Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Elftes Kapitel.

Sobald der Maler hinaus war, trat Mohr, der völlig theilnahmlos und finster neben der Thür stehen geblieben war, auf die verwunderte Professorin zu und sagte im Tone eines Wegelagerers, der mit vorgehaltener Waffe die Börse abfordert: Sie kennen einen gewissen Lorinser, gnädige Frau. Da ich Grund habe, diesen Biedermann für einen Schurken zu halten, der sich mit schlauer Beharrlichkeit seiner verdienten Züchtigung entzieht, wollte ich mir die Freiheit nehmen, zu fragen, ob Sie, seitdem er Berlin verlassen hat, etwas von ihm gehört haben.

Lorinser! rief die gute Dame. O lieber Herr Mohr, schweigen Sie mir von diesem Unheilsmenschen, der mir schon Kummer genug gemacht hat. Nein, nein, ich weiß nicht, wo er sich aufhält, ich will es auch nicht wissen, ich will ihn nie wiedersehen, und ich glaube so ziemlich sicher zu sein, daß er sich meiner Schwelle nie wieder nähert, so wie er auch allen Grund hat, von Berlin fern zu bleiben.

Was das Letztere betrifft, versetzte Mohr mit einem 348 grimmigen kurzen Lachen, so beurtheilen Sie diesen protestantischen Jesuiten doch wohl falsch, gnädige Frau. Ich habe zwar ebenfalls, als ich zuerst vor Monaten und vor Kurzem aufs Neue in seiner früheren Wohnung und auf der Polizei nach ihm forschte, erfahren, daß er abgereis't sei. Aber Leute, wie er, die mit Engeln und Erzengeln auf so intimem Fuße leben, kriegen es am Ende schon vor dem Tode weg, wie man es machen muß, um in einem verklärten Leibe herumzugehen. Man spart dabei die Miethe und dringt durch alle Schlüssellöcher. Daß dieser dunkle Ehrenmann die große Stadt auf immer verlassen haben sollte, wo sich's bequemer und einträglicher im Trüben fischen läßt, war mir von vornherein unwahrscheinlich. Und richtig, heute Vormittag, gerade, da ich ihm wieder die Ehre anthat, an ihn zu denken, fährt er mir in einer Droschke vorbei, – ich sah ihn allerdings nur durch das Fenster, und er hat sich den Bart stehen lassen; aber ich will verdammt sein, in denselben Himmel zu kommen, in den dieser Bursche sich noch hineinzuschwindeln hofft, wenn ich mich getäuscht habe. Verzeihen Sie meine etwas kräftige Ausdrucksweise. Seitdem Schufte, wie dieser unser Geliebter in dem Herrn, sich eines honigsüßen Pastoralstils befleißigen, kann ein ehrlicher Kerl sich nur in seine natürliche Grobheit hüllen.

Sie haben ihn gesehen? Lorinser? Nein, nein!

Ich bin überzeugt, gnädige Frau, daß nicht zwei Menschen diese perlmutterglänzenden, eingesetzten Lucifersaugen im Kopf haben. Und auch er schien mich zu 349 erkennen. Er drückte sich rasch in die Ecke der Droschke, aber ich hatte ihn schon weg. Leider verlor ich seine Spur. Vielleicht, dachte ich, hat er sich doch bei seinen alten Kunden wieder angebiedert; vergeben, siebenmal siebenzigmal, auch einem solchen Teufelsbraten, das ist ja Christenpflicht. Und am Ende, dacht' ich, hat er bei der guten Frau Professorin sich noch immer manierlich aufgeführt und die Maske nicht ganz fallen lassen. Ich gestehe, ich war halb und halb darauf gefaßt, ihn hier zu finden, als das Mädchen sagte, Sie hätten Besuch, und darum bin ich so flegelhaft hereingestürmt.

Die Professorin war in das Sopha zurückgesunken und starrte mit unverhohlenem Entsetzen vor sich hin. Nein, sagte sie dann, wir Zwei sind fertig mit einander. Ich werde dafür sorgen, daß, selbst wenn er die Stirn haben sollte, anzuklopfen, meine Thür ihm nicht wieder geöffnet wird. Schwerer hat nie ein Mensch die heiligsten Worte mißbraucht und das reinste Vertrauen mit Füßen getreten. Ich will nicht von den Summen reden, die er mir abgeschwatzt hat, es läuft in die Hunderte, für fromme und mildthätige Zwecke, um sie dann, wie ich nachträglich erfahren, für sich selbst und sein wüstes Leben zu verbrauchen. Aber daß er mir das anthun konnte, ein braves junges Mädchen, dem ich in meinem Hause Arbeit gab – brechen wir davon ab, bester Herr. Es bringt mich jedesmal auf, wenn ich daran denke, so daß ich alle Gebote der Milde vergesse und diesen Teufel in die tiefste Hölle verwünsche.

Hm! murmelte Mohr in die Zähne, unterschlagene 350 Gelder – brave junge Mädchen, – sehr schätzbares Material. Sie verzeihen, gnädige Frau, fuhr er lauter fort, wenn ich dieses interessante Gespräch noch nicht abzubrechen geneigt bin. Wollten Sie vielleicht die Güte haben, mir den Namen und die Wohnung jenes unglücklichen Mädchens zu nennen?

