen sie bei Kranzler halten, du genießest heute das Eis, das ich gestern bereits zu mir genommen, und hernach –

Heute, Edwin? Heute – verzeih – bin ich gerade nicht besonders wohl – es wird besser sein, ein andermal –

Er bückte sich erröthend auf seine Arbeit.

In diesem Augenblick klopfte es, und das runde, gutmüthig pfiffige Gesicht des Hausherrn erschien in der Thür, da der kleine Maler durchaus darauf bestanden hatte, ihm den Vortritt zu lassen. In seiner halb spaßhaft zutraulichen, halb respectvollen Manier, wie er 82 überhaupt mit den Brüdern verkehrte, stellte er ihnen Herrn König vor als bildenden Künstler und Vater einer gebildeten Tochter, die aber ihre Bildung noch zu vervollkommnen wünsche. Der kleine Herr hatte sich gleich bei seinem Eintreten in die Betrachtung der Kupferstiche und Büsten vertieft und schien den Anlaß seines Besuchs darüber ganz vergessen zu haben. Erst als der Meister schwieg und Edwin lächelnd zu Balder hinübersah, besann er sich und wiederholte nun bescheiden sein Anliegen.

Mein werther Herr, versetzte Edwin, ich fühle mich in der That sehr geehrt, aber ich weiß doch nicht, ob ich der Mann bin, den Sie suchen. Denn eigentlich bin ich überhaupt kein guter Lehrer, da ich durchaus keinen pädagogischen Ehrgeiz habe. Dem echten Lehrer muß jeder Schüler gleichviel gelten; je talentloser, träger und hartköpfiger der Zögling, je mehr muß es den Erzieher reizen, etwas aus ihm zu machen. Ich dagegen habe noch mit mir selbst zu viel zu thun, um Andern helfen zu können, die nicht wenigstens das Zeug dazu haben, sich helfen zu lassen. Die Wege will ich wohl zeigen, aber das Gehen muß der Schüler selbst verrichten. Und nun unsere jungen Damen – mit aller Hochachtung vor Ihrer Fräulein Tochter, Herr König – wie sollen diese armen Wesen, wenn man ihnen auch die Straße ebnet und das Ziel vorhält, auf eignen Füßen fortkommen, da man schon in den Kinderjahren dafür sorgt, ihnen jeden natürlichen, festen und rüstigen Schritt als höchst unweiblich abzugewöhnen! Das trippelt, tänzelt, hüpft und schwebt und schwingt sich mit allerlei Flügelchen über die grüne Wiese 83 der Jugend, und wenn es dann auf die Landstraße des ernsten Lebens kommt, lehnt es sich einem Herrn Gemahl auf den Arm und erwartet, von ihm gehoben und getragen zu werden. Entschuldigen Sie diese unhöfliche Rede. Ich habe Erfahrungen gemacht und sehe nicht ein, warum ich nicht mit der Sprache heraus soll. Indessen, da ich gerade freie Zeit habe – wenn Sie auf die Empfehlung unseres Hausherrn und Nährvaters hin es mit mir wagen wollen, so will ich einen Versuch machen, ob Sie nicht mit mir betrogen sind.

Er nahm seinen Strohhut und sagte halblaut zu Balder: Warte heut nicht mit dem Essen auf mich, mein Junge. Es kann sein, daß ich mich irgend wo im Grünen verlaufe, nachdem ich die Bekanntschaft dieses bildungsbegierigen Königstöchterleins gemacht habe.

Er strich ihn zum Abschied mit der Hand über das Haar und begleitete die beiden Männer die Treppe hinab.

