Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Zehntes Kapitel.

Desselben Tages gegen Dunkelwerden sah man den kleinen Maler mit raschen Schritten die Straße entlang eilen, in der die Professorin wohnte. Wer ihn am Morgen in seinem Atelier gesehen, hätte ihn jetzt schwerlich für denselben Menschen gehalten. Obwohl die Märzluft älteren Herren nicht gerade frühlingsmäßig vorkommen konnte, hatte er sich lustig und leichtfertig wie ein junger Fant, den das verliebte Blut warm hält, ohne seinen Ueberrock aus dem Hause fortgestohlen und schien auch draußen nichts zu vermissen. Ein Veilchensträußchen, das ihm ein armes Mädchen anbot, hatte er mit einem blanken Fünfgroschenstück bezahlt und zierlich ins Knopfloch gesteckt, der weiße Cylinder saß ihm verwegen auf dem linken Ohr, wie es immer geschah, wenn er seine begeisterte Stunde hatte, und die Leute, die ihn so vorbeistreichen und mit lustig verschmitztem Gesicht umherblicken sahen, dann und wann einem hübschen Kinde zunickend oder mit seinem Stöckchen herumfuchtelnd, mochten wohl glauben, der Wein habe sich mit dem kleinen Mann einen seiner bekannten Späße 337 gemacht und ihm eingeredet, er sei wieder zwanzig Jahr und dürfe sich unpassend und ungebunden betragen trotz dem hoffnungsvollsten jungen Akademieschüler.

Als er aber von fern das Haus der Professorin erblickte, veränderte sich auf einmal seine herausfordernd glückliche Miene, sein Gang wurde mäßiger, und ein nachdenklicher Schatten fiel über seine ganze Erscheinung. Er blieb sogar einen Augenblick stehen, als erwäge er, ob es nicht besser sei, umzukehren. Dann aber schien er sich seiner Mannhaftigkeit, freilich mit einem Seufzer, zu besinnen, knöpfte den obersten Knopf seines Röckchens energisch zu, rückte den Hut gerade und ging mit resoluten Schritten auf das Haus seiner geistlichen Freundin zu.

Er fand sie oben in der großen Stube unter einer Schaar kleiner Mädchen, die sie zweimal in der Woche nach der Schule zu sich kommen ließ, um sie in Handarbeiten zu unterrichten und dann, gestärkt durch Lehren der Weisheit und Tugend und eine Tasse Kaffee nebst großer Semmel, nach Hause zu entlassen. Gerade war die Stunde abgelaufen, und das kleine Volk drängte sich tumultuarisch um seine Wohlthäterin, die den vielfachen Handküssen meist mit einem Streicheln der runden Wangen oder einem freundlichen Klaps auf die Schulter vorbeugte. Sie merkte trotz der starken Dämmerung sofort an der Miene und Stimme ihres alten Freundes, daß ein ungewöhnlicher Anlaß ihn zu ihr geführt hatte, und ging ihm rasch voran in das Nebenzimmer, wo vor dem Bilde des seligen Professors ihre kleine Lampe schon 338 angezündet war. Ihre erste Frage war Lea. Es gehe ihr gut, antwortete der Maler, indem er zugleich den Veilchenstrauß aus dem Knopfloch zog und ihn galant seiner alten Flamme überreichte.

Bester Freund, was ist mit Euch vorgegangen? fragte die kluge Frau betroffen. – Sie ihrzten sich gewöhnlich, wenn sie unter vier Augen waren, da sie zum »Sie« nachgerade einander zu nahe standen und zum »Du« sich doch nicht aufzuschwingen wagten.

Mit mir? warf er ganz kecklich hin, als ob er sich wirklich zutraute, vor dieser Frau ein Geheimniß haben zu können. Ich weiß nicht, was Ihr wollt, Schönste und Beste. Ich bin doch nicht anders als sonst. Aber Ihr habt es hier zum Ersticken heiß. Erlaubt, daß ich wenigstens dort das Fenster –

Lieber König, sagte sie sehr ruhig, macht doch keine Dummheiten. Ich lese ja in Eurem guten alten Herzen wie in meinem großgedruckten Gesangbuch. Ihr seid hergekommen, um mir eine Nachricht zu bringen, die Euch freut, und doch habt Ihr nun wieder nicht das Herz, damit herauszurücken. Und das eben wundert mich. Denn was Euch freut, mein alter Freund, ist doch noch immer auch mir lieb und willkommen gewesen. Also fix heraus damit. In einer halben Stunde muß ich in den Wöchnerinnenverein. Mit Lea steht es gut? Sollte irgend ein Charlatan von Doctor Euch plötzlich so voll gutes Muths gemacht haben?

