Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Zehntes Kapitel.

Um dieselbe späte Stunde sah es in dem kleinen Boudoir der Sängerin, die wir im türkischen Zelt kennen gelernt, noch hell und lustig aus. Ein Armleuchter mit fünf Kerzen brannte auf dem sauber gedeckten Tisch, an dem die muntere Schöne mit ihrem Freunde saß und nach der ersten Vorstellung einer großen Ausstattungsoper auf ihren reichlichen Lorbeern ausruhte.

Sie waren heute reizend, Adele, sagte Marquard, indem er den Teller mit Austerschalen zurückschob und aufstand, sich an dem Armleuchter eine Cigarre anzuzünden. Wahrhaftig, holdeste Hexe, Sie wachsen mit jeder Rolle, und wenn Sie eines Tages auch mir über den Kopf wachsen sollten, werde ich mich nicht wundern. Aber Ein Talent haben Sie, das noch mehr als Ihr Spiel und Gesang und Ihre schwarze Kunst, ein ganzes Parterre rasend verliebt zu machen, mir Hochachtung abnöthigt.

Und das wäre?

Das Talent, Austern zu essen. Sie lachen, Adeline. Aber glauben Sie mir, ich meine es ganz ernst. Ich 149 wollte mich anheischig machen, von jedem Weibe, mit dem ich zehn Minuten ohne weitere Conversation, als ein gemeinschaftliches Austernessen, zusammengewesen wäre, das geistige und gemüthliche Signalement zu entwerfen und mich nie zu täuschen – vorausgesetzt, daß es nicht ihr allererstes Debüt in dieser edlen Kunst ist, wobei auch die Begabteste sich ungeschickt anstellen darf.

Nun, und worin besteht mein Verdienst in dieser Richtung?

Rufen Sie erst Ihre Jenny und lassen Sie die Bouquets hinaustragen, die man Ihnen heute zugeworfen hat. Champagner, Havanna, Seewasser und Rosenduft – es wird des Guten zuviel, und wir bekommen Kopfweh. Auch bin ich über die Eitelkeit hinaus, das Bett eines schönen Mädchens weicher zu finden, wenn es mit Rosenblättern bestreut ist, die von minder glücklichen Anbetern gestiftet worden sind.

Sie sind ein abscheulich blasirter Mensch! lachte die Sängerin. Wenn Sie nicht so amusant wären, hätte ich Sie längst abgeschafft. Aber nun geschwind, Ihre Austerntheorie!

Nein, sagte er ruhig lächelnd, indem er sich auf dem kleinen Sopha behaglich zurücklehnte; ein andermal. Die Sache ist tiefsinniger, als Sie wohl glauben. Alle Themata auf der Grenze zwischen dem Sinnlichen und Seelischen sind heikel, und ich habe zu viel wissenschaftliches Gewissen, um so feine Dinge übers Knie zu brechen. Vollends nach Ihrer Erklärung, daß Sie mich nur darum dulden, weil ich amusant bin, wäre ich ein Narr, 150 wenn ich Ihnen jetzt ein Kapitel aus der Physiologie des Genusses vortrüge, statt die Sache selbst noch eine Weile praktisch zu betreiben. Sie könnten mir wohl den Gefallen thun, Kind, Ihren Kopfputz abzunehmen. Ich habe, wie sie wissen, eine närrische Passion dafür, Ihren Pudelkopf zu zausen.

Nichts da! erwiederte sie. Erst geben Sie mir ein wenig Feuer für meine Cigarrette, und dann wünsche ich die Erklärung, die Sie mir gestern versprochen haben, warum Sie nie heirathen wollen. Sie entsinnen sich, ich mußte zur Probe und Sie zu einer Consultation.

Und Sie haben die Antwort nicht schon selbst gefunden? O Adeline, Ihre Leidenschaft für mich trübt Ihren sonst so hellen Verstand!

Unverschämter, eingebildeter Mann! Aber er ist unverbesserlich! lachte das Mädchen, indem sie sich nachlässig die schweren künstlichen Flechten aus den Haaren lös'te und sie neben den Champagnerkühler auf den Stuhl legte. – Sie sah wirklich hübscher aus in ihren kurzen, jetzt ganz zerfahrenen Locken.

So, nun sind Sie wieder Sie selbst, sagte Marquard und betrachtete sie mit ungeheucheltem Wohlgefallen durch seine goldne Brille, die neben ihm auf dem Tische lag. Und da Sie nun alle Falschheit abgelegt haben, will auch ich Ihnen ehrlich bekennen, daß ich aus purer Sentimentalität nie heirathen, sondern auf meinen Grabstein schreiben lassen werde: Hier ruht der jungfräuliche Marquard.

Sie und sentimental? – Sie lachte hell auf. 151

Allerdings, meine schöne Freundin. Urtheilen Sie selbst: finden Sie es nicht ziemlich schäferhaft, daß ich empfindlich darüber werden würde, wenn meine Frau mir nicht treu wäre, während ich doch ohne Zweifel mich nach wie vor der Vielgötterei ergeben würde? Und sehen Sie, darüber kann ich nicht hinaus und bin zugleich zu gerecht, um einem guten, tugendhaften Geschöpf zuzumuthen, mit einem so brüchigen Bruchtheil eines Mannes vorliebzunehmen.