Als er mit dem kleinen Maler auf der heißen Straße allein war, sagte dieser:

Sie haben sich nicht weit zu bemühen, Herr Doctor, ich wohne am Schiffbauerdamm, und wir können den ganzen Weg im Schatten machen. Erlauben Sie aber, damit Sie den eigenthümlichen Bildungsgang meiner Tochter begreifen, daß ich Ihnen etwas von meinen häuslichen Verhältnissen sage. Ihr Hausherr hat Ihnen meinen Namen genannt. Sie haben ihn wohl kaum schon früher nennen hören. Meine Bilder sind nicht gerade hervorragende Leistungen, und in den letzten Jahren habe ich mich auch mehr dem Holzschnitt 84 zugewendet. Das Handwerk, Herr Doctor, hat einen sichreren Boden, als die Kunst, wenn auch nicht immer einen goldenen, und ein Familienvater, wenn die Familie auch nur aus zwei Köpfen besteht – Indessen, ganz habe ich der Malerei doch niemals entsagt und mir mein eigenes, sehr bescheidenes Genre zurechtgemacht, nach welchem ich sogar einen eigenen Spitznamen in Künstlerkreisen führe. Wie es nämlich einen Katzen-Rafael, einen Sammet- und einen Höllenbreughel giebt, so nennt man mich, nach meiner Vorliebe, alte Zäune in meinen Landschaften anzubringen, den Zaun-König. »Vorliebe« – lächelte er; je nun, das ist freilich wohl nicht ganz das rechte Wort. Gott weiß, daß ich lieber herrliche Waldgründe, wie Ruysdael, oder klare, feierliche Lüfte, wie Claude le Lorrain, malte, wenn mein Talent so weit reichte. Ich gerathe aber immer ins Kleinliche und Peinliche. So ein Stückchen Terrain mit Steinen, Kräutern und Brombeergestrüpp, eine Erdscholle, auf der Mutter Natur ihre grüne Triebkraft so lustig entwickelt hat, als wär's eine Welt für sich, kurz, was wir »Vordergrund« nennen, das hat mir, zumal da ich etwas kurzsichtig bin, immer so viel zu schaffen gemacht, daß ich darüber gar nicht zu der eigentlichen Landschaft kam. Nun, es streckt sich eben Jeder nach seiner Decke. Und wenn man es recht betrachtet: zeigt sich nicht die Macht und Herrlichkeit unseres Herrgotts eben so wunderbar hinter einer armseligen Hecke oder einem Gartenzaun, wie im allergrößten Maßstabe der Schweizeralpen oder eines romantischen Urwaldes? Da thu' ich nun, was ich nicht lassen kann, 85 zunächst zu meiner eigenen Erbauung, und suche so ein Ausschnittchen, so ein Eckchen und Zipfelchen von der großen Schöpfung mit aller Lust und Liebe darzustellen, daß man ihm ansieht, der Athem Gottes hat auch diesen verachteten Winkel durchweht.

Edwin hatte diesen Bekenntnissen, die ihn sonst wohl lebhafter interessirt haben würden, nur mit halbem Ohr zugehört. Seine Gedanken schweiften in ungewisser Ferne. Um doch etwas zu sagen, warf er hin: Und finden sich auch Liebhaber für Ihre Bilder?

Der kleine Herr lächelte, halb verlegen, halb selbstbewußt.

Nun, sagte er, ich kann gerade nicht klagen. Immer das vierte oder fünfte Bildchen wenigstens bin ich losgeworden; denn sehen Sie, es ist eigen damit: heutzutage muß Jeder eine Specialität haben; sie mag noch so nichtswürdig sein, sie wird eben darum für etwas gehalten, weil sie die Dreistigkeit hat, von dem Platz, den sie einmal besetzt hat, nicht zu wanken und zu weichen, und wenn die Kritik sie mit Keulen todtschlüge. Ja, ja, es hat mich selbst Wunder genommen, aber es sind schon aus Holland und England Kunstfreunde dagewesen, die gerade einen echten »Zaunkönig« und nichts Besseres wollten. So findet im großen Haushalt unseres Schöpfers jedes Thier sein Plätzchen, die Milbe so gut wie der Elephant.