Ihr seid die Weisheit in Person, – lächelte der Maler, der sich auf ihren Platz am Nähtisch gesetzt hatte und 339 bedächtig in ihrem Körbchen herumkramte. Ein Doctor ist es freilich, der mir Muth gemacht hat, aber ein Charlatan ist er nicht, und die Sache ist überhaupt –

Er stockte wieder und bückte sich, einen Fingerhut zu suchen, den er inzwischen glücklich hinuntergeworfen hatte.

Laßt um Gotteswillen Eure Hände von meinen Sachen, schalt die gute Frau. Ihr wißt, es macht mich nervös, ungefähr wie Euch, wenn ich in Eure Bilder hineinmalen wollte. Und jetzt kurz und gut, denn ich hasse alle Räthsel und Charaden: von welchem Doctor sprecht Ihr, und was hat er Euch für Hoffnungen gemacht?

Ihr sollt es erfahren, beste Freundin, aber ich weiß, Ihr werdet nicht ganz einverstanden mit der Curmethode sein, und darum möchte ich Euch ein bischen vorbereiten; denn Ihr könnt manchmal Augen machen, daß selbst ein alter Freund sich vor Euch fürchtet. Aber wenn Ihr durchaus wollt, kurz und gut also: unsere Lea ist Braut!

Braut? Das ist freilich eine Neuigkeit, auf die man nicht vorbereitet sein konnte. Lieber alter Freund, ich hoffe, Ihr macht Euch keinen Scherz mit mir. Ihr seht fast so aus, als kämt Ihr von einem Trinkgelage und hättet allerlei Faxen und Phantastereien im Kopf.

Wieder ein Zeichen Eurer scharfblickenden Weisheit, schönste Frau! lachte der Meister und rieb sich sehr zufrieden die Hände, da er das Schwerste bereits herausgebracht hatte. Ich habe auch wirklich eine ganze halbe Flasche ausgestochen, oder vielleicht drei Viertel, da mein Schwiegersohn, der Bräutigam wollte ich sagen – diese 340 verliebten Menschen wissen einen edlen Tropfen gar nicht zu würdigen –

Nun das wird ja immer besser! So weit sind die Sachen schon? Ein förmliches Verlobungs-Diner, und Lea's zweite Mutter hätte die ganze Geschichte am Ende noch gar nicht erfahren, wenn nicht der Wein ausplauderte? Nun, Herr König, ich habe Ihnen Manches in unserer langen Bekanntschaft zu Gute halten müssen; das aber – das –

Er sprang wie eine Feder von seinem Stuhle auf und näherte sich der gekränkten Freundin, die sich auf das Sopha gesetzt hatte und entschieden von ihm wegzusehen sich bemühte.

Beste Frau, sagte er, hört doch nur erst, wie Alles kam. Gerade weil wir alle so viel Respect vor Euch haben, wollten wir uns erst ein wenig besinnen und uns gegenseitig aussprechen, ehe wir Euch um Eure Einwilligung bäten. Lieber Gott, es kam mir selbst so wie vom Himmel herunter. Und in allem Glück – Ihr könnt es mir wirklich glauben – verließ mich der Gedanke nie, was Ihr dazu sagen würdet. Ihr wißt ja am besten, wie ich unter Eurem Pantoffel stehe, und wie gern ich mich in dies sanfte Joch ergebe, obwohl Ihr mich manchmal schlechter behandelt, als meine alte Liebe und Treue verdient. Aber diesmal – nein! ich konnte nicht erst bei Euch anfragen. Sagt selbst: wenn Euer Kind in den Fluß gefallen wäre und ein Mann fände sich, der es herausziehen wollte, würdet Ihr erst fragen, was für einen Glauben er hat? Nun seht, obwohl ich weiß, daß Ihr den Doctor – 341

Doctor Marquard? Dieser Ehefeind und Don Juan? Dieses Weltkind in der schlimmsten Bedeutung des Wortes – und unsere Lea? –

Bewahre, liebe Freundin; diesmal läßt Eure prophetische Seele Euch im Stich. Aber ich weiß kaum, ob der richtige Bräutigam Euch nicht noch entsetzlicher vorkommen wird. Seht, ich bin vielleicht ein schwacher Christ, jedenfalls ein schwächerer, als Ihr, und was die höhere Theologie betrifft, so habt Ihr im kleinen Finger mehr davon, als ich in meinem ganzen Malerschädel. Und doch – auch ich kriegte zuerst einen Schrecken, wie die Kinder zu mir kamen und mir gestanden, was mir nie im Traum eingefallen wäre: dieser liebe, gottlose Mann von einem Philosophen –

Edwin? Doctor Edwin? O meine Ahnung!

