Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Auch in dieser Nacht kam Christiane nicht nach Hause.

Mohr, der darauf bestanden hatte, daß Franzelius mit ihm tauschen und ihm noch einmal die Nachtwache abtreten mußte, saß, ohne einen Laut von sich zu geben, die langen dunklen Stunden am Fenster, die Hofthür unverrückt im Auge. Als Edwin am Morgen aus einem kurzen Schlummer auffuhr, fand er ihn noch in derselben Stellung; seine Augen waren roth und starr, sein Gesicht grau und verzerrt. Er gab auf alle Fragen verkehrte, halb schnurrige, halb verbissene Antworten und benahm sich überhaupt so wunderlich, daß Edwin, der von seiner Gemüthsverfassung nichts ahnte, ihn für krank erklärte und darauf bestand, daß er sofort nach Haus und zu Bette ginge.

Er folgte auch, willenlos wie ein Automat. Unten im Hof begegnete ihm die Magd. Von der erfuhr er, es sei heute früh durch einen Dienstmann ein Billet von Fräulein Christiane an die Hausfrau gekommen: das Fräulein habe plötzlich abreisen müssen. Wann sie wiederkomme, sei noch ganz ungewiß. 127

Mohr nickte dazu und that, als ob ihn diese Neuigkeit nicht sonderlich kümmere. Er trat aber doch in den Laden, wo er Madame Feyertag fand, unter dem Vorwande, sich nach Reginchens Befinden zu erkundigen. Es bessere sich, sagte die Mutter; es sei überhaupt nur Ziererei; dem launischen Ding scheine es zur Veränderung einmal Spaß zu machen, die Hände in den Schooß zu legen und sich pflegen zu lassen. Dann kam die Rede auf die Musiklehrerin, und ihr Billet wurde vorgezeigt. Es war mit Bleistift, offenbar in großer Aufregung geschrieben, aber weiter ergab sich nichts daraus.

Meister Feyertag kam dazu. Er war sehr niedergeschlagen, und seine Schopenhauer'sche Weisheit schien ihn völlig im Stich zu lassen. Denn sein ganzes Herz hing an dem Reginchen, und es war das erste Mal, daß das Kind ihm Sorge machte. Auf Christiane, für die er sonst immer viel Hochachtung geäußert hatte, war er nicht eben gut zu sprechen. Nie würde er wieder ein interessantes Frauenzimmer in seinem Hause wohnen lassen. Das sei auch bisher sein Maximum gewesen, denn Weiber müßten vor allen Dingen Weiber sein, und die »starken« Weiber, die einzeln lebten, Musik machten und sich für das Leiden der Welt interessirten, gehörten eben nicht mehr zum »schwächeren Geschlecht« – mit oder ohne Schnurrbart. – Seine gute Frau warf ihm einen bedeutsamen Blick zu und sagte achselzuckend: Man weiß, warum du's lieber hast, daß Frauenzimmer schwach sind, Feyertag. Anstatt so dumme Reden zu führen, solltest 128 du auf die Polizei gehen und einmal nachfragen, ob sie da nichts wissen.

Mit noch schwererem Herzen verließ der treue Freund das Haus. Daß Alles ganz unverfänglich sei, nichts natürlicher, als so eine plötzliche Abreise, daß Künstlerinnen unberechenbar und Novemberwetter kein Hinderniß, wenn es sich etwa um eine Pflicht gegen Freunde oder Verwandte handle, sagte er sich zwanzigmal vor. Konnte nicht eine erkrankte Freundin sie zu sich gerufen haben? Oder ihre Mitwirkung bei einem Concert irgend wo in der Provinz gewünscht worden sein? Nichts wahrscheinlicher als das. Und doch – wenn er an ihr stürmisches Aufbrechen draußen im türkischen Zelt dachte, an ihr plötzliches Verschwinden – und warum, wenn Alles in Ordnung wäre, hätte er dann dieses schwere Herz, diesen unheimlichen Druck, der ihn nicht frei athmen ließ und hundert beklommene Vorstellungen in ihm weckte?

Er brachte den Tag so gut oder schlecht es gehen wollte zu, fragte einmal bei Adele vor, die ebenfalls seit jenem Abend ihre Freundin nicht gesehen hatte, und fand sich, da es dunkelte, wieder oben in der Tonne ein, wo ihm noch am wohlsten war. Wenn sie zurückkehrte, wäre er doch gleich in der Nähe und erführe es – war sein stiller Gedanke.

