Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Siebentes Kapitel.

Eine so tiefe Stille war um ihn her, daß er, wenn er stehen blieb, den Saft in den Bäumen aufquellen zu hören glaubte. Der Wind, der den Regen gebracht hatte, war umgesprungen, der reinste blaue Sommerhimmel hing über dem frisch gekühlten Walde. Aus dem Fichtendickicht führte ein schmaler Weg durch weite Strecken eines hügligen Buchenwaldes, an dem die Jagd so fern vorübergebraus't war, daß Rehe und Hasen nicht aus ihrem Frieden aufgeschreckt worden waren und den einsamen Spaziergänger mehr neugierig als argwöhnisch vorbeiließen. Auch beunruhigte er sie kaum mit einem Blick. Sein Auge war nach innen gekehrt, in sein gestern noch so stilles Herz, das nun von einer wilden Jagd schmerzlicher und heftiger Gefühle durchtobt wurde.

Er kannte es gut genug, dies heftige Herz, um sich nur einen Augenblick über den Sturm darin zu täuschen. Seine Uebung, es ernst zu nehmen mit Allem, was er empfand, sein redliches Bemühen, sich nie zu schonen und nichts Verderbliches in seinem Blut zu beschönigen, war ihm auch in der unbeschreiblichen Verwirrung, in 113 die ihn die letzte Stunde gestürzt, so treu geblieben, daß er, sobald er nur mit sich allein war, sich ins Gesicht sagte: du bist verloren, wenn du bleibst. – Mit einem tiefen Grauen fühlte er, wie Alles, was vier Jahre des reinsten, herzlichsten Glückes an ihm gethan hatten, um die Erinnerung an seine alten Kämpfe zu ersticken, in einem Augenblick vereitelt war. Er täuschte sich nicht darüber: es war nicht Mitgefühl des Freundes an ihrem trostlosen Schicksal, was ihm so heftig auf der Seele brannte. Wenn er sie strahlend von Glück, Stolz und Liebe gefunden hätte, es wäre nicht anders mit ihm gewesen.

Aber freilich, daß sie unglücklich war, im Unglück zum Weibe geworden, liebevoll, liebesbedürftig, daß sie sich an ihn und seine feste Seele – wie sie glaubte – als an einen letzten Halt anklammerte, schürte die Flamme in ihm und brach ihm den reinen Willen.

Was er sich schuldig war, sich und seinem holden, treuen, hochherzigen Weibe, stand so klar vor ihm mitten in aller Verworrenheit der Sinne, daß er ohne Beschämung, in der festen Zuversicht, Nichts könne ihm den endlichen Sieg über diese dunklen Gewalten entreißen, Lea's Namen vor sich hinsagte. Er sprach mit ihr, als ginge sie neben ihm, als sollte er ihr Rechenschaft von seinem Zustande geben. Nein, Kind, sagte er, fürchte nichts für uns Beide. Wir kommen nicht um einander, nie, nie! Habe nur Geduld mit mir, die Elemente sind los und spielen Ball mit meinem Herzen. Aber so ein Herz, Kind, das du in deine Hände 114 genommen und an das deine gezogen hast – nein, es läßt nicht lange mit sich spielen. Wenn es weh thut, Liebste – dieser Sturm, dies Reißen und Rasen da drinnen – es geht vorbei, hoffentlich ohne daß du es merkst. Es ist nicht wahr, daß wir ohnmächtige Wassertropfen im Meer der Leidenschaften wären. Wir können uns besinnen, uns festklammern an das Rechte und Gute, wie eine Muschel an die Felsenklippe, von der keine Brandung sie lospeitscht. Wenn der Felsen freilich wankte! Aber das Glück, das wir miteinander gefunden haben, ist unerschütterlich. Daran will ich mich halten. Und doch – wird es noch das alte sein können, wenn wir denken müssen, wie dies arme Weib für immer unselig ist? –

Nun verlor er sich in ein dumpfes Brüten über dem Gedanken, wie es jetzt sein möchte, wenn er keine Pflichten hätte, an Niemand zu denken brauchte, als an sie, die wie vor dem Versinken in eine bodenlose Tiefe nach seiner Hand haschte. Wenn er sie so vor vier Jahren gefunden hätte! – –

