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7. Der alte Busch

»Setz dich doch auf die Karre«, sagte Karl zu Rieke.

»Nee, ick zieh bei dir. Is zu kalt zu's Sitzen. Is dir ooch kalt, Karl?«

»Ein bißchen.«

»Na, laß man, det jibt sich. Uff'n Heimweg hol ick jleich eenen Eimer Kohlen, sollst mal sehen, wie warm wa det noch kriejen. Ick hatt'n janz schönen Vorrat liejen, als ick zu Tante Bertha machte, aba der Olle hat allet wegjefeuert. Der kennt keene Einteilung, Männer sind so.«

»Er wollte wohl bei den Körben nicht anfassen?«

»Laß ihn. Det is sein schlechtet Jewissen, denn is er grade pampig, grade aus' schlechtet Jewissen. Der besinnt sich. Paß uff, wenn wa jetzt heeme kommen, weeß er nich, wat er mir zuliebe tun soll. Schlecht is er nich, da jibt's janz andere! Und überhaupt –« Sie schwieg gedankenvoll.

»Was meinst du mit: und überhaupt?«

»Wat ick damit meine? Na ja, früher war er janz ordentlich, aba er hat sich det mit Mutta'n doch so zu Herzen jenommen, seitdem is er so.«

»Seit deine Mutter gestorben ist?«

»So kann man det ooch sagen. Aba de Wahrheit is, er hat Mutta'n doch rausgeschmissen, weil sie mit 'nem anderen Kerl jing. Tilda is ja nich von Vata'n, aba er läßt det Kind det nicht entjelten, allet, wat recht is. Und denn hat der Kaschube Mutta'n sitzenlassen, und Mutta is wieda jekommen bei uns, da war se schon in der Hoffnung. Na, Vata hat ihr nischt in den Weg jelegt, aba er hat nie wieda een Wort mit die Frau jeredet, ooch, als se alle machte, und det reut ihm nu. Darum säuft er, aba nur manchmal.«

Der Junge, Karl Siebrecht, schwieg überwältigt. Ihn packte die nüchterne, klagelose Selbstverständlichkeit, mit der die dreizehnjährige Rieke Busch von dem allem redete. »Und das trägst du alles so selbstverständlich, Rieke?« rief er und legte seine Hand auf der Stange des Karrens sachte über die kleine verarbeitete Kinderhand.

»Wat denn sonst? Wat soll ick denn dabei tun? Det is doch so! Da kann keener wat bei machen! Bloß det eene sare ick dir, Karl: mir soll keener nischt von der Liebe erzählen. Die richt' bloß Unfug an. Wie der Ernst vorhin anfing – na ja, det wissen se alle, ick bin kalt wie 'n Eiszappen!«

»Aber du bist doch auch noch nicht vierzehn, Rieke!« rief Karl Siebrecht.

»Na wat denn? Wat denkste, wat de Mächen hier schon früh rumknutschen? Is det denn bei euch nich so? Biste ehrlich, Karl, haste noch nie een Mächen jeküßt?«

»Doch – aber ...«

»Na siehste! Da gibt's jar keen Aba! Jünger als du wird se wohl jewesen sind! Aba det sare ick dir, hier paß uff! Und wenn de dir doch verknallst, denn komm bei mir! Ick wer' dir schon raten! Die Mächen hier kenn ick, und die anderen Mädchen seh ick mir eenmal an, dann weeß ick Bescheid. Komm man immer bei Rieke, Karl, die hilft dir!«

Karl Siebrecht mußte lachen: »Du redest, Rieke, als wärest du meine Großmutter. Und außerdem werde ich mich hier bestimmt nicht verlieben.«

»Verrede es nich! Du bist een hübscher Junge, und det werden die Mächens hier ooch sehen. Und die in deinem Kaff is weit weg.«

»Ich verliebe mich bestimmt nicht!«

»Wart's ab, Karl, wart's ab!«

Trotzdem die Uhr schon halb elf war, trafen sie den alten Dienstmann doch unruhig vor dem Hause Müllerstraße 87 wartend. »Na, Opa«, sagte Rieke triumphierend, »du hast woll Angst jehabt? Da haste deine Karre. Und siehste, wat ick hier for dir habe: eene Wurscht. Aber keene von Aschinger, denk det bloß nich, die kommt direkt von't Land, di ha' ick dir mitjebracht, Opa!«