Aber ich wollte Ihnen ja von meiner Häuslichkeit erzählen, fuhr der kleine Mann fort. Sehen Sie, Herr Doctor, seit fünf Jahren und sieben Monaten bin ich 86 Wittwer. Aber ich kann noch immer nicht von meiner lieben Frau sprechen, ohne daß ich in eine vielleicht unmännliche oder unchristliche, aber unwiderstehliche Traurigkeit verfalle. Ich will deßhalb nichts weiter von ihr sagen, als daß in den fünfzehn Jahren, die ich mit ihr verlebt habe, keine Stunde gewesen ist, die ich aus meiner Erinnerung wegwünschen möchte. Sie war eine Jüdin, und ich bin ein guter evangelischer Christ. Selbst das hat uns nicht Einen bitteren Augenblick gemacht. Denn der Gott, an den wir Beide glaubten, war doch nur Einer. Was unsere Tochter betraf, so war die Mutter damit einverstanden, daß sie christlich erzogen wurde, und obwohl sie selbst sich nicht hat wollen taufen lassen, hat sie doch nie versucht, das Kind irre zu machen. Sie ist auf dem jüdischen Friedhofe begraben worden; es hat mich aber nicht gekränkt. Wo dieses edle Menschenbild zur ewigen Ruhe gebracht worden ist, die Stätte ist heilig, gleichviel ob ein christlicher Prediger oder ein Rabbiner sie geweiht hat. Erst seit sie todt ist, merke ich, daß ich nie so fromm war, als so lange sie lebte. Der Gedanke an sie mischt sich seitdem in all meine Himmelsgedanken, ich kann nicht mehr so wie sonst mit meinem Herrgott ganz unter vier Augen sein. Nun, er wird mir das ja wohl nicht als Sünde anrechnen.

Der Maler schwieg einen Augenblick. Die Stimme schien ihm zu versagen. Erst nach einer Weile hob er wieder an:

Nun hat sie mir die Tochter hinterlassen, die in 87 vielen Stücken ihr merkwürdig gleicht, in andern auch wieder nicht. So hat sie viel mehr ihren eigenen Kopf und wir verstehen einander manchmal nicht, was mir mit ihrer Mutter nie begegnet ist. Das Kind ist neunzehn Jahr, und – ich will sie nicht loben – aber es kann kein besseres Herz geben. Und ein Talent zum Zeichnen und Malen, daß ich nur immer staune, wo sie's her hat. Denn in manchen Sachen, z. B. in Blumenstücken, bin ich selbst ein Stümper gegen sie. Ich hätte sie eher davon abhalten sollen, damit sie mehr Zeit für Anderes gehabt hätte, ich meine, für ihre geistige Ausbildung. Aber es machte ihr Freude, daß sie früh etwas erwerben konnte, und dann war ich auch eitel auf ihre Fortschritte. Nun aber rächt es sich doch. Seit einiger Zeit ist sie melancholisch, weil sie zu bemerken geglaubt hat, daß sie unwissend sei, oder, wie sie es ausdrückt, keine klaren Begriffe habe. Nun, mir ist sie gescheidt und gebildet genug, und unsere alte Hausfreundin, die Professorin Valentin, kann auch nicht verstehen, was sie an sich auszusetzen hat, bis etwa auf ihre abweichenden Ansichten in religiösen Dingen. Aber ich sehe, daß es heimlich an ihrer Ruhe nagt, und da ich selbst ihr nicht helfen kann, habe ich meine Zuflucht zu Ihnen genommen, lieber Herr Doctor, und gerade weil Sie kein pedantischer regulärer Schulmeister sind, denke ich, Sie werden es bald heraus haben, wo es dem guten Kinde fehlt.