Das Bild Lea's wich in einen Nebel zurück, er sah in diesem Augenblick nur die Gestalt seiner ersten Geliebten und Verlorenen, wie er sie jetzt wiedergefunden hatte, – ein Schauer durchzuckte ihn, als fühle er noch immer leibhaft den Druck ihrer Hand auf seinem Arm und den dunklen Blick ihrer Augen – und diese Lippen, die er nur das eine Mal bei jener Fahrt durch den Mondschein im Schlaf geküßt – Er lächelte vor Leidenschaft mitten in seinem Grauen, kaum konnte er athmen, so 115 drückte die Schwüle auf seine Brust – immer wieder, ohne zu wissen, was er that, sagte er zwei Verse eines Rückert'schen Gedichts vor sich hin:

Sie hat erloschene Kerzen
Mit ihrem Lächeln entfacht –

So taumelte er, selig unselig, vergessend wo er war, durch den endlosen Wald. Es war ihm zu Muth, als irrte er durch einen von der Welt weitabgeschiedenen Bezirk, wo Alles, was Menschen bindet und von einander scheidet, alle streng gezogenen Wege der Pflicht aufgehoben und vom wilden Triebe freier Naturkraft überwuchert seien, wo ein armer Mensch ziellos und schuldlos sich ergehen und, so lang er in dieser Zauberwildniß bleibe, wehrlos der süßen Qual verborgener Flammen sich überlassen dürfe.

Einige Schüsse, die fern herüberschallten, darauf das seltsame, fast weinerliche Gekläff der Meute weckten ihn plötzlich aus diesem Taumel. Er merkte, daß er Gefahr lief, der Jagd ins Gehege zu kommen. Einen Augenblick sann er dem Gedanken nach, wie wenig es brauchte, um den Streit in seinem Innern zum Frieden zu bringen: eine verirrte Kugel – und Alles war aus. Er fühlte aber keine Versuchung, diese Lösung herauszufordern, noch weniger konnte er sich entschließen, Menschenspuren nachzugehen. Rasch schlug er die entgegengesetzte Richtung ein und überließ sich dann wieder dem Zufall.

Etwa eine Stunde mochte er so kreuz und quer durch den Forst geirrt sein, als er auf einen der vielen 116 Waldwege traf, die schnurgerade, nur breit genug, um die Wagen der Holzhauer durchzulassen, den Hochwald durchschnitten. Schon wollte er ihn überschreiten, um sich drüben wieder in das Dickicht zu verlieren, als ein seltsamer Zug, der sich aus Büchsenschußweite in gemessenem Schritt näherte, ihn trotz seiner Menschenflucht stutzen machte. Voran ritt der kleine hochschultrige Doctor, von seinem Pferde herab ein eifriges Gespräch mit einem Jäger führend, der zu Fuß nebenher ging. Hinter Diesen trugen vier Bauernbursche, die als Treiber gedient zu haben schienen, eine Bahre, auf der, von aufgerollten, und zu Kissen umgeformten Decken unterstützt, eine dicke Figur ausgestreckt lag, trotz der unbequemen Lage in beständiger Bewegung mit dem Oberkörper, den Kopf bald nach rechts, bald nach links wendend und mit den Armen lebhaft vor- und rückwärts gesticulirend. Den Nachtrab nämlich bildeten zwei Reiter, ganz gleich gekleidet und auf Pferden von derselben Farbe, in denen Edwin schon von Weitem die edlen Brüder Thaddäus und Matthäus von der Wende erkannte. Sie schienen wie gewöhnlich kein Wort zu sprechen, ließen aber trübselig die Köpfe hängen und nahmen sich in ihrer Zwillingserscheinung noch drolliger zu Pferde aus, als zu Fuß.

