Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Siebentes Kapitel.

Der Tag graute noch kaum, als oben in der Tonne die Thüre sacht geöffnet wurde und die herculische Gestalt Heinrich Mohr's sich mit einem stummen Händedruck von Edwin verabschiedete. Er hatte noch Abends spät, da er nachzusehen kam, ob Christiane auch glücklich zu Hause angelangt sei, durch den Lichtschein in ihrem Zimmer beruhigt, Balder besuchen und mit einer stillen Schachpartie die Aufregung des Tages beschwichtigen wollen. Als er hörte und sah, wie es um den Aermsten stand, ließ er sich nicht davon abbringen, die Nacht bei ihm zu wachen. Franzelius war nach dem Arzt fortgestürzt, sobald Edwin zurückgekommen. Er fand Marquard's Thüre verschlossen – der Herr werde schwerlich über Nacht nach Hause kommen, hatte sein Bedienter mit einem bedeutungsvollen Lächeln gesagt. Ein anderer Arzt, der nächste beste, war dann aufgetrieben worden und hatte das Nöthige verordnet. Dann war die Nacht ruhig und ohne neuen Anfall vergangen. Die Freunde, beide gleich tief vom Wechsel der Geschicke erschüttert, hatten in den langen Stunden kaum ein Wort 117 mit einander gesprochen, sondern an der Drehbank sitzend, Jeder mit einem Buche, in dem Keiner las, nach den unstäten Athemzügen des Jünglings hinübergehorcht. Erst gegen Morgen schien der Opiumschlummer in einen ruhigen, natürlichen Schlaf überzugehen. Nun bestand Edwin darauf, daß Mohr gehen und die verlorene Nacht einigermaßen wieder einbringen sollte. Nur bat er ihn, vorher noch in Toinettens Wohnung ein Billet abzugeben, das folgende Zeilen enthielt:

»Erwarten Sie mich heute nicht. Während ich das Leben in vollen Zügen trank, hat der Tod an unsere Thür geklopft. Wir hoffen, unsere Burg noch gegen ihn zu verrheidigen, aber ehe wir dessen nicht ganz sicher sind, werde ich meinen Posten an Balder's Seite nicht verlassen. Ob ich über irgend einem Schicksal, das mich trifft, Ihrer vergessen kann, wissen Sie wohl. Ich werde Ihnen dann und wann Botschaft schicken. Wollen Sie Bücher haben, so bitte ich, es mir sagen zu lassen.

»Der Neid der ›sogenannten Götter‹ hat diesmal ein Meisterstück geliefert.

Edwin

Als Mohr an Christianens Thür vorbeikam, war er schon im Begriff, an der Klingel zu ziehen; es fiel ihm aber ein, daß es noch nicht sechs Uhr war.

Am Vormittag kam er wieder. Er hatte kaum eine Stunde schlafen können. Eine seltsame Unruhe trieb ihn nach dem Hause in der Dorotheenstraße zurück, das Alles umschloß, was ihm theuer war.

Während er vergebens zum dritten Mal an 118 Christianens Thür klingelte, kam die Magd herauf, die Edwin das Essen brachte (das Reginchen ließ sich nicht blicken). Sie war sichtlich verlegen, als Mohr hastig fragte, ob sie das Fräulein nicht gesehen, und wann dieselbe etwa wiederkommen würde. Fräulein Christiane sei schon vor Thau und Tage ausgegangen, erwiederte sie brummend. Wohin, könne sie nicht sagen. Sie kümmere sich nicht so genau um die Miethsleute.

Es fiel ihm nicht eben auf; nur daß er sich abermals gedulden sollte, bis er sie wiedersähe, war ihm fatal. Aber da er den ganzen Tag und die folgende Nacht droben in der Tonne bleiben wollte, hoffte er jedenfalls gleich zu hören, wann sie nach Hause käme.

Oben fand er Marquard, der sich Mühe gab, ein möglichst tröstliches Gesicht zu machen.

Es ist keine augenblickliche Gefahr, sagte er leise, während Balder fortschlummerte. Wenn er sich nur ruhig hält und keine neuen Kunststücke macht. Welcher Teufel plagte ihn, daß er, statt einer kleiner Ausfahrt in die Sonne, sich allein in die Stadt wagt und sich in den nebligen Straßen heiß und müde läuft!