Sie waren indessen die Friedrichsstraße hinunter bis an die Spree gekommen und bogen nun rechts um die 88 Ecke. Noch ein paar hundert Schritt, so sind wir zu Hause, sagte der Maler. Sehen Sie, ich konnte mich schwer entschließen, in eine andere Gegend zu ziehen. Man spricht immer so abschmeckig von unserer guten Spree. Und freilich, unter den Flüssen Germaniens ist sie nicht gerade der stolzeste, und hier so mitten in der Stadt auch nicht der reinlichste. Aber für ein Malerauge – ganz abgesehen von der Miene, die sie draußen im Freien macht, und vollends in einem so romantischen Winkel, wie der Spreewald –: kann es etwas Anziehenderes geben, als so ein Blick über den Quai, die Brücken, Ladeplätze und Wassertreppen, und die ehrlichen alten Spreekähne, die jetzt so schläfrig in der Mittagssonne liegen, wie ich mir die großen satten Krokodile am Nilufer denke? Sehen Sie: die Schifferleute haben schon Mittag gemacht, nur selten quirlt noch ein dünner blauer Rauch aus einem Kajütenschornstein; der Mann liegt neben seiner Kohlenfracht am Bord unter einem Stück Segel, die Frau sitzt neben ihm und hat das Wickelkind auf dem Schooß und wedelt ihm die Wassermücken ab. Bemerken Sie wohl, wie gut sich das braune Holz gegen den fahlen Wasserspiegel absetzt, und dahinter die Sonnenblitze und der weiße Spitz, der auf der Kajütentreppe steht und drüben im andern Kahn die kleine graue Katze anbellt? Da haben Sie mitten in unserer eleganten Weltstadt ein Stück Holland, so complet, wie Sie sich's nur wünschen können.

Sie sind in Holland gewesen?

Nein; es hat nie so weit gereicht. Aber wenn man 89 ihre Bilder gesehen hat und jetzt die guten Photographieen – aber bleiben Sie hier, bitte, einen Augenblick stehen. Ich muß Ihnen noch etwas Anderes zeigen.

Eben waren Sie an einigen hohen Häusern vorbei zu einer Stelle gelangt, wo ein schmaler, grabenartiger Canal, durch das Pflaster des Fahrwegs überbrückt, in die Spree abfloß. Ein dreistöckiges Fabrikgebäude ragte mit seiner fensterlosen Mauer an der einen Seite in die Höhe. Gegenüber stand eine niedrige Baracke, die sich sehr schmal, aber in beträchtlicher Tiefe, längs des Canals hinzog. Sie schien sich ehemals durch eine Thür neben dem einzigen Fenster auf den Quai geöffnet zu haben. Die Thür war aber vermauert, das Fenster von innen mit einem dunklen Tuch verhängt. Ein eisernes Geländer verband dies verfallene Häuschen mit seinem massiven Nachbarn.

Der Maler lehnte sich über das Geländer und sah mit einem vergnügten Gesicht den Canal hinauf, dessen schmutzig braunes Wasser so träge hinfloß, daß es stillzustehen schien und einen moderartigen Dunst aushauchte.

Woran erinnert Sie das? fragte er, zu Edwin gewendet.

Was?

Je nun, der Canal und da hinten die kleine Brücke, die die beiden Ufer verbindet, der Pfahl, an dem die Waschleine befestigt ist, die ganze Luft- und Steinfarbe, was wir Maler Stimmung zu nennen pflegen. 90

Es hat eine nicht gerade schmeichelhafte entfernte Aehnlichkeit mit Venedig und der Seufzerbrücke.

Richtig! rief der kleine Mann und überhörte in seinem Feuer den ironischen Stich in Edwin's Aeußerung. Zwar bin ich selbst nicht dagewesen. Aber Freunde von mir, die in Italien waren, haben gleichfalls zugeben müssen, daß dieser Prospect völlig venetianisch sei, wenigstens wie sich die Stadt auf Canaletto's Bildern präsentirt, die nun freilich etwas nüchterner sein sollen, als die Wirklichkeit. Nun, dafür sind wir in Berlin, und es ist eben nur ein harmloser Spaß, wenn ich von meiner Lagune rede.