Der Tag schien leidlich gewesen zu sein, Marquard war zufrieden, sagte Edwin. Wie Balder, wenn er nicht schlief, sich fühlte, war nicht klar zu erkennen. Er hatte noch kein anderes Wort gesprochen, als daß ihm sehr wohl sei. Aber man kannte ihn; er hatte stets seine 129 Leiden verleugnet. Zum Glück schlief er wirklich die meiste Zeit, auch ohne narkotische Mittel. Eine tiefe Erschöpfung aller Kräfte schien dem Ausbruch des Unheils gefolgt zu sein.

So schlief er auch fort, als Abends ein sehr schüchternes Klopfen Edwin hinausrief. Draußen im Flur, wo jetzt ein Nachtlämpchen die Treppenbeleuchtung versehen sollte, stand in einem engen, altmodischen Mantel mit hohem Kragen eine Gestalt, in der Edwin den Zaunkönig erst wiedererkannte, als der verlegene kleine Herr seinen Namen nannte.

Er habe erst heute Mittag von Balder's schwerem Erkranken gehört, da ihm der Lehrjunge ein paar Schuhe gebracht. Nun habe es ihm keine Ruhe gelassen, und auch seine Tochter und die Professorin, die gerade bei ihnen gewesen, hätten in ihn gedrungen, sich gleich selbst zu erkundigen. Auch sollte er fragen, ob die Frauen Nichts zur Pflege und Erquickung thun oder schicken könnten; die Professorin stelle ihren ganzen Wintervorrath an Fruchtsäften und ihre Köchin, die auf Krankenkost eingeübt sei, zur Verfügung.

Er sagte das Alles in so treuherzig bittendem Ton, daß Edwin ihm gerührt die Hand drückte. Er werde sicher an dieses liebevolle Anerbieten denken, wenn sie erst in der Reconvalescenz seien. Ob er ihn einen Augenblick sehen wolle?

Auf den Zehen trat der kleine Herr in das Zimmer, grüßte höflich den ihm unbekannten Mohr und stand dann ohne sich zu rühren an Balder's Bette. Plötzlich 130 wandte er sich um, zog ein Tuch hervor und gab sich alle Mühe, die Erschütterung, die sich in heftigen Thränen lös'te, darin zu ersticken. Als es nicht möglich war, winkte er abgewandt Edwin ein Lebewohl zu und hastete aus der Thür.

Er hat seinen Hut vergessen, sagte Mohr. Ich will ihn dem Biedermann nachtragen und sorgen, daß er glücklich die Treppe hinunterkommt. Ich wollte ohnedies fort, Edwin. Unser Volkstribun wird wohl nicht lange mehr auf sich warten lassen.

Auf dem Treppenabsatz vor Christianens Thür fand er den kleinen Maler, der stehen geblieben war, sich zu sammeln und das nasse Gesicht zu trocknen.

Ich bringe Ihnen Ihren Hut, Herr König, sagte er.

Der Maler nickte nur zum Dank, setzte ihn blindlings auf und ging dann leise vorwärts die Treppe hinunter. Er schien in so tiefen Gedanken, daß er gegen seine höfliche Gewohnheit auf den Begleiter nicht achtete.