»Jott, Mächen«, sagte der Alte ganz gerührt. »Det war ja nu nich nötig jewesen. Jott, riecht die schön! War die im Rooch?«

»Natürlich war die im Rooch, und nich so Kiefernrooch, wie die Schlachter hier machen, nee, richtijen Buchenrooch. Na, nu jute Nacht, Opa!«

»Jute Nacht, Mächen. Dank ooch schön.«

»Nischt zu danken!« rief Rieke schon im Gehen. »Weeßte übahaupt weswegen du de Wurscht jekriegt hast, Opa?«

»Na, von wejen meine Karre doch.«

»Keene Ahnung!« schrie Rieke. »Weil de wie 'n Hund heeßt, und alle Hunde fressen jerne Wurscht!« Sie pfiff durchdringend, dann lockte sie: »Komm, Kieraß, komm, mein Hundeken! Kieraß, kuschste –?« Noch zwei Straßenecken weit hörten sie den Alten lachen. Karl Siebrecht konnte ihn sich recht gut vorstellen, wie er dastand, ausgemergelt und abgearbeitet, seine Wurst in der Hand, an der Schwelle der Siebzig, dankbar für jedes gute Wort.

Es war nach elf Uhr, als sie wieder über die engen, dunklen, riechenden Höfe, diese bloßen Lichtschächte des Hauses, in der Wiesenstraße gingen. In den Fenstern brannte kaum noch Licht, auch die Gasflammen auf der Treppe waren erloschen. Rieke mußte Karl bei der Hand nehmen und ihn im Dunkeln führen; Streichhölzer, sich hinauf zu leuchten, hatte keines von beiden. Dann zog Rieke ihn in die Küche. »Wo is'n Ernst?« fragte sie sofort den großen schweren Mann, der dort bei der kleinen Lampe am Tisch saß, den Kopf in den riesigen Händen. »Ick habe Ernsten doch jesagt, er soll uff mir warten!«

Der Mann hob den Kopf. Karl war erstaunt, einen verhältnismäßig jungen Mann, vielleicht Ende der Dreißig, vor sich zu sehen. Er hatte sich Riekes Vater uralt vorgestellt und fand nun einen kräftigen, fast blühend aussehenden Mann, mit einem rötlichen, kurz gehaltenen Vollbart, einer auffallend zarten, weiß und roten Haut und einer schönen Stirn. Nur die Augen, diese sehr hellen Augen, von einem verwaschenen Blau, wollten ihm nicht gefallen: der Blick, der auf den beiden Kindern ruhte, schien sie nicht zu sehen, er schien fast nichts zu sehen. »Der Ernst?« fragte er. »Der Ernst? Den ha' ick jehen heißen, Tochter, den juckte det Fell! Den zog's weg! Wat soll er hier ooch sitzen? Brooch ick 'nen Wachtposten, Tochter?«

»Nee, Vata, broochste nich!«

»Ick bin nich bei die Schließkörbe jegangen, nee. Ick habe dir 'ne Suppe jekocht. Det Mehl hat mir Ernst noch von de Brommen jeholt, een halbet Pfund, du jibst ihr det wieda, Tochter.«

»Tu ick, Vata. Jleich morgen. Wat denkste, wat ick for feinet Mehl von Tante Bertha im Schließkorb habe, so'n Mehl hat hier nich mal Tamaschke! Vata, det is Karl, Karl Siebrecht, der sucht hier Arbeet in Berlin. Is'n Freund von mir, Vata!«

»Is recht, Tochter. Setze dir, Karl. Wie war'n Tante Bertha?«

»Die war richtig, Vata«, antwortete Rieke, die schon am Herde wirtschaftete. »Die ha' ick abserviert. Wat denkste, wat ich allens im Korbe habe, sogar 'nen janzen Schinken!« Und jetzt strahlte Rieke Busch wirklich voll stolzer Freude.