Von Ihrer Lagune?

Freilich. Hier wohne ich.

In dieser –

In dieser Hütte, ja wohl, Sie brauchen das Wort nicht zu verschlucken. Denn allerdings, ein Dogenpalast ist es nicht, wo ich nun seit zwanzig Jahren mein Wesen treibe, aber ich gebe die Hütte doch nicht für alle Herrlichkeiten des alten Sposo del mare, wie die Venezianer ihren Dogen nannten. Und übrigens ist sie innen freundlicher, als man ihr von außen zutraut. Sehen Sie, wo die Thür jetzt vermauert ist, da war früher der Eingang in eine Schifferbutike, eine elende, schmutzige Branntweinschenke, und dahinter ein paar schlechte Kammern und ein Loch von einer Küche. Daran reihte sich der Pferdestall und die Remise des Holzhändlers, dessen Holzplatz, wie Sie sehen, dicht an unser Häuschen stößt. Wie ich nun eben geheirathet hatte und bei all meinen 91 Schätzen an Glück und Hoffnungen ein armer Teufel war, wurde gerade der Wirth dieser Schenke von der Polizei gefaßt, wegen Diebshehlerei und anderer saubrer Geschichten. Der Holzhändler wollte keinen zweiten Schnapswirth auf seinem Grund und Boden dulden, und für jeden Anderen war die Wohnung nicht gerade passend. Da bekam ich sie billig, ließ die Thür vermauern, um mir vorn mein Atelier einzurichten, und wenn es auch Müh' und Geld gekostet hat, die Spuren der langjährigen Sudelwirthschaft zu vertilgen, – Sie werden selbst sehen, ob es uns endlich geglückt ist.

Er ging nun voran und führte Edwin durch ein großes Thor über den geräumigen Holzplatz. Zwischen den hohen Haufen kräftig duftender Fichten- und Buchenhölzer lief eine schmale Gasse gerade auf die »Hütte« zu, die sich hier von der Langseite nicht eben vornehmer ausnahm, als von vorn.

Diese sechs Fenster gehören mir, sagte der Maler mit bescheidenem Selbstgefühl. Dann öffnete er die niedrige Thür und bat Edwin einzutreten.

Drinnen sah es wirklich, eine gewisse Trübe und Feuchte abgerechnet, behaglicher aus, als man der alten Baracke zugetraut hätte. Ein hellgetünchter Flur war mit Radirungen in schlichten Holzrähmchen behangen. Eine Thür gegenüber schien sich auf den Kanal zu öffnen.

Ich bitte, sich rechts zu wenden, sagte der Maler. Links ist unser Wohnzimmer, das Stübchen meiner Tochter und Küche und Kammer. Rechts gehört Alles der Kunst – nach meinem bescheidenen Zuschnitt. Denn 92 obgleich ich in meinem Atelier schlafe: ich bleibe ja doch auch im Traum immer nur der Zaun-König und bilde mir nicht ein, etwa ein Canaletto zu werden, weil ich neben einer Lagune wohne.

Damit öffnete er die Thür in sein Atelier.

Man sah es dem niedrigen Zimmer freilich nicht mehr an, daß es einmal betrunkene Spreeschiffer beherbergt hatte, aber an trüben Tagen mußte es schwer werden, hier Claude le Lorrain'sche Lüfte zu malen. Zwei Fenster gingen auf den Canal und die dunkle Feuermauer des Nachbarhauses hinaus, die jeden Sonnenstrahl fernhielt. An dem einen Fenster stand ein niedriger Tisch mit allem Handwerkszeug eines Holzschneiders; an dem andern ein pultartiges Gestell, vor dem ein junges Mädchen saß, eifrig vertieft in ihre Malarbeit. Ein Strauß frischer Gartenblumen stand in einer kleinen Vase vor ihr, und sie war offenbar beschäftigt, den Kranz, den sie auf einen Porzellanteller malte, mit Blättern und Blüten nach der Natur zu füllen. An den Wänden herum hingen allerlei Skizzen, dazwischen fertige Bildchen, die man sämmtlich schon von weitem für echte »Zaun-Königs« erkennen mußte, während auf einer Staffelei unweit dem vorderen Fenster eine neue, nur halbfertige Zaun-Landschaft stand, über die der Maler sogleich beim Eintreten ein Tuch breitete.