Aber unten vor dem Hause, als Mohr sich von ihm verabschieden wollte, hielt ihn der Maler plötzlich am Aermel fest und sagte: Wenn Ihre Zeit es erlaubt, lieber Herr, hätte ich noch die Bitte, daß Sie ein paar Schritte mit mir gingen. Ich möchte Ihnen noch eine Mittheilung machen. Sie sind ein naher Freund der beiden Brüder. Der Herr Doctor hat öfter Ihren Namen genannt. Sie wissen auch vielleicht, wie es gekommen ist, daß ich – daß der Unterricht, den er meiner Tochter gab – daß ich mich genöthigt sah, ihn abzubrechen. Mein Schöpfer weiß, es ist mir nicht 131 leicht geworden; auch meiner Tochter nicht, das können Sie glauben. Es war ihr wie eine Strafe, und sie fühlte sich doch ganz unschuldig. Aber heißt es nicht: wer sein Kind lieb hat –? Wenn auch freilich, – eine Züchtigung sollte es nicht sein; versagt uns nicht auch unser himmlischer Vater Manches, was uns sehr lieb und erwünscht ist, und wir wissen nicht, warum? Ich will natürlich unsern Menschenverstand nicht mit der Allweisheit Gottes vergleichen, ich sage das nur, weil Sie mich vielleicht für hartherzig gehalten haben. Lieber Gott, das bin ich wahrhaftig nicht; ich habe vielleicht mehr darunter gelitten, als mein gutes Kind; aber daß es ihr so tief gehen würde, das ahnte ich doch nicht. Ich sage Ihnen, sie ist nicht mehr zu erkennen, ein ganz anderer Mensch, nicht wie achtzehn- oder neunzehnjährig, – wie eine lebensmüde Seele, die alles Glück der Welt hinter sich geworfen hat. Das Herz blutet mir, wenn ich sie so herumwandeln sehe, ohne Klage und sogar oft mit einem Lächeln, aber so blaß! Und darum habe ich mich der Thränen nicht erwehren können, wie ich den Bruder Ihres Freundes auf seinem Leidensbette sah. Ich weiß nicht, wie es kam, ich mußte mir plötzlich vorstellen, wenn mein Kind, meine Lea so vor mir läge, und ich – ich alter Mann – – nein, nein, mein Herr und Gott, das – das wird deine Gnade nicht an mir thun, diesen Kelch –

Er stand, von seinem Gefühl überwältigt, still und verbarg wieder das Gesicht in seinem Tuch. Um ihn endlich aus dieser Versunkenheit zu wecken, fragte Mohr: 132

Sie wollten mir eine Mittheilung machen?

Ja so, sagte der kleine Herr und ermannte sich. Sehen Sie, ich weiß, Ihre Freunde haben nicht gerade Ueberfluß, und eine Krankheit – Sie verstehen, was ich meine. Ich bin noch in der Schuld des Herrn Doctors. Wenn Sie ihn bewegen könnten, jetzt wenigstens –

Ich zweifle, werther Herr, daß mein Freund davon wird hören wollen. Auch können Sie außer Sorge sein. Wir sind so eine Art Communisten, und wenn es Balder gilt, ist Edwin auch gar nicht zu stolz, von seinen Freunden sich helfen zu lassen.

Das ist es eben, seufzte der kleine Herr. Wenn er nur wüßte, wie gute Freunde er noch außerdem hat! Auch die Professorin – eine vortreffliche Frau, glauben Sie mir, und sie hat trotz alledem die größte Hochachtung vor dem vortrefflichen jungen Mann. Aber sehen Sie, da er selbst sich so offen dagegen sträubt, ein Kind Gottes zu heißen, da er einen himmlischen Vater überhaupt nicht kennt, können Sie es einem irdischen Vater verdenken, wenn er die Gotteskindschaft seiner einzigen Tochter nicht wegdisputirt und wegphilosophirt sehen möchte? Sie ist so jung; soll sie Geist und Gemüth einem Mann gefangen geben, der von Gott nichts weiß, noch wissen will? Lieber sie leidet an ihrem zeitlichen Heil, als daß sie an ihrer Seele Schaden nähme.

Mohr hätte zu anderer Zeit es sich schwerlich versagt, den kleinen Herrn zu schrauben und in die Enge zu treiben. Jetzt hörte er, während er in dem rauhen Novembersturm langsam neben ihm herging, nur mit halbem 133 Ohre zu. Seine Gedanken waren weit weg. Aber bei jeder vermummten Frauengestalt, die durch Gang und Haltung von fern an Christiane erinnerte, schrak er unwillkürlich zusammen.

