Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Sechstes Kapitel.

Warum war er nach ihrer offenherzigen Beichte so viel hoffnungsloser, als vorher? Er wußte nun, daß sein Gefühl ihn nicht betrogen, daß alles Zweideutige ihrer Lage mit ihrem wahren Wesen nichts zu schaffen hatte. Auch schien sonst nichts mehr zwischen ihnen zu stehen, keine älteren Rechte und Ansprüche dritter Personen, kein Vorurtheil des Standes oder Besitzes. Sie war so arm wie er, so unabhängig, so bürgerlicher Herkunft, und wenn dieser künstlich hervorgezauberte Feentraum verflogen war, was bald genug geschehen mußte, stand sie hülflos und rathlos mitten in einer fremden Welt, wo ihr ein Freund und Beschützer Alles gelten mußte.

Zwar – für den Augenblick war kein Gedanke daran, daß er überhaupt einem Mädchen zumuthen konnte, sein Leben zu theilen. Aber er hatte auch bisher einen solchen Zuwachs seines Daseins weder gewünscht noch erwartet. Wenn es jetzt Ernst würde, warum sollte er nicht Manns genug sein, sich aus ihrer Tonne herauszuarbeiten und für drei Menschen ein geräumigeres Haus zu gründen? 306

Wenn Ernst damit würde! Das aber war es eben, woran er nicht glauben konnte, nach ihrer Beichte weniger, als vorher. Er war sich nie klarer darüber gewesen, daß all seine Flammen gegen einen Felsen schlugen, daß nicht einmal die Ahnung von seinem Zustande bisher in ihr aufgedämmert war.

Das Trostloseste, das Traurigste, Sünde und Verzweiflung und eine verlorene Jugend von ihr zu hören, hätte ihn weniger niedergeschlagen, als diese kühle, unnahbare Unschuld.

Er kam traurig nach Hause, bis auf die Haut durchnäßt, da er sich mit Absicht dem Regen ausgesetzt hatte, um sein inneres Fieber zu kühlen. Während er sich umkleidete, berichtete er Balder Alles, auch seine völlige Hoffnungslosigkeit. Und am Ende ist es so auch das Beste, schloß er; wenn ich nur erst darüber hinaus bin. Können wir hier eine Herzogin empfangen?

Balder begriff das Alles nicht. Es war ihm unfaßbar, daß Jemand nicht ein Königreich für das Glück hingeben sollte, mit Edwin zu leben, geschweige so von ihm geliebt zu sein. Er fing an, lebhaft zu widersprechen und Luftschlösser zu bauen. Laß sie nur erst wieder arm sein, sagte er. Sie wird es dann auch fühlen, was es noch sonst für Schätze giebt. Immerhin ist sie doch keine gewöhnliche Seele, und so jung; wie Vieles kann sie noch lernen. Bist du doch auch ein guter Lehrer. Was habe ich nicht Alles von dir gelernt!

Ja du, Kind! seufzte Edwin lächelnd und strich ihm über das Haar. Er wollte noch etwas hinzusetzen, 307 aber Mohr kam und erzählte von seinem gestrigen Abenteuer mit dem saubern Patron, dem mystischen Candidaten, und wie ihn die Hoffnung, mit Christianen in einen musikalischen Verkehr zu treten, so angespornt habe, daß er gleich heute Vormittag den ersten Satz der berühmten Symphonie aufgeschrieben. Er war sehr guter Laune und ließ in seinem gewöhnlichen Stil ein Feuerwerk von Sarkasmen und barocken Einfällen los, an dem er sich freilich allein ergötzte, da die Brüder nur aus Höflichkeit mitlachten.

Als sie dann zusammen gegessen hatten, ging Edwin zu seiner Schülerin. Sonst war ihm immer wohl geworden in dem Häuschen an der Lagune. Seine leidenschaftliche Unruhe war dort von ihm gewichen, die großen stillen Augen des Mädchens, die so begierig an seinen Lippen hingen, hatten ihm alle Schwermuth verscheuchen können, so daß er beredt und heiter wurde und weit über die gemessene Stunde hinaus die Gedankenwelt der alten Weisen vor ihr entfaltete. Heute versagte dieser wohlthätige Zauber zum ersten Mal.

