Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Fünftes Kapitel.

Das Zimmer, in das Edwin geführt wurde, lag in einem langgestreckten Seitengebäude, einem späteren Anbau des alten Schlosses, der die Symmetrie der Rückseite völlig zerstört hatte. Die Fenster gingen in den Park hinaus, auf der andern Seite führte eine kleine Treppe auf den Hof, der von Wirthschaftsgebäuden umgeben war, so daß man von dort aus, ohne die Treppen und Gänge des Schlosses zu kreuzen, in die Zimmer dieses einstöckigen Corps-de-Logis gelangen konnte.

Die Sonne mußte den ganzen Tag freien Zugang zu Edwin's Zimmer gefunden haben; denn eine erdrückende Schwüle empfing ihn, die auch nicht weichen wollte, nachdem er beide Fenster weit aufgerissen hatte. Auch sonst hätte er an Schlaf noch lange nicht denken können. Die Erlebnisse des heutigen Tages, das Vorgefühl des morgenden erregten sein Blut. Er trat ans Fenster und sah in den Garten hinab, wo der Strahl einer hohen Fontäne in ein verschnörkeltes Muschelbecken fiel. Die Fenster und der Balcon des Speisesaals sprangen in sanfter Rundung aus der Façade vor, jetzt nur schwach 74 erhellt von einem schon zum Untergang sich neigenden Monde. Das ganze übrige Gebäude lag im Schatten. Drüben aber in dem andern Flügel des Schlosses waren zwei hohe Fenster des oberen Geschosses erleuchtet. Er zweifelte keinen Augenblick, daß sie dort wohnen müsse. Wie manchen Abend hatte er zu ihren Fenstern in der Jägerstraße hinaufgespäht; nun fand er sie hier, wieder in Zimmern, die dem Grafen gehörten, diesmal mit freier Wahl, und doch –

Aus dem Brüten, in das dieser Vergleich ihn versenkte, weckten ihn Schritte auf dem Corridor. Auch die übrigen Gäste kehrten jetzt in ihre Zimmer zurück; Edwin unterschied deutlich die einzelnen Stimmen, die sich draußen eine gute Nacht wünschten, und hörte an dem gleichmäßigen Doppelschritt, daß zu seiner Rechten die Gebrüder Thaddäus und Matthäus einquartiert waren, während in dem Zimmer zur Linken der dicke Rittergutsbesitzer wohnte. Die Nachbarn rechts verhielten sich ganz still. Wenn ihre Gedanken sich so glichen, wie ihre Gesichter, so konnten sie auch bei einem Austausch derselben nicht Viel gewinnen. Desto lästiger war die Nachbarschaft des dicken Herrn. Nachdem er eine halbe Stunde lang sich tumultuarisch mit seiner Toilette beschäftigt, dabei gepfiffen, vor sich hin gebrummt und ein paar Mal, wie in Erinnerung an eine Anekdote, die er Abends gehört, mächtig aufgelacht hatte, warf er sich endlich in's Bett, daß das krachende Gestell unter der Last einzubrechen drohte, und begann gleich darauf so beharrlich und in so mannichfaltig wechselnden Tonarten 75 zu schnarchen, daß Edwin, der schon im Begriff gewesen war, sich auszukleiden, diesen Gedanken wieder aufgab und im Lehnstuhl am offenen Fenster die Nacht zuzubringen beschloß.

Es wurde ihm aber auch hier auf die Länge unerträglich. Zugleich lockte ihn der Hauch des springenden Brunnens in die einsame Nacht hinaus. Ohne nur seinen Strohhut aufzusetzen, verließ er das Zimmer und war bald das Treppchen hinunter aus der Thür, die er nur mit einem leichten Riegel verschlossen fand.

Der Hof lag eben so still und ausgestorben in der Monddämmerung, wie drüben der Garten. Er mußte, um in diesen zu gelangen, das ganze Seitengebäude umgehen, an Ställen und Gesindewohnungen vorbei. Wie er so im Schatten an den kleinen Fenstern hinstrich, sah er in einem ein schwaches Licht blinken und blieb unwillkürlich davor stehen. Er konnte in eine schmale Kammer sehen, in der eine junge Magd schlief, nicht in ihrem Bette, sondern auf dem Schemel vor einem niedrigen Tisch, den Kopf an die Wand zurückgelehnt. Eine Laterne neben ihr ließ ihr rundes, artiges Gesicht und den anmuthigen Wuchs erkennen. Sie schien nicht über der Arbeit eingeschlafen, sondern über dem Warten auf irgend Etwas oder irgend Wen. Das Geräusch der stillehaltenden Tritte vor ihrem Fenster weckte sie. Sie fuhr auf, strich sich das Haar hastig aus der Stirn und rief, noch wie aus dem Schlaf: Sind Sie es, gnädiger Herr? Auf einmal schien sie das fremde Gesicht zu bemerken, that 76 einen leisen Schrei und stieß die Laterne um. Dann blieb es still in der Kammer.

Edwin ging weiter, darüber nachgrübelnd, wer von seinen Tischgenossen der glückliche Erwartete sein möchte. Als er aber aus dem Hofthor in den Park eintrat, blieben all diese Gedanken hinter ihm, und der Zauber der schweigenden Nacht nahm ganz und gar seine Sinne gefangen.