Ja wohl, nickte der kleine Maler, kein Anderer als der verabschiedete Lehrer, der nun die unterbrochenen Lectionen ein ganzes Lebenlang fortsetzen wird. Glaubt Ihr, daß die rothen Wangen und lebensfrohen Augen meines armen Mädchens mich gleich darüber getröstet hätten, daß es nun mit der Gotteskindschaft für immer aus sein würde? Aber wie gesagt, nur ein Unmensch von Vater hätte das Herz gehabt, Nein zu sagen, wo es sich um Tod und Leben seines geliebten einzigen Kindes handelte. Oder wenn das Wort zu hart ist: ein alter Märtyrer aus dem dunklen Mittelalter gehörte dazu, das Kind lieber sterben und verderben zu sehen, als mit einem Ungläubigen leben und glücklich sein. Und daß sie nur an verschwiegener Liebe krank gewesen ist und 342 ohne ihren Schatz jämmerlich verschmachtet wäre, das habe ich schon bei Tische deutlich gesehen, wo sie plötzlich, bloß weil er neben ihr saß und sie liebevoll ansah, einen Appetit bekam, wie seit Monaten nicht, trotz aller Seligkeit, und nachher ist sie, wie er endlich gegangen war, so auf dem Sopha liegend fest eingeschlafen, fester als mit allen Schlaftrünken der Welt. Da hab' ich mich denn weggestohlen, den schweren Gang zu Euch zu machen, meine theuerste Freundin. Und nun sagt mir ein gutes Wort, – und wenn es kein gutes sein kann, dann lieber noch ein böses, als daß Ihr da so still und stumm im Sopha sitzt und das Tuch vors Gesicht drückt, daß ich nicht einmal sehen soll, was für eine Miene meine beste Freundin zu dem Glück meines armen Kindes macht.

Da nahm sie das Tuch weg und zeigte ihm zwei von Thränen überströmende Augen, die ihn mit einem seltsamen Ausdruck zwischen Groll und Güte ansahen. Sie sind ein alter Heuchler, sagte sie und trocknete ihre Wimpern. Ich bin gar nicht, wie Sie sagen, Ihre beste Freundin, sonst würden Sie mich nicht so gottlos verkannt und verleumdet haben, vor sich selbst, und gewiß auch vor Braut und Bräutigam, als ob ich hier mit einer Ober-Consistorial-Miene säße und es ziemlich lebensgefährlich wäre, mir die Verlobungs-Anzeige ins Haus zu bringen. Pfui, schämen Sie sich, Sie Kleingläubiger. Sie sind freilich ein schwacher Christ, wenn Sie Ihren Nebenmenschen ein Herz voll Eifer und Unduldsamkeit zutrauen, statt eines, das in Gottes 343 Rathschluß ergeben ist und mit Dank und Hoffnung hinnimmt, was er schickt. – Wenn ich jetzt habe weinen müssen, und nicht bloß aus Glück und Dank, daß unsere Lea gerettet ist, sondern auch aus Aerger über Sie, böser Mensch, so machen Sie Ihre Sünde wieder gut und bringen gleich heute noch dem gottlosen Doctor meine Gratulation und zugleich die Einladung, morgen unter acht Augen hier zu essen, verstehen Sie? und dabei geben Sie mir die Ehrenerklärung, daß ich besser bin, als mein Ruf, und gar keine so verknöcherte Theologin. Mein liebes Kind! meine Lea! Ja freilich, so bloßes Heidenthum ihr beibringen zu lassen, dazu konnte ich sie nicht hergeben. Aber wißt Ihr nicht, lieber Freund, daß Gottes Wege wunderbar sind? Wenn er nun diese beiden Herzen, die von ihm nichts wissen noch wissen wollen, auf diesem Umwege zu sich ziehen will, daß er sie erst zu einander führt, sie alles Leid und alle Freude des Ehestandes erfahren läßt, um dann Hand in Hand und Herz an Herz zu ihrem himmlischen Vater sie zurückzuführen? Es giebt gar keine wirksamere innere Mission, als den Ehestand, für zwei rechtschaffene Menschen, versteht sich, und daß der Doctor eine redliche Seele hat, bei all seiner Blindheit, nun, daran haben wir doch nie gezweifelt. Also Ja und Amen, lieber Freund, und weil es ein solcher Freudentag ist, soll auch allen Sündern vergeben sein. Zum Zeichen, daß ich Euch nichts nachtragen will – kommt, liebster Brautvater, und laßt Euch von der Brautmutter umarmen.