Busch schien es kaum zu sehen. »Ja, du bist tüchtig, Tochter«, sagte er, immer in der gleichen leidenschaftslosen Sprechweise, die ohne Nachhall schien. Die Worte erloschen gleichsam, sobald sie seinen Mund verließen. »Du bist tüchtig, janz wie Mutta. Mutta war ooch tüchtig, det weeßte, Tochta, det ha' ick dir tausendmal gesagt.«

»Haste, Vata ...«

»Det ha' ick. Ha' ick je ein Wort jejen deine Mutta jesagt, Tochter?«

»Is ja jut, Vata! Ick weeß ja, is ja jut! Biste stille, Vata! Mutta war die beste! – Schläft Tilda?«

»Se schläft, Tochter, ick ha' ihr in meen Bett jepackt. Se wollte so jerne, weil's so scheene warm war. Ick ha's ihr een bißcken zurecht jezogen. Laß ihr drin liejen, Tochter, ick habe meine Tour rum, morjen jeh ick wieda arbeeten.« Die letzten Worte hatte er fast belebt gesprochen, mit einer beinahe ängstlichen Betontheit.

»Is jut, Vata. Det machste, wie de willst. Da kann dir keener Vorschriften machen.«

»Und du reist nich wieda weg? Du bleibst jetzt hier, Tochter?«

»Natürlich, Vata. – Komm, Karl, nu ißte Suppe mit, die is schön heiß. Nachher tuste jleich det nasse Zeug vom Leibe, und wa puppen dich anders in. Mach bloß den Stehkragen los, Karl, du bist ja schon janz wund am Halse. – Vata, weeßte Arbeit for Karle?«

»Det is jut, Tochter«, sagte der Vater, der nichts gehört zu haben schien, »daß de nich wieder weg machst. Ick kann nich alleene sind. Wat heeßt hier Schinken – bei mir sollste sind!«

»Is ja jut, Vata. Wohin soll ick denn noch reisen? Ick bleib nu hier.«

Vater Busch hatte eine Hand gegen seine Wange gelegt, nun hob er die andere und zeigte damit auf Rieke. »Tochter!« rief er fast aufgeregt, in aller Leblosigkeit fast aufgeregt. »Tochter! Sieh mir an!«

»Reje dir nich uff, Vata«, sagte das Mädchen und legte den Löffel aus der Hand. Sie sah den Alten aufmerksam an. »Reje dir nich uff, ick hole dir lieber noch 'ne Pulle. War se so schlimm?«

»Schlimm?« fragte er. »Schlimm? Det nennste schlimm? Tochter, is det wahr, wat mir der Ernst erzählt hat, willste mir mit de Brommen vaheiraten?« Die Hand, die auf die Tochter zeigte, zitterte so sehr, als habe der Mann einen Schüttelfrost, aber der Mann saß unbeweglich wie eine Mauer, nur die Hand bebte.

»Det machste, wie du willst, Vata, es is wahr, ick habe mit der Brommen jeredet. Ihr paßt jut, Vata, und die Brommen is tüchtig. Ick tu, wat ick kann, Vata, aba ne richtije Frau bin ick doch nich, wenn ihr mir alle ooch dafor nehmen tut: ick bin bloß een Kind. Und denn, wenn 'ne Frau hier wäre, könnte ick een bißcken mehr lernen, ick bin zu doof, Vata. – Aber det machste, wie du willst, Vata. Sagste nee, denn Schwamm drüber, weg is et.«

»Sie war bei mir, Tochter«, sagte der Mann, und die Hand bebte immer stärker. »Die janzen Tage war sie bei mir, im Suff. Jetzt weeß ick, warum se's so eifrig hatte, die janzen Tage, wo ick jing und stand, hat se mir über die Schulter jeflüstert: Du sollst bei keinem Weibe schlafen, Vata, hat se jeflüstert Ick ha' ihr nich vastanden, nu versteh ick ihr. Ick bin for ihr ohne Sünde, Tochter, in diesem bin ich ohne Sünde!«

»Biste, Vata! Es war man 'ne Idee von mir, Vata. Wenn se dir nich in Ruhe läßt, is erledigt. Schluß!«

»Is erledigt, Tochter. Du hast's jesagt, is jut.« Die Hand sank schwer auf den Tisch herab, blieb dort liegen, wie vergessen. Die Augen schlossen sich fast. »Wat haste dir da anjepröhlt, Tochter? Jeh, zieh dir wat anderet an, wat Helles. Is erledigt, Tochter. Ick kann wieda atmen.« Er sprach wie im Schlaf. Das Mädchen legte zu Karl hin den Finger auf den Mund und schlich auf Zehenspitzen in die Stube. Karls Löffel lag in der ungegessenen, kalt gewordenen Mehlsuppe. Wie gebannt sah er auf den Mann, der nicht ihn, der nichts zu sehen schien. Noch einmal murmelte der: »Is erledigt, hat se jesagt ...« und seine Glieder entspannten sich. »Sie gibt wieder Ruhe ...«

Aus der Stube kam Rieke in einem weißen Kleid. Der Junge machte eine Bewegung der Überraschung: aus der grotesken, kleinen, verschrobenen Figur war ein helles, zartgliedriges Mädchen geworden, fast groß für sein Alter.