Er ruhte erst eine Weile auf einer Bank nahe bei der Fontäne und kühlte seine heiße Stirn in der feuchten Wolke, die zu ihm herüberstäubte. Dann ging er die breite Hauptallee hinab, plan- und ziellos, und vertiefte sich endlich in die entlegneren Theile des Parks, wo durch die hohen Wipfel nur noch ein schwacher Mondschimmer hereinfiel. Kreuz und quer liefen die sauber gehaltenen Wege, hie und da stand eine Bank, ein Gartenhaus, ein schirmartiges Zelt, zum Zeichen, daß der Wanderer sich hier noch nicht im freien Walde befand. Auch der Bach, dem er jetzt begegnete, floß in flachen, wohlgepflegten Ufern, von kleinen Brücken überwölbt. Edwin schlug den schmalen Kiesweg neben dem geräuschlos hineilenden Wasser ein. Der Bach aber machte plötzlich einen großen Bogen und wand sich unter einem Stacket von hohen, dichtgeschlossenen Pfählen hindurch, die in weitem Umkreise fortliefen und einen Weiher umzäunten. Der Wald war hier gelichtet, in der glatten Fläche des kleinen Sees spiegelten sich die Sterne. Edwin umging die Verzäunung, in der Hoffnung, den Eingang zu finden. Der Gedanke lockte ihn, hier zu 77 baden; auch sah er am Ende des Weihers unter hohem Gebüsch ein Hüttchen, das offenbar zu diesem Zwecke diente. Eine kleine Gitterthür aber, die er endlich fand, war fest verschlossen, und schon wollte er den Gedanken aufgeben und wieder auf den gebahnten Weg zurückkehren, als er eine Stelle in dem Gehege bemerkte, wo die Pfähle so weit auseinanderstanden, daß ein Reh zur Noth durchbrechen konnte. In sein Badegelüst verrannt, bemühte er sich, das Schlupfloch zu erweitern, und es gelang ihm endlich, mit einiger Mühe sich durchzuzwängen.

Nun ging er zunächst nach dem Hüttchen, fand es aber ebenfalls verschlossen. Das Ufer hier, mit Gebüsch und Sumpfpflanzen überwuchert, war nicht zum Baden geeignet. Dagegen schien drüben am andern Ende die Wiese, die sanft in den Weiher verlief, wohl dazu angethan. Dorthin lenkte er seine Schritte. Es war ihm wundersam wohl, hier in der lauen Nacht, an dem schlafenden dunklen Wasser, aus dem nur der schwermüthige Ruf eines einsamen Glockenfrosches heraufscholl. Ein paar hohe Bäume standen am Ende des kleinen Sees, um ihre Wurzeln niederes Gesträuch. Hinter diesem natürlichen Schirm beschloß er sich zu entkleiden.

Er hatte aber noch nicht den Anfang damit gemacht, als er drüben auf dem Wege, den er selbst gekommen war, etwas Dunkles sich heranbewegen sah. Wie es sich dem Gehege näherte, vernahm er auch leise Stimmen, die gerade auf die kleine Thür zukamen. Gleich darauf hörte er deutlich einen Schlüssel im Schloß klirren und 78 sah zwei verhüllte Gestalten in den inneren, mondhellen Bezirk eintreten, – Frauengestalten, in lange schwarze Kapuzenmäntel gehüllt, die unverzüglich, nachdem sie die Thür hinter sich wieder verwahrt hatten, auf das Badehüttchen zugingen.

Der Athem stockte ihm in der Brust. Er überlegte, ob er noch Zeit und Aussicht habe, unbemerkt den Rückzug durch die Lücke im Zaun anzutreten. Doch schien es gefährlich. Von der Stelle, wo er stand, bis zu dem niederen Gesträuch längs des Geheges war kein Baum oder Gebüsch, das ihn hätte verbergen können. Und wenn er entdeckt worden wäre – in welchem Lichte mußte sein nächtlicher Einbruch in diesen sorgsam umfriedigten Kreis erscheinen!

Aber ehe er noch auf einen anderen Ausweg denken konnte, wurde ihm alle Ueberlegung abgeschnitten.

Die Thür der Badehütte öffnete sich, eine schlanke weiße Gestalt, die Haare aufgelös't über Arme und Nacken herabfallend, erschien auf der oberen Stufe des Treppchens, das in den See führte. Sie warf den Kopf zurück und sah einen Augenblick nach dem Himmel, der mit einem leichten Gewölk sich überzogen hatte. Dann ließ sie den Bademantel, der sie umhüllte, fallen und bückte sich zum Wasser, sich Stirn und Brust zu benetzen; gleich darauf sprang sie hinab, verschwand ein paar Secunden in der Tiefe und kam dann, die triefenden Locken schüttelnd, wieder an die Oberfläche herauf. 79

