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98. Souper mit Senden

Der Vorschlag, einmal zu dreien irgendwo zu Abend zu essen, war von Herrn von Senden ausgegangen. Seit Karl Siebrecht den Rittmeister zu seinem stillen Teilhaber gemacht hatte, war die Verbindung nicht wieder abgerissen wie in früheren Jahren. Manchmal hatte er dem alten Gönner Geschäftliches zu berichten, oft aber war er einfach aus Mitteilungsbedürfnis zu ihm in die Artilleriestraße gegangen, wenn es dann auch Wochen und Monate gedauert hatte, bis er das einzig Mitteilenswerte zuerst andeutete, dann offen erzählte.

Aber wenn man einen Mann einen Weltmann nennen konnte, so war es der Herr Bodo von Senden. Er kannte die Welt, und er hatte Augen im Kopf. Einmal sagte er: »Das erste Mal, daß ich dich in einem wirklich schönen Oberhemd sehe, mein Sohn Karl!« Ein andermal meinte er: »So, einen Masseur hast du jetzt auch? Sehr förderlich für die Gesundheit!« Aber er sagte so etwas nicht nur, er dachte sich auch einiges dabei. Er zählte eins zum anderen, er ließ auch die Schneideranzüge nicht außer acht, und nicht die gepflegteren Hände, er notierte sich im Kopf die Erwähnung eines Theaters, den Besuch eines Konzertes. Als dann Karl Siebrecht schüchtern anzudeuten anfing, da lächelte er nur in sich hinein, bis er ganz plötzlich sagte: »Also bestelle deiner Dame einen schönen Gruß von mir und sage ihr, es würde mir eine Ehre und ein Vergnügen sein, euch beide einmal zu einem Souper auszuführen. Den Ort mag sie bestimmen.«

Karl Siebrecht hatte erst viele Bedenken, er meinte, es sei ganz unsicher, wie seine Dame diese Einladung aufnehmen würde. »Ich weiß nie, was sie denkt und will und tut«, sagte er fast klagend. »Sie überrascht mich immer!«

»Also ist sie eine richtige Frau«, lachte der Rittmeister. »Ich habe noch nie gehört, daß Frauen etwas mit Algebra zu tun haben, daß Sie sich also ausrechnen lassen. Richte ihr meine Bestellung zu einer günstigen Stunde aus und telefoniere mir dann in die Kaserne den gewünschten Ort. Alles andere werde ich schon besorgen.«

»Ich fürchte, es wird nichts zu telefonieren geben«, sagte Karl Siebrecht ahnungsvoll.

Aber seine Ahnungen hatten ihn wieder einmal betrogen. »Schön, sehr schön«, sagte Hertha Eich, ganz im Tonfall ihres Vaters. »Sagen wir also Montag. Montag sind die wenigsten Leute unterwegs, und sagen wir –«, sie überlegte, »– sagen wir Horcher.«

»Ausgezeichnet«, antwortete der Rittmeister aus der Kaserne. »Ihr werdet mich Montag ab neun Uhr vor Horcher auf Posten finden. Und nun entschuldige mich, mein lieber Junge, ich habe nämlich Dienst.«

Als einziger von den dreien hatte wahrscheinlich Karl Siebrecht diesem Souper mit einigem Bangen entgegengesehen: er hätte so gerne gewollt, daß der Freund der Freundin, daß aber auch die Freundin dem Freund sehr gefiel. Hertha Eich war häufig recht kühl und verletzend zu Leuten, die sie nicht mochte. Sie machte auch nicht den geringsten Hehl daraus, wenn jemand sie langweilte, und Siebrecht war sehr unruhig, ob der Rittmeister wohl ihr Typ sei ... Er hatte seinen alten Gönner nie im Umgang mit Frauen gesehen – er hätte sich jede Unruhe ersparen können.

»Ein Kavalier alter Schule!« flüsterte ihm Hertha zu. »Ein echter Grandseigneur!«

Ja, mit welcher Selbstverständlichkeit der Herr von Senden seiner Dame die Hand küßte, wie er ihr sicher aus dem Pelz half, wie alles an dem Souper so vorbereitet war, als kenne der Rittmeister Herthas Geschmack seit vielen Jahren, und wie dann alles am Schnürchen ablief, wie die beiden nach den ersten drei Minuten in der lebhaftesten, heitersten Unterhaltung waren, gespickt mit Andeutungen, von denen ihm zweidrittel unverständlich blieben – ja, das alles schien Karl Siebrecht nicht erlernbar. Das mußte angeboren sein, Herr von Senden hatte es, und Hertha Eich hatte es auch! Er aber hatte es nicht – er war schwer und langsam, die alte Minna hatte ihn aufgezogen ...