Als die Karawane noch näher gekommen war, sah Edwin, daß die unförmlich zappelnde Masse, unter der die Träger keuchten, sein Zimmernachbar, der dicke Gutsbesitzer war. Der joviale Herr, der trotz eines breiten Verbandes um seinen linken Fuß ganz guter Dinge war und von Zeit zu Zeit mit seinem dröhnenden Lachen die 117 tiefe Waldstille unterbrach, stützte sich jetzt auf seinem Nothlager auf, sah nach dem Wanderer hinüber und winkte, Edwin's Namen rufend, ihn mit freundschaftlichem Kopfnicken heran. Es war den Trägern sehr erwünscht, die Bahre so lange niederzusetzen, bis Edwin die Geschichte des Jagdunglücks vernommen hatte, die der Dicke mit vielem Humor zum Besten gab. Er habe seinen Stand unter einer großen Buche gehabt, am Rande einer breiten Lichtung. Drüben habe man die Herren Zwillinge postirt, die auch bei der Jagd die unverbesserlichen Inséparables spielten. Dann habe der Hirsch, da er ihn angeschossen, mit einer scharfen Wendung durch die Waldblöße gesetzt, gerade den Bogen durchbrechend, und plötzlich hätten drüben zwei Schüsse geknallt und die Gebrüder, im Jagdeifer alle Rücksichten für ihre Nebenmenschen aus den Augen lassend, richtig statt des Hirsches ihren Nachbar drüben im Bogen getroffen. Wem er die Kugel im Bein verdanke, ob Junker Matthäus oder Junker Thaddäus, werde bis zum jüngsten Tage unentschieden bleiben. Aber als getreue Zwillinge hätten sie sich das vergossene Christenblut beide zu Herzen gezogen, und er bemühe sich nun vergebens, sie über den Unfall zu trösten, der unter Brüdern nicht der Rede werth sei. Der Einzige freilich, der bei dem Handel gewinnt, schloß er mit einem herzlichen Lachen, sind Sie, Herr Doctor. Ihnen wird ein anderes Quartier im Schloß angewiesen werden, wo Sie durch meine nächtlichen Schnarchconcerte nicht ferner molestirt werden können, da der Herr Leibarzt abwarten will, ob das 118 Wundfieber sich einstellt, und so lange in Ihrem Zimmer sein Wesen treiben wird. Aber so ein zähes altes Leder, wie meins, ist nicht so empfindlich, daß man von einem kleinen Löchelchen im Bein ein besonderes Aufheben machen müßte. Wenn's dennoch schlimmer werden sollte, rufe ich Sie zu Hülfe, Verehrtester. Sie machen ja, wie ich höre, in Philosophie; die soll gut dafür sein, wenn man stille liegen muß, Wassersuppen ißt und vor langer Weile aus der Haut fahren will, zwei Wochen vor der Roggenernte. Hahahaha! Und damit holla!

Er schüttelte Edwin kräftig die Hand, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Der kleine Doctor ließ jetzt die Bahre und ihren melancholischen Nachtrab vorangehen, sah dem Zug eine Weile nach und stieg dann mit einem eigenthümlich schlauen Zwinkern seiner gelblichen Augen vom Pferde. Ich hole sie schon wieder ein, sagte er, sich zu Edwin gesellend, indem er sein zahmes Thier die frischen Kräuter am Rande des Weges abweiden ließ. Es ist mir sehr lieb, Herr Doctor, daß ich Sie hier getroffen habe; – ich hätte Ihnen etwas mitzutheilen. wobei fremde Ohren überflüssig sind, und hier sind wir ganz unter uns. An der Richtung, die Sie einschlugen, sehe ich, daß Sie nicht gerade Eile haben. Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir gemächlich diese Straße weiter. Ich werde Sie nicht lange von Ihrer Liebhaberei für ungebahnte Wege abhalten.

Wie Sie wünschen, erwiederte Edwin trocken, mit einem Gesicht, das nicht zu verhehlen suchte, wie wenig 119 erwünscht ihm gerade jetzt diese aufgedrungene Gesellschaft war.

Der kleine Mann that indessen, als ob er es nicht bemerkte. Er schwieg nur eine Weile und schien zu überlegen, wie er seine Eröffnungen am schicklichsten anbringen sollte.

