Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Neuntes Kapitel.

Bei seinem Eintritt fuhr der kleine Maler von dem Sessel am Fenster auf, wo er, in tiefes Brüten versunken, schon eine ganze Weile gesessen haben mochte.

Gott sei Dank! rief er, und sein verhärmtes treuherziges Gesicht erhellte sich, während er Edwin beide Hände entgegenstreckte – Sie wandeln wieder unter den Lebendigen. Es ist hübsch, daß Sie gleich an Ihre alten Freunde denken – obschon, hier ist keine Luft für einen eben Genesenen. – Sie kommen zu Leuten, die mitten am schönsten Frühlingstag in Trübsal sitzen und im Schatten des Todes. Nun – wie Gott will, ich halte still!

Er erzählte nun, wobei ihm die Thränen über die Wangen liefen, es sei mit Lea so weit gekommen, daß sie kaum noch eine Stunde Schlaf finde, und was sie an Nahrung zu sich nehme, reiche kaum für ein Wochenkind. Dabei trage sie ihr Schicksal mit einer himmlischen Geduld, daß er sich oft verwundere, was ihr die Kraft gebe, da sie doch weder bete, noch Alles hinnehme als den Willen eines allgütigen Vaters, der das 329 Unbegreiflichste und Schwerste herrlich hinausführen werde. Sie ist darin wie ihre Mutter; ihre einzige Wehr' und Waffe gegen alles Leid war Schweigen und Nachdenken. Gehen Sie zu ihr, lieber Doctor; ich weiß, daß es sie freuen wird. Sie hat immer so große Stücke auf Sie gehalten, und Gott ist mein Zeuge, wie oft ich es mir vorgeworfen habe, daß ich damals der guten Professorin nachgab und Ihre Lehrstunden – Doctor Marquard sagt, es komme mit aus dem Gemüth – wenn sie sich zerstreuen könnte, nicht immer über Einem Gedanken brüten – lieber Himmel, wenn die Philosophie ihr Schlaf und Appetit wiedergeben könnte, mir mein Kind erhalten –

Er verstummte plötzlich und drückte sein Tuch vor die Augen.

Wenn Sie mir Vollmacht geben, lieber Herr König, sagte Edwin, so will ich versuchen, was ich vermag. Die Philosophie hat schon so manche bösen Geister gebannt und ganzen Geschlechtern ein neues Blut eingeflößt. Ich will mit Ihrer lieben Tochter sprechen, und ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.

Er wandte sich ab, seine Bewegung zu verbergen, und verließ rasch das Atelier. Als er zu Lea ins Zimmer trat, fand er sie auf dem Sopha ruhend, ein Buch auf dem Schooß, die schönen dunklen Augen ihm entgegengerichtet, wie zwei große Flammen, an deren Glut das Wachsbild langsam sich verzehrte. Sie war im Uebrigen nicht verändert, nur die Haut noch durchsichtiger und ein leidvolles Lächeln um ihre 330 Lippen gleichsam erstarrt. Wie er aber jetzt zu ihr trat und mit einem herzlichen Wort ihre Hand faßte, überflog ein dunkles Roth das zarte Gesicht und gab ihm plötzlich den Schein blühender Frische und Gesundheit.

Was machen Sie uns für Kummer, liebe Lea! sagte er und rückte einen Stuhl neben ihr Ruhebett. Nein, Sie müssen ganz so bleiben, wie Sie sind, wenn Sie mich nicht vertreiben wollen. Ich habe mich so darauf gefreut, Sie wiederzusehen! Seit jenem schrecklichen Tage habe ich ja nur durch Andere von Ihnen gehört. Und doch nicht bloß durch Andere: auch durch Sie selbst. Wissen Sie, daß ich erst gestern Ihr Tagebuch gelesen habe?

