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108. Bremer als Mahner

Als der Rittmeister gegangen war, blieb Karl Siebrecht noch lange überlegend an seinem Schreibtisch sitzen. Aber er dachte nicht darüber nach, wie er das Geld für den Freund beschaffen sollte. Im Gegenteil, selbst wenn eine Möglichkeit gewesen wäre, das Geld aufzutreiben, er hätte sie nicht genutzt. Nein, wenn jetzt etwas zu überlegen war, so war es dies, wie man den Rittmeister davor bewahren konnte, sein Vermögen diesem Frauenzimmer zu opfern, und wie man ihm schließlich die Augen öffnete über diese Maria, ohne seine Freundschaft zu verlieren. Karl Siebrecht hatte nie viel Freunde gehabt, er hätte nicht gerne auch noch diesen verloren. Ihm grauste vor dem heutigen Abend ...

Siebrecht drückte auf den Klingelknopf und bat Herrn Körnig zu sich. Herr Körnig, der unterdes zum Prokuristen der Firma aufgerückt war und der womöglich noch sorgenvoller aussah, winkte eifrig, sobald er in das Zimmer kam, mit einem Stoß Abrechnungen. »Jawohl, Herr Direktor, ich weiß schon«, sagte er klagend, »die Abrechnungen! In der letzten Woche sind die Einnahmen wieder um sieben Prozent gefallen, während sich die Unkosten nicht verändert haben. Herr Direktor Bremer hat schon mit mir gesprochen, er schlägt vor, noch drei Wagen stillzulegen und weitere sechs Mann zu entlassen. Außerdem müßte endlich wegen der Schalter auf den Bahnhöfen ein neues Abkommen getroffen werden –«

»Über all das werden wir später reden, Herr Körnig«, sagte Karl Siebrecht ungeduldig. »Setzen Sie sich bitte. Ich habe jetzt etwas anderes: sind Ihnen alle Einzelheiten unseres Gesellschaftsvertrages mit Herrn von Senden erinnerlich?«

»Aber selbstverständlich, Herr Direktor!«

»Zu welchem Termin kann Herr von Senden uns kündigen?«

»Mit Jahresfrist, das heißt, er kann es nicht zu jedem beliebigen Termin, sondern nur zum Halbjahres-Ersten.«

»Das heißt also – wir haben heute den 13. Juni –, wenn Herr von Senden bis zum 1. Juli kündigt, müssen wir ihm seine Einlage zum 1. Juli nächsten Jahres zurückzahlen?«

»Genau so. Wenn ich mir gestatten darf, Herr Direktor, zu fragen ...«

»Gelingt es uns aber, die Kündigung bis über den 1. Juli hinauszuzögern, so haben wir noch anderthalb Jahre Zeit mit der Rückzahlung?«

»Jawohl, Herr Direktor. Hat Herr von Senden die Absicht –?«

»Er hat sie! Und zwar möchte er das Geld ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, am liebsten morgen.«

»Sechzigtausend Mark – morgen! Entschuldigen Sie, Herr Direktor, wenn ich lächle ...«

»Sie sehen aber gar nicht nach Lächeln aus. Sie sehen aus, als hätten Sie in eine Zitrone gebissen! – Also schönen Dank, Herr Körnig, rufen Sie mir dann noch Herrn Bremer. Er ist doch hier?«

»Vor einer Viertelstunde gekommen.«

»Ich gehe nachher zu Lange & Messerschmidt, ab vier Uhr bin ich draußen in Nikolassee erreichbar, wenn was Besonderes ist.«

»Es wird schon nichts Besonderes sein, Herr Direktor, in diesen Zeiten!«

Egon Bremer, der ehemalige Lehrling Bremer, der kaltschnäuzige Mann, gegen den Karl Siebrecht eine nicht ganz unbegründete Antipathie hegte, hatte es zum zweiten Direktor des Berliner Bahnhof-Eildienstes gebracht, was für seine Tüchtigkeit sprach. Die beiden Direktoren gaben einander kühl die Hand. Es war ein offenes Geheimnis, daß sie sich nicht gerade liebten. »Der alte Jammerlappen, der Körnig, erzählt mir da eben«, sagte Bremer, warf sich in einen Sessel und streckte die Beine weit von sich, »daß der Senden seinen ganzen Zaster von heut auf morgen haben will –«

»Die Sache regle ich selbst, Bremer«, sagte Karl Siebrecht kühl.