Wäre der böse Winter nur erst überstanden, plauderte der kleine Mann treuherzig weiter, ohne an dem Schweigen seines finsteren Begleiters Anstoß zu nehmen. Nun, mit Gottes Hülfe werden wir ja auch das Frühjahr noch erleben, und dann ist mir für meine Tochter nicht mehr bange. Der Arzt ist der Meinung, Luftveränderung, Zerstreuung, eine Reise würden ihr rascher helfen, als alle andern Curen. Noch vor ein paar Monaten hätte mich dieser Ausspruch erschreckt. Denn ein armer Künstler, der niemals sehr fruchtbar gewesen oder besondere Gönner gehabt hat – du mein Himmel, wie soll der so große Sprünge machen? Aber gerade wenn die Noth am größten, ist Gottes Hülfe am nächsten; das habe ich wieder einmal recht mit Händen greifen können. Stellen Sie sich vor, lieber Herr, was mir passirt. Auf der diesjährigen Ausstellung, die erst vor vierzehn Tagen geschlossen worden ist, hatte ich nur ein einziges kleines Bildchen – die Zeiten waren schlecht gewesen – ich mußte mich fast ausschließlich auf meine Lohnarbeit, den Holzschnitt, legen. Nun, wie gesagt, ganz von der Ausstellung wegzubleiben, konnte ich nicht übers Herz bringen, obwohl mich schwerlich Einer vermißt hätte. Also mache ich noch kurz vor Thoresschluß ein altes Bildchen fertig, eines meiner kleinen Zaunstücke, die Sie vielleicht hie und da gesehen haben. Meine 134 Specialität, lieber Herr, in der ich vor Concurrenz sicher bin. Aber was geschieht? Wie ich am letzten Tage, da ich die Hoffnung ganz aufgegeben hatte, diesmal mein Zäunchen zu verkaufen, trotz des mäßigen Preises von vierzig Thalern, wie ich also ganz gottergeben durch die Säle gehe und denke: kein Wunder, daß du diesmal übrig bleibst; die Andern können auch fast alle mehr! – seh' ich gerade vor meiner kleinen Pinselei drei Herren stehen, in eifrigem Gespräch, und sie deuten dabei immer auf das Bild, daß ich erst glaube, sie machen sich darüber lustig; aber nein, sie reden so ernsthaft und angelegentlich, als ob sie vor wer weiß welchem Meisterwerk ständen, aus dem man eine ganze Aesthetik herausdemonstriren könnte. Jetzt erkenn' ich auch einen der Herren, einen namhaften Kunstkenner, Baron L., und auch er erkennt mich und sagt dem Größeren der beiden andern Herren, der etwas sehr Vornehmes hatte, ein Wort ins Ohr, worauf sie eine Weile leise mit einander sprechen und der vornehme Herr mich durch eine Lorgnette betrachtet, daß ich ordentlich verlegen werde und mich eben davonschleichen will. Indem ruft der Baron mir nach und bittet mich umzukehren, er wolle mich Sr. Durchlaucht, dem Fürsten Bataroff, vorstellen, der meine Bekanntschaft zu machen wünsche. Nun, da war nicht zu entrinnen. Ich muß auf eine Menge Fragen antworten, besonders über die Art, wie ich male, und was ich mir dabei denke, und sogar auch, warum ich male, als ob sich das bei einem Maler nicht von selbst verstände, wie Essen und Trinken. Endlich, nachdem der 135 Fürst noch etwas auf Russisch zu seinem Begleiter gesagt, fragt er mich, was ich im Durchschnitt mit meinen Gemälden jährlich verdiente. Nun, ich überschlug mir das geschwind und nannte die Summe, die natürlich keine fürstliche Rente ist, und von der allein ich nicht leben könnte. Darauf sagt die russische Durchlaucht: Würden Sie sich verpflichten, Herr König, auf Ihr Ehrenwort, Alles, was Sie malen, nur mir zu überlassen, aber ohne meine Bestellung keinen Pinsel anzurühren? Ich würde Ihnen dafür einen festen Jahresgehalt aussetzen, der das Vierfache von jener Summe betragen sollte. Aber Sie verstehen mich: sobald Sie Ihr Wort brechen – Hier fiel der Professor ein: das sei von mir nicht zu befürchten, ich sei als ein Mann von Grundsätzen und Religion bekannt; mir aber blinzelte er zu, nur ja zuzugreifen und mich keinen Augenblick zu besinnen. Sagen Sie selbst, lieber Herr Mohr, hätte ich es vor meinem Kinde verantworten können, wenn ich mich da hätte bedenken wollen? Mit Freuden nahm ich an und sehe mich nun in der Lage, meine Tochter im nächsten Mai nach der Schweiz zu führen, vielleicht gar eine Strecke in Italien hinein. Hab' ich nun nicht Recht, daß die Rathschlüsse der Vorsehung wunderbar sind?

