Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Zwölftes Kapitel.

Edwin's Schritt erklang draußen auf der Treppe.

Als er eintrat, sah er Balder vor dem Ofen sitzen und mit dem Schürhaken in der hellen Flamme herumstochern.

Guten Tag, Kind, sagte er, mit einem Gesicht, das heiterer war als sonst. Was treibst du? Wo ist Franzel? Hast du hier Papiere verbrannt?

Ich habe noch ein wenig nachgelegt, sagte der Jüngling und beugte sich nach der Glut hinab, um sein Erröthen zu verbergen. Es fing an kühl zu werden. Franzel ist erst vor Kurzem gegangen, wahrscheinlich zu seiner Braut.

Unser Volkstribun Bräutigam? Der Verschwörer gegen sich selbst verschworen? Und mit wem, wenn man fragen darf?

Du hast doch recht gesehen, Edwin, als du bemerktest, daß mit Reginchen etwas vorgegangen sein müsse. Uebrigens ist es noch ein Geheimniß. Es freut mich sehr. Ich glaube, sie passen zu einander.

Sieh, sieh! aus Kindern werden Leute. Unser 174 Menschenfreund und Weiberhasser und die kleine Hausschwalbe! Das sind ja Neuigkeiten. Nun, auch ich kann mit einer Neuigkeit aufwarten. Eben wie ich unten ins Haus will, hält mich der Briefträger an und giebt mir eine Epistel, die unter Brüdern ihre fünfzig Ducaten werth ist: wir haben den Preis gewonnen, mein Junge!

Deine Abhandlung? Das ist schön!

Schön? Nichts als schön? Ich finde, daß deine brüderliche Liebe dieses Wunder sehr phlegmatisch aufnimmt.

Weil ich Nichts natürlicher finde, als daß du endlich anerkannt wirst. Ich habe nie daran gezweifelt.

Ja, ja, Kind, lachte Edwin und strich dem Bruder liebkosend über das dichte Haar, wenn du morgen in der Zeitung läsest, ein gewisser Dr. Edwin sei zum Großmogul ernannt worden, oder, was noch fabelhafter wäre, zum Cultusminister, würdest du, in deiner bekannten Verblendung, das Blatt hinlegen und sagen: mich wundert nur, daß sie den klugen Gedanken nicht schon lange gehabt haben. Nun denn, du Mann des nil admirari, so kann ich auch mit meiner zweiten Neuigkeit herausrücken, ohne Furcht, dich besonders aufzuregen: die Facultät, die so weise war, meine Abhandlung zu krönen, hat einen solchen Narren an mir gefressen, daß sie trotz meiner radicalen Richtung mir eine Professur anbietet. Das heißt, vorläufig nur unter der Hand. Sie haben mit allerlei Gegenströmungen zu kämpfen und müssen laviren, um mich durchzubringen. Aber sie glauben, wenn ich hinkäme und mich zeigte, würden gewisse altgläubige Collegen, die mich für einen Höllensohn 175 halten, sehen, daß der Teufel nicht so schwarz ist, wie man ihn malt. Ich soll also kommen, sehen und siegen, und das bald, denn die Professur ist schon seit Ostern vacant, und noch in diesem Wintersemester möchten sie collegium logicum wieder versorgt sehen. Die Bedingungen sind nicht schlecht, jedenfalls ein Stück Brod, wenn auch vorläufig ohne Butter. Nun, wenn nichts daraus werden kann, es ist doch immer ein Zeichen, daß das Licht siegen will über die Finsterniß »und daß der Tag des Edlen« – deines theuren Bruders nämlich – »endlich komme.«

Nichts daraus werden? Aber ich bitte dich, Edwin –

Nun, Kind, das ist doch klar. Wir können doch nicht im Winter unser Zelt abbrechen und fünfzig Meilen nach Süden wandern, mit deiner nothdürftig geflickten Lunge, und da wir gar nicht wissen, wie dir das Klima dort bekommt? Ja, wenn man die »Tonne«, gehörig emballirt und so wie sie geht und steht, als Frachtgut verschicken könnte, ein Glas darauf gemalt und »Zerbrechlich« –!

Sie schwiegen eine Weile. Balder hielt das Schreiben der Facultät in der Hand und schien es immer wieder von vorn zu lesen. Es war in den ehrenvollsten Ausdrücken der Preisschrift darin gedacht, ihre besonderen Verdienste hervorgehoben, dann in einem Privatbriefe des Decans der Wunsch betont, eine so vielverheißende junge Kraft ihrer Universität zu gewinnen.