»Da biste, Tochter«, meinte der Vater. »Setze dir auf meinen Schoß! So, du weißt schon. Leg den Arm um meinen Hals, kraul mir'n Bart een bißcken, janz wie deine Mutta. Rieke, wat biste?« Zum erstenmal nannte der Mann seine Tochter Rieke, aber selbst der unerfahrene Karl Siebrecht verstand, daß er nicht seine Tochter so nannte.

»Deine Beste«, antwortete Rieke.

»Wen liebste, Rieke?«

»Dir, Walter, bloß dir!«

»Ha' ick dir was Böses getan, Rieke?«

»Nie nich, Walter, immer jut. Immer jeduldig. Immer arbeetsam.«

»Jib mir 'nen Kuß, Rieke.« Und sie gab ihm einen Kuß.

»Un nu schlaf in, Walter«, sagte das Mädchen und löste sanft den Arm von seinem Hals. »Komm, leg dir in de Klappe!« Und sie führte den vor Schlaf fast Taumelnden nebenan in die Stube.

Als sie zurückkam, stand Karl Siebrecht am Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Das helle Mädchen stellte sich neben ihn und sah mit ihm, zum erstenmal auch sie wortlos, hinaus in die Nacht, über die Dächer fort, über die der Novemberwind stürmte. Vom Himmel war nichts zu sehen, noch lastete das Dunkel über der Stadt. Kein Stern, kein Mond – nur ein fahler Schein, der die Finsternis noch unterstrich. Schließlich sagte Rieke: »Von deine Arbeet ha' ick mit Vata nu nich reden können, det vastehste?«

»Natürlich.« Er wandte den Blick vom Dunkel fort, sah in ihr helles Gesicht und sagte: »Wie du das alles aushältst, Rieke? Ich komme mir ganz schlapp vor. Ich bewundere dich!«

»For wat denn, Karl?« fragte sie. »Sag bloß, for wat? Wejen de Arbeet und wejen Vata'n? Sei man bloß 'ne Weile bei uns, denn siehste andere Arbeet. Und Vata is doch jut. Vata tut keenem nischt.«

»Und du hast nie Angst vor ihm?«

»Vor Vata'n? Doch, Karl, manchmal. Der is ja oft nich janz von hier. Denn denk ick, er richt' noch mal een Unheil an. Darum hätt ick ihn ja jerne vaheirat', det er 'ne richtje Uffsicht hat, aba wat nich is, det is nich. Ick wer's der Brommen jleich saren, die is ne vanünftije Frau, se wird det bejreifen. – Un nu, Karl, packe nur aus, und du puppst dir um. Die Tracht hängen wa weg, bis de weiter bist. Vorläufig biste nischt als een unjelernter Arbeeta, da mußte dir ooch wie so eena tragen.« Nach einer halben Stunde war alles ausgepackt, und Karl trug die reichlich weite Manchesterhose des Vaters und eine Joppe. Erst hatte er protestiert, aber Rieke hatte gesagt: »Du mußt aussehen, det se dir nich jleich uff de Schippe nehmen. Se werden dir noch jenug verasten von wejen deine Sprache und deine feinen Pfoten. Aba laß sie, da mußte doch durch, det wirste schon schaffen.«

Nun ging er mit Rieke durch das dunkle, immer geräuschvolle Haus. Sie trug den kleinen Petroleumblaker, der Lichtschein fiel auf die ausgetretenen, beschmutzten Stufen und manchmal auf ihre kleinen Füße, die so müde sein mußten, ach, so müde!