Aber an diesem Abend stimmte es ihn nicht trübe, neidlos saß er dabei und hörte ihnen zu. Er fand, daß seine Freundin nie so schön und lebendig ausgesehen habe wie an diesem Abend, und der Herr Rittmeister schien das auch zu finden. Hertha hatte irgendwas mit ihrer Kleidung angestellt, er wußte nie, was sie anhatte, aber an diesem Abend sah er doch wenigstens, daß sie etwas Besonderes trug, und es freute ihn, daß sie sich für seinen Freund schön gemacht hatte. Der Rittmeister, dieser weißhaarige Fünfziger, strahlte von Jugend, Witz und Laune! Plötzlich begriff Karl Siebrecht, daß dieser Mann immer ein Verehrer der Frauen gewesen war. Er verehrte sie, wie andere schöne Bilder oder Edelsteine verehren, er freute sich an ihrer Schönheit, wie andere sich an schöner Musik erfreuen. Herr von Senden entdeckte ein rubinfarbenes Licht in dem schwerroten Wein seines Glases, und er sang ein Loblied, ein Jubellied auf dieses rubinfarbene Licht. Aber selbst Karl Siebrecht begriff, daß Senden jetzt nicht den Wein und den Widerschein der Lichter im Wein besang, sondern die Schönheit der Frauen im Leben, und besonders die Schönheit jener Frau, die da vor ihm saß und mit einem rätselvollen glücklichen Lächeln in ihr Weinglas sah.

Wie schön Hertha aussah! Ach, einen Augenblick lang hätte er seine dreißig Jahre gegen die fünfzig des Herrn von Senden austauschen mögen, um es ihr ebenso sagen zu können, wie schön er sie fand, wie sehr er sie liebte. Leise rührte er ihre Hand am Weinglas mit der Spitze seines Zeigefingers an, nicht um die Welt hätte er jetzt diese Bewegung unterlassen können. Sie sah zu ihm auf, rasch und offen, und in ihrem Blick las er dieselbe Zärtlichkeit und dieselbe Liebe, die er in diesem Augenblick empfand. Sie nahm seine Hand und drückte sie, sie sagte lächelnd: »Du Armer, reden wir immerzu und lassen dich gar nicht zu Worte kommen? Jetzt sollst du aber reden dürfen!« Und alle drei brachen in Gelächter aus.

Er verschwor sich, daß er an diesem Abend kein einziges Wort sprechen würde, daß es ihm genug und übergenug sei, ihnen zuzuhören, daß er ganz glücklich sei, daß er viel zu faul sei, auch nur ein Wort zu sprechen, daß er sie beide immer nur ansehen möchte ... Wieder lachten sie, und er wußte nicht, war es der Wein oder das Glück und die Liebe, er wurde emporgehoben und leicht gemacht. Er redete weiter, er versicherte wieder, daß er nichts zu sagen hätte, daß er schweigen wollte, im vollen Glück schweigen wollte, und dabei sah er, das Glas erhoben, durch den glänzenden Raum mit all den fröhlichen Menschen, und plötzlich erzählte er von der grauen Novembernacht, mit der ihn Berlin empfing. Nässe fiel, und er zog einen Karren mit Gepäck ... Er roch wieder den Geruch der Wiesenstraße, wieder beizte der Rauch der Koksfeuer seine Kehle, er schmeckte den Staub im Stofflager des Konfektionärs, und auf der winterlichen Spree lagen die Äpfelkähne. Dann kamen die Bahnhöfe ... Aber zwischen allem lagen die Straßen und Plätze mit ihren Häusern, Kirchen, Fuhrhöfen, Garagen. Hundertmal, tausendmal war er durch sie gelaufen und gefahren, hungrig und satt, von Erfolg träumend. Das alles war Berlin, das war die Stadt, in der es schwer gewesen war, in der es immer noch schwer war ... Doch Berlin war nicht nur dies, Berlin war auch leicht und froh, hier sah er es. Er hatte nie von etwas anderem als dem Erfolg geträumt, er meinte, Berlin habe als letzten Lohn nur Erfolg zu geben. Aber Berlin hatte auch anderes zu geben, etwas, das mehr war als Erfolg, und an diesem Tisch saß es ...

Er neigte sein Glas vor Hertha, leise klangen die Gläser aneinander, und leise sagte der Herr von Senden: »Ja, die Eroberung von Berlin! Eine lange Zeit hast du es nicht hören können, wenn ich davon sprach, du glaubtest, ich verspottete dich. Jetzt sprichst du selbst davon: es muß dir wirklich sehr gut gehen, mein Sohn Karl!« Und der Rittmeister neigte sein Glas – vor Hertha Eich.


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