Ihr seid ein himmlischer, gebenedeiter Engel! rief 344 der Maler und machte von der Erlaubniß so stürmisch Gebrauch, daß die erröthende Frau sich endlich nur mit Gewalt seiner erwehren konnte. Ja wohl, fuhr er fort, da er endlich wieder zu Athem kam, diese Ehe ist wahrhaftig im Himmel geschlossen, alle Zeichen treffen zu. Seht, liebe Frau, wie wundersam das ist, daß ich gerade heute früh sehr mißgestimmt darüber brütete, ob ich meinen ganzen Hofmaler sammt dem Gehalt Sr. russischen Durchlaucht nicht lieber vor die Füße werfen, als länger so mit Sünden, unthätig und unlustig, das Geld verzehren sollte. Wer weiß, ob der Fürst mich nicht schon vergessen hat, und ich kann da Jahr um Jahr hinsitzen, wie ein Narr, und immer auf Bestellungen warten, die nie kommen. Aber nun merk' ich, daß der liebe Gott dies so gefügt hat, damit ich meiner Lea doch nicht so ganz bettelhaft die Ausstattung besorgen kann. Beste Frau, ich weiß, was Ihr immer gesagt habt: das sei Eure Sache. Aber ein Vater möchte am Ende doch auch –

Er war eben im Zuge, Alles herauszuplaudern, was er sich schon über die nächste Zukunft zurechtgedacht hatte, als das Mädchen der Professorin hereintrat und einen Besuch meldete. Der Herr habe nur eine kurze Frage zu thun und wolle seinen Namen nicht nennen. Ehe ihre Herrin noch Zeit gehabt, eine Antwort zu geben, hörte man schon einen raschen Schritt im Vorzimmer, und zu nicht geringer Ueberraschung des Zaunkönigs trat die hünenhafte Gestalt Heinrich Mohr's über die Schwelle. 345

Ich bitte tausendmal um Vergebung, stieß er mit seiner rauhen Stimme hervor. Ich bin sonst, obwohl ich im Ruf der Formlosigkeit stehe, nicht so zudringlich und unartig, daß ich einer Dame ohne Weiteres ins Zimmer einbreche. Aber Verhältnisse, die sich später aufklären werden – die Ueberzeugung, daß Gefahr im Verzuge ist – vielleicht hängen einige Menschenleben daran, daß die gnädige Frau die Güte hat, mir nur fünf Minuten Gehör zu schenken.

Er hatte dies in so seltsamer Aufregung vorgebracht, sein ganzes Aussehen war so verstört, daß die Professorin in der That nicht wußte, ob sie ihm seine Bitte gewähren sollte. Der kleine Maler riß sie aber aus allem Schwanken.

Bester Freund, rief er, Sie stören nicht im Geringsten, denn meine Sendung hier ist erfüllt, ich muß eilig nach Hause, den venetianischen Palast zu illuminiren; unsere Lagune soll blitzen und funkeln trotz dem Canal grande bei der Vermählung des Dogen, und Sie sind auch geladen, lieber Herr Mohr. Keine Einwendungen. Sie sind es ja schon allein Ihrem Freunde schuldig.

Wem?

Nun, unserm Doctor, Ihrem Freunde Edwin, dem Bräutigam meiner kleinen Lea. Wissen Sie es denn noch nicht?

Keine Silbe. Also verlobt! Ich gratulire. Aber rechnen Sie nicht auf mich für heute Abend.

Der Maler stutzte und sah ihn groß an. Diese 346 kaltblütige Art, eine so große Neuigkeit aufzunehmen, wunderte und verdroß ihn. Aber seine Heiterkeit war zu strahlend, um lange getrübt zu werden. Wie Sie wollen, sagte er, und darum keine Feindschaft. Das junge Paar wird Sie ohnedies nicht vermissen, und mit mir altem Knaben so trocken daneben zu sitzen – Sie haben Recht, es wäre ein schwaches Vergnügen. Also ein andermal und Gott befohlen!

Er ergriff seinen Hut und schwenkte ihn in übermüthiger Laune zum Abschiede gegen die Professorin. Dabei lös'ten sich die Nadeln, die den etwas morschen Florstreifen festgehalten hatten, und das Zeichen siebenjähriger Trauer fiel zu Boden. Er wollte sich danach bücken, besann sich aber eines Andern. Nein, sagte er, lassen wir ihn liegen. Wenn die Mutter auf ihr Kind herabsieht, wird sie es nur natürlich finden, daß von heute an kein Flor mehr getragen wird. Auf Wiedersehen, beste Freundin! Es bleibt dabei, daß Sie ein Engel sind. 347



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