Sie sollen mich nicht gar zu sehr im Négligé sehen, sagte er erröthend. Ich fange gewöhnlich sehr unbeholfen an und strichle an meinen Leinwändchen lange herum, bis sie endlich nach etwas aussehen. Aber da ist meine 93 Tochter Lea. Sie hat den Namen ihrer Mutter. Was sagst du, mein Kind? Du wirst mit mir zufrieden sein. Ich habe dir etwas mitgebracht, was du dir lange gewünscht hast.

Das Mädchen hatte sich bei den ersten Worten des Vaters erhoben, war aber, da sie den Fremden erblickte, mit einer bescheidenen Verbeugung an ihrem Platze stehen geblieben.

Ich wüßte nicht, lieber Vater, was ich mir hätte wünschen sollen, sagte sie jetzt und betrachtete erstaunt die lustig geheimnißvolle Miene des kleinen Mannes, der sich an ihrer Verlegenheit zu weiden schien.

Einen Lehrer, Kind, und zwar diesen sehr gelehrten Herrn Doctor, der nicht so geschwind mit seinem Latein zu Ende sein wird, wie das gute Fräulein damals. Aber er will erst sehen, wie weit du überhaupt schon bist, ehe er sich darüber erklärt, ob er dir Stunden geben möchte. Nun, nun, du brauchst nicht zu erschrecken. Das Examen wird den Kopf nicht kosten, wenn du ihn dir auch hie und da ein bischen zerbrechen solltest. Nicht wahr, Herr Doctor?

Das Mädchen, dessen Gesicht gewöhnlich von einer zarten Blässe überhaucht schien, war plötzlich dunkelroth geworden und schwieg, als ob sie nicht wisse, ob es Spaß oder Ernst gelte. Edwin hatte Zeit, sie zu betrachten. Sie war größer, als der Vater, von kräftig schlankem Wuchs, und schien ihm, bis auf die auffallend kleinen Hände und Füße, in Allem unähnlich. Keine Spur von Heiterkeit lag auf der schönen, vielleicht etwas zu hohen 94 Stirn und den großen, sehr dunklen Augen, die an das mütterliche Blut erinnerten. Sonst war nichts Jüdisches in der Bildung des Gesichts, die Nase ganz gerade, der Mund von einer gewissen sinnlichen Kraft und Fülle, die die Strenge der anderen Züge milderten. Sie hatte das dicke schwarze Haar in Zöpfe geflochten, die sie auf eine sonderbare Art vorn unter dem Halse verschlungen trug, so daß das blasse Oval des Gesichts wie in einen dunklen Rahmen eingefaßt war. Ein einfaches braunes Kleid, der Mode zum Trotz ohne Reifrock, vollendete den ungewöhnlich ernsthaften Eindruck der jugendlichen Gestalt.

Edwin war es auf den ersten Blick klar, daß er sich zu einer solchen Schülerin Glück wünschen könne.

Ihr Herr Vater hat nur gescherzt, sagte er lächelnd. Von einem hochnothpeinlichen Examen ist natürlich nicht die Rede. Im Gegentheil: wenn Sie mich versichern können, mein Fräulein, daß Sie sich selber recht unwissend vorkommen, soll Ihnen jedes weitere Examen erlassen sein.