Daß er dies gethan, hatte er auf einen Zettel, den er beim Erwachen von Edwin verlangt, mit zitternder Hand aufgeschrieben, gleichsam um jeden Argwohn eines anderen Hergangs durch sein schriftliches Zeugniß zu beseitigen. Franzelius, der auf einen Augenblick kam, um nachzufragen, und dem Kranken kaum ins Gesicht zu sehen wagte, hatte dazu geschwiegen. Er wußte ja auch nichts Bestimmtes. Dann war er gegangen, nachdem er sich 119 ausbedungen, die nächste Nacht wachen zu dürfen. Von seiner fixen Idee, daß er verfolgt werde, war nicht mehr die Rede.

Hier zeigte es sich nun wieder, welche Macht die stille Hoheit eines reinen und schönen Menschenbildes über die gröberen Naturen ausübt. Man hörte kein lautes Wort im Hause, Alles ging auf den Zehen; in der Werkstatt unten herrschte ein wahrhaft herrnhutischer Sabbathfrieden, nur durch das gedämpfte Brummen des Obergesellen unterbrochen, wenn der Lehrjunge, der alle zwei Stunden auf den Strümpfen hinaufgeschickt wurde, um sich zu erkundigen, zu lange ausblieb. Sogar der alte Herr in der Beletage war in Person oben gewesen, um Edwin seine Theilnahme zu bezeigen, und Madame Feyertag, die Einzige, die es durchgesetzt hatte, den Kranken zu sehen, kam mit nassen Augen wieder herunter und behauptete, er läge wie ein junger Heiland im Bette, und es sei herzbrechend, solch ein Bild von einem Menschen so leiden zu sehen.

Das Reginchen, wie gesagt, kam nicht zum Vorschein. Die Magd behauptete, sie sei krank. Niemand konnte sich das so recht vorstellen, aber es hatte auch Niemand Gedanken übrig für etwas Anderes, als ob Balder wieder aufkommen würde.

Nur Heinrich Mohr müssen wir dennoch ausnehmen, der in der Todtenstille des Hauses nach nichts sorgfältiger horchte, als nach Christianens Thür. Es rührte und regte sich aber Nichts da unten, obwohl Stunde um Stunde verging und es noch nie geschehen war, daß sie 120 ausblieb, ohne die Schülerinnen, die zu ihr ins Haus kamen und heute von der Magd mit einem Achselzucken wieder fortgeschickt wurden, zu benachrichtigen. Immer unheimlicher wurde ihm die Ungewißheit. Er hatte nie peinlichere Stunden verbracht, als in der stummen Krankenstube neben dem Freunde, dem er nicht einmal von seinen Befürchtungen sprechen konnte, da Edwin's ganze Sorge auf den Zustand des Bruders gerichtet war.

Wie es schon dunkler Abend geworden war, hörte Mohr plötzlich mit Herzklopfen draußen auf der Straße einen Wagen vorfahren und gleich darauf rasche Schritte über den Hof. Jetzt knarrten die untersten Stufen der Hühnerstiege, ein weiblicher Fuß huschte die Treppe hinauf und verweilte sich auf dem Flur des ersten Stocks. Aber nicht Christianens Wohnung war das Ziel, sondern mit leisen, tastenden Tritten stieg der späte Besuch höher hinauf, kam jetzt an die Thür der »Tonne« und klopfte vorsichtig an.

Edwin, der, neben der Lampe sitzend, nach der schlaflosen Nacht eben ein wenig eingenickt war, fuhr gleichwohl sofort in die Höhe. Herein! rief er leise, vergessend, daß Niemand das Krankenzimmer betreten sollte. Die Thür ging auf, und die schlanke Gestalt Toinettens, in die seidene Kapuze gehüllt, trat geräuschlos ein.

