Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

110. Hertha Siebrecht contra Karl Siebrecht

Man sagt manchmal die Wahrheit, wenn man zu lügen glaubt. Als Karl Siebrecht Herrn Lange erzählt hatte, seine Frau sei nicht wohl, hatte er seiner Ansicht nach gelogen, denn er hatte seine Frau bei bestem Wohlsein verlassen. Als er aber nach Haus kam, sagte ihm das Mädchen, seine Frau habe sich hingelegt, ihr sei nicht gut, und so hatte er doch die Wahrheit gesagt. Im allgemeinen wurde ein solches Zurückziehen Herthas von ihm streng respektiert, aber heute mußte er sie sprechen. Übrigens lag sie nicht einmal, als er zu ihr kam. Sie saß am Fenster und sah in den Garten hinaus oder nach den leichten Sommerwolken am Himmel. Oder sie sah auch nach gar nichts, sondern sie hatte nur wieder einmal gegrübelt.

Sie war auch nicht ungehalten über die Störung, sie gab ihm die Hand und sagte: »Nun, mein Freund, heute schon so zeitig zu Hause? Was gibt es Neues? Hoffentlich nichts Schlechtes.«

»Für dich und mich nicht schlecht«, sagte er und setzte sich zu ihr. Beim Hinsetzen knisterte der Kaufvertrag über die Einrichtung in seiner Brusttasche. Er war froh, daß er erst etwas anderes mit ihr zu besprechen hatte. »Aber für einen unserer Freunde nicht gut. Denke dir, der Rittmeister will heiraten!«

»Nun?« fragte sie und sah ihn mit ruhigem Spott an. »Warum soll das nicht gut für ihn sein? Ist er denn traurig darüber?«

»O nein! Er ist ganz begeistert! Aber denke dir ...« Und Karl Siebrecht erzählte, was er von diesem Kabarettmädchen, dieser neunzehnjährigen Tänzerin, die durchaus zum Film wollte, wußte. »Natürlich will sie gar nicht zum Film, sie will ihm bloß sein Geld abjagen!«

»Vielleicht«, sagte Hertha. »Vielleicht auch nicht! Vielleicht liebt sie ihn sogar auf ihre Art und ist stolz auf ihn. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß gerade ein junges Mädchen sich in Herrn von Senden verliebt.«

»Aber, Hertha, das alles ist doch ganz abscheulich! Er ist doch ein alter Mann, fast schon ein Greis. So was nennt man, glaube ich, Johannistrieb, und sie nützt das Ganze schamlos aus. Du solltest ihn nur reden hören, wie ein Primaner spricht er!«

»Ich finde es sehr hübsch, wenn ein sechzigjähriger Mann sich noch wie ein Primaner für Frauen begeistern kann!«

»Aber sie wird ihn reinlegen! Sie wird ihn unglücklich machen!«

»Mein Lieber, irgend jemand wird solch einen weisen Spruch bei jeder Ehe, die geschlossen wird, tun. Ich glaube mich zu erinnern, daß es auch bei unserer Ehe an solchen Warnern nicht gefehlt hat.« Sie reichte ihm mit einem Lächeln die Hand.

Er nahm sie, aber er war nicht besänftigt. »Das Mädchen ist völlig unmöglich, Hertha! Denke dir doch, der Rittmeister, ein Mann von alter Kultur, ein wahrer Kavalier, wie du immer sagst, und dazu ein Tanzmädchen aus einem obskuren Kabarett, das sich nach ihrem Auftritt zu jedem Gast an den Tisch setzt und ihn zum Sekttrinken animiert.«

»Ich glaube, ich muß heute einmal wieder Karlchen sagen«, antwortete Hertha mit einem Seufzer. »Mein liebes Karlchen – verzeihe, daß ich dich daran erinnere, aber hast du nicht selbst einmal eine unmögliche Ehe geschlossen? Hat dir da jemand hereinreden dürfen? Ach, geh mir doch mit so etwas! Der Herr von Senden ist jetzt glücklich, und das ist viel. Was er in Zukunft sein wird, darüber wollen wir uns nicht die Köpfe zerbrechen, das geht uns auch nichts an!«