Was können Sie für ein Interesse dabei haben?

Ein sehr christliches, oder doch rechtschaffenes, verehrte Frau. Denn als der Erzengel Gabriel – oder war es Michael? – den bösen Erzteufel dahin stieß, wohin er gehörte, war ja auch die Lehre von dem siebenmalsiebenzigmaligen Verzeihen noch nicht erfunden. Wenn es mich nun gelüstete, ein wenig Erzengel zu spielen? Vertrauen Sie mir dreist. Ich wette, Ihr armer Schützling weiß, wo dieser Wolf in Schafskleidern seine Höhle hat, und da ich allerlei mit ihm abzurechnen habe –

Thun Sie, was Sie für Ihre Pflicht halten. Ich will Sie nicht hindern; das hieße Gott vorgreifen, der Sie vielleicht zum Werkzeug für seine Rathschlüsse ausersehen hat. Hier – und sie nahm ein Blatt aus ihrem Taschenbuch – hier ist die Liste meiner Arbeiterinnen. Der ausgestrichene Name ist der jener Unglücklichen.

Wie die schwarze Tafel im Dogenpalast: Marino Falier, decapitatus pro crimine. Erlauben Sie, daß ich mir die Wohnung notire. So, – und nun verzeihen Sie mir diesen unliebsamen Besuch, verehrte Frau. Auch die Sendboten des Rathes der Zehn in Venedig waren wegen ihrer pflichtschuldigen Zudringlichkeit berüchtigt. 351

Sie verabschiedete ihn mit einem stummen Kopfnicken. Erst als er schon im Vorzimmer war, rief sie ihm nach, daß er um Gotteswillen das arme Mädchen schonend behandeln möge, das wohl ein besseres Schicksal verdient habe. – Seien Sie unbesorgt, rief er zurück. Wir Kinder der Welt sind allzumal Sünder und wissen, wie armen Sündern zu Muthe ist. – – –

Eine halbe Stunde darauf klopfte er an der Thür einer Dachkammer in einer der entlegensten Straßen der Friedrichsstadt.

Eine dünne Männerstimme rief »herein!« In der tiefen Fensternische, um das letzte Tageslicht sich zu Nutze zu machen, saß eine putzige kleine Figur mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tisch und nähte an einem Frauenkleid. Auf die Frage nach Fräulein Johanne ließ das eifrige Männchen die Arbeit sinken, schüttelte ärgerlich den Kopf und rief mit seinem heiseren Fistelton:

Können Sie lesen, Herr, oder nicht? Bitte das Schild an der Thür zu betrachten, ob da nicht groß und breit darauf steht: Wachtel, Damenkleidermacher. Die Frauensmamsell, die Sie suchen, hat hier gewohnt, ist aber jetzt zu vornehm für vier Treppen. Natürlich, wer fällt, fällt die Treppe herunter, aus der Dachstube in die Beletage, bis es von da noch weiter bergunter geht, erst in den Keller, dann fünf Schuh unter die Erde. Uebrigens nicht meine Sache; auch für den ersten Sündenfall sind die Damenschneider nicht 352 verantwortlich; warum? na das werden Sie selber wissen. Haha!

Er lachte und nahm die Nadel wieder auf.

Das Fräulein wohnt allein?

Allein oder auch nicht, wie man's nimmt. »Einsam bin ich, nicht alleine« – wie Schiller sagt. Aber probiren Sie's dreist, Herr, ich glaube, sie ist nicht mehr so timide gegen Abendbesucher, wie vordem, als sie noch für mich arbeitete, während ich jetzt für sie arbeite und jedenfalls besser dafür bezahlt werde. Denn diese Gattung, müssen Sie wissen –

Ist vielleicht ein gewisser Herr Lorinser bei ihr, so eine Art predigermäßiger blasser Mensch, aber mit einem schwarzen Bart? –

Kann nicht dienen, Herr. Ist nicht meine Sache, das Register zu führen. Mamsell Johanne wird sich ein Vergnügen daraus machen, Alles, was Sie zu wissen wünschen – ihr Jetziger ist Commis bei einem Banquier, und eh das Comptoir geschlossen wird, kann er nicht abkommen. Wenn Sie also ein Gespräch unter vier Augen wünschen – haha!

Mohr grüßte mit einem stummen Kopfnicken und verließ den grinsenden kleinen Mann. Eine widerwärtige Empfindung überkam ihn, die sich nur steigerte, als er schon draußen auf dem Flur der Wohnung im ersten Stock eine trällernde Mädchenstimme ein damals beliebtes Offenbach'sches Liedchen singen hörte.

Sein Klingeln unterbrach den Gesang. Gleich darauf öffnete eine schlanke junge Person mit eigenthümlich 353 glänzenden großen Augen in dem blassen Gesichtchen die Thür. Bist du's, Eduard? rief sie ihm entgegen. Dann, ihren Irrthum erkennend, aber ohne sonderliche Zeichen von Verlegenheit: Was wünschen Sie, mein Herr?