Mein verehrtester Herr Doctor, fing er endlich an, ich darf ja wohl in der Erinnerung an Ihren Vater sagen: mein werther Freund, entschuldigen Sie, wenn ich Sie von einer Ihnen vielleicht ganz uninteressanten Person unterhalte, nämlich von meiner eigenen Wenigkeit. Sie müssen wissen – und haben es trotz unserer jungen Bekanntschaft schon gemerkt – der Grundzug meines Charakters ist Offenheit und Ehrlichkeit. Gescheidte Menschen sehen ein, daß es sich nicht der Mühe verlohnt, eine Rolle zu spielen; le jeu ne vaut pas la chandelle. Leider aber wird es, bei der allgemeinen Maskerade, die die Menschen mit einander aufführen, gerade den Unmaskirten schwer, daran glauben zu machen, daß sie ihr eigenes leibliches Gesicht zeigen. »Nehmen Sie doch Ihre Nase ab, Herr Doctor!« – Aber gnädige Frau, ich schwöre, sie ist mir angewachsen. – »Wer Ihnen das glaubt! Sie sind ein viel zu feiner Fuchs, um, da Ihr Beruf Sie zwingt, die Nase in Alles zu stecken, Ihre eigene Nase dazu herzugeben.« – Sehen Sie, werthester Freund, das muß man sich sagen lassen, und wenn es die eigene Nase noch so sehr verschnupft, für Papiermaché gehalten zu werden, Niemand bedauert sie. Man beklagt überhaupt nur die Einfältigen, die es 120 weiß Gott nicht nöthig haben, denn ihrer ist das Himmelreich.

Er seufzte, nahm aus einem kleinen goldnen Döschen, das nach einem Präsent der hochseligen Gräfin aussah, eine Prise und schien damit die mehrgedachte Nase für das Schicksal der Verkennung trösten zu wollen.

Nun aber begreifen Sie, fuhr er fort, da Edwin beharrlich schwieg, daß einem Menschen, dessen Grundmaxime Offenheit und Ehrlichkeit ist, Nichts kränkender sein kann, als wenn selbst Die, auf deren Urtheil er Werth legt, ihn für einen Intriganten halten. Sie geben dadurch zu erkennen, daß sie es entweder nicht der Mühe werth achten, ihn kennen zu lernen, oder glauben, er sei ein zu armseliger Wicht, um sich zeigen zu dürfen, wie Gott ihn geschaffen hat. Diese Kränkung, muß ich gestehen, ist mir nicht neu, aber so alt ich bin: die Philosophie, sie mit Gemüthsruhe zu ertragen, kann ich nicht erschwingen. So lange meine Gönnerin, die Gräfin Mutter, lebte, habe ich mir hie und da Kränkungen der Eitelkeit gefallen lassen, habe sehen müssen, wie man mich für einen zwar unbedeutenden, aber vielfach brauchbaren Menschen hielt, für ein harmloses Hausthier, das an der allgemeinen Krippe mitgefüttert wird. Seit die junge Gräfin im Hause ist, – Sie, mein werthester Freund, sind ihr, wie ich weiß, seit lange attachirt, – natürlich ein schönes, geistiges, durchaus über allem Verdacht stehendes Verhältniß. Eben darum glaube ich, daß Sie der rechte Mann wären, mir einen 121 wesentlichen Dienst bei der hohen Dame zu leisten, die übrigens Niemand aufrichtiger verehren kann, als ich.

Edwin sah den kleinen Mann forschend von der Seite an. Er konnte in der That nicht darüber ins Reine kommen, ob seine ruhig respectvolle Miene Maske war, oder der Ausdruck seiner »Offenheit und Ehrlichkeit«. Ich bin begierig, sagte er, worin dieser Dienst bestehen könnte.