Er hatte den Kopf trotzig erhoben, als sie von seiner Ehe mit Rieke gesprochen hatte. Er wollte ihr sagen, daß es damals etwas ganz anderes gewesen sei. Aber es war jetzt nicht die Zeit, mit ihr zu streiten. So sagte er denn: »Es geht mir wieder einmal so wie früher, Hertha: Ich weiß genau, daß ich recht habe, und doch kannst du jeden meiner Gründe widerlegen. Nur überzeugen mich deine Widerlegungen nicht. Ich habe das Gefühl, daß es meine Pflicht ist als Freund, den Herrn von Senden vor diesem Mädchen zu bewahren, und danach werde ich handeln!«

»Schön, mein Lieber«, sagte sie freundlich. »Handle nach diesem Gefühl, ich fürchte, du wirst zum Schluß ohne Freund dastehen, und der Rittmeister wird das Mädchen doch geheiratet haben.«

»Es wird gar nicht zu einer Heirat kommen«, widersprach er. »Wenn sie erst sieht, daß kein Geld bei ihm zu holen ist –«

Und er berichtete ihr von des Rittmeisters eiliger Geldforderung.

»Habt ihr wirklich nicht das Geld, ihm seinen Anteil auszubezahlen?« fragte sie dann.

»Wirklich nicht, Hertha! Wir sind sehr knapp, wir haben schon große Schwierigkeiten beim Auszahlen der Löhne und Gehälter.«

»Wenn ihr aber das Geld hättet? Würdest du es ihm dann geben?«

»Ich weiß nicht«, sagte er zögernd. »Ich würde die Auszahlung möglichst hinauszögern. Juristisch kann er das Geld erst in einem Jahr verlangen.«

»Ach, juristisch! Also sagen wir, Karl, du hättest jetzt die Sechzigtausend in der Tasche – würdest du sie ihm geben oder nicht?«

»Warum soll ich mir darüber den Kopf zerbrechen? Jawohl, wahrscheinlich würde ich sie ihm geben, obwohl ich ganz verzweifelt darüber wäre. Ich stürze ihn mit dem Geld nur ins Unglück. Das Mädchen würde ihn in sechs Wochen zum Bettler machen!«

»Was für Redensarten! Kannst du dir Herrn von Senden als Bettler vorstellen?«

»Er würde es aber sein!«

»Rede doch keinen Unsinn! Er hätte doch immer noch seine Pension als Offizier! Also, du würdest ihm das Geld geben?«

»Ich müßte erst das Mädchen sehen«, murmelte er.

»Aber deine Ansicht über das Mädchen ist gleichgültig! Herr von Senden ist der Besitzer des Geldes, und er kann mit seinem Geld machen, was er will!«

»Wenn ich einen Menschen sehe, der in einen Abgrund stürzen will, so halte ich ihn fest!«

»Karlchen! Karlchen! Nun ist dies kleine Tanzmädchen schon ein Abgrund! Sie kann nicht so übermäßig raffiniert sein, wenn sie mit neunzehn Jahren noch in einem obskuren Kabarett sitzt!«

»Worüber reden wir eigentlich?« fragte er etwas verwirrt. »Ich habe nur gesagt, daß ich Herrn von Senden als Freund von dieser wahnsinnigen Ehe zurückhalten will!«

»Um das mit gutem Gewissen tun zu können, mußt du ihm zuerst sein Geld geben! Sonst wird er immer denken, du rätst ihm nur darum ab, um sein Geld zu behalten.«

»Aber ich kann ihm das Geld nicht geben, Hertha, ich habe es dir schon gesagt!«

»Doch, du kannst es. Ich werde dir nämlich das Geld für ihn geben.«

Einen Augenblick schwieg er atemlos. Dann sagte er verwirrt: »Aber warum denn, Hertha? Sage mir um alles in der Welt, warum denn? Warum willst du das tun? Ich sehe keinen vernünftigen Grund.«