Er mußte sich mit Unwohlsein entschuldigen und zu Lea's sichtbarem Bedauern aufbrechen, ehe auch nur das heutige Pensum ganz erledigt war.

Morgen erst war wieder »sein Tag«. Er konnte aber nicht die gewohnte Stunde abwarten, sondern eine unbezwingliche Ungeduld trieb ihn schon am Vormittag nach dem Hause in der Jägerstraße. Er erschrak, als er das breite Gesicht der Wirthin verdrossen aus einem der Fenster in der Beletage herausschauen sah. 308

Athemlos flog er die Treppe hinauf und riß an der Klingel. Seine Ahnung sollte Recht behalten. Nicht die gestreifte Weste erschien, nicht die blanken Glasaugen des gravitätischen Knaben bewillkommneten ihn. Statt ihrer öffnete, mürrisch und ohne ihn recht anzublicken, die Hauswirthin selbst die Thüre.

Zu wem wünschen Sie? brummte sie ihm entgegen. Fräulein Toinette Marchand? Bedaure. Ausgezogen. Ah, Sie sind es! Das ist etwas Anderes. Ja was sagen Sie denn dazu? Sie müssen doch am Ende mehr davon wissen, als unsereins, die man nicht für gut genug gehalten hat, auch nur die geringste Aufklärung – Oder bringen Sie am Ende noch eine Bestellung? Bitte sich nur hereinzubemühen. Ich kann hier wieder ganz thun, als ob ich zu Hause wäre.

Sie ließ Edwin eintreten und folgte ihm dann in den wohlbekannten rothen Salon. Es war Alles unverändert: die Blumen, der Papagei auf der Stange, nur das Vogelhaus stand offen und leer, und die Bronce-Uhr auf dem Marmorkamin tickte nicht mehr.

Denken Sie nur, erzählte die Frau, offenbar froh, endlich ihr Herz gegen Jemand auszuschütten, der halb und halb eingeweiht war, gestern kommt sie nach Hause in einer Droschke, – zum ersten Mal, daß sie nicht ihren Wagen vom Lohnkutscher hatte, und das Jüngelchen, der Jean, muß gleich zu mir hinauf und mich bitten, zu dem gnädigen Fräulein zu kommen. Wie ich hier eintrete, finde ich ihre Jungfer schon beim Packen. Sie selbst steht mitten im Zimmer und sieht vor sich hin, 309 als wie nicht recht bei sich. Wie ich sie dann anrede, besinnt sie sich gleich. Sie müßte eilig abreisen, sagte sie, und weil sie nicht wieder in diese Wohnung zurückkehren würde, wollte sie erst noch die Miethe bezahlen. Abreisen? sag' ich. Aber du meine Güte, so plötzlich? Und wohin denn, wenn man fragen darf? sag' ich. Denn ich dachte, am Ende kommt mir die Polizei über den Hals, das Geheimniß, das Criminelle, was sie hat ausgehen lassen, ist jetzt 'raus, sie will machen, daß man sie nicht beim Schlafittchen nimmt. Aber dann wieder – sie sah doch gar so besonders, so stolz und unbewußt aus den Augen. Und wendet auch richtig nicht ein Sterbenswort mehr, als partout nöthig war, an mich, und ich bin doch die Wirthin. Da sie mitten im Quartal fortginge, wäre es billig, sagt sie, daß sie für volle drei Monat bezahlte– obwohl sie nicht volle vier Wochen dagewesen war – und zählt mir die sechsunddreißig Thaler blank auf den Tisch, ich mochte noch so viel abwehren. Für alles Weitere– du liebe Zeit, sie hatte ja gar nichts weiter von mir an Bemühungen verlangt – legt sie noch drei Louisd'or auf den Tisch, und die Jungfer hatte auch ihr volles Quartal und noch ein Douceur dazu bekommen. Dann ging sie nur noch zu den Vögeln – der Papagei gehört dem Grafen – machte das Thürchen auf, streute ihnen das letzte Futter hin und sagte: Sie lassen sie frei, hören Sie wohl? sagte sie, und dazu einen Blick wie ein Blitz und ein Kopfnicken zum Adieu, und zur Thür hinaus in die Droschke, die der Jean hatte holen müssen, und wo schon ihr Koffer aufgepackt war. Das 310 Jüngelchen nahm sie mit, aber auf welchen Bahnhof sie sich fahren ließ, – weder ich noch die Jungfer haben es zu hören gekriegt. Herr du meines Lebens, was wird der Graf sagen, wenn er wiederkommt, da ich ihm doch versprochen habe, ich wollte sie ihm gut aufheben, und er hat gesagt, es soll Ihr Schade nicht sein, Madame Sturzmüller. Sein Jäger war auch gestern schon da. Wie sich das Fräulein aufführte? fragte er. Wer der grobe Herr da bei ihr gewesen wäre? damit meinte er nämlich Sie. Nu, ich sagte nicht Mehr, als ich wußte, daß Sie immer nur zu Tische kämen und sonst recht anständig zu sein schienen und ihr Bücher brächten, sagt' ich. Da lachte er: Die werden was Schönes miteinander studiren, Madame, und wenn ich das meinem Herrn Grafen sage – Nu, sagt' ich, warum läßt Der sie denn so allein sitzen? So ein junges Ding – Müßiggang, sagt' ich, ist aller Liebschaft Anfang. Aber er schüttelte den Kopf, und von wegen dem Criminellen wollte er auch nichts wissen. Nun sagen Sie mir, lieber Herr, was hat das Alles zu bedeuten? Du Gerechter und Allmächtiger, wenn ich am Ende noch vors Schwurgericht müßte –