Als ob die rechte Frau Sie nicht noch bessern, noch einen ganzen Mann und Ehemann aus Ihnen machen könnte!

Mich bessern, meine Freundin! seufzte er mit komischer Tragik in Blick und Ton. Lassen Sie sich, für den Fall, daß es Ihnen einmal um einen treuen Gatten zu thun wäre, nur um Gotteswillen vor den Aerzten warnen. Von Rechtswegen sollten wir alle das Cölibat beschwören, wie die katholischen Priester. Wem ihr beichtet, der muß ein Stein oder ein Heiliger sein, wenn eure Sünden ihn nicht anstecken sollen. Und lieber will ich mir noch von einem kranken Herzen beichten lassen, als von einer Contusion am Knie. Warum rücken Sie von mir fort?

Weil Sie ein frivoler Mensch sind und zu viel Champagner getrunken haben. Uebrigens ist es spät.

Zu spät, – um noch zu gehen. Ich habe zu Hause hinterlassen, daß mein Bedienter mich nicht erwarten soll. Da ich zum Glück keine Frau habe, will ich es auch einmal so gut wie andere Ehemänner haben und eine 152 Nacht schlafen, ohne durch häusliche oder fremde Leiden gestört zu werden. Nicht wahr, meine reizende Freundin? Hier bin ich nicht Arzt, hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.

Er warf die Cigarre weg und näherte sich zärtlich dem Mädchen, indem er ihre beiden Hände faßte und sie tändelnd hin und her wiegte.

In diesem Augenblicke trat Adelens Kammerzofe herein, eine Visitenkarte in der Hand. Der Herr stehe draußen im Vorzimmer und verlange dringend, den Herrn Doctor zu sprechen.

Sagen Sie ihm, er soll zum – Warum haben Sie verrathen, daß ich hier sei?

Er hat mich gar nicht gefragt. Er hat mir sogleich die Karte aufgenöthigt und trotz meines Leugnens –

»Mohr«! Himmel, was führt Den hieher – zu dieser Stunde – wenn Balder am Ende – Sie entschuldigen, Adele, aber ich muß hören, um was es sich handelt.

Er stürzte so eilig aus der Thüre, daß er den Korb umstieß, in welchem der kleine Rattenfänger der Sängerin sanft geschlafen hatte.

Während sie das erschrockene Thier, das heftig bellte, zu beschwichtigen suchte, war Marquard im Vorzimmer dem harrenden Freunde mit der Frage nach Balder entgegengeeilt.

Ich glaube, es steht Alles gut in der Tonne, sagte Mohr. Aber du mußt sofort mit mir kommen, – es ist Jemand verunglückt, – wir haben nicht eine Minute zu verlieren. 153

Holla, Freund! erwiederte Marquard, plötzlich in seinen gleichmüthigen Ton zurückfallend. Wenn es so steht – vier Häuser weiter, gleich rechts, wenn du aus der Thüre trittst, wohnt ein sehr werther College von mir, der noch wenig Praxis hat und wahrscheinlich in diesem Augenblick geneigter sein wird, deine menschenfreundliche Citation –

Du wirst mit mir kommen, Marquard, sagte Mohr mit einer dumpfen Stimme, in der eine tödtliche Angst zitterte: Christiane hat sich ertränkt, wir haben sie aus dem Fluß gezogen – Gott weiß, ob es nicht schon zu spät war! –

Er schwankte, indem er diese Worte mühsam hervorstieß; seine ganze gewaltige Gestalt schien aus den Fugen gehen zu wollen, doch nahm er den Stuhl nicht an, den Marquard ihm hinschob.

Ja so! Das hättest du gleich sagen sollen, brummte dieser. Das ist freilich etwas Anderes. Setz dich da zwei Augenblicke nieder. Ich hole nur meinen Hut. Die Kleine drinnen braucht vorläufig noch Nichts zu wissen.

Wirklich kam er gleich darauf wieder aus Adelens Zimmer, und kein Wort, keine Miene seines ernsthaften Gesichts verrieth, daß er so unsanft aus einer bacchantischen Laune aufgeschreckt worden war. Erst als sie unten in der Droschke saßen, die Mohr's doppeltes Fahrgeld zu rasender Eile antrieb, sagte er zu dem düster Schweigenden:

Unter Allem, was uns Aerzten Schweres und Verdrießliches zugemuthet wird, ist für mich wenigstens 154 Nichts peinlicher, als in einem solchen Fall meine verfluchte Schuldigkeit zu thun. Jeder ist der Natur einen Tod schuldig. So einen armen Tropf aber, der seine Schuld berichtigt zu haben glaubt und nun Ruhe haben will, wieder aufzuwecken und ihn zu nöthigen, die ganze Summe noch einmal zu erlegen, weil er sie das erste Mal nicht in der landesüblichen Münzsorte bezahlt hat – 's ist eine wahrhaft niederträchtige Commission und könnte einem das ganze Handwerk verleiden. Viermal bin ich in einem solchen Fall gewesen, und jedesmal, mitten unter dem Frottiren und Manipuliren, habe ich gewünscht, es möchte vergebene Mühe sein.

