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80. Spiel um ein Lastauto

Karl Siebrecht saß noch beim Essen, als der Händler Engelbrecht hereinkam, Engelbrecht setzte sich ihm gegenüber, legte die Hände auf den Bauch und drehte die Daumen langsam umeinander. Eine Weile sah er dem Essenden mit seinen kleinen dunklen Augen schweigend zu, dann sagte, er: »Die beiden Wagen sind prima, nur –«

»Nur was?« fragte Siebrecht und aß weiter.

»Nur der Kerl, der kleine, vermickerte Maurermeister macht so komische Redensarten.«

»Hat er denn behauptet, die Wagen gehörten ihm?«

»Nein, das hat er nicht getan.« Die Daumen des Händlers bewegten sich jetzt schneller. Siebrecht aß immerfort. »Nur, an dem Lastwagen steht die Firma von dem Maurermeister. Wie haben Sie denn das Ding gedreht, Siebrecht?«

»Ich hab gar kein Ding gedreht, ich hab mir bloß geholt, was Ihnen gehörte.«

Die Daumen drehten sich immer schneller, langsam sagte Engelbrecht: »Sie sind tüchtig, Siebrecht, das muß man Ihnen lassen. Bloß, Sie sind anders tüchtig, als man denkt.«

»Versteh ich«, nickte Siebrecht. »Ich wollte Ihnen auch schon sagen, daß ich nicht weiter solche Handelsgeschäfte machen will. Sie müssen eine andere Arbeit für mich finden.«

»So ein Autokauf muß anstrengen«, gab der Händler zu.

»Stimmt!« antwortete Siebrecht.

»Nehmen Sie endlich Ihren dußligen Teller weg!« rief der Händler plötzlich. »Sie tun ja nur so, als ob Sie äßen. Wir wollen was ausspielen!«

»Was wollen wir denn ausspielen?« fragte Siebrecht und setzte seinen Teller beiseite.

»Ihre Kaufprovision doch! Denken Sie, ich lasse mir von Ihnen was schenken? Ein Auto für die paar Milliarden ist auch genug!«

»Was soll meine Provision sein –?« fragte Karl Siebrecht mit ganz gedehnter Stimme.

»Das Lastauto!« sagte der Händler und bleckte plötzlich die Zähne.

Einen Augenblick war es Siebrecht, als könne er nicht mehr atmen. Dann sagte er: »Nein, das geht nicht. Ich lasse mir nichts von Ihnen schenken!«

»Reden Sie keinen Stuß«, sagte Engelbrecht grob. »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich schon mit einem Wagen ein glänzendes Geschäft gemacht habe. Und dann glaube ich, daß man Ihnen nur eine Chance geben muß, und Sie kommen wieder in Gang. Ich werde auch meinen Nutzen davon haben. Ich habe mich schon einmal bei Ihnen beteiligen wollen. Und schließlich haben Sie den Wagen noch nicht, Sie sollen erst um ihn werfen. Verlieren Sie, gehört er mir, da gibt's gar nichts. Dann soll es eben so sein. Nehmen Sie da mal aus dem Körbchen so ein komisches Fünfmarkstück. Lieber Gott, fünf Mark, und der Dollar steht auf achthundertunddreißig Millionen!«

»Wie sollen wir denn spielen?« fragte Karl Siebrecht.

»Jeder von uns wirft fünfmal. Wer am häufigsten Adler wirft, hat gewonnen. Werfen Sie!«

Karl Siebrecht warf.

»Schrift!« rief der Händler. »Sehen Sie, seien Sie bloß nicht so sicher! Jetzt komme ich!« Er war und rief eilig: »Adler!«

Sein Gesicht hatte sich gerötet, seine Stimme hatte Klang bekommen. Mit Staunen sah Karl Siebrecht auf den sonst so unbelebten Mann. Der war großmütig und wollte ein ganzes Lastauto verschenken, aber das Spiel jetzt war ihm ernst, und wenn er gewann, würde er seinen Gewinn ohne Reue behalten!

Auch Siebrechts Finger griffen eilig nach der Münze. Er warf und rief triumphierend: »Adler! Eins zu eins!«

»Erst komme ich noch einmal«, sagte der Händler und warf. »Schrift!« sagte er. »Eins zu eins stimmt!«

»Schrift!« sagte auch Karl Siebrecht nach seinem dritten Wurf.