»Nach deiner Ansicht ist es auch kein vernünftiger Grund, Karl. Ich finde, der Rittmeister kann tun, was er will, wir haben kein Recht, uns einzumischen. So tue ich alles, um diese Heirat zu ermöglichen.«

»Also bloß, weil ich ...«

»Nein, nicht bloß, weil du! Wir sind doch keine Feinde, Karl!« Wieder nahm sie seine Hand. »Wir sind nur manchmal zwei Menschen, die sich sehr wenig verstehen. Dann muß jeder den anderen seinen Weg gehen lassen. Ich mag den Herrn von Senden auf meine Art sehr gern, und ich möchte ihm gern in dieser Sache helfen. Laß du mich meinen Weg gehen, ich hindere dich nicht an deinem.«

»Hertha, der Rittmeister will uns beide heute abend abholen und will uns dies Mädchen zeigen – in jenem kleinen Kabarett! Schieb wenigstens deinen Entschluß so lange auf, bis du das Mädchen gesehen hast!«

»Aber verstehst du denn noch immer nicht, Karl, daß es völlig belanglos ist, wie dies Mädchen aussieht? Ich würde sie weder so schön noch so begabt finden wie der Rittmeister, denn ich liebe sie ja nicht. Aber er liebt sie – und das ist entscheidend.«

»Du wirst also heute abend nicht mitkommen, Hertha?«

»Nein, ich werde schon darum nicht mitkommen, weil ich mein Urteil nicht durch persönliche Sympathien oder Antipathien beeinflussen will.«

»Und du wirst ihm wirklich das Geld geben?«

»Du wirst es ihm geben!«

Er ging eine Weile unruhig auf und ab. »Ich bin wieder einmal ganz hilflos«, sagte er und versuchte zu lächeln.

»Das geht vorbei. Du hilfst dir immer wieder ziemlich schnell, nicht wahr, Karl? – Ich werde nachher mit Vater telefonieren, und wenn Deckung da ist, schicke ich dir den Scheck noch heute abend herunter.«

Er ging von ihr, und erst, als er sich in einen Sessel in der Halle setzte, erinnerte ihn das Knistern in seiner Brusttasche an den Kaufvertrag. Er hatte ihn vollkommen vergessen. Aber jetzt war es natürlich ganz unmöglich, noch einmal zu ihr zu gehen und auch dies Geschäft mit ihr zu besprechen. Das hatte er gründlich verpaßt. Dieser verdammte Rittmeister mit seiner Heiraterei! Schließlich ging er ans Telefon und verlangte Fräulein Gollmer zu sprechen.

»Sind Sie da, Fräulein Ilse? – Erinnern Sie sich noch, Sie wollten vor ein paar Tagen gern, daß ich mit Ihnen in eine Bar ging. Sind Sie heute abend noch frei?«

»Sind Sie das wirklich, Siebrecht? Ich kann es kaum glauben! Sie wachen also auf?«

»Leider ist jemand anders aufgewacht, unser gemeinschaftlicher Freund nämlich, der Herr von Senden. Er beabsichtigt zu heiraten.«

»Was, der Onkel Bodo? Das ist doch wohl nicht möglich!«

»Das sage ich auch! Er will uns heute seine Braut vorführen, sie ist nämlich Tänzerin in einem Kabarett!«

»Ich finde das geradezu phantastisch!«

»Wollen Sie mich begleiten? Offen gestanden graule ich mich etwas davor.«

»Ich mich gar nicht! Brennend gerne komme ich mit! Wann soll es denn sein?«

»Wir werden Sie kurz nach neun abholen, Herr von Senden und ich. Also schön, Fräulein Ilse, ich bin Ihnen sehr dankbar ...«

»Und ich Ihnen erst! Das ist ja eine Sensation! Schade, daß mein Vater gerade verreist ist ...«

Als Karl Siebrecht sich zum Abendessen hinsetzte, lag neben seinem Teller ein Briefumschlag. Er öffnete ihn und fand einen Scheck darin. Einen offenen Scheck über sechzigtausend Reichsmark, an den Überbringer zahlbar.


 << zurück weiter >>