Nun, das gesteh' ich! lachte der Vater. Die nothdürftigsten Schulkenntnisse werden Sie ihr doch nicht übel nehmen.

Ganz und gar nicht, versetzte Edwin, indem er näher trat und die Malerei des Mädchens betrachtete. Aber sehen Sie, mein Fräulein, ich habe einmal eine junge Dame unterrichten sollen, die mich gleich in der ersten Stunde mit einer solchen Fülle von Bildung überschüttete, so viel von Keilschriften, ägyptischer Mythologie, Kunst- und Literaturgeschichte zu erzählen wußte, daß ich mir 95 selbst neben ihr wie ein Abece-Schütz vorkam. Es sah dabei freilich in ihrem weisen Köpfchen aus, wie in einer Trödelbude, wo das Entlegenste ohne jede Ordnung und Folge friedlich neben einander schlummert. Aber sie hatte in ihre Unschuld keine Ahnung, daß es überhaupt so etwas wie Klarheit und Zusammenhang oder gar Ursache und Wirkung der Dinge und Begriffe geben könne. Und so machte ich ihr und ihrer Mutter das Compliment, daß ich die Ausbildung des Fräuleins unverbesserlich fände, und zog mich eiligst wieder zurück.

Vater und Tochter schwiegen. Edwin ging, wie wenn er an ganz andere Dinge dächte, im Zimmer herum und besah die Skizzen und Studien.

Nun, mein Kind? fragte endlich der kleine Maler, der unruhig zu werden anfing und die Sache überhaupt nicht recht zu begreifen schien.

Sie werden nicht über mich zu klagen haben, sagte das Mädchen jetzt mit einer Stimme, in der eine verhaltene Aufregung zitterte, während ihr die Augen seltsam leuchteten. Ich bin gerade in dem umgekehrten Fall jener jungen Dame. So lange meine Mutter mich unterrichtete, war mir alles Lernen eine Freude. Sie machte es mir nicht leicht; ich mußte Alles selbst finden und durfte nichts gedankenlos nachsprechen. Wenn sie mich darauf einmal betraf, tadelte sie mich. Es war vielleicht nicht viel, was ich bei ihr lernte, auch nicht vielerlei; aber es ging mir Alles sehr nahe, und ich habe nicht ein Wort davon vergessen. Nun ist sie so früh gestorben, und hernach habe ich mir mit Büchern weiter 96 helfen wollen. Da blieb aber Alles wie todt, und ich hatte keine Freude mehr am Lernen. Ich muß es nur gleich gestehen, Herr Doctor, damit Sie nicht doch am Ende noch mehr erwarten: ich habe eine förmliche Abneigung gegen Geschichte und Geographie und auch gar kein Gedächtniß dafür. Dagegen – aber Sie lächeln. Ich wußte es wohl: so schlimm werden Sie es sich doch nicht vorgestellt haben.

Und wozu haben Sie denn Neigung, mein Fräulein? Was ist das, was Sie noch zu lernen wünschen? Stoßen Sie sich nicht an mein Lächeln. Das hat nur sagen wollen, daß es mir in Ihren Jahren nicht viel anders ergangen ist.

Sie schwieg und warf einen scheuen Blick auf ihren Vater. Der kleine Mann schien ihn zu verstehen. Er ging an das andere Fenster und machte sich mit seinen Holzstöcken zu schaffen.