»Ich reiße mir deswegen bestimmt kein Bein aus«, lachte Bremer. »Wir sind ja gewissermaßen eine Familiengesellschaft von Ihnen. Beteiligte: Ihre Frau, Ihr Freund Senden, Ihr Freund Gollmer. Hauptarbeitgeber: Ihr Schwiegervater Eich.«

»Warum erzählen Sie mir das eigentlich?« fragte Karl Siebrecht etwas ärgerlich.

»Nur, um auch meinerseits zu begründen, daß Sie der Berufene sind, diese Angelegenheit Senden zu regeln. Die Sache ist doch die, Siebrecht: wenn der Senden merkt, daß er kein Geld von uns kriegen kann, und er braucht unbedingt was, so wird er versuchen, die Beteiligung zu versilbern. Bietet er sie aber erst aus wie sauer Bier, wird das verdammt auf unseren Kredit wirken. Das könnten wir jetzt gerade noch brauchen!«

»Zu so etwas wird es nicht kommen. Ich werde auch mit Lange & Messerschmidt die Sache besprechen. Die Rechtslage ist ganz klar –«

»Freilich«, antwortete Bremer nachdenklich. »Andrerseits –«

»Was heißt andrerseits?!«

Karl Siebrecht hatte ganz und gar nicht die Absicht gehabt, den Fall Senden mit Herrn Bremer zu besprechen, er war etwas ärgerlich.

»Gott, wenn der Senden ganz nötig Geld braucht, könnte man vielleicht von dritter Stelle die Beteiligung unter der Hand billig aufkaufen. In normalen Zeiten ist sie ihr Geld schon wert, heute, bin ich überzeugt, kann er froh sein, wenn er zwanzigtausend dafür kriegt – man muß ihn nur lange genug zappeln lassen.«

»Ich wundere mich über Sie«, sagte Karl Siebrecht langsam. »Ich wundere mich sehr über Sie, Bremer. Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, einen unserer Gesellschafter um zwei Drittel seiner Gelder zu bringen.«

»Ich kann die Sache so nicht ansehen.« Bremer war völlig kühl und ungerührt. »Seine Beteiligung ist heute nicht mehr wert, ihr heutiger Handelswert ist zwanzigtausend. Er will Geld, er bekommt diese Zwanzigtausend. Selbstverständlich, wenn er Zeit hat zu warten, kann er auch sechzigtausend erzielen, und wir würden sie ihm zahlen, aber heute? Wir wären ja keine Kaufleute!«

»Unsere Ansichten sind da völlig verschieden, aber es hat keinen Zweck, diese Frage zu diskutieren. Wir haben weder sechzig- noch zwanzigtausend Mark für den Ankauf dieser Beteiligung.«

»Das möchte ich nicht sagen«, antwortete Egon Bremer kühl und sah den Mitdirektor voll an.

»Wie?« fragte Karl Siebrecht überrascht. »Wir haben sie? Erzählen Sie mal, Bremer, auf welchen Gefilden Sie diese Goldgrube entdeckt haben!«

»In unseren Büchern, Siebrecht«, antwortete Bremer, steckte die Hände in die Taschen und stand auf. »Die Sache ist mir verdammt unangenehm, aber einer muß sie Ihnen ja zuerst sagen, Siebrecht! Ihr Vorschußkonto ist fast seit dem Anfang Ihrer Tätigkeit hier mit durchschnittlich dreißigtausend belastet. Augenblicklich beläuft es sich auf etwas über achtundzwanzigtausend. Sie haben dies Geld nun schon fast fünf Jahre zins- und spesenfrei ...«

»Das ist allein meine Angelegenheit, Bremer. Sie überschreiten Ihre Befugnisse!«

»Sie irren sich, ich überschreite keine Befugnisse. Dies ist eine Sache der Firma, nicht Ihre Privatsache mehr. Das war sie vielleicht in Zeiten, wo wir flüssig waren, aber heute, wo wir die Gehälter in drei Monatsraten bezahlen, ist es eine rein geschäftliche Angelegenheit.«

»Jedermann hat bei uns noch sein Gehalt bekommen.«

»Wie lange noch? Aber abgesehen davon ist es doch ein untragbarer Zustand, wenn das Privatkonto des Direktors mit achtundzwanzigtausend Mark belastet ist, und wir zahlen einer kleinen Stenotypistin ihr Gehalt von hundertzwanzig Mark, das sie dringend zum Leben braucht, in drei Raten aus. So etwas muß Erbitterung wecken, und das hat es auch schon getan!«

»Es ist auffallend, daß man mir noch kein Wort von dieser Erbitterung gesagt hat, Ihnen aber!«

»Das ist gar nicht auffallend, denn einmal bin ich der Personalchef und nicht Sie, so kommen die Klagen des Personals zuerst an mich. Und dann sind Sie ja nun einmal der Geist Gottes über den Wassern und werden weitgehend mit allem irdischen Kleinkram verschont.« Bremer war vollkommen unbefangen und fast heiter. Er schlenderte, die Hände in den Taschen, im Büro auf und ab und vermied es dabei nicht, seinen Mitdirektor anzuschauen.