Ihr erster Blick fiel auf das Bett, in welchem Balder ruhig zu schlafen fortfuhr. Dann legte sie den Finger auf den Mund und nickte den beiden Freunden zu, die von ihren Stühlen überrascht aufgesprungen waren und sie mit großen Augen anstarrten. 121

Toinette – Sie hier! – Sie kommen selbst! rief Edwin.

St! machte sie. Er schläft. Ich gehe gleich wieder. Es ließ mir aber keine Ruhe – ich mußte selbst sehen, wie es steht – Sie haben mir so kurz geschrieben, ich fühle noch den Schrecken in allen Gliedern. Sagen Sie, ist er außer Gefahr?

Wir hoffen es. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?

Nein, nein, sagte sie und ließ jetzt erst ihre Augen in dem schwacherleuchteten Zimmer herumgehen, mit einem unwillkürlichen Seufzer, der Edwin dennoch verrieth, wie armselig und gar nicht zum Sitzen einladend ihr die berühmte »Tonne« vorkam. Ich störe Sie! setzte sie flüsternd hinzu. Lassen Sie mich ihn nur noch einmal recht betrachten. Ich danke Ihnen – wandte sie sich an Mohr, der die Lampe dem Schlafenden näherte.

Sie schwiegen eine Weile alle Drei.

Er ist sehr schön! sagte sie leise. Welch ein sanftes Gesicht! Also das ist Ihr Bruder! Wissen Sie, ich würde ihn doch gleich dafür erkannt haben, obwohl Sie sich eigentlich gar nicht ähnlich sehen. – Die hübschen schmalen Hände! Man sieht ihnen nicht an, daß sie ein Handwerk gelernt haben. – Nun bewegt er sich, als ob er Schmerzen hätte – nehmen Sie die Lampe fort – wir dürfen ihn nicht aufwecken.

Wollen Sie nicht wenigstens einen Augenblick sitzen? bat Edwin, der mit Mühe seine Bewegung bemeistern konnte. Ein Sopha kann ich Ihnen freilich nicht 122 anbieten. Soweit hat es weder die Philosophie, noch die Drehbank gebracht.

Nein, ich kann nicht bleiben. Ich habe die Droschke unten warten lassen, weil ich nichts wollte, als selbst nachfragen. Welch ein schreckliches Schicksal! Aber er leidet doch wenigstens nicht. Und was sagt der Arzt?

In diesem Augenblick bewegte der Kranke den Kopf, erhob ihn ein wenig von dem Kissen und öffnete langsam die Augen. Sein Blick war gerade auf Toinettens Gesicht geheftet, das er mit einer stillen Neugier, doch ohne Verwunderung, zu betrachten schien. Ob er es für ein Traumbild hielt, oder wirklich einen wachen Moment hatte, war nicht zu erkennen. Wie die Veilchen duften! lispelte er. Ist denn schon Frühling? – Er lächelte ein wenig, dann wurde sein Gesicht schwermüthig: langsam, wie von einer fremden Hand zugedrückt, schlossen sich die Augen wieder, und mit einem tiefen Seufzer sank er in die Kissen zurück.

Er glaubt, eine Erscheinung gesehen zu haben, und träumt schon wieder fort, flüsterte Edwin. Ob er morgen sich noch an Sie erinnern wird?

Sagen Sie ihm nicht, daß ich hier war, erwiederte Toinette rasch und zog die Kapuze über den Kopf. Gute Nacht. Ich bin froh, ihn doch gesehen zu haben. Ich hätte sonst wahrhaftig nicht schlafen können.

Mohr verneigte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Indessen hatte Edwin einen kleinen Leuchter angezündet und schickte sich an, sie die Treppe hinabzubegleiten.

Ich mache Ihnen Mühe, sagte sie, da sie langsam 123 die morschen Stufen hinunterstieg. Aber es ist wahr, man kann hier bequem den Hals brechen. Und dann – ich möchte Ihnen noch etwas anvertrauen – eine Bitte – aber Sie dürfen sie mir nicht übelnehmen.

Was kann ich für Sie thun?