Ich möchte, sagte sie jetzt mit halblauter Stimme, indem sie ihre dunklen Augen auf die Blumen in der Vase heftete, ich möchte über so Vieles klar werden, was mir dunkel durch den Kopf geht. Manchmal, wenn ich still über meiner Arbeit sitze, kommen mir Gedanken, vor denen ich selbst erschrecke. Dann verschwinden sie wieder, weil ich sie nicht festhalten und bis zu Ende denken kann. Es ist, wie wenn Nachts beim Gewitter in einer fremden Gegend ein Blitz niederfährt, und man sieht einen Augenblick Wege und Straßen, und gleich darauf ist wieder Alles dunkel. Oder ich lese eine Stelle in einem Buche, über die ich immer wieder nachsinnen muß und 97 den Verfasser gerne fragen möchte, wie er es gemeint hat, aber es kommt keine Antwort. Ich fühle mich, fügte sie noch leiser hinzu, in vielen Dingen im Widerspruch mit meinem lieben Vater und einer Freundin unseres Hauses, der Professorin Valentin, die eine halbe Theologin ist, während ich – an meinem Willen hat es wahrhaftig nicht gefehlt. Aber was ich nicht fasse, das existirt auch nicht für mich, wenigstens macht es mich eher unselig, als glücklich; und doch, wenn sie sagen, die letzten Geheimnisse der Welt und die göttlichen Gedanken seien für unseren Menschengeist überhaupt nicht zu fassen, so muß ich ihnen Recht geben. Nur daß es mich nicht zur Ruhe kommen läßt, ob man auch wirklich etwas wissen kann und wie viel, oder ob man überhaupt auf alle Wahrheit verzichten muß, – – wenn man leider nicht im Stande ist, zu glauben, was man nicht begreift.

Sie brach plötzlich ab, da der Vater Miene machte, sich ihnen wieder zu nähern. Mit einem raschen bittenden Blick auf Edwin schien sie ihn zu beschwören, das Beichtgeheimniß nicht zu verletzen.

Er lächelte wieder und wandte sich zu dem kleinen Mann, der arglos näher trat. Mein lieber Herr König, sagte er, Ihr Fräulein Tochter hat das vorläufige Examen mit Auszeichnung bestanden. Ich kann nur wünschen, daß die Schülerin mit ihrem Lehrer eben so zufrieden sein möge, wie er es mit ihr zu sein hofft. Uebrigens, wenn es Ihnen recht ist, fangen wir gleich morgen an, und ich finde mich dann einen Tag um den andern 98 in einer Nachmittagsstunde, die Sie selbst bestimmen wollen, bei Ihnen ein.

Der Vater sah seine Tochter an. Ich danke Ihnen aufrichtig, lieber Herr Doctor, sagte er. Sehen Sie nur, wie dem Kinde die Freude aus den Augen glänzt. Was – Ihre übrigen Bedingungen betrifft –

Ich mache nur eine einzige, werther Herr: daß Niemand bei den Stunden zugegen ist. Wenn ich ein Privatissimum lese, halte ich es immer so. Entweder ein öffentliches Colleg, oder unter vier Augen.

Wenn es weiter nichts ist, nicht wahr, Lea, drüben im Wohnzimmer, wo du deinen Schreibtisch hast – aber ich dächte, wir zeigten unserem Freunde gleich die ganze Wohnung, damit er sich das beste Auditorium aussuchen kann. – –

Als Edwin nach einer halben Stunde sich empfahl, hatte er jeden Winkel des Häuschens kennen gelernt, die Nische im Wohnzimmer, in der die Büste von Lea's Mutter stand, das grüne Sopha davor, die Epheulaube am Fenster, dann auch die Wassertreppe an der Lagune, wo eine freundliche alte Magd mit der Wäsche beschäftigt war und den Gast neugierig betrachtete, mit einem Blick auf ihre junge Herrin, der das Jean Paul'sche Wortspiel von dem Lehrmeister, der ein Mehrleister werden könnte, zu illustriren schien. Ihm selbst wäre dergleichen nicht im Traum eingefallen. Er war sehr aufgeräumt und plauderte von hundert Dingen, wie mit alten Bekannten. Als er sich dann verabschiedet hatte 99 und draußen auf der Straße noch einen Augenblick am Geländer des Canals stehen blieb, schien es ihm gar nicht mehr unbegreiflich, daß die Bewohner dieser unscheinbaren »Hütte« sie gegen keinen Palast vertauscht haben würden. 100



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