Sehr einfach, Werthester: es gilt, der Frau Gräfin eine etwas bessere Meinung von ihrem gehorsamsten Diener beizubringen, nichts Ueberschwängliches, nur die stricte Billigkeit und Gerechtigkeit. Die Gräfin, wie Sie bemerkt haben werden, behandelt mich mit einer Abneigung, die sich in Gegenwart Dritter hinter ironischer Höflichkeit versteckt. Begegnet sie mir allein, so bin ich, im günstigsten Falle, Luft für sie, oder ich ertappe die Spitze ihres reizenden kleinen Fußes auf einer Bewegung, wie wenn er im Begriff stände, eine Wanze oder einen Wurm zu zertreten, und es nur unterließe, um die Sohle des gräflichen Schuhes nicht zu beschmutzen. Sie werden zugeben, daß dies für einen Mann in meinen Jahren nicht gerade erquicklich ist.

Aber sollten Sie auch richtig gesehen haben? Woher ein so leidenschaftlicher Widerwille gegen –

Gegen ein harmloses Hausthier? Haha! Weil man eben die harmlosesten Geschöpfe dafür verantwortlich macht, daß man – hm! Sie verstehen mich – ich will nicht zu viel sagen; – aber daß auf dem Grund und Boden dieser gräflichen Ehe die Blume des sogenannten 122 gemeinen Glücks, felicitas pratensis, nicht eben fortkommen will, sondern allerlei Unkräuter ihr Luft und Licht stehlen, das kann ja Ihnen – da ich Sie im traulichsten Freundesaustausch mit der Gnädigen getroffen habe – kein Geheimniß sein.

Edwin stieg das Blut ins Gesicht. Er war schon im Begriff, den dreisten Späher und Spürer mit einem scharfen Wort heimzuschicken, als er sich noch bezwang, in dem Gedanken, wie übel angebracht diesem Diplomaten gegenüber eine directe Abfertigung sein würde. Sie täuschen sich doch vielleicht über den Grad des Vertrauens, dessen mich die Frau Gräfin würdigt, sagte er trocken.

Nun, nun, lassen wir das, lachte der Kleine und blieb einen Augenblick bei seinem Pferde stehen, das ruhig fortgras'te. Ich werde Ihrer Discretion keine Gewalt anthun, behüte! Ich aber, – Sie mögen nun davon denken, wie Sie wollen – ich muß mich ganz aufknöpfen, bloß damit der Sohn meines Jugendfreundes sieht, daß ich reine Wäsche anhabe. Ich kenne nämlich den besonderen Grund, weßhalb die Gnädige mich haßt. Sie hat mich nicht in Zweifel darüber gelassen. Sehen Sie, Werthester, seitdem das Kind auf der Welt war – Sie verstehen mich – seitdem ist die Ehe der beiden gräflichen Gatten factisch so gut wie aufgehoben. Warum das? Vielleicht wissen Sie mehr davon, als ich. Und unter uns gesagt – was geht es mich an? Ich habe diese Heirath nicht gemacht; wenn sie nicht glücklich ausgefallen ist, – soll ich es mir zu Gemüthe ziehen? 123 Aber daß mein ehemaliger Zögling und jetziger Herr und Gebieter, der Graf, die Sache nicht so phlegmatisch nehmen konnte, ist natürlich. Er verlangte von mir, ich sollte den Grund der plötzlichen Abneigung seiner Frau, die sich bis zur völligen klösterlichen Absperrung steigerte, erforschen. Ich, der ich nie auch nur den Puls meiner schönen Gebieterin zu fühlen die Ehre hatte, den sie höchstens consultirt, wenn einer ihrer Kammerjungfern ein Finger weh thut! Denn bei ihrem ersten Blick auf mich scheint sie ein ungünstiges Vorurtheil gefaßt zu haben. Also damit war es nichts. Auch war ich überzeugt, daß nichts Physisches der seltsamen Antipathie gegen den eigenen Gemahl zu Grunde lag. Was sollte es auch sein? Sie haben ihn ja gesehen. Er ist vielleicht nicht ganz so unwiderstehlich, wie er selber glaubt; aber da sie doch früher nichts gegen ihn hatte – kurz, die Sache schien mir vor ein anderes Forum zu gehören, als vor das medicinische. Nur kamen wir damit nicht weiter. Ich rieth zur Geduld. Aber mit dreißig Jahren, und verliebt wie am ersten Tage, und übrigens an das Ordrepariren auf seinem eigenen Grund und Boden gewöhnt, von der gnädigen Mutter bis zum Hundejungen hinab – Sie begreifen, daß es mit der Geduld nicht weit her sein konnte. Es gab Scenen, rührende und brutale; ein paar Monate lang war jeden Tag anderes Wetter, je nachdem Sonne oder Sturm aufgeboten wurde, die unnahbare Tugend, in die das wundersame Wesen sich hüllte, zu entfernen. Endlich – das Weitere habe ich theils von ihm selbst, theils von der Kammerfrau, einer 124 Person, die sich für ihre Herrschaft in kleine Kochstücke zerhacken ließe – endlich also griff er zu einem ganz desperaten Mittel, das ihm jeder halbwegs Vernünftige bei dem Charakter dieser Frau widerrathen hätte: er versuchte es, ihr in einer Tasse Thee so eine Art Liebestrank, dessen Hauptingredienz das gewöhnliche Morphium war, beizubringen, um – Sie verstehen – der alte Heide Morpheus hat schon manchmal Kupplerdienste gethan – diesmal aber benahm er sich, wie es scheint, ungeschickt – und kurz und gut, das Plänchen scheiterte – und damit war nun freilich Alles verschüttet.