Ich hoffe, du wirst diesmal –

Sei unbesorgt. Der Zunftgeist ist stärker, als alle Philosophie und Menschlichkeit. Fiat experimentum et pereat mundus, das heißt in diesem Falle: vivat ein armer Teufel, der nichts zu leben hat, aber allen Grund, sein Leben zu verwünschen. Christiane! Hast du eine Ahnung, was sie dazu gebracht haben mag? Daß sie eine Neigung hat, sich aus lustigen Gesellschaften auf Französisch zu empfehlen, haben wir freilich schon einmal erlebt. Weiß man was von ihren Verhältnissen? Eine unglückliche Liebe? Aber du bist ja wie der steinerne Gast!

Verzeihe, wenn ich ein schlechter Ersatz bin für die Gesellschaft, die du eben verlassen hast, stotterte Mohr. Ich – meine Nerven sind nicht mehr die solidesten – es hat mich hart angefaßt – denn, unter uns gesagt – ich habe mich für das Mädchen, das euch Andern nicht 155 gerade liebenswürdig schien – mit Einem Wort: ich habe sie sehr gern gehabt!

Armer Junge! murmelte der Arzt, indem er im Dunkeln Mohr's kalte Hand suchte und leise drückte. – Dann sprachen sie nichts mehr. Mohr hatte sich in den Winkel der Droschke gedrückt und sich den Mund mit dem Schnupftuch verstopft. Als sie vor dem Holzplatz ausstiegen, sah Marquard, daß sein Gesicht über und über feucht und geröthet war.

Der kleine Maler stand in der offenen Hausthür. Endlich! rief er ihnen entgegen. Wir sind fast umgekommen vor Angst und Ungeduld. Indessen – es scheint ja noch Hoffnung. Lea will bemerkt haben, daß sie zu athmen anfängt. Hier rechts herein, wenn ich bitten darf. Wir haben sie auf mein Bett im Atelier gelegt.

Du bleibst draußen, Heinrich, befahl Marquard; und auch das Fräulein kann ich nicht brauchen. Ich werde schon allein fertig werden.

Er ordnete noch Einiges an, sagte ein paar beruhigende Worte zu Lea, die ihm mit einem unheimlich gespannten Ausdruck, fast wie eine Nachtwandlerin, entgegentrat, und ging dann an seine schwere Pflicht.

In demselben Zimmer, wo sie vor wenigen Stunden so behaglich plaudernd um den Theetisch gesessen hatten, fanden die drei Menschen sich nun wieder zusammen. Aber Keiner brach das Schweigen. Der Maler hatte sich der Büste gegenübergesetzt und schien die stummen Züge um das ewige Geheimniß von Leben und Tod zu befragen. Mohr, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, 156 ging ruhelos wie ein gefangenes Raubthier das Zimmerchen auf und ab, nach allen zwanzig Schritten einen Augenblick stehen bleibend, um in das Atelier hinüberzuhorchen. Lea saß am Fenster und sah in das nächtliche Schneetreiben hinaus. Sie regte kein Glied, die Augen hatte sie geschlossen, aber keine Secunde verlor sie das wache Bewußtsein dessen, was um sie her vorging. Was sie so lähmte, war weder körperliche Erschöpfung, noch die überreizte Dumpfheit, die nach großen Aufregungen einzutreten pflegt. Sie hatte, als sie die leblose Fremde entkleidete, um sie in wollene Decken zu wickeln, unter dem nassen, eiskalten Corset eine kleine Ledertasche gefunden, mit einer rothen Schnur zusammengebunden. In der Meinung, es könne ein Brief darin liegen, der Aufschluß über ihre That gebe, oder eine Karte mit ihrem Namen, den Mohr nicht über die Lippen gebracht, hatte sie, ohne daß es die Andern bemerkt, das Täschchen geöffnet. Es enthielt weder Brief noch Karte, nur eine durch das Wasser fleckig gewordene Photographie, in der sie auf den ersten Blick – Edwin erkannte. – Wir brauchen nichts hinzuzufügen, um zu erklären, warum sie wie abwesend Stunde um Stunde am Fenster saß.

Endlich – es mochte vier Uhr Morgens sein – hörten sie drüben die Thüre gehen. Gleich darauf trat Marquard herein.

Guten Morgen, meine Herrschaften, sagte er trocken. Ich will nur melden, daß wir die Schlacht gewonnen und den Feind aus all seinen Positionen verjagt haben. 157 Mein Adjutant, Ihre treffliche alte Dienerin, Herr König, hat Ordre, ihm nachzusetzen und das Schlachtfeld von allen Marodeurs zu säubern. Ich selbst will ein paar Stunden schlafen, dann habe ich die Ehre, wieder vorzusprechen. Adieu!

Er verneigte sich nachlässig und ging. Als er im dunklen Hausflur nach der Thür tappte, fühlte er sich plötzlich von hinten festgehalten und von zwei zitternden Armen umschlungen. Mohr lag schluchzend an seinem Halse. 158



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