Mohr betrachtete sie einen Augenblick mit einer Miene herzlichen Mitleidens, die aber in seinem wunderlich massiven Gesicht so grimmig herauskam, daß es dem schönen Geschöpf nicht geheuer zu werden anfing und sie schon darauf dachte, wie sie den unheimlichen Menschen loswerden sollte.

Beruhigen Sie sich, mein Fräulein, sagte er jetzt, da er etwas von ihrer Stimmung ahnte, ich bin zwar nicht »Eduard«, aber ich komme in der besten Absicht. Wenn Sie mir zwei Minuten schenken wollten –

Bitte, mein Herr, wenn es hier draußen abgemacht werden kann –

Wie Sie wünschen. Beantworten Sie mir gefälligst nur die eine Frage, ob Ihnen die jetzige Wohnung eines gewissen Herrn Lorinser –

Eine Purpurröthe flog ihr plötzlich über das Gesicht. Die Augen, die in einer seltsam unstäten Helle geflackert hatten, leuchteten jetzt von einem feindseligen düstern Feuer. Die Hand an der Thür zitterte, sie mußte sich offenbar besinnen, ehe sie antworten konnte.

Wie kommen Sie zu dieser Frage? sagte sie hastig und leise. Aber treten Sie herein. Hier auf dem offenen Flur –

Er folgte ihr in das Entrée, sie schloß die Thür 354 hinter ihnen, blieb aber an der Schwelle und lud ihn auch nicht zum Sitzen ein.

Mein Fräulein, fing er wieder an, ich habe eine persönliche Sache mit diesem Herrn Candidaten zu ordnen. Er war einige Monate verschwunden und ist jetzt wieder aufgetaucht, und da mir sonst Niemand auf die Spur helfen kann – denn ich vermuthe, seinen wahren Namen hat er nicht wieder mit in die Stadt gebracht –

Aber wie kommen Sie zu mir? Wer hat Ihnen gesagt –?

Jemand, der es gut mit Ihnen meint und sehr beklagt, daß Alles so gekommen ist.

Ich weiß, wen Sie meinen; die Professorin Valentin. Haha! lachte sie, plötzlich in einen ganz veränderten Ton fallend, Die also! und Die meinte es gut mit mir? Nun ja, wie sie es versteht. Wie ich wieder zu ihr kam und arbeiten wollte – und ich dachte, sie müsse mich doch wieder annehmen, wenn auch sonst alte Bekannte nichts mehr nach mir frügen – Achselzucken und strenge Gesichter, und sie bedauere sehr, aber ein solches Beispiel dürfe sie ihren anderen Arbeiterinnen nicht geben – und dann ein paar Thaler in die Hand gedrückt und eine Empfehlung an irgend eine Besserungsanstalt. Da hab' ich erst geweint – und dann gelacht, und jetzt lach' ich auch nur immer, wenn ich höre, daß es diese frommen Leute gut mit uns meinen. Gehen Sie nur wieder hin und sagen Sie ihr –

Ich bitte, Fräulein, unterbrach er sie, bleiben wir 355 bei der Sache. Jener Wolf im Schafspelz der Demuth, jener Seelenverkäufer, der so nichtswürdig an Ihnen gehandelt hat –

Von Dem will ich nichts hören und sehen! rief sie heftig. Lieber den Tod, als diesen Menschen sehen müssen, ohne den ich – pah! es ist nicht der Mühe werth, sich darum zu echauffiren. Ich war eine einfältige, kindische Person, ich glaubte Alles, was man mir sagte, jetzt glaub' ich nichts mehr, weder Himmel, noch Hölle, nur das bischen Spaß hier auf Erden, das will ich mir nicht verderben lassen. Entschuldigen Sie, mein Herr, wenn ich Sie so unhöflich aufnehme, aber ich muß mich noch anziehen, ich gehe heut ins Elysium – Concert und Ball – man ist nur einmal jung. Wenn Sie wissen wollen, wo der Herr Candidat wohnt – er nennt sich jetzt nicht mehr wie früher, sondern Moser – da liegt noch seine Karte, auf die er mir seine Wohnung aufgeschrieben hat. Er sagte, sein erster Gang wäre zu mir gewesen, er liebte mich noch immer und wollte mir's beweisen und für mich sorgen. Aber wie gesagt, lieber spring' ich aus dem Fenster, als daß ich mich mit diesem schändlichen Menschen wieder einließe. Vielleicht – und sie senkte einen Augenblick die Stimme – vielleicht ist es doch etwas mit dem Jenseits und dem jüngsten Gericht. Wenn ich dann aber unselig werden soll, dann werde ich den Mund aufthun und auch reden, was ich erfahren habe, was ich war, und was ich geworden bin, und durch wen. Hier, mein Herr, hier haben Sie die Karte, und jetzt – 356

Sie öffnete die Thür, verneigte sich mit einem freien, aber anmuthigen Anstande und ließ Mohr hinaus, der, so sehr ihm sonst das Wort gehorchte, vor dieser armen verlorenen Jugend in tiefem Mitleiden verstummte. 357



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