Abscheulich! rief Edwin. Das – das allerdings –

Sie hatten davon keine Ahnung?

Welche Frau würde ein solches Erlebniß mitheilen, es sei denn einer Mutter oder Schwester! Mein Gott, welche Menschen!

Hm! sagte der kleine Doctor, ihn scharf ins Auge fassend, Menschen sind sie freilich, und Menschlichkeiten passiren ihnen. Indessen, ich glaube, Sie beurtheilen den Grafen zu hart. Sie – als ein platonischer Verehrer, Freund und Gewissensrath der Gnädigen – Sie können sich wohl nicht so ganz vorstellen, wie Dem zu Muthe sein mag, der so einen Schatz zwar sein eigen nennt, ihn aber in einem Thurm mit sieben Pforten verwahrt weiß, zu denen er den Schlüssel nicht hat. Wenn Der, mit einer plumpen Keule bewaffnet, die Riegel zu sprengen sucht – item, wir wollen nicht darüber streiten. – Gewiß ist, daß ich, als er mir den Gedanken einmal flüchtig hinwarf, schon bloß wegen seiner Mißlichkeit und der 125 geringen Hoffnung auf Erfolg entschieden davon abrieth. Und sehen Sie, werther Freund, eben das will unsere Gnädige, obwohl der Graf selbst für mich Zeugniß abgelegt hat, nicht glauben. Sie behauptet, eine solche Schändlichkeit könne im Kopf eines Cavaliers, der auf Ehre halte und seine eigene Gemahlin nicht zu einer Dirne herabwürdigen wolle, nimmermehr entsprungen sein. Den Plan und das Mittel zur Ausführung müsse ein allzeit dienstfertiger subalterner Teufel ihm unter den Fuß gegeben haben, und dieser garstige und bei aller höllischen Schlauheit sehr dumme Teufel sei Niemand anders, als der arme Doctor Basler, der vor Superklugheit und auf höheren Befehl wohl einen ebenso einfältigen wie bösen Streich zu spielen im Stande sei.

