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118. Ungewißheit

Siebrecht hatte nicht erwartet, gerade an diesem Abend Hertha als Tischgenossin anzutreffen, aber sie war unten, sie erwartete ihn schon. Sie saßen sich stumm gegenüber, in dem großen, etwas düsteren Speisezimmer, das die schweren Renaissancemöbel noch düsterer machten. Dann, als das Mädchen gegangen war, sagte er: »Ich habe übrigens meinen Wagen verkauft, Hertha. Entschuldige, daß ich es dir nicht vorher sagte. Hoffentlich mache ich dir damit keine Schwierigkeiten.«

»O nein«, antwortete sie. »Ich kann Vaters Wagen jederzeit haben.« Das war alles. Keine Frage nach dem Grund des Verkaufs, keine Erkundigung, nichts. Sie war heute sehr kühl und blaß. Er wollte nur hoffen, daß er in der Nacht nicht auch noch geredet hatte! Aber wahrscheinlich hatte er das nur geträumt – er war nicht in ihrem Zimmer gewesen, sonst säße sie nicht hier.

Er versuchte es noch einmal. »Ich habe daran gedacht«, sagte er und sah sich im Speisezimmer um, »diese Möbel zu verkaufen. Sie sind doch sehr düster, ich habe mich nie ganz an sie gewöhnen können. Wahrscheinlich sind sie für helle südliche Räume gedacht.«

»Wahrscheinlich«, antwortete sie.

»Es würde dir keinen Kummer bereiten, dich von ihnen zu trennen?« versuchte er es noch einmal.

»Kummer? O nein!« Wiederum zurückgewiesen, und wiederum hatte er nichts erfahren! War sie böse auf ihn, oder war es nur wieder eine jener bleiernen Apathien, von denen sie zuzeiten befallen wurde? Er hatte ihr Gelegenheit geboten, ihm ihre Hilfe anzubieten, er trug noch immer den Kaufvertrag über die Möbel in der Tasche. Aber sie dachte nicht daran, ihn etwas zu fragen, und das Schlimme war, sie dachte wahrscheinlich wirklich nicht daran.

»Hertha! Hertha!« rief er und legte wie sie seine Serviette zusammen. »Du bist heute wieder einmal ganz eingefroren. Kann nichts dich zum Auftauen bringen?« Er sah sie lächelnd an, aber nach Lächeln war ihm nicht zumute.

»Ich glaube, heute nichts«, antwortete sie ihm. Auch sie sah ihn an, sie war wirklich ungewöhnlich blaß.

»Du fragst nicht einmal, wie der Rittmeister deinen Scheck aufgenommen hat!« rief er und hatte das Gefühl, als betrete er jetzt eine sehr gefährliche Eisfläche.

»Richtig«, sagte sie, stand auf und ging ihm voran in die Halle. »Hat er ihn denn schon?«

»Natürlich!« antwortete er. »Wir waren doch gestern abend zusammen. Übrigens hat genau genommen nicht der Herr von Senden den Scheck, sondern das Fräulein, seine Freundin oder Braut, wie du willst ...«

Sie stand auf der untersten Treppenstufe, bereit, nach oben zu gehen. »Ja, ich weiß«, sagte sie flüchtig. »Maria Molina, nicht wahr?« Und als er sie anstarrte, sagte sie: »Das Fräulein hat mir heute nachmittag einen Besuch gemacht.« Sie nickte ihm kurz zu. »Gute Nacht, mein Lieber.«

Er starrte ihr nach, wie sie die Treppe hinaufstieg, bis sie oben verschwunden war. Dann warf er sich in einen Sessel. Die geborene Kusch schien ja wirklich die Absicht zu haben, sich zu rächen, und man mußte zugeben, sie zögerte nicht! Er hörte, wie das Mädchen im Speisezimmer abräumte. Er sprang auf. Es war schmählich, aber er mußte sie fragen!

»Meine Frau hatte heute Besuch«, sagte er. »Haben Sie das Fräulein angemeldet?«

»Ein Fräulein Molina, jawohl, Herr Direktor. Der gnädigen Frau ging es gar nicht gut, und sie wollte erst nicht, als aber das Fräulein nicht nachgab, hat sie es doch empfangen.«

»Hier unten –?«

»Nein, oben im Zimmer der gnädigen Frau.«

»Ist das Fräulein lange oben gewesen?«

»Ich kann es nicht sagen, Herr Direktor. Die gnädige Frau hat die Dame wohl selbst an die Tür gebracht. Ich habe sie nicht wiedergesehen.«

»Danke schön.« Er war schon im Gehen. »Hat übrigens jemand angerufen?«

»Jawohl, Herr Direktor. Fräulein Gollmer.«

»Nun und? Warum sagen Sie mir so etwas nicht sofort? Immer muß ich erst fragen!«

»Die gnädige Frau hat selber mit Fräulein Gollmer gesprochen.«

»Ach so! Das ist etwas anderes? Entschuldigen Sie! Wann hat Fräulein Gollmer angerufen?«

»Gegen sechs Uhr wird es gewesen sein, Herr Direktor.«

»Das war also nach dem Besuch von Fräulein Molina?«

»Jawohl, nach dem Besuch.«

»Schönen Dank! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herr Direktor.«

Er ging zurück in die Halle. Es war nicht anders: Erst war die Molina mit ihrem Gift dahergekommen, und dann hatte Ilse Gollmer ihn zu sprechen verlangt und war an Hertha geraten. Er mußte Ilse anrufen, sofort ... Aber er konnte sich nicht entschließen. Bis das Telefon läutete, zweifelte er, schob hinaus, verwarf, machte sich Vorwürfe.

»Ja, hier Siebrecht.«

»Hier Ilse. Ich möchte dich heute abend noch gern sprechen, Karl ... Es ist dringend, verstehst du!«

»Ja. Ich komme gerne, Ilse ...« Er flüsterte nur. Er sah vom Telefon die Hallentreppe, Herthas Tür: es war schlimm, ein schlechtes Gewissen zu haben.

»Willst du in einer Viertelstunde im Garten bei uns sein?«

»Aber gern, nur wird es etwas länger dauern. Ich habe meinen Wagen nicht hier.«

»Ja, ich habe es schon von Vater gehört. Sie haben es ihm vom Geschäft telefoniert. – Also, so bald wie möglich!«

»Natürlich, Ilse. Wenn ich ein Taxi erwische, bin ich in einer Viertelstunde dort. Sonst spätestens in einer halben.«

»Gut, ich warte auf dich, Karl. – Aber bestimmt, ganz bestimmt, Karl! Es muß heute noch sein!«

»Es wird heute sein, Ilse, sehr bald.« Er hängte den Hörer an und drehte dabei der Treppe den Rücken. Als er sich wieder umwandte, sah er Hertha die Stufen herabkommen. Sie lächelte ihm zu.

»Einen Augenblick, bitte, Karl«, sagte sie. »Mir ist eben etwas eingefallen.«


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