Wunderbar, in der That, versetzte Mohr, so sehr, daß ich an Ihrer Stelle neugierig geworden wäre, dem Zusammenhang noch etwas auf die Spur zu kommen. Da Sie selbst gestehen, eine Specialität zu sein, wie erklären Sie sich die Liebhaberei dieses russischen 136 Mäcen, sich eine ganze Hecke von Zaunkönigen anzulegen?

Das habe ich auch gleich hernach den Herrn Baron gefragt; denn unter uns gesagt, der Fürst kam mir nicht ganz zurechnungsfähig vor, und es schien mir Unrecht, von einer Monomanie Vortheil zu ziehen. Ich weiß sehr gut, daß ich doch nur eine Mediocrität bin; viel von meinen Sachen auf einmal kann ich selber nicht gut vertragen. Aber der Baron beruhigte mich. Für den Fürsten sei mein Gehalt, was für mich etwa eine Flasche Wein, die ich mir einmal an einem Festtag gönnte. Und übrigens sei er ein sehr feiner Kopf und interessire sich nun gerade für meine ganze künstlerische Individualität, wie er es nenne. Nun, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. So bin ich denn russischer Hofmaler, und das erste Quartal ist mir richtig vorausbezahlt worden, aber von einer Bestellung keine Rede, und die Skizze meiner Lagune, die ich eingeschickt habe und nun gerne gleich ausgeführt hätte, ist mir nicht wieder zurückgegeben worden: es wäre gut, hieß es; Se. Durchlaucht würden sich noch besinnen, was sie zunächst bei mir bestellen wollten.

Ich gratulire, sagte Mohr trocken. Wenn Sie Recht hätten, daß Sie nur eine Mediocrität sind, wäre es wenigstens eine aurea mediocritas die man sich gefallen lassen könnte.

Lieber Herr, versetzte der Maler gutmüthig, ohne sich im Geringsten empfindlich zu zeigen, Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Ich 137 habe meine Mittelmäßigkeit mir gefallen lassen, als noch kein russischer Fürst sie mir vergoldete. Denn sehen Sie, wenn alle Geschöpfe von Einer Größe wären, alle Menschen, Thiere und Pflanzen so tropische Riesen, wie sie jetzt nur unter gewissen Himmelsstrichen wachsen, wo bliebe da die bunte, lustige Mannichfaltigkeit in der lieben Gotteswelt? Ueberhaupt nur dazuzugehören, das halte ich schon für ein so großes Glück, daß mir die Künstler sehr unglücklich vorkommen, die sich lieber gleich aus der Welt wegwünschen, weil sie selbst nur so eine Durchschnittsgröße haben, oder gar unter dem Mittelmaß geblieben sind.

Mohr sah ihn scharf von der Seite an. Waren diese Worte, die ihn an seiner wunden Stelle trafen, absichtlich auf ihn gemünzt? Hatte etwa gar Edwin dem kleinen Herrn von seiner Symphonie und dem Lustspiel erzählt, und diese Genügsamkeitspredigt sollte seinem unfruchtbaren Eifer einen Dämpfer aufsetzen?

Doch widersprach die heitere und harmlose Miene des Malers einem solchen Verdacht und machte es dem Andern unmöglich, die scharfe Antwort zu geben, die ihm schon auf der Zunge schwebte. Zudem waren sie unter diesen Reden bei dem Häuschen am Canal angelangt, und der kleine Mann drang so herzlich in seinen Begleiter, noch einen Augenblick einzutreten und sich mit einer Tasse Thee zu erwärmen, daß Mohr, trotz seines vielfachen Unmuthes, nicht widerstehen konnte. Wo sollte er auch hin? Der Wind trieb eine eisige Kälte vom Flusse herauf, und alles Leben schien an den Ufern 138 erstarrt. In seiner einsamen Junggesellen-Wohnung aber erwartete ihn nur eine dunkle Nacht voll angstvoller Träume.

So ließ er sich über den Holzplatz führen, den schmalen Hohlweg zwischen den hohen Klafterhaufen entlang, bis an die Thür, aus der ein dünner Lichtstrahl ihnen entgegenwinkte. 139



 << zurück weiter >>