Er seufzte bei diesen Worten und schlug mit seinem spanischen Röhrchen gleichsam in sittlicher Entrüstung auf die Brombeerstauden los, die am Waldrand wuchsen. Plötzlich stand er still, zog den Zügel an, daß auch das Pferdchen stehen blieb, und sagte mit seinem treuherzigsten Ton: So, nun hätt' ich's vom Herzen. Das Weitere versteht sich eigentlich von selbst. Ich bin ein alter Mann, und die Aussicht ist mir durchaus nicht tröstlich, daß bei dem nächsten, ebenso unverschuldeten Anlaß der Widerwille der Gnädigen in den offenbaren Haß und Rachezorn ausarten und sie darauf bestehen möchte, mich aus dem Hause zu entfernen. Ich habe mich einmal hieher gewöhnt und würde draußen eine klägliche Figur machen. Denn wenn man mich auch nicht wie einen Hund vor 126 die Thür jagen kann – gewisse alte Verpflichtungen erlauben das nicht, – so wissen doch die Götter, wohin es dann mit mir käme. Und diese Frau hat noch immer – so seltsam es klingt – eine unumschränkte Macht über meinen ehemaligen Zögling; – ich glaube, wenn sie zum Preis der Aussöhnung machte, daß ich lebendig in Burgunder gesotten werden sollte, – trotz des neunzehnten Jahrhunderts würde ich meine Haut schwerlich retten. Also wäre es menschlich und freundschaftlich von Ihnen, Verehrtester, wenn Sie der Gräfin dieses unsinnige Vorurtheil gegen mich ausreden wollten. Lieber Gott, ich verlange ja nicht viel; meine guten Tage habe ich gehabt; aber zum Dank für die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der ich ihr stets begegnet bin, für einen käuflichen Lump, einen miserablen Kerl zu gelten, der sich wie ein welscher Bravo zu jeder geheimen Schandthat dingen läßt – Sie müssen zugeben, daß das zu viel ist und einem Ehrenmann das Blut vergiften kann.

Das Letzte sagte er schon vom Sattel herunter, in welchem er sich inzwischen wieder zurechtgesetzt hatte. Edwin's ernstes Schweigen schien er für Zustimmung zu nehmen, die sich in solchem Falle unter »Ehrenmännern« von selbst verstehe. Ich verlasse mich ganz auf Sie, rief er, seinem Pferdchen die Sporen gebend. Dafür bin ich natürlich zu jedem Gegendienst bereit. Wer weiß, wozu Ihnen selbst dies harmlose Hausthier, das sich Doctor Basler schreibt, noch einmal nützlich werden kann; homo sum, nihil humani – das bleibt ewig der Refrain. 127

Er lüftete nur obenhin mit einem vertraulichen Blinzeln den Hut, spornte mit lautem Zuruf seinen Braunen und trabte rasch dem Zuge nach, der mit dem Verwundeten schon einen weiten Vorsprung gewonnen hatte.

Es war Edwin lieb, daß sie so rasch auseinanderkamen. Er hätte es nicht mehr lange über sich gewonnen, die »Offenheit und Ehrlichkeit« seines neuen Freundes nicht mit gleicher Münze zu vergelten, ihm nicht zu gestehen, daß er sich völlig unfähig fühle, die ihm zugedachte Versöhnerrolle zu übernehmen. Sein Herz brannte, seine Zunge war bitter vor Ekel und verschlucktem Grimm. Zugleich war er nun völlig klar darüber, daß hier nichts mehr zu hoffen, nichts zu heilen sei. Aber was blieb ihm dann noch zu thun, was hatte er hier zu schaffen? Und doch – wie konnte er sich losreißen, sie sich selbst überlassen, nachdem er erfahren hatte, wie sehr sie im Recht war, ihr Leben an der Seite dieses Mannes für ein verlorenes zu halten!

Er trat wieder in das Walddickicht zurück und irrte lange in der qualvollsten Stimmung, die er nur je erlebt hatte, durch die einsamsten Bezirke des Forstes, bis ihm vor dumpfer Erschöpfung und Ueberreizung die Gedanken vergingen. Gegen Mittag fand er einen stattlichen Bauernhof, der ganz abgeschieden neben einem Hammerwerk lag. Es ließ sich hier etwas zu essen geben und bat um einen stillen Winkel, um zu ruhen. Man wies ihn in eine luftige Scheune, wo er sich auf das frisch ausgedroschene Stroh niederstreckte. Nicht 128 lange, so machte sich die halbverwachte Nacht geltend. Er schlief ein, und die Sonne war schon hinter dem Hügelrande hinabgesunken, als erst das von der Arbeit heimkehrende Gesinde des Einödbauern den Ermatteten aus seinem traumlosen Schlummer erweckte. 129



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