Es ist nicht eigentlich für mich – es ist – für Ihren Bruder. So darf es doch nicht fortgehen, es muß etwas Ordentliches für ihn geschehen, er kann den Winter nicht da oben in der dumpfen Luft zubringen. Sehen Sie, ich ärgere mich jetzt, daß ich so schlecht gewirthschaftet habe, – so in den Tag hinein. Vierzehn Tage früher, und ich wäre noch doppelt so reich. Aber nicht wahr, Sie behandeln mich nun als eine wirkliche alte Freundin und nehmen, was ich noch habe, damit er nur fortkann, in eine wärmere Luft, wenn auch nicht gleich bis Kairo oder Madeira.

Er stand auf der Treppe still. Der Leuchter zitterte in seiner Hand.

Und Sie, Toinette? Was soll aus Ihnen werden?

Das ist sehr gleichgültig. Sie wissen ja, früher oder später geht es mit meiner Durchlaucht einmal zu Ende. So bin ich doch zu guter Letzt nicht ganz unnütz gewesen.

Toinette! Was reden Sie! Sie scherzen, und ich – in allem Ernst, glauben Sie, daß ich das annehmen würde?

Sie würden dann etwas recht Unweises thun. Sind Sie ein Philosoph und hängen an so abgeschmackten Vorurtheilen? Was kann ein Mensch einem Andern 124 geben, das weniger Dank verdiente, als elendes Geld? Ich dachte, Sie verachteten es eben so sehr, wie ich. Aber ich sehe, Sie sind nicht klüger, als andere Männer, die sich nicht einen Augenblick bedenken, von einem Mädchen Alles anzunehmen, Liebe und Leben und Ehre, nur wo es sich um ein paar lumpige Goldstücke handelt, fährt ihnen plötzlich ein ganz unbegreiflicher Stolz in den Nacken. Gehen Sie! ich merke, Sie haben Ihren Bruder nicht einmal so lieb, wie ich.

Sie sprang im Unmuth hastig die Stufen hinunter und lief ihm so schnell über den Hof voraus, daß ihm die Kerze erlosch.

Als er sie draußen in den Wagen hob, flüsterte er: Wir sprechen noch mehr davon. Aber was ich auch thun oder lassen muß: ich danke Ihnen, Toinette, ich danke Ihnen innig, daß Sie so – schwesterlich gesinnt, so gut, so –

Still, sagte sie. Gehn Sie jetzt fein vernünftig wieder in Ihre garstige Tonne zurück. Ich bin gar nicht mit Ihnen zufrieden und durch schöne Worte nicht so leicht wieder gut zu machen. Ueberlegen Sie es bis morgen, ich sehe ohnehin gegen Abend wieder nach.

Nein, Theuerste, sagte er rasch, das nicht, das dürfen Sie nicht. So schön und Ihrer würdig es war, daß Sie sich heute über alle Bedenken hinweggesetzt haben – Sie sollen sich nicht ohne Noth ins Gerede bringen. Haben Sie das Gesicht der guten Madame Feyertag gesehen, als wir an der Ladenthür vorbeigingen? Ich kann es nicht ertragen, daß man eine falsche Meinung von Ihnen 125 faßt, und am Ende – wenn er Sie nun wirklich bei vollem Bewußtsein wiedersieht und sich in Sie verliebt? Hat er nicht an Einem Fieber genug?

Sie sind ein Narr, lachte sie; dann aber gleich wieder ernsthaft: wenn Sie mir täglich und recht, recht ausführlich schreiben, will ich zu Hause bleiben. Und was ich Ihnen vorhin gesagt habe, das überlegen Sie. Gute Nacht! –

Die Droschke fuhr davon, und Edwin sah ihr eine Weile nach, bis das trübe Laternchen um die Ecke bog. Zum ersten Mal seit all den Wochen schien es ihm nicht mehr unmöglich, vielmehr eine selige Gewißheit, daß das Eis zwischen ihnen gebrochen und ein Frühling über sie gekommen sei, der all seine Qual vergüten würde. – In diesem Augenblick lag alles Andere hinter ihm, selbst das Schicksal Balder's. Wie in einem Rausch aller Gefühle stand er lange draußen auf der finstern Straße, baarhaupt und ohne Mantel, und fühlte es nicht, daß die ersten Flocken eines feinen Novemberschnees über ihn herabrieselten. 126



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