Edwin mußte in all seiner Schwermuth lächeln. Er lehnte jede Mitwissenschaft ab, und sein offenbarer Schrecken, als er sie nicht mehr fand, zeugte für seine Aufrichtigkeit. Er habe nie nach ihren Verhältnissen gefragt, und wohin sie jetzt plötzlich verschwunden, sei ihm ebenso räthselhaft, wie ihr selbst. Er ging dann, während die Frau beständig in ihn hineinschwatzte, durch 311 alle die traulichen Räume, die plötzlich so verödet und entseelt schienen. Zum ersten Mal betrat er ihr Schlafgemach, wo noch die Spuren eines hastigen Aufbruchs zu bemerken waren. Auf dem Toilettentisch stand unter vielen leeren Büchschen und Schächtelchen ein kleines Fläschchen, in dem noch ein Rest Veilchenessenz, die sie besonders liebte, zurückgeblieben war. Er benutzte einen unbewachten Augenblick, diese unscheinbare Reliquie sich anzueignen. Mit welchen Gefühlen stand er dann vor dem Bett und betrachtete das schneeweiße Kissen, auf dem ihr Kopf geruht hatte. Schön war sie, sagte die Frau. Das muß ihr der Neid lassen, und keine Prinzessin kann besser gewachsen sein. Aber denken Sie an mich, lieber Herr: es wird noch einmal von ihr in der Zeitung geschrieben, und zwar nicht vorne, wo immer steht, wenn die hohen Herrschaften ankommen und abreisen, sondern unter den vermischten Nachrichten, Unglücksfällen und Verurtheilungen zu zehn Jahr oder lebenslang. Denn warum sollte sie sonst auf den Grafen nicht gewartet haben, der so ein charmanter Herr ist? Wenn Eine ein gutes Gewissen hat, will sie nichts Apartes für sich, sondern ist nicht besser und nicht schlechter als andere Menschenkinder auch. Das glauben Sie mir; ich kenne die Welt und vermiethe nicht umsonst seit zehn Jahren Zimmer an die schönsten Herrschaften.

Ein unsäglich widriges Gefühl überkam ihn bei diesem Gerede. Er brach kurz ab, versprach, einmal wieder anzufragen, und verließ in tiefer Melancholie das Haus. 312



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