Sie bewegte den Kopf, als ob sie ihn bitten wollte, nicht davon zu sprechen, und sagte: Sie haben so viel Besseres zu thun – wenn mein Vater es nicht gewünscht hätte –

Nein, theures Fräulein, sagte er, ich wollte nur, ich hätte meine Zeit nicht an so viel Unnützeres verschwendet, ehe ich dieses Heft in die Hand nahm. Und doch, wer weiß, ob ich früher fähig gewesen wäre, den ganzen Werth des anvertrauten Schatzes zu würdigen.

Sie erblaßte plötzlich. – Nein, sagte sie leise, thun Sie das nicht, behandeln Sie mich nicht wie ein kindisches Mädchen, dem Sie Artigkeiten sagen, weil Sie glauben, Sie müßten mich schonen oder mir schmeicheln, da Sie meine Schwäche sehen. Es thut mir weh – ich war es anders gewöhnt von Ihnen – 331

Ich weiß, daß Sie leidend sind und der Schonung bedürfen, versetzte er mit leise bebender Stimme. Und doch, liebe Lea, ich bin gekommen, Ihnen etwas zu sagen, was Sie jedenfalls aufregen wird, Sie mögen nun davon denken, was Sie wollen, und mir antworten, wie Sie können. Seit ich diese Blätter gelesen habe, ist es mir klar geworden, daß ich bisher wie ein Träumer im Nebel getappt und das wahre, das einzige Glück nicht erkannt habe: das Glück, eine Seele, wie sie in diesen Blättern sich enthüllt, gefunden zu haben und sie nie wieder zu verlieren! –

Man hat uns trennen wollen, liebe Lea, fuhr er in wachsender Erregung fort, während sie mit geschlossenen Augen, die Hände auf ihre Brust gedrückt, ohne ein Zeichen des Lebens dalag. Aber es hat uns nur inniger verbunden. Wir haben Beide erlebt, wie nöthig wir uns sind, wie wenig geschickt, es sonst mit dem Leben aufzunehmen. Von mir zwar werden Sie es bezweifeln, ob ich Sie überhaupt entbehrt habe; ja mir selbst kam es nicht zum Bewußtsein. Ich war von einer Leidenschaft befangen, die wie eine dämonische Verzauberung mich mir selbst entfremdete. – Ich weiß nicht, wie viel Sie davon wissen oder ahnen, liebe Freundin. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich die elementare Macht eines Weibes erfahren und schwer darunter gelitten. Es ist vorbei, Lea, vorbei bis auf die letzte Spur. Jene Andere wird eines Andern Frau, und ich habe bei der Nachricht nicht das leiseste 332 Zucken meines Herzens gespürt. – O Lea, es war eine furchtbare Zeit! Wenn ich jetzt denke, es hätte anders kommen und mein Schicksal sich für immer unter diese Macht beugen müssen, – eine Macht, die den Stolz und die Freiheit und Alles, was sonst werth und würdig ist, wie ein Spielzeug mißhandelte und mich selbst in den Tagen von Balder's schweren Leiden fast gefühllos machte – so schaudere ich vor mir selbst und der Gefahr, der ich entronnen bin. Aber wissen sollen Sie es, Lea: ein so schwacher Mensch ist Der, der nun zu Ihnen kommt und sagt: wollen Sie, können Sie trotzdem Ihr Leben an das meine knüpfen? Kannst du deine Seele Dem hingeben, Lea, der schon einmal sich selbst verloren hatte, sich und dich, und die Spuren dieser Knechtschaft vielleicht nie ganz wird verwinden können?