Edwin war an sein Pult getreten und fing an, eine Feder zu schneiden. 176

Studirst du noch immer, Kind? warf er mit nachlässigem Tone hin. Sie schreiben einen hübschen Stil in jener Gegend, nicht wahr? Nun, wir wollen uns auch zusammennehmen.

Weiß sie es schon? fragte Balder, ohne aufzublicken.

Sie? wo denkst du hin. Ich habe sie ja seit vierzehn Tagen nicht gesehen. Und übrigens, was hätte sie für ein Interesse daran? Wenn ich sie nächstens besuche, hört sie es noch früh genug, und auf die Preisschrift wird sie auch dann noch nicht neugierig werden. So eine Herzogin!

Balder stand ruhig auf, legte die Briefe auf den Tisch und sagte: Du wirst mir das nicht anthun, Edwin, daß du im Ernst meinetwegen Nein sagst. Ich – siehst du – ich kann ja, wenn es sein muß, diesen Winter noch hier bleiben und komme erst in der guten Jahreszeit nach. Du weißt, wie vortrefflich ich hier aufgehoben bin, und gesund bin ich ja auch wieder. Aber das Wichtigste ist, daß du erst mit ihr davon sprichst. Jetzt steht ja nichts mehr im Wege.

Kind, rief Edwin und warf die Feder weg, willst du mich tollmachen? mir Dinge als möglich vorspiegeln, die ein für alle Mal – Aber nein, es ist Thorheit, überhaupt nur im Ernst davon zu reden. Komm, wir wollen essen. Ich höre unser Diner die Treppe heraufkommen, und seit ich weiß, daß wir fünfzig Ducaten reich sind, habe ich einen Hunger wie ein Millionär – oder nein, die hungern nie – also wie ein Mensch, der nie fünfzig Ducaten beisammen gesehen hat. 177

Die Thüre ging auf. Aber statt der Magd, die das Essen zu bringen pflegte, trat der kleine Jean herein, das runde Kindergesicht mit den starren blauen Augen drollig eingemummt in den hohen Kragen eines dicken Flausrocks, die Haare unternehmend nach vorn frisirt, die Backen von dem scharfen Ostwind roth wie Borsdorfer Aepfel. Er hatte eine Düte in der Hand, aus der er nach einer linkischen Verbeugung ein Veilchenbouquet herauswickelte. Das soll ich an den kranken Herrn abgeben, sagte er mit seiner automatenhaften Fistelstimme, und das gnädige Fräulein lassen fragen, wie es mit dem Befinden stehe.

Balder nahm ihm den Strauß aus der Hand. Sage nur, es gehe wieder gut, und mein Bruder würde heute Nachmittag selbst kommen und meinen Dank für die schönen Blumen ausrichten. Und hier – er griff in die Tasche und zog den letzten Thaler heraus, den er noch besaß – du hast so oft die steile Treppe hinaufklettern müssen –

Der Knabe trat einen Schritt zurück. Das gnädige Fräulein haben mir streng verboten, sagte er – ich darf nichts nehmen.

Du kannst sagen, wir hätten das große Loos gewonnen, hörst du wohl? sagte Balder lächelnd, indem er ihm den Thaler in die Tasche seines Flausrocks schob. Und nun geh und grüße dein gnädiges Fräulein, und heute Nachmittag – verstanden?

Der Knabe nickte gravitätisch wie immer und schob sich mit einer ehrbaren Verbeugung aus der Thür. 178

Was hast du da angerichtet! rief Edwin, sobald sie allein waren. Kind, Kind, du willst mit aller Gewalt, daß ich meinen Kopf selbst unter das Messer liefre, oder wenigstens mein Herz. Meinst du, sie würde einen besonderen Reiz darin finden, Frau Professorin zu heißen?

Stelle diese Blumen ins Wasser, Edwin, und dann auf dein Pult. Sie gelten doch nicht mir. Das Uebrige wird sich Nachmittags finden; denn hier kommt wirklich das Essen, und all die Neuigkeiten, die dieser Morgen gebracht hat, haben auch mich hungrig gemacht. Wie geht es heut Reginchen, Lore?

Es scheint, etwas besser, sagte die alte treue Person, die schon viele Jahre im Hause war, mit einem geheimnißvollen Schmunzeln. Wenigstens habe ich vor einer Stunde den Herrn Franzelius zu ihr hineingehen sehn, und jetzt ist er noch da und hat sogar mitgegessen, und Reginchen hat erst geweint und dann gelacht, so daß es mit dem Kranksein wohl nicht so gefährlich sein muß. Herr du meine Güte, und ich habe sie noch auf dem Arm getragen! 179



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