Ihre Begleiterin war in die Thür getreten und rief ihr etwas zu, worauf sie mit gedämpfter Stimme antwortete. Dann blieben Beide still. Mit langen, sicheren Bewegungen durchschnitt die Schwimmende die Flut, nur zuweilen Kopf und Schultern aus dem Wasser hebend, um die dichten Haare von der Stirn zurückzuwerfen. Ihr Gesicht erschien glänzend weiß in dem Zwielicht des untergehenden Mondes, die Mitte des Weihers aber, in der sie sich beständig hielt, war zu fern von den Bäumen auf der Wiese, um von dort aus die Züge deutlich unterscheiden zu können. So schwamm das geheimnißvolle Nixenwesen zehn, zwölf Mal die Länge des Sees hinauf und hinunter, in der tiefsten Stille. Die Begleiterin hatte sich in das Hüttchen zurückgezogen, und Niemand sonst schien in der nächtlichen Waldeinsamkeit zu athmen. Kein Windhauch furchte den See, der Froschruf war verstummt, nicht ein Blatt fiel von den Bäumen. Nur zuweilen, wenn die Schwimmerin eine raschere Wendung machte, rauschte das Wasser hörbar und bewegte sich raschelnd das Schilf am Ufer.

Sie schien endlich müde zu werden. Noch eine Zeitlang ließ sie sich auf dem Rücken liegend im Kreise treiben, daß nur ein Wenig des blassen Gesichts aus dem Wasser vorsah. Dabei kam sie dem Ufer so nahe, daß der Späher dort hinter den Zweigen jetzt die feine blasse Linie des Profils gegen das dunkle Wasser sich abheben sah und deutlich gewahrte, wie die Augen, ruhig gegen 80 den Nachthimmel aufgeschlagen, in ihrem eigenen Feuer leuchteten.

Er hatte vom ersten Augenblick an nicht gezweifelt, wer die Schwimmerin war. Nun schlug ihm doch das Herz bis zum Halse hinauf, da er das unvergeßliche Gesicht wiedersah.

Es schien, als ob die Flut die Regungslose hinabziehen wollte. Mehr und mehr versank das Haupt, wie in einem weichen Kissen, in der lautlosen Welle. Da rauschte es endlich und wirbelte um die Versinkende, hastig warf sie sich wieder herum und schwamm nun mit drei kräftigen Stößen nach dem Wassertreppchen zurück.

Die Begleiterin erwartete sie, den großen Linnenmantel ausgebreitet in den Händen, den sie ihr überwarf, als sie die Stufen emporstieg. Im nächsten Moment waren Beide im Innern der Hütte verschwunden. Die Thür blieb zwar halb offen, aber bei der nächtlichen Dunkelheit drinnen war es unmöglich, irgend etwas von dem zu errathen, was im Innern vorging.

Noch zehn Minuten, so erschienen die beiden vermummten Gestalten wieder außerhalb der Hütte, gingen auf die Thür des Geheges zu, öffneten und verschlossen sie wieder und entfernten sich auf dem Fußwege durch den Park, von wo sie gekommen waren. – –

Erst viel später verließ auch der heimliche Zeuge dieser Scene durch die Lücke in der Umpfählung den Weiher. Er hatte sich, sobald er sich wieder allein sah, sofort in die Wellen gestürzt. Aber die wunderliche 81 Unruhe in seinem Blut und Hirn war kaum gedämpft worden. Wie jetzt der lebhaft sich aufmachende Nachtwind in seinen nassen Haaren wühlte und ihm kühl und zudringlich um die Brust wehte, kam es ihm vor, als ob auch er, statt zu kühlen, in der Asche seiner Erinnerung die glimmenden Funken wieder anzufachen suche.

Er erschrak bei diesem Gedanken und blieb unwillkürlich stehen, als warne ihn Etwas, in das Schloß zurückzukehren. Nein, sagte er dann; es wäre zu feige, zu erbärmlich. Vier Jahre, vier so glückliche Jahre – und ich wäre dennoch ganz der alte wehrlose Thor? Und Alles um ein paar weiße Arme und ein paar Nixenaugen? Was hätten wir denn an unserer Menschenseele, wenn das Element sie ohne Rettung verschlingen dürfte! Nein, alte Seele, wir wollen uns wacker halten und uns Ehre machen!

Er kam wieder an das Hofthor, nach einem langen Irrwege durch den Park, der ihn doch endlich schlafmüde gemacht hatte. Auch mochte es gegen zwei Uhr Morgens sein; das Licht oben in den Zimmern der Gräfin war erloschen. Als er eben den Hof wieder betreten wollte, sah er aus der Thür, hinter welcher die junge Magd schlief, einen Mann verstohlen heraustreten, der auf der Schwelle noch einen Augenblick zögerte, wie Einer, der Abschied nimmt. Die Thür lag im Schatten, und der Mond war untergegangen. Dennoch, wie der späte Besucher jetzt mit elastischen Schritten an den Gebäuden hineilte und sich dann behutsam 82 nach dem Anbau hinübertastete, erkannte Edwin deutlich in ihm den jungen Grafen; die »unendliche Sehnsucht«, die ihn veredelte, schien ihn also nicht zu hindern, sich auch zu Abenteuern herabzulassen, die Anfang, Mitte und Ende hatten. 83



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