Wenn Sie jetzt Nein sagten, Lea, ich würde es verstehen und müßte es tragen. Ich weiß, daß ich Ihnen theuer war. Sie hätten jenes Heft lieber verbrannt, als mir anvertraut, wenn Ihr Herz Sie nicht rückhaltlos zu mir hingezogen hätte. Und doch, Lea, ich würde nicht geringer von Ihnen denken, wenn nach dem Bekenntniß, das ich Ihnen eben gemacht, Ihr Herz sich wieder zurückzöge, Ihr Stolz es Ihnen verwehrte, mit dem vorlieb zu nehmen, was ich Ihnen mit dem redlichsten Gefühl entgegenbringe. Sie dürfen erwarten und fordern, daß der Mann, dem Sie sich schenken, diesen Schatz mit einer überschwänglich leidenschaftlichen Hingebung Ihnen lohnt, daß sogar der Gedanke, eine 333 andere Macht könne ihm gefährlich werden, ihm für ewig fern bleibt. Ich, liebste Lea, bin, wie Sie mich hier sehen, ein kaum geheilter Flüchtling aus einer harten Schlacht. Ich komme zu Ihnen, weil ich weiß, daß ich nirgends sicherer geborgen bin, nirgends eine unnahbarere Zuflucht finden kann, als bei Ihnen. Was ich für Sie fühle – wir sind, unterbrach er sich mit einem stillen Lächeln, nicht bis zu Spinoza gekommen, daß Ihnen der Schulausdruck geläufig wäre. Sehen Sie, die Empfindung des Menschen gegen Das, was jener hohe Weise Gott nannte, die absolute Substanz, die Alles umfaßt, thut und will, die Steigerung aller Empfindungen, die erfolgt, wenn wir uns denkend in das Wesen dieses All und Einen vertiefen, nennt er die »intellectuelle Liebe«. Es ist weder ein Scherz noch eine Lästerung, sondern der einfache Ausdruck der Wahrheit, wenn ich Ihnen sage: mit einer solchen Liebe liebe ich dich, Lea! Jene blinde, dämonische Leidenschaft, die man sonst Liebe nennt, ist mir aus dem Blute weggespült – ich hoffe, für immer. Was nun in mir lebt, ist die selige Erkenntniß, daß du das beste, tiefste, holdeste, adligste Menschenbild bist, das je auf Erden erschienen, das Ein und All, in dem meine Welt beschlossen ist, und daß der Mann, den du liebtest und dem du gehören wolltest, der Glücklichste aller Sterblichen wäre!

Er hatte sich, indem er die letzten Worte stammelte, auf ihre Hände herabgebeugt und glitt nun neben ihrem Ruhebett auf den Teppich nieder, ihre Hände fest in 334 den seinigen haltend, seine Augen auf ihre kühlen, schlanken Finger gedrückt, unfähig, ihr ins Gesicht zu sehen. So lag er eine ganze Weile in einer seligen Dumpfheit, und es that ihm so wohl, es ihr überhaupt nur gesagt zu haben, was er in sich trug, daß ihm kaum vor ihrer Antwort bangte, obwohl er weit entfernt war, sicher auf eine günstige zu hoffen.

Sie aber schwieg noch immer. Zuletzt wurde es ihm dennoch ängstlich, und er sah auf zu ihr. Da erschrak er und fuhr hastig in die Höhe. Denn er konnte nicht zweifeln, daß eine Ohnmacht sie überfallen hatte. Rasch ergriff er das Fläschchen mit einer starken Essenz, das er auf ihrem Tische fand, und goß davon auf sein Tuch, ihr die Schläfe damit zu reiben, ihre bleichen Lippen damit zu beleben. Lea, rief er, kommen Sie zu sich! Hören Sie mich? O strafen Sie mich nicht so hart für meine Unbesonnenheit, Ihnen jetzt, da ich Sie so leidend fand –

Sie bewegte leise die Lippen – sie schlug langsam die Augen wieder auf. Verzeihe mir, daß ich dich erschreckt habe, mein Geliebter! hauchte sie. Das Glück – war zu groß – zu plötzlich. Aber – es ist schon wieder gut – ich lebe ja – ich werde leben, nun weiß ich es gewiß, durch dich und für dich – Edwin, ist es denn möglich!

Sie hatte den Arm wie suchend erhoben und schüchtern um seinen Hals gelegt. Er beugte sich auf ihr nun wieder erglühendes Gesicht herab. Mein Weib! 335 flüsterte er. Du bist mein! mein! mein! Und so wahr ich durch dich selig zu werden hoffe –

Ihr Mund, der dem seinen entgegenstrebte, erstickte und besiegelte das Gelöbniß ewiger Liebe und Treue. – 336



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