»Sie wissen ganz gut«, sagte Karl Siebrecht ruhiger, »daß es sich bei meinem Vorschuß um die Einrichtung der Villa handelt. Ich bin damals etwas üppig gewesen, ich gebe das zu, aber ich hatte nicht mit diesem Rückgang aller Geschäfte gerechnet. Wäre der Umsatz weiter gestiegen, hätte er sich nur gehalten, wäre ich die Schuld längst los.«

»Sie hätten wenigstens einen Teil Ihres Gehaltes zur Schuldentilgung verwenden müssen, Siebrecht!«

»Zum Teufel, ich komme mit meinem Gehalt kaum aus! Können Sie denn das, Bremer?«

»Ich habe seit vier Monaten kein Gehalt mehr erhoben, seit die Klemme akut wurde«, sagte Bremer kühl.

Er wartete einen Augenblick, bis Siebrecht sich von diesem Schlag erholt hatte. Aber er war viel zu klug, sich seinen Sieg anmerken zu lassen, im Gegenteil sagte er fast freundschaftlich: »Siebrecht, Sie haben eine reiche Frau, Sie haben einen noch reicheren Schwiegervater. Es muß für Sie eine Kleinigkeit sein, dieses Vorschußkonto auszugleichen. Sie helfen damit nicht nur sich selbst, Sie helfen doch auch der Firma! Achtundzwanzigtausend Mark – in heutigen Zeiten! Achttausend Mark in die Kasse für die Begleichung der dringendsten Verbindlichkeiten, und zwanzigtausend für den Aufkauf der Sendenschen Beteiligung –«

»Von dem Geschäft will ich nichts hören!«

»Aber Sie sollen gar nichts davon hören, ich will das gerne für Sie erledigen. Der Herr von Senden wird nie erfahren, wer seine Beteiligung gekauft hat!«

»Nein! Nein!« sagte Karl Siebrecht und war tief in Gedanken. »So etwas kommt nicht in Frage!«

»Sehen Sie, das meinte ich, als ich vorhin von einer Familiengesellschaft sprach, Siebrecht! Sind wir denn eigentlich ein Verein für den Vorteil Ihrer Freunde und Verwandten, oder sind wir eine Firma, die Geld verdienen will?«

»Jetzt haben Sie aber Ihre Befugnisse überschritten, Bremer!«

»Vielleicht«, gab der ungerührt zu. »Aber wahr bleibt darum doch, daß Herr von Senden uns rein geschäftlich völlig gleichgültig ist, wir haben nicht seinen Vorteil wahrzunehmen, sondern den der Firma. Wahr bleibt auch, daß Ihr Privatkonto ausgeglichen werden muß, Siebrecht. Und wahr bleibt schließlich, daß wir schon seit Monaten mit Herrn Eich wegen einer Vertragsänderung verhandeln müßten und daß Sie diese Verhandlungen immer wieder hinausgeschoben haben.

»Sonst noch etwas, Herr Direktor Bremer –?«

»Aber nein, im Augenblick nicht das geringste! Seien Sie nur nicht beleidigt, Siebrecht. Ich weiß, Sie haben keine Vorliebe für mich, Sie haben mich zu irgend jemand sogar eine kalte Hundeschnauze genannt. Aber ich wünsche Ihnen ein bißchen von dieser Hundeschnäuzigkeit! Sie sind zu empfindlich! Ich bin einfach ein Geschäftsmann, und als solcher habe ich mir gesagt, du mußt zum Vorteil der Firma einmal mit Siebrecht über all diese Dinge reden. Wenn Sie sich die Sache einmal in Ruhe überlegen, ohne Beleidigtsein, werden Sie finden, daß ich recht habe.« Er sah Karl Siebrecht kühl, aber lächelnd an, machte dann eine ganz kleine Verbeugung und war aus dem Zimmer.


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