»Wann gehst du schlafen, Rieke?«

»Jetzt jleich, wenn de versorgt bist.«

»Und wann stehst du auf?«

»Wo Vata wieder arbeet, um halb sechse. Hab keene Angst, ick weck dir rechtzeitig, wenn Vata wat for dir weeß.«

»Dann hast du kaum fünf Stunden Schlaf.«

»Det macht nischt, Karle, da schlaf ick een bißcken schneller zu. Det jleicht sich aus.« Sie gingen über zwei Höfe zurück, dann in ein Quergebäude und fingen wieder an, Stufen zu erklettern. »De Brommen hat's jut, die hat 'ne feine Wohnung«, sagte Rieke. »Ick dachte schon, ick könnte mit Vata'n und Tilda bei ihr ziehen. Na, wieder mal nischt!«

»Aber es riecht hier genauso, und die Treppen sind genauso scheußlich wie bei euch!«

»Aber der Hof, Karl! Haste nich uff'n Hof jeachtet?«

»Der Hof? Der ist genauso düster wie bei euch.«

»Du hast 'nen Blick, Karl, dir sollten se zum Baurat machen – for Arbeeterwohnungen! Der Hof hier is fast doppelt so jroß wie unserer! Wenn de Brommen de Fenster uffmacht, kriegt se Luft, ick bloß Gestank, und sie hat im Sommer Sonne, ick nie!« Damit waren sie an der Tür angelangt, Rieke klopfte leise, und die Tür ging auch gleich auf. Die Brommen war eine schwere Frau mit fast zu frischen Farben, sehr mit gestrickter Wolle bedeckt.

»Seid ihr endlich da?« fragte sie. »Der Ernst hat ma schon Bescheid jesagt. Det Bett is frisch bezogen, und det du's jleich weißt: det Schlafen kost' vier Mark die Woche, immer im voraus. Alle vier Wochen wird frisch bezogen. Und wenn de Frühstück haben willst, kost' es 'ne Mark fünfzig extra, aber bloß Brot, mit Schrippen freßt ihr mir arm! Einverstanden?«

»Det is jerecht, Karl«, sagte Rieke. »Det is in Ordnung. Da schlag in und jib ihr jleich det Jeld for de erste Woche! Wie de dir sonst beköstigst, davon reden wa noch. Ick denke, du ißt bei mir und jibst mir Kostgeld! – Hier is ooch det Mehl, Brommen, wat se Vata'n jeliehen haben!«

»Na, so eilig war det nu ooch nich jewesen, Rieke. Det ist ja nich so bei mir, Rieke, det ick een halbet Pfund Mehl direkt entbehren tu!«

»Det weeß ick doch, Brommen. Et is nur von wejen die Ordnung.«

»Ja, ordentlich biste, Rieke!«

»Aba kieken Se sich det Mehl an, Brommen, det is een Mehl! Det ha' ick von Tante Bertha'n mitjebracht, so'n Mehl kriejen Se nich mal bei Tamaschke!«

Und nun ergingen sich die beiden über die Vorzüge ländlichen Mehls, und dann berichtete Rieke von ihren Anschaffungen bei Tante Bertha, und Karl Siebrecht stand stumm und ein wenig verdrossen und übermüdet dabei. Vorläufig konnte er noch nirgends mitreden, es war eine zu fremde Welt. Aber er fand doch, Rieke hätte nun Schluß machen und ins Bett gehen können, sie beide hatten den Schlaf nötig. Aber damit bewies Karl Siebrecht nur, daß er wirklich ein ahnungsloser Knabe war. Man fällt nicht mit der Tür ins Haus, weder auf dem Lande noch in der großen Kaiserstadt Berlin. Rieke wußte wohl, was sich schickt, und die Brommen wußte es auch. Eine ganze Weile verging, ehe die Bromme fragte: »Und wat sagt denn der Olle dazu, Rieke? Hat er sich denn jefreut über all det jute Essen, wat du anjeschafft hast? Da habt ihr doch den janzen Winter jut von!«

»Heute noch nich, Brommen«, antwortete Rieke Busch. »Aber det kommt noch.«

Eine kleine Pause entstand, dann sagte die Brommen: »Na ja, wenn't man kömmt! Unsereener is ja Warten jewohnt, wat, Rieke?«

»Det ja. Aber manchmal wart' man ooch umsonst, Brommen.«

»Ach nee –?« Sehr gedehnt: »Du meinst –?«

»Ja, det meen ick, Brommen. Vata will nich.«

»Ach so!« Tiefes gedankenvolles Schweigen. Dann: »Der Ernst hat mir jesagt, der Olle spinnt heute ...«

»Det ooch, Brommen.«

»Det jibt sich doch, Rieke!«

»Det nich, Brommen, det nich! Der Umstand ist der: sie hat's ihm verboten!«

»Wat hat se ihm vaboten? Mir hat se ihm vaboten?! Haste Töne, Rieke? Sich hat se doch nischt vaboten, oder –?«

»Nee, det nich! Aba, Brommen, det bild er sich doch bloß in!«

»Denn red ihm doch seine Inbildungen aus!«

»Det kann ick nich! Er sieht ihr wirklich, und er hört ihr ooch, da kann man nich gegen an reden.«

»Spricht se denn wirklich mit ihm? Nee so wat!«

»Ick weeß nich, ob er sich mit ihr unterhält, det jloobe ick eijentlich nich.«

»Wat hat se ihm denn jesagt?«

»Ick weeß ooch nich so. Det er keen Weib berühren soll oder so!«

»Nu schlägt's dreizehn! Die spinnt wohl? Wenn der Olle spinnt, die spinnt noch zehnmal mehr. Det is doch direkt unjesund, der Mann is doch in den besten Jahren! Nee, so wat ha' ick noch nich jehört! Uff wat die nich noch im Jrabe kommt – und gerade die!«

Und die geduldige, so müde Stimme Riekes: »Vata bild sich det doch bloß in, Brommen!«

»Det sage nich! So wat kann sich keen Mensch inbilden! Det is se, wie se leibt und lebt!«

»Na ja, Brommen, wie Se denken, Se können ja recht haben. Aba ick meine imma, wa lassen Vata erst mal zufrieden. Det se erst wieda Ruhe jibt. Der Mann is ja ganz durcheinander.«

»Da haste recht, Rieke! Den Jefallen tun wa ihr nich, det se ihn noch weiter ängstigt. Die soll man bleiben, wo se ist. Da liegt se gut. Und am Sonntag mach ick mal raus uff den Friedhof bei ihr und bring se Blumen, det besänftigt se valleicht.«

»Det tun Se man, Brommen, det is ne jute Idee. Jute Nacht, Brommen! Jute Nacht, Karl! Schlaf ooch schön, Karl!«

»Schlaf du auch schön, Rieke!«

»Hier is dein Bette, Jung!« sagte die Brommen und führte, eine Kerze in der Hand, den Karl in eine Dachkammer, unter deren schräger Decke zwei Betten standen. Das seine stand aber ganz unter der Schrägung, so daß er im Bett nicht würde aufrecht sitzen können, das sah er gleich. »Det andre Bett hat Ernst, der is noch unterwejens. Deine Sachen legst du übers Bette, det wärmt ooch noch. Det zucht hier een bißcken durch't Dach. Na, du hast ja junget Blut, da macht det noch nischt. – Jute Nacht ooch.«

»Also denn jute Nacht, Frau Bromme!«

Das Bett war feuchtkalt. Karl Siebrecht hatte gemeint, sofort einschlafen zu können, aber nun zitterte er vor Frost. Der Wind stieß so nahe an die Schieferplatten, und unter der Decke war immer wieder ein Loch, durch das es eiskalt hereinkam, er mochte sich noch so fest einwickeln. Und schlief doch schon. Schlief und sah das weiße, wie mehlbestäubte Gesicht des Bäckers Ernst über sich, eine Hand lag fast ganz um die Kerzenflamme, ein schmaler Lichtstreif stach in seine Augen. Er blinzelte mühsam.

»Du!« flüsterte der Bäcker. »Haste ooch schon wat mit die kleenen Mächen?« – Ich will bloß schlafen, dachte er. Was will denn der? Er hatte es vielleicht auch laut gesagt. – »Haste wat mit die Rieke?« flüsterte der Bäcker wieder. »Se hat dir so komisch anjekuckt, so hat se noch nie uff mir jesehen.« Er gab dem Karl Siebrecht einen Stoß. »Hörste, Jenosse –?!« – Aber Karl Siebrecht war trotz des Stoßes davon überzeugt, daß er nur träumte. Er warf sich herum gegen die Wand. – »Ick habe dir jewarnt«, hörte er den anderen noch. »Wenn ick wat merke, ick flüstre es dem Ollen, und der Olle bringt dir um!« Aber das war nur Traum, Traum, Traum. Das war nichts Wirkliches.

Und am nächsten Morgen hatte Karl Siebrecht wirklich alles vergessen. Nur den Bäcker, den er am Abend doch noch ganz gerne gemocht hatte, konnte er nun nicht mehr ausstehen. Er wußte nur nicht warum.


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