»Schrift!« wiederholte Händler. »Immer noch eins zu eins.«

Siebrecht warf die Münze nur sachte auf. Sie kam mit der Kante auf den Tisch, drehte sich noch ein paarmal, neigte sich unentschlossen –: »Adler!« schrie er.

»Das können wir auch!« rief Engelbrecht und warf das Fünfmarkstück fast bis zur Decke. Die Münze prallte auf den Tisch, sprang ab, rollte auf den Stubenboden. »Gilt!« rief Engelbrecht hastig. »Wo sie auch liegt. Einverstanden?«

»Einverstanden!« antwortete Siebrecht, und beide stürzten zur Münze. »Adler!« riefen sie.

»Zwei zu zwei!« lachte der Händler. »Nun los, Siebrecht! Ein Lastwagen zu gewinnen! Aber dieser Wurf kostet Sie das Auto!« Karl Siebrecht preßte die Münze fest zwischen den Fingern. Jetzt hatte er schon ganz vergessen, daß er sich vor noch nicht fünf Minuten dieser Provision widersetzt hatte. Er wollte gewinnen und warf. Die Münze fiel flach, ohne Nachklirren, auf den Tisch. Beide starrten darauf, aber nur einer sprach. »Schrift!« sagte Engelbrecht. »So, mein Lieber, jetzt sind Sie Ihr Auto los!« Und er warf das Fünfmarkstück schnell und scharf in die Höhe. Beide warteten, dann sahen sich beide an. Nach der Spannung des Spiels konnten sie kaum lächeln. »Auch Schrift!« sagte Engelbrecht dann enttäuscht. »Noch immer zwei zu zwei! Und ich hätte geschworen, ich würde Adler werfen! Was machen wir nun? Noch einmal fünf Würfe?«

»Nur noch einen!« verlangte Siebrecht.

»Ist gemacht«, sagte der Händler. »Los, wirf, Mensch!«

Karl Siebrecht hielt das Geldstück in seiner Hand. Er dachte an das aufgegebene Taxi, er dachte daran, daß er wohl immer ein Lohnchauffeur sein würde, wenn dieser Wurf fehlging. Er wollte ihn als Vorzeichen für die künftige Zeit nehmen, nach Jahren der Verwirrung mußte es nun wieder aufwärtsgehen. »Adler!« sagte er und warf. Er sah gar nicht hin, er hörte die Münze auf den Tisch klirren, aber er sah nicht hin. Er wußte, was er geworfen hatte.

»Adler!« sagte Engelbrecht. »Noch haben Sie nicht gewonnen, Siebrecht! Ich kann auch Adler werfen!«

»Sie werden nicht Adler werfen! Ich weiß das. Los, werfen Sie doch!«

Engelbrecht sah ihn mit seinem geröteten Gesicht an. In den dunklen Augen, die sonst immer ohne Ausdruck blickten, blitzte jetzt ein Licht. »Werde ich nicht Adler werfen?« fragte er und schnippte die Münze ein paarmal in die Höhe. »Nein, werde ich nicht?« Er fing sie immer wieder in der Hand auf.

»Sie werden nicht Adler werfen!« antwortete Karl Siebrecht. »Und wenn Sie noch eine halbe Stunde mit dem Fünfmarkstück spielen! Ich will es nicht, und da können Sie es auch nicht!«

»Das wollen wir doch einmal sehen!« rief Engelbrecht und warf rasch.

Beide fuhren über Tisch und Münze mit den Köpfen zusammen, daß es krachte. Beide fühlten es nicht einmal.

»Ich bin der Besitzer eines Lastwagens!« rief Karl Siebrecht, er streckte sich lang auf seinem Stuhl aus. Plötzlich fühlte er eine Schwäche in allen Gliedern, er hätte keine Hand mehr rühren können.

»Halt!« rief Engelbrecht hitzig. »Noch einmal fünf Würfe! Ich setze den Personenwagen gegen den Lastwagen!«

»Nein«, erwiderte Karl Siebrecht. »Das war meine erste Chance nach dem Kriege, die riskiere ich nicht noch einmal. Du lieber Himmel, ich besitze einen Lastwagen!« Wäre der Engelbrecht nicht dabeigewesen, er hätte geheult vor Glück. Rieke war im Augenblick ganz vergessen, er fand, das